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Koordinierende Kinderschutzstelle (KoKi) und erfolgreiche Netzwerkarbeit: Entwicklung von Qualitätsstandards

AutorCarmen Zwerger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl142 Seiten
ISBN9783656234623
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,7, Katholische Stiftungsfachhochschule München, Abt. Benediktbeuern, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Frühen Hilfen sind zu einem fachlichen und gesamtgesellschaftlichen Anliegen geworden und werden umfassend erforscht. Die Vernetzung zwischen Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen ist als Eckpfeiler eines gelingenden Kinderschutzes und wirksamer Prävention erkannt worden. Dazu sind in Bayern flächendeckend Koordinierende Kinderschutzstellen (KoKi) eingerichtet worden, deren Hauptaufgabe die Vernetzung mit allen Institutionen und Personen ist, die mit Familien mit Kindern unter drei Jahren sowie Schwangeren befasst sind. Das Modellprojekt 'Guter Start ins Kinderleben' entwickelte mehrere Standards wie Auftaktveranstaltung, Runde Tische, Workshops, gemeinsame Fortbildungen, Risikoerfassungsinstrumente und Handreichungen für die Jugendhilfe. Es hat sich herausgestellt, dass weitere und umfassendere Standards erforderlich sind, um die Vernetzung erfolgreicher zu gestalten, eine größere Verbindlichkeit herzustellen und zielgerichteter zu arbeiten. Mittels umfassender Dokumentenanalyse und Durchführung von drei Experteninterviews, ausgewertet mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring, wurden weitere Qualitätsstandards entwickelt, die für eine erfolgreiche Netzwerkarbeit und gelingende Kooperation der KoKi erforderlich sind. Schlüsselwörter: Koordinierende Kinderschutzstelle, Frühe Hilfen, Vernetzung, Netzwerkarbeit, Kooperation, Qualitätsstandards, Entwicklung weitergehender Standards, Experteninterviews, qualitative Inhaltsanalyse

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Leseprobe

3. Vernetzung/Netzwerke


 

In diesem Abschnitt werden zuerst alle relevanten Aspekte des Begriffes „Vernetzung“ bzw. „Netzwerke“ behandelt, theoretische Modelle und Implikationen vorgestellt und dieses dann konkret auf die Netzwerke Früher Hilfen  bezogen.

 

3.1 Begriffsklärung Netzwerke


 

Der Begriff der Vernetzung findet sich in unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen, insbesondere in den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen wie der Psychologie, der Soziologie und der Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Diese Disziplinen bilden auf unterschiedliche Weise komplexe Strukturen und Zusammenhänge in Form von Netzwerken ab (Ziegenhain/Schöllhorn/Künster/Hofer/König/Fegert 2010: 54) und definieren sie aus ihrem Blickwinkel.

 

„Vernetzung ist die Herausbildung, Aufrechterhaltung und Unterstützung einer Struktur, der die Förderung von kooperativen Arrangements unterschiedlicher Personen oder Institutionen dienlich ist.“ Diese Definition stammt von van Santen/Seckinger (2003: 29) und trifft auf das Netzwerk der KoKi vollkommen zu. Es wird ein neues Netzwerk, eine Struktur gebildet mit unterschiedlichen Personen und Institutionen, die eine kooperative Zusammenarbeit im Kinderschutz durch verschiedene gemeinsame Instrumente verwirklichen wollen z. B. durch Einsatz einer standardisierten Risikoeinschätzung.  

 

Sprenger (2001: 6) definiert folgendermaßen:  „Netzwerke beschreiben einen Prozess, an dem mehrere Akteure oder Akteursgruppen beteiligt sind, die auf Basis einer gemeinsamen Überzeugung oder Vision auf ein vereinbartes Ziel hinarbeiten. Dieser Prozess beruht in der Regel nicht auf formellen Verträgen, sondern auf Vertrauen, Partnerschaft und der Überzeugung, dass die Zusammenarbeit für alle Beteiligten von Gewinn ist.“

 

