Nachdem im zweiten Kapitel ein grundlegendes Nachhaltigkeitsverständnis geschaffen wurde, liegt das Ziel des vorliegenden Kapitels in der Schaffung eines Grundverständnisses von Verkehr und Mobilität, wozu zunächst eine genauere Bestimmung und Eingrenzung dieser beiden Begriffe stattfindet. Im Anschluss werden die Verkehrsträger im Personenverkehr voneinander abgegrenzt und charakterisiert, woraufhin sich Kapitel 3.4 mit dem Mobilitätsund Verkehrsverhalten in Deutschland auseinandersetzt.
Der Begriff „Mobilität“ stammt ursprünglich aus dem Lateinischen und beschreibt allgemein die Beweglichkeit von Personen und Sachen.[59] Die Verwendung des Begriffs kann in mehreren Zusammenhängen erfolgen. So spricht man etwa von beruflicher Mobilität, wenn der Wechsel von einem Beruf zum anderen vorgenommen wird. Daneben findet Mobilität auch häufige Verwendung im Zusammenhang mit dem Wechsel zwischen sozialen Schichten, gewählten Parteien, arbeitsplatzbietenden Sektoren etc.[60] Gerade für eine arbeitsteilige und international verflochtene Gesellschaft und Wirtschaft ist Mobilität von grundsätzlicher Bedeutung.[61] Sie ist nicht nur Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses nach Beweglichkeit, sondern auch Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft.[62] Im Rahmen der Verkehrswissenschaften ist die in dieser Arbeit zu betrachtende räumliche bzw. geographische Mobilität von besonderer Bedeutung.[63] Die Bundesregierung definiert dafür in ihrem Nachhaltigkeitsbericht Mobilität als die Verkehrsbeweglichkeit von Menschen und Gütern unabhängig vom Verkehrsmittel und der zurückgelegten Distanz “ (BUNDESREGIERUNG (2002), S. 145).
Gemäß BECKER et al. (1999) basiert Mobilität auf einem Mobilitätsbedürfnis, das entsteht, wenn ohne Ortsveränderung einer Person, eines Gutes oder einer Information keine Bedürfnisbefriedigung möglich ist.[64] Erst wenn sich ein einzelner dazu entscheidet, ein Mobilitätsbedürfnis tatsächlich umzusetzen bzw. zu befriedigen, entsteht realisierte Mobilität, die dem entspricht, was gesellschaftlich kurz als „Mobilität“ bezeichnet wird. Bei dieser (realisierten) Mobilität handelt es sich demzufolge nicht mehr nur um eine Möglichkeit, sondern eine echte Bewegung, dessen Antriebsfeder Bedürfnisse sind. Zur Durchführung einer Bewegung bedarf es eines Instruments, welches in diesem Zusammenhang unter dem Begriff Verkehr zusammengefasst ist. Verkehr kann demnach als das Instrument verstanden werden, das Mobilität ermöglicht bzw. umsetzt. Beim Verkehr stehen nicht mehr die Bedürfnisse, sondern die technischen und sonstigen Randbedingungen, wie bspw. Fahrzeuge, Fahrbahnen etc. im Vordergrund und es ist die Gesamtheit aller Inputfaktoren (Rohstoffe, Energie, etc.) und Outputfaktoren (Lärm, CO2, Unfälle etc.) notwendig, um das Phänomen zutreffend beschreiben zu können. Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht dieses Verständnis noch einmal graphisch.
Abb. 2: Grundsätzliches Verständnis zur Einordnung von Mobilität und Verkehr
Quelle: GERIKE/BECKER (2000): Ziele von und für Verkehr, Wozu dient eigentlich unser Verkehr, und wie soll er aussehen? In: Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden, 49 (2000), Heft 3
Als Ausgangsbasis dient die, von einer hierarchisch angeordneten Bedürfnisstruktur der Individuen ausgehenden, Bedürfnispyramide von ABRAHAM H. MASLOW. [65] Innerhalb der Hierarchie ist es dabei zunächst notwendig, die grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, bevor die Bedürfnisse der jeweils übergeordneten Ebene befriedigt werden können. Die Spitze der Pyramide bildet das Bedürfnis „Selbstverwirklichung“.[66] Hat ein Individuum ein Bedürfnis, das vor Ort nicht befriedigt werden kann, so resultiert daraus ein Mobilitätsbedürfnis und es entsteht zunächst eine Nachfrage nach Mobilität. Unter Berücksichtigung des vorgegebenen Angebotes an Verkehrswegen, Preisen, etc. findet anschließend eine individuelle Entscheidung für die Umsetzung des Mobilitätsbedürfnisses statt und es ergeben sich beobachtbare Ortsveränderungen, realisiert durch Verkehr, welche die „Bewegung“ messbar machen. Genau genommen beschreibt Verkehr damit letztlich dasselbe wie Mobilität, jedoch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. [67] Mobilität und Verkehr sind damit ein untrennbares Begriffspaar, wie zwei Seiten einer Medaille.[68] Aus dieser Erkenntnis lassen sich zwei konkrete Definitionen ableiten:[69]
Definition 1: Mobilität beschreibt die Bedürfnisseite von Ortsveränderungen:
(Realisierte) Mobilität ist eine Bewegung nach einer individuellen Entscheidung für ein gesellschaftliches Angebot, das ein Bedürfnis abdeckt. Der Begriff "Mobilität“ steht somit immer für Bedürfnisse.
