Die junge Wienerin
Der Wille einer Frau ist Gottes Wille – diesen Ausspruch hörte ich oft als kleines Mädchen in Wien.« Mit diesem Satz beginnt Stephanie Richter, spätere Prinzessin von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, ihre unvollendet gebliebene Autobiografie. Und unter diesem Motto sah sie ihr außergewöhnliches Leben, das den Zeitraum der Jahre 1891 bis 1972 umspannte, und somit die zu Ende gehende Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Deutschland.1
Stephanie Maria Veronika Juliana Richter kam am 16. September 1891 in Wien zur Welt, im Haus Am Kärtnerring 1, unmittelbar gegenüber dem damaligen Hotel Bristol. Ihren ersten Vornamen erhielt sie zu Ehren von Kronprinzessin Stephanie, der Gemahlin des Kronprinzen Rudolf von Österreich, der 1889 Selbstmord begangen hatte.
Ihren Vater, Dr. Johann Sebastian Richter, beschrieb Stephanie als einen sehr erfolgreichen Rechtsanwalt. Er wollte eigentlich Priester werden, verliebte sich dann aber in Ludmilla Kuranda und heiratete sie. Ihre Eltern, beide Arier – wie Stephanie betonte –, sah sie als sehr widersprüchliche Persönlichkeiten, mit denen sie und ihre fünf Jahre ältere Schwester Milla (eigentlich Ludmilla) jedoch eine glückliche Kindheit verlebten. In einem »Monolog am Morgen«, einer Art Zwiegespräch mit ihrer Zofe Anna, schreibt Stephanie von Hohenlohe später: »Ich wuchs auf in Wien, ich liebte Wien, ich war ein Wiener Mädel. Und wie alle anderen sang auch ich: ›Wien, Wien, nur du allein‹.«2
Der Vater war, wie sie sich erinnert, unglaublich gütig und voll zärtlicher Zuneigung zu ihr, die Mutter übertrieben ängstlich und ständig herumnörgelnd. So wurde aus ihr teils ein verwöhntes, teils ein eingeschüchtertes Kind.
Wenn die Kinderschwester mit der kleinen Steffi im Kinderwagen durch den Stadtpark fuhr, wurde das kleine Mädchen mit den großen strahlend blauen Augen stets bewundert. Als sie zu laufen anfing, sah man ihre »Wadeln, die unter den kinderlieben Wienern berühmt wurden«.
Die Mutter Ludmilla kam aus der alten jüdischen Prager Familie Kuranda. Der Vater, Johannes (Hans) Richter, war Katholik, Ludmilla trat erst wenige Tage vor der Hochzeit zum katholischen Glauben über. Dank seiner Anwaltspraxis konnte Hans Richter die Familie gut ernähren. Doch war er oft sehr großzügig und übernahm auch Rechtsfälle ohne Bezahlung, was seiner Frau wenig gefiel, die gerne viel Geld ausgab. Wegen einer Veruntreuung von Mündelgeldern musste der Rechtsanwalt einmal eine Haftstrafe verbüßen. Gegen Ende seines Lebens wurde er zunehmend fromm. Und als sich sein Gesundheitszustand immer mehr verschlechterte, zog er sich geistig und schließlich auch physisch von allen weltlichen Dingen zurück und trat dem Orden der »Barmherzigen Brüder« bei. Er wurde als Laienbruder aufgenommen, sodass seine Familie ihn jederzeit besuchen durfte.
Von Stephanies Halbschwester, der Schriftstellerin Gina Kaus3, erfahren wir Näheres über die Eltern: Nicht der arische Wiener Rechtsanwalt Dr. Johann Richter, der aus einem Bauernhof in Nordmähren stammte, sondern ein jüdischer Geldvermittler war Steffi Richters leiblicher Vater. Während der Anwalt wegen der erwähnten Veruntreuung eine siebenmonatige Gefängnisstrafe absaß, hatte seine Frau eine mehr als bloß geschäftliche Verbindung mit einem noch ledigen Geldvermittler – dem späteren Vater von Gina Kaus. Am 16. September 1891 wurde dem Ehepaar Richter die Tochter Stephanie geboren. Als sehr alte Dame wurde Gina Kaus nochmals nach ihrer Halbschwester gefragt. »Die Prinzessin Hohenlohe – sie war, vielleicht ohne es zu wissen, meine Halbschwester. Mein Vater – ein sehr einfacher Mann – hat gelegentlich erzählt, dass er vor seiner Heirat mit meiner Mutter ein Verhältnis mit einer Frau Richter hatte, während ihr Mann [Herr Richter] im Gefängnis war. Aber er hat das Kind [die Steffi], vielleicht gegen etwas Geld, anerkannt (…).«4
Gina Kaus verfolgte die aberwitzigen Touren ihrer um zwei Jahre älteren Halbschwester mit gemischten Gefühlen. Sie sollte sowohl im Deutschen Reich wie auch viele Jahre später in den Vereinigten Staaten immer wieder für Schlagzeilen sorgen.
Stephanie wuchs behütet auf. Sie ging höchst ungern in die Volksschule und war damit auch keine gute Schülerin. Am Ende der Schulzeit wurde sie für vier Monate in ein College nach Eastbourne in England geschickt. Dann hatte sie Klavierunterricht am Wiener Konservatorium. Sie erinnerte sich leidvoll daran, dass ihr Klavierlehrer sie mit einem kleinen Stöckchen auf die Knöchel schlug, wenn sie falsch spielte. Ihre Mutter wollte, dass sie eine Pianistin werden sollte. Doch ihre Hände waren so klein und schmal, dass sie die Oktave nicht richtig greifen konnte; somit kam dieser Beruf für sie nicht infrage.