Eine sehr umfassende Definition bieten Baitsch/Müller (2001: ii) an: „Netzwerke werden als akteursbezogene Beziehungsgeflechte verstanden, die kooperations- und projektübergreifend höchst unterschiedlich ausfallende Potenziale bereitstellen. Es handelt sich um lose gekoppelte Bindungen zwischen Akteuren, die in unterschiedlichen Handlungsbezügen-Wirtschaft-Politik und Verwaltung- und gegenseitigen Abhängigkeiten zueinander stehen. Sie sind organisatorisch offen. Es gibt keine Sanktionsmöglichkeiten gegenüber einzelnen. Es gibt keine förmlich hierarchische Gliederung. Der Institutionalisierungsgrad ist gering“

 

Aderhold  bezieht sich lediglich auf die Personen und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen: „Soziales Netzwerk wird durch eine Summe von Akteuren und den zwischen ihnen bestehenden Beziehungsverhältnissen definiert“ (Aderhold 2009: 185, zitiert nach Miller 2010: 182).

 

Ziegler beschreibt: „Netzwerk als eine soziale Einheit, in der Ressourcen getauscht, Informationen übertragen, Einfluss und Autorität ausgeübt, Unterstützung mobilisiert, Koalitionen gebildet, Aktivitäten koordiniert, Vertrauen aufgebaut oder durch Gemeinsamkeit Sentiments gestiftet werden“ (Ziegler 1984, 435, zitiert nach Miller 2002, 35).

 

Bezogen auf die Koordinierenden Kinderschutzstellen eignet sich der erste Teil der Definition von Sprenger, denn im KoKi-Netzwerk sind Fachkräfte unterschiedlichster beruflicher Herkunft, die die gemeinsame Überzeugung und das Ziel des Kinderschutzes teilen. Der Abschluss von Kooperationsverträgen und genauer Zielbeschreibung wird entgegen der Definition als ein wesentliches Qualitätsmerkmal von Netzwerken Früher Hilfen gesehen.

 

Auch die Definition von Ziegler beschreibt das Netzwerk der KoKi treffend und betont dabei den Aufbau von Vertrauen und Gemeinsamkeit, was ein wesentliches Kontinuum in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Netzwerkpartner darstellt.

 

Derzeit sind viele KoKi-Netzwerke noch lose gekoppelte Bindungen wie in der Definition von Baitsch/Müller, auch das Beispiel des „Steuerungsgruppe“ genannten Netzwerkes des Jugendamtes in N. Die Fachkräfte haben vielfältige Potenziale und stammen aus verschiedenen Bezügen: freien Trägern, Ämtern, Freiberuflern, Kliniken usw.  

 

3.2 Netzwerktheorien


 

Auf den deutschen Philosophen und Soziologen Georg Simmel  (1908) lässt sich das Konzept des sozialen Netzwerkes zurückführen. Er beschreibt den Menschen als dadurch bestimmt, dass er in Wechselwirkung mit anderen Menschen lebt. Jakob Moreno  entwickelte 1934 ein Erhebungs- und Analyseinstrument, die Soziometrie, mit dem er das Beziehungsgeflecht zwischen Menschen untersuchen konnte (Ziegenhain et. al. 2010: 54/Rabong 2010: 26f.).

 

In Norwegen untersuchte Anfang der 50er Jahre der Anthropologe John Barnes die innere soziale Struktur eines Fischerdorfes und erkannte die Bedeutung von informellen sozialen Strukturen, die neben formellen hierarchischen Strukturen existieren. Barnes (1954) bezeichnete das Beziehungsgeflecht wie Menschen zueinander in Beziehung stehen, wie sie, vergleichbar mit einem Fischernetz, als Knoten mit Linien und Bändern miteinander verbunden sind, als Netzwerk (Rabong 2010: 27f.)

 

 Im Laufe der letzten Jahre hat der systemtheoretische Blick in der Netzwerkforschung immer mehr an Bedeutung gewonnen, da  durch die Nutzung von systemtheoretischen Erkenntnissen ein umfassender Erklärungsgehalt angeboten werden kann. Mittels der Systemtheorien kann man sowohl Akteurhandlungen auf der Mikroebene betrachten als auch komplexe Systemstrukturen und –prozesse auf der Meso- und Makroebene (Miller 2005: 107). Die Systemtheorie wird hier nicht ausführlich erörtert, da dies die Möglichkeiten einer Masterarbeit übersteigt, sondern es werden netzwerkrelevante Themen aufgegriffen. Hier wird vor allem auf Miller Bezug genommen, die sich wiederum oft auf Luhmann (1988, 1993) bezieht.