Definition 2: Für jede Mobilität sind Ressourcen, Instrumente und Hilfsmittel notwendig. "Verkehr" wird definiert als Gesamtheit aller Instrumente, die für Mobilität benötigt werden, also die Verkehrsmittel, Verkehrswege, Verkehrsregeln, Verkehrsinfrastrukturen etc. Kurz: Verkehr ist das Instrument, das Mobilität ermöglicht.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Begriff „Mobilität“ immer dann angebracht ist, wenn es um die Bedürfnisse geht, der Begriff „Verkehr“ hingegen dann, wenn es um die technische Umsetzung geht. Das Ziel von Verkehr liegt damit offensichtlich in der Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen.[70] Anders ausgedrückt: „Das Ziel von Verkehr ist bedürfnisgerechte Mobilität für alle “ (BECKER et al., 1999, S. 6).
Wie im vorangegangenen Abschnitt herausgestellt wurde, bedarf es zur Umsetzung von Mobilitätsbedürfnissen eines Instruments, welches unter dem Begriff „Verkehr“ zusammengefasst werden kann und es wurde verdeutlicht, dass die Individuen bei der Befriedigung ihrer Mobilitätsbedürfnisse immer auch nach dem Angebot entscheiden, das die Gesellschaft zur Verfügung stellt. Doch wie gestaltet sich dieses Angebot konkret? Und welche spezifischen Anforderungen stellen die Individuen an dieses Angebot? Existieren Angebotslücken, die mit neuen Verkehrskonzepten, wie bspw. dem Carsharing evtl. geschlossen werden können? Diesen und weiteren Fragen widmen sich die vorliegenden beiden Kapitel.
In Anlehnung an Abbildung 3 lässt sich der Verkehr grundsätzlich in zwei Bereiche, den Güter- und Personenverkehr, aufteilen.
Abb. 3: Verkehr
Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT (Hrsg.) (2006): Im Blickpunkt: Verkehr in Deutschland 2006,Wiesbaden, S. 13
Während der Güterverkehr auf Grund der Themenstellung im Folgenden nicht näher betrachtet werden soll, findet im Bereich des Personenverkehrs eine weitere Unterteilung in Individualverkehr und öffentlichen Personenverkehr statt. Zum Individualverkehr zählen in diesem Zusammenhang der motorisierte (Pkw, Krafträder und Leichtkrafträder) und der nicht-motorisierte (Fahrrad und Fußweg) Individualverkehr. Der öffentliche Personenverkehr setzt sich dagegen aus dem Bus- und Bahnverkehr, der noch einmal in die Bereiche Nah- und Fernverkehr unterschieden wird, dem Seeverkehr, der Binnenschifffahrt und dem Luftverkehr zusammen.
Eine weitere Möglichkeit der Systematisierung findet sich bei ECKEY und STOCK (2000).[71] Hier werden die Verkehrsträger im Personenverkehr je nach genutztem Verkehrsweg unterschieden, d.h. in Straßen-, Schienen-, Luft- und Wasserverkehr untergliedert. Zum Straßenverkehr zählen dabei die Verkehrsträger Fahrrad, Motorrad, Auto und Bus, während man von Schienenverkehr spricht, wenn die Verkehrsträger auf Gleisen fahren (Straßen-, U- und Eisenbahnen). Auch hier findet eine weitere Unterscheidung in Nah- und Fernverkehr statt: Während Straßen- und U-Bahnen nur zur Befriedigung der Bedürfnisse im Nahverkehr (Entfernungen unter 50 km) eingesetzt werden, sind Eisenbahnen sowohl im Nah-als auch im Fernverkehr (Entfernungen über 50 km) tätig. Dem Wasserverkehr ist im Bereich des Personenverkehrs insgesamt nur eine geringe Bedeutung beizumessen, weshalb er im Folgenden vernachlässigt werden soll.
Die Wahl eines entsprechenden Verkehrsträgers hängt dabei von unterschiedlichen Faktoren ab. Jeder Verkehrsträger besitzt unterschiedliche Merkmale und erfüllt gewisse Anforderungen der Nutzer besser oder schlechter bzw. ist zur Befriedigung eines individuellen Mobilitätsbedürfnisses mehr oder weniger geeignet. ECKEY und STOCK (2000) haben zu diesem Zweck acht Anforderungen der Nutzer an die Verkehrsträger formuliert[72], auf die sich unter anderem auch SCHUBERT stützt[73] und die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.
Erfordernis von Zertifizierung
Die erste Anforderung stellt in diesem Zusammenhang das Erfordernis von Zertifizierung dar. Während die Nutzung von Fahrrad, Flugzeug, Straßenbahn, Bus und Eisenbahn jedermann möglich ist[74], kann der Pkw nur...