„Heilen“ beschreibt ein Geschehen, das schwer zu definieren ist. Es gibt keine allgemein gültige oder allgemein akzeptierte Definition von „heilen“, keine „Theorie der Heilung“ und auch Recherchen in diversen Lexika ergeben kein einheitliches Bild. Beispielhaft soll daher an dieser Stelle lediglich die sehr allgemeine und populärwissenschaftliche Definition des online-Lexikons Wikipedia zitiert werden:
„Der Begriff Heilung bezeichnet den Prozess der Herstellung oder Wiederherstellung der körperlichen und seelischen Integrität aus einem Leiden oder einer Krankheit, bzw. die Überwindung einer Versehrtheit oder Verletzung durch Genesung. Während der Heilungsbegriff etymologisch eher durch ein ganz werden bestimmt ist (siehe „Heil“), bezeichnet genesen (von grch.: neomai) ursprünglich ein Davongekommensein aus einer Gefahr. Klassische Heilungsbegriffe der Antike wie griech. θεραπεία „Dienst, Heilung“, lat.: curatio; sanatio, salvatio, restitutio ad integrum, oder engl.: healing (e.g. by first intention; second intention) schwingen bei einer heutigen Begriffsbestimmung immer mit. Die Heilung im heutigen Sinn umfasst körperliche, psychische und soziale Aspekte (biopsychosoziales Modell) des Menschen.“
In der deutschen Sprache hat das Verb „heilen“ zwei unterschiedliche Bedeutungen: Einerseits kann „heilen“ transitiv gebraucht werden im Sinne von „gesund machen“; andererseits wird das Verb auch intransitiv benutzt im Sinne von „(wieder) gesund werden“.
In letzterem Sinne gebraucht, bedeutet Heilung also, dass Gesundheit als Ziel des Heilens von selbst geschieht.
Der US-amerikanische Kardiologe Bernard Lown hat sich 2005 in dem Werk „Heilung-Energie-Geist. ‚Heilung’ zwischen Wissenschaft, Religion und Geschäft“ eingehend mit dem Begriff ‚Heilung’ auseinandergesetzt und sollen seine Überlegungen hier kurz vorgestellt werden (vgl. ebd, 33ff):
Subjektivität des Heilens
Beim Erleben des Heilwerdens kommt es ganz entscheidend auf das subjektive Empfinden des zu Heilenden an. Damit entzieht sich das Heilwerden weitestgehend einer objektiven Definition und Sichtweise. Für einen Arzt ist es nicht immer klar zu entscheiden, ob ein Patient in medizinisch-naturwissenschaftlichem Sinne wirklich geheilt ist, oder ob er sich lediglich geheilt fühlt, also nur glaubt, geheilt zu sein.
Vielfältige Beteiligungsfaktoren am Prozess des Heilens
Heilung wird weltweit und traditionell als ein Zusammenwirken körperlicher, seelischer, sozialer und ritueller Faktoren verstanden. Dem „Heiler“ wird dabei vielfach große Bedeutung zugemessen. Dieser kann aus unterschiedlichsten Professionsgruppen stammen, beispielhaft aufgezählt mögen sein: Ärzte, Psychotherapeuten, Schamanen, Astrologen, Priester und Heilpraktiker.
Vielfalt an unterschiedlichen Heilungsmethoden
Ebenfalls nur beispielhaft aufgezählt werden können die Akupunktur, Aromatherapie, Atemtherapie, Ayurveda, Bachblütentherapie, Bioenergie, Biofeedback, Familienaufstellung, Geistiges Heilen, Handauflegen, Homöopathie, Kinesiologie, Massagetechniken, Meditationspraktiken, Psychotherapie, Schamanisches Heilen, Schulmedizinische Behandlungen, Taiji, die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM),... Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.
Heilen steht immer in einem kulturspezifischen Kontext
Es steht außer Zweifel, dass es zu allen Zeiten und in allen Ländern und Kulturen jeweils eine oder mehrere spezifische „Künste des Heilens“ gab und gibt; deshalb kann das, was unter „Heilen“ und „Heilung“ verstanden wird, nur immer wieder neu und innerhalb des jeweiligen Kontextes verstanden und diskutiert werden.
„Heilung“ wird heute oft durch „Behandlung“ verdrängt
Die wissenschaftliche Revolution und die technischen Fortschritte in der Medizin verstärken heutzutage bei Patienten den Glauben, dass jede wie auch immer geartete Krankheit sofort behandelt werden könnte. Ebenso kommt es heute vielfach zu einer „Übertherapie“ durch Ausprobieren unterschiedlicher Behandlungsmethoden, Verschreibung einer Vielzahl von Medikamenten und Überweisung an unterschiedliche Ärzte. Ein Übermaß an erfolgten Untersuchungen, Befunden und (unterschiedlicher) Diagnosen ist die Folge.