 

Jedes für ein Netzwerk relevante System, Luhmann nennt es ein formal organisiertes System, hat seine eigene Systemlogik, d. h. eigenen Sinn, Kommunikation, Regeln und Grundsätze  und verfügt über  relevante Grenzen. Diese Systemgrenzen grenzen das System von der Umwelt ab.

 

In der systemtheoretischen Betrachtungsweise wirken in Systemen die Autopoiesis und die Selbstreferentialität. Das bedeutet, dass sich Systeme selbst erhalten, reproduzieren und steuern. Dieser Begriff der Autopoiesis und das zugehörige Konzept geht auf Maturana und Varela (1991) zurück. Dabei kommunizieren Systeme nach innen und nach außen. Miller (2002: 33) spricht hierbei auch von einem Anpassungsdruck nach außen und innen. Nach Außen kommunizieren sie mit der Umwelt. Dabei entscheidet das System bzw. die Systemakteure, was sie für sich brauchen und was nicht. Jedes System weist seine eigenen Regeln und Verhaltensmodi auf  (Miller 2002: 31ff). Dies verdeutlicht, da die Akteure des KoKi-Netzwerkes aus unterschiedlichen Systembezügen (Krankenhaus, Gesundheitsamt, Polizei etc.) stammen, dass Reibungsverluste vorprogrammiert sind und das neue Netzwerk erst eine eigene normative Struktur mit Entscheidungsverfahren, Macht- und Aufgabenverteilung, Grundsätzen und Regeln bilden muss (Miller 2002/Berner/Burmann/Zwerger 2010).

 

 Miller (2005) misst diesbezüglich vor allem den Systemakteuren eine tragende Bedeutung bei.  Die Systemakteure kommunizieren über die Systemgrenzen hinweg mit anderen Systemen und gestalten dabei Austauschbeziehungen und  - prozesse.  Damit Systeme funktionsfähig und stabil bleiben, ist der Austausch durch gegenseitige Anpassungsprozesse gezeichnet (Berner et. al. 2010). Durch das neu entstandene Netzwerk KoKi entsteht eine neue Systemeinheit, welche als emergent bezeichnet werden kann: „ Eine emergente Ordnung soll als eine Systemeinheit verstanden werden, die gegenüber einem früheren Status quo eine neue qualitative Einheit darstellt, und die sich durch einen Zuwachs an Komplexität kennzeichnet“ (Miller 2005: 112).

 

Mit Blick auf die Bearbeitung von Komplexität und systemtheoretisch lässt sich sagen, dass die Entstehung des Netzwerkes KoKi eine logische Reaktion auf die Bearbeitung steigender Binnen- und Umweltkomplexität darstellt (Miller 2010: 182), da nur ein interprofessionelles Netzwerk die gesteigerten Anforderungen an Kinderschutz und Prävention erfüllen kann.

 

Die Funktionsfähigkeit des Netzwerkes hängt allgemein und hier im speziellen das KoKi-Netzwerk von der Kooperationsfähigkeit und Qualität der Beziehungen der Mitglieder ab (Miller 2005: 120/Berner et. al. 2010)

 

Zentrale Merkmale für Netzwerke sind nach Miller (2010: 182f):

 

Netzwerke haben systemübergreifende Strukturen und agieren nicht operational geschlossen wie Systeme, sondern offen

 

Netzwerke operieren mehr in offenen Grenzen als in geschlossenen

 

Netzwerke haben eine temporale Struktur, sie entstehen nach Bedarf und lösen sich nach Bedarf auf

 

Entscheidungen erfolgen multiperspektivisch

 

Im Mittelpunkt stehen komplexe Problembearbeitung, gegenseitiges Verstehen, kooperatives Handeln und der Ausgleich von Akteurs- und Systeminteressen

 

Aktivierbare Potenzialität wird durch Kooperation und Vertrauen hergestellt

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