Kapitel 1
Beziehungen sind wichtig
Was braucht man zum Glücklichsein? Eine zufriedenstellende Paarbeziehung! Das ist zumindest das Ergebnis zahlreicher Studien weltweit. Deutsche in Ost und West platzieren Ehe und Partnerschaft weit oben, wenn sie gefragt werden, was ihnen für ein glückliches Leben wichtig ist. (Abb. 1.1)1
Abbildung 1.1: Für Deutsche gehören Familie, Liebe und Zuneigung zu den wichtigsten Dingen im Leben.
Deutlich unwichtiger sind im Vergleich dazu materielle Aspekte, sich etwas leisten zu können, beruflicher Erfolg oder ein eigenes Haus. Kein Wunder also, dass die meisten Erwachsenen eine enge Beziehung haben, und die, die momentan Single sind, sind es häufig nicht freiwillig. Mehr als 95 Prozent aller Menschen gehen mindestens einmal in ihrem Leben eine enge Beziehung ein, die auf Beständigkeit angelegt ist.2 In westlichen Kulturen sind das in der Regel Ehen oder eheähnliche Beziehungen. In vielen anderen Kulturen gibt es zwar die Ehe in unserem Sinne nicht, gesellschaftlich kontrollierte und sanktionierte Formen der Paarbeziehung findet man aber auch dort.
Leider erfüllen Beziehungen nicht immer die an sie gestellten Erwartungen. Ist dies der Fall, sind wir enttäuscht und fragen uns, ob wir viele der Probleme nicht schon früher hätten erkennen und lösen können. Und zunehmend häufig wird der Bund, der eigentlich für das Leben geschlossen war, wieder gelöst – meist gefolgt von einer neuen Beziehung, die dann mit größerer Wahrscheinlichkeit erneut vor dem Scheidungsrichter endet. Serielle Monogamie scheint die Einehe abgelöst zu haben. Angesichts der steigenden Scheidungsraten liest und hört man denn auch allenthalben, die Ehe sei tot. Das trifft aber, wie Abb. 1.2 zeigt, so nicht zu.3
Geheiratet wird wie eh und je: In den vergangenen 40 Jahren ist die Zahl der jährlich geschlossenen Ehen verhältnismäßig konstant geblieben. Was sich aber über die Zeit hinweg geändert hat, ist die Zahl der Scheidungen – sie ist von 77 000 im Jahr 1970 auf 192 000 im Jahr 2008 gestiegen. Die Folge: Die Scheidungsrate, also das Verhältnis von geschlossenen Ehen zu Scheidungen, ist inzwischen so hoch, dass auf zwei neue Ehen eine Scheidung kommt. Die Gründe sind vielfältig. Die verbesserte finanzielle Absicherung der Ehepartner – vor allem der Frauen – im Falle einer Scheidung macht es leichter, eine unglückliche Beziehung zu beenden. Erhöhte Ansprüche und manchmal unrealistische Beziehungsideale tun das Ihrige.
Abbildung 1.2: Die Zahl der geschlossenen Ehen ist in den letzten 40 Jahren nahezu unverändert geblieben. Die Zahl der Scheidungen hingegen hat sich im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt.
Ratgeber, die erklären, wie man eine Partnerschaft eingeht, wie man sie hält und wie man sie am besten beendet, gibt es zuhauf, in den letzten Jahren vermehrt auch im Internet. Der Grund: Partnerschaftsprobleme nehmen zu. Ungefähr ein Drittel derer, die professionelle psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, tun das, weil ihre Beziehung nicht so läuft, wie sie sollte.
Angesichts dieser Zahlen ist es nur allzu verständlich, dass sich auch Wissenschaftler mit dieser Thematik befassen und versuchen, den Geheimnissen von Partnerwahl und Partnerschaft auf den Grund zu gehen. Sie wenden sich damit einem Thema zu, das die Menschen schon seit Jahrhunderten beschäftigt. Auch der sprichwörtliche »Mann auf der Straße« macht sich seinen Reim darauf, warum es bei manchen funkt, bei manchen nicht, und formuliert dann die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten. Gleich und Gleich gesellt sich eben gern, oder ziehen sich doch eher die Gegensätze an?
Wenn sich eine Wissenschaft einem Bereich des Alltagslebens zuwendet, läuft sie leicht Gefahr, dass ihre Befunde entweder als trivial betrachtet werden, wenn sie etwas bestätigt, was man ohnehin vermutet hatte, oder aber dass ihre Ergebnisse angezweifelt werden, wenn ihre Befunde dem »gesunden Menschenverstand« widersprechen. Und schließlich fragen sich manche, ob Liebe und Partnerschaft überhaupt wissenschaftlich überprüfbaren Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Ähnliche Gedanken müssen Anfang der 1970er-Jahre William Proxmire, Senator des US-Bundesstaats Wisconsin, durch den Kopf gegangen sein, als er erfuhr, dass die National Science Foundation, eine mit öffentlichen Geldern geförderte Stiftung zur Unterstützung von Wissenschaft und Forschung, an zwei Psychologinnen 84 000 US-Dollar zur Erforschung von Liebe bewilligt hatte. In einer öffentlichen Anhörung ließ sich Proxmire zu folgenden Aussagen hinreißen:
»Ich bin dagegen, und zwar nicht nur, weil niemand – nicht einmal die National Science Foundation – behaupten kann, dass Liebe eine Wissenschaft sei, oder weil ich genau weiß, dass die Stiftung auch für 84 Millionen oder 84 Milliarden Dollar keine Antwort bekommen könnte, die irgendjemand glauben würde. Nein – ich bin dagegen, weil ich die Antwort gar nicht wissen will. Ich glaube, dass 200 Millionen Amerikaner meinen Wunsch teilen, dass einige Dinge des menschlichen Lebens in den Schleier des Geheimnisses gehüllt bleiben sollen. (...) Und so fordere ich die National Science Foundation auf: Halten Sie sich aus dem Rummel um die Liebe heraus.«4
Allen Bedenken und Vorbehalten zum Trotz hat die wissenschaftliche Erforschung von Liebe und Partnerschaft in den vergangenen 40 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, und ich möchte in diesem Buch die wesentlichen Ergebnisse – auch aus meiner eigenen langjährigen Forschung – darstellen.