Die Fundamente des Heilens
Immer mehr Ärzte und Therapeuten, die sich mit den Wirkfaktoren erfolgreicher Behandlung beziehungsweise Heilung beschäftigen, vertreten mittlerweile die Ansicht, dass die Beziehung zwischen „Heiler“ und „Heil Suchendem“, also die Arzt-Patient-Beziehung beziehungsweise die Therapeut-Klient-Beziehung, den wichtigsten Faktor im Heilungsprozess darstellt. (vgl. Grawe, 2005; Begenau/Schubert/Vogd, 2009)
Die zwei grundlegenden Fundamente des Heilens sind:
eine gute Ausbildung und Fachkompetenz sowie Erfahrung und
die Voraussetzung, zuhören zu können, Empathie, Beziehung.
Heilung in den Schriften des Neuen Testaments
In der katholischen Theologie wird Jesus als Heiland der Menschen gesehen, der neben körperlichen Krankheiten vor allem von der Krankheit der Sünde befreit. Nach Meinung der Gläubigen zu Jesu Zeiten zeigten sich die Auswirkungen von Sünden in Form von körperlichen und/oder seelischen Gebrechen. Für Jesus bedeutete Heilung eines Menschen somit Heilung von körperlichen, seelischen und geistigen Gebrechen - Sündenvergebung ist Heilung von der Wurzel her. Dieses ganzheitliche Verständnis von Heilung wird deutlich in dem Satz Jesu: „Deine Sünden sind dir vergeben“ (Mt 9,2; Mk 2,5; Lk 5,20) im Anschluss an die Geschichte von der Heilung des Gelähmten. Die Heilungsgeste Jesu erfolgte meistens durch Händeauflegen auf den Kranken (z.B. Mt 8,3; Mt 8,15; Mt 9,29; Mk 1,41). (vgl. Dörnemann, 2003, 64)
Heilung im Schamanismus
Im Mittelpunkt der spirituellen Praxis im Schamanismus steht die Kommunikation mit Geistwesen, wobei der Schamane als Vermittler zwischen seiner menschlichen Gemeinschaft (Sippe, Klan, Stamm,...) und der Welt der Geister auftritt. Dabei versetzt er sich mittels Tanz und Trommelbegleitung in einen Zustand der Ekstase, die als äußerer Anschein einer Seelenreise (z.B. ins Totenreich) oder als eine Inkorporation bestimmter Geister durch den Schamanen aufgefasst wird. Der traditionelle Aufgabenbereich eines Schamanen oder einer Schamanin liegt hauptsächlich in der Leitung von verschiedensten Ritualen (v.a. Übergangsriten vom Leben zum Tod) und der Heilung von Krankheiten, wobei die Krankheit als von Geistern verursacht verstanden wird.
Heilung im Taoismus und in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM)
Heilung bedeutete im alten China "Ganzwerdung" - ein ausgewogenes Zusammenwirken aller Aspekte im Menschen. Körper und Seele werden als eine Einheit gesehen, eingebunden ins Universum. Die Organe des Körpers sind neben ihrer physiologischen Funktion verantwortlich für emotionale Prozesse. Ziel der traditionellen chinesischen Medizin ist es, den Körper zu harmonisieren und durch ein ausgeglichen fließendes Qi (=Lebensenergie) Heilung zu ermöglichen. Hierfür eignen sich neben Akupunktur, Akupressur und Shiatsu Zen-Meditation, Taiji und Qigong, bewusste Ernährung sowie verschiedene Kräuter.
Heilung aus Sicht der Schulmedizin
„In der Schulmedizin gibt es den Begriff „restituo ad integrum“, der Heilung im Sinne von Wiederherstellung des Ausgangszustandes meint. Bleibt ein organischer oder funktioneller Restschaden, sprechen Schulmediziner von „Defektheilung“. Als Heilmittel werden vor allem pharmazeutische Medikamente und physikalische Behandlungen eingesetzt.
Heilung in der Integrativen Gestalttherapie
Die Integrative Gestalttherapie sieht die Ursache für Probleme und die meisten Leiden in schädigenden Beziehungserfahrungen. Heilung ortet sie daher ebenfalls im Erleben von Beziehung. Diese Grundannahme des „Dialogischen Prinzips“ geht auf Martin Buber zurück und wurde von Fritz Perls (1893-1970, Begründer der Integrativen Gestalttherapie) aufgegriffen: „Du bist du, und ich bin ich. Erst muss ich mich finden, um Dir begegnen zu können. Ich und Du, das sind die Grundlagen zum wir. Nur gemeinsam können wir das Leben in dieser Welt menschlicher machen.“ (Perls, 1966)
Heilung in der Philosophie
Die Auseinandersetzung mit Gesundheit, Glück und Heilung erfolgte in der Geschichte der Philosophie immer wieder und auf unterschiedlichste Weise - von den Stoikern über Epikur, Augustin und die mittelalterlichen Philosophen, über Descartes, Spinoza, Leibniz, Locke und Hume, über Kant, Fichte, Schleiermacher, Schelling, Hegel und Herbart, von Schopenhauer über Nietzsche bis Bergson - ein genaueres Eingehen auf die einzelnen Standpunkte würde den Rahmen dieses Exkurses bei weitem...