Stephanie las keine Bücher, interessierte sich nicht für die sogenannten weiblichen Fertigkeiten wie Nähen, Sticken und Häkeln. So konnte sie auch nicht kochen, ja noch nicht einmal Wasser zum Sieden bringen, wenn sich nicht jemand fand, der das Feuer anzündete. Tiere liebte sie abgöttisch. Jede Art von Sport interessierte sie: Sie spielte Tennis, schwamm, segelte, jagte, radelte und ruderte. Sie konnte besonders gut Schlittschuh laufen, tanzte Walzer auf dem Eis und traf alle ihre Freunde im Wiener Eislaufverein. Besondere Freundinnen hatte sie nie. Mit 14 Jahren drehte sie sich ihre eigenen Zigaretten in der Schultoilette. Ihre Intelligenz ermöglichte es ihr, ohne große Anstrengung Fremdsprachen zu erlernen.
Bei einem Sommeraufenthalt im herrlichen Gmund am Traunsee stellte sich die 14-jährige Steffi der alljährlichen Wahl zur Schönheitskönigin, obwohl sie, wie sie selbst schreibt, doch noch eher ein pummeliger Backfisch war. Sie wurde als Schönste erkoren! Nun schauten die Leute nach ihr; andere Mädchen fingen an sie zu kopieren, die gleichen Kleider oder die Frisur zu tragen wie die »Steffi aus Wien«.
Eine vornehme Klientin ihres Vaters war die kinderlose Prinzessin Franziska (Fanny) von Metternich, geborene Gräfin Mittrowsky von Mittrowitz (1837–1918), Witwe von Lothar Stephan August Prinz von Metternich-Winneburg und Beilstein. Der »Grande Dame«, wie sie Stephanie später nannte, gefiel die 14-jährige Tochter von Dr. Richter, und sie bat darum, diese hin und wieder zu sich nehmen zu dürfen, was ihr auch gestattet wurde. Dadurch kam das junge Mädchen in Kontakt mit der exklusiven und adeligen Wiener Gesellschaft. Stephanie lernte schnell, sich in diesen Kreisen zu bewegen. Sie nahm wissbegierig alles in sich auf, was zu einer feineren Lebensart gehörte. Ihr Charme und ihr Lachen wirkten bezaubernd, und ihre Reitkünste brachten ihr bald einen aristokratischen polnischen Verehrer ein, den Grafen Gisycki. Dieser besaß in der Nähe von Wien ein Schloss, wohin sie ihn begleitete. Seinen Heiratsantrag lehnte sie jedoch ab, da der gut aussehende Lebemann so alt war, dass er ihr Vater, ja sogar ihr Großvater hätte sein können.
Graf Joseph Gisycki war von der amerikanischen Erbin Eleanor Medill Patterson geschieden, die mit der Tochter in die Vereinigten Staaten zurückgegangen war. Zum damaligen Zeitpunkt hätte niemand ahnen können, dass es der Ehemann der Patterson-Tochter Felicia sein würde, der für die journalistische Tätigkeit von Stephanie von Hohenlohe im Nachkriegsamerika eine nicht unerhebliche Rolle spielen sollte: der einflussreiche, sehr geschätzte amerikanische Kolumnist Drew Pearson.
Damals hatte sich Steffi für ein ehrgeiziges Lebensziel entschieden: Sie wollte einen Prinzen heiraten. Zu jener Zeit war sie gerade 15 Jahre alt, und es sollte bis zu ihrem 23. Lebensjahr dauern, bis der Prinz sich fand. In ihren Aufzeichnungen steht allerdings, dass sie mit 17 Jahren bereits verheiratet gewesen sei.
Den nächsten Heiratsantrag erhielt die gerade mal 15-jährige Steffi von Graf Rudolf Colloredo-Mannsfeld; doch diesen Adligen lehnte sie wegen seines Geizes ab.
Mit dem Tod von Stephanies Vater 1909 geriet die Familie in große finanzielle Not. Wer sollte der Witwe und ihren beiden Töchtern jetzt noch Geld leihen? Die Lösung aller Probleme kam durch den Bruder der Mutter. Dieser war als junger Hitzkopf von zu Hause weggelaufen und hatte nie wieder etwas von sich hören lassen. Und nun stand er vor der Tür, zurückgekehrt als reicher Mann aus Südafrika.
Robert Kuranda schüttete das Geld reichlich über seine Schwester Ludmilla und über seine Nichten aus. Während die Mutter angeblich überhaupt nicht mit Geld umgehen konnte, gelang es Stephanie, ihren Anteil gut und ertragreich anzulegen. Die Mutter hatte damals wieder ein »loses Verhältnis« mit einem Kaufmann. Das Geld reichte nun sogar für die Sommerreisen, die sehr häufig unternommen wurden.
Auf diesen Reisen begleiteten die Mutter, Stephanie und ihre Schwester ihre Tante Clothilde, die für kurze Zeit mit Herbert Arthur White verheiratet war, dem damaligen Wiener Korrespondenten der Times, der führenden Londoner Zeitung. Diese besaß ein schönes Stadthaus in Kensington und eine wunderbare Villa am Wannsee in Berlin. Tante Clothildes Feste waren berühmt. Sie hatte Stil und konnte es sich leisten, die damals berühmteste Tänzerin, Anna Pawlowa, einzuladen. Man reiste nach Marienbad, Karlsbad, Venedig, Berlin, Paris, Biarritz, nach Kiel zu den Regatten, an die dalmatinische Küste, nach Korsika und nach Prag.
Stephanie berichtet, dass sie bei einem von der Prinzessin Metternich veranstalteten Jagdessen gebeten wurde, etwas...