5. Der Bürger wird zum Konsumenten
Die Bürger im Deutschland des 18. Jahrhunderts, in einer Gesellschaft, in der formal noch immer der Adel tonangebend war, bemühten sich stets, bei den höheren Schichten - seien es besser gestellte Bürger oder Adelige - Anerkennung hervorzurufen. Dies vermochte man beispielsweise durch Wohltätigkeit, Teilnahme am öffentlichen Leben wie z.B. durch Theaterbesuche[48] oder aber durch die Darstellung der eigenen Person zu erreichen.
Da man durch seine Eltern einem gewissen Stand mit speziellem sozialen Ansehen zugeordnet wurde, konnte eine entsprechende Präsentation seiner Person nach Außen hin dazu dienen, seinen Geburtsstand zu überwinden und vor der Gesellschaft als etwas „Besseres“ zu gelten. So konnte man zwar die sozialen Nachteile nicht ganz aufheben, sie jedoch tatsächlich mindern und zudem das Selbstbewusstsein stärken. Diese Angestrengtheit der bürgerlichen Schichten führte vermutlich nicht selten zu unglaubwürdigen und aufgesetzten Verhaltensweisen.[49] Oft schienen einige Bürger durch ihre positiv wirkende Präsentation jedoch durchaus Erfolg gehabt zu haben. Bei Knigge heißt es diesbezüglich:
„Wir sehen die wichtigsten, hellsten Köpfe in Gesellschaften, wo aller Augen auf sie gerichtet waren und Jedermann begierig auf jedes Wort lauerte, das aus ihrem Munde kommen würde, eine nicht vorteilhafte Rolle spielen; sehen, wie sie verstummen […] indes ein andrer, äußerst leerer Mensch seine drei und zwanzig Begriffe, die er hie und da aufgeschnappt hat, so durcheinander zu werfen […] versteht, daß er Aufmerksamkeit erregt und selbst bei Männern von Kenntnissen für etwas gilt. […], und daß die Geistreichen, von der Natur mit allen innern und äußern Vorzügen beschenkt, oft am wenigsten zu gefallen, zu glänzen verstehen.“[50]
In Gesellschaft „glänzen“ konnte man dabei jedoch nicht nur durch Sprachgebrauch und Bildung, sondern durch eine Vielzahl neuer Gepflogenheiten wie dem Konsum einiger neuen Genussmittel (- wie Tabak, Kaffee und Tee -) oder auch durch prestigeträchtige Objekte wie durch Haus, Garten, Einrichtung[51] sowie durch die Kleidung und das äußere Erscheinen[52]. Bereits der zeitgenössische Adolph Knigge musste feststellen, dass es in Deutschland sehr war