Was ist eigentlich Liebe?
Definitionen von Liebe gibt es wie Sand am Meer, angefangen von »Liebe heißt, niemals um Verzeihung zu bitten« bis hin zu »Liebe heißt, für den anderen da sein«. Philosophen, Schriftsteller, Wissenschaftler unterschiedlichster Couleur, alle haben versucht, dieses illustre Konzept zu definieren. So richtig viel anfangen kann man damit nicht.
Die Liebe gibt es nicht, denn es gibt verschiedene Arten von Liebe. Das scheinen die Autoren aktueller (Sach-)Bücher über Liebe meist zu übersehen. Wenn etwa Liebe als ein unordentliches Gefühl bezeichnet, wenn über die Unmöglichkeit der Liebe geschrieben wird, muss man sich immer fragen, um welche Liebe es denn geht. Das, was zwei pubertierende Jugendliche füreinander empfinden – und vielleicht als die große Liebe betrachten – ist etwas ganz anderes als das, was zwei Mittdreißiger auf der Hochzeitsreise fühlen, und ein seit 40 Jahren zusammenlebendes Paar fühlt wieder etwas anderes. All das nennen wir Liebe. Unsere Sprache wird diesen unterschiedlichen Gefühlszuständen allerdings nicht gerecht. Vielleicht liegt das daran, dass in der historischen Entwicklung der Menschheit die meiste Zeit Liebe nicht die Bedeutung für eine Paarbeziehung hatte, die sie heute hat.
Nach Forschungsergebnissen des Psychologen Robert Sternberg von der renommierten Yale University, die ich replizieren konnte, ist Liebe eine Mixtur von drei Aspekten; emotionale Nähe (dazu gehört »Vertrauen«, »mit dem anderen reden können«, »Geborgenheit finden«) und Leidenschaft, die körperliche Komponente der Liebe, die sich durch »Kribbeln im Bauch«, durch »körperliche Anziehung« und »sexuelles Verlangen« auszeichnet.5 Als dritte Komponente nennt Sternberg die Bindung an eine Person und die Entscheidung, mit dieser Person zusammen sein zu wollen. Wenn man der Einfachheit halber diese drei Komponenten entweder als vorhanden oder nicht vorhanden betrachtet, ergeben sich acht Kombinationen, die acht verschiedene Arten von Liebe charakterisieren (vgl. Abb. 1.3).
Abbildung 1.3: Robert Sternberg unterscheidet in seiner Dreieckstheorie der Liebe acht Typen der Liebe
Betrachten wir zunächst den Fall, dass Sie jemandem emotional sehr nahe sind, aber weder das besagte Kribbeln verspüren noch vorhaben, mit dieser Person eine Beziehung einzugehen. Mögen ist der richtige Ausdruck für so ein Gefühl. Verspüren Sie Erregung, verzehren Sie sich vor körperlichem Verlangen, aber weder Nähe noch Bindung sind vorhanden, liegt Verliebtheitvor. Ganz anders im nächsten Fall. Sie sind verheiratet, haben auch vor, es zu bleiben, aber weder im Bett noch sonst sind Sie sich nahe. Leere Liebe ist oft das, was nach vielen Jahren noch übrig bleibt. Wenn Sie hingegen jemanden heiraten, weil Ihre Leidenschaft sehr stark ist, Nähe aber fehlt, nennt Sternberg das alberne Liebe. Die erfüllte Liebe, bei der jede der Komponenten stark vorhanden ist, lässt sich als ein gleichseitiges Dreieck darstellen. Je nachdem, welche Komponente wie stark ausgeprägt ist, entstehen mehr oder weniger schiefe Dreiecke. (Abb. 1.4) Die Form des Dreiecks beschreibt dabei den Liebestyp, die Größe, die Intensität der Liebe. Dreieckstheorie der Liebe nennt Sternberg seine Überlegungen daher folgerichtig.
Abbildung 1.4: Die drei Komponenten der Liebe – Intimität, Leidenschaft und Entscheidung/Bindung – formen die Liebesdreiecke. Die Größe des Dreiecks beschreibt die Größe der Liebe, die Form die Art der Liebe.
Mit diesen Komponenten im Hinterkopf kann man auch einmal einen nüchternen Blick auf die eigene Beziehung werfen. Ist es noch die vollendete Liebe oder ist die Leidenschaftskomponente (wie bei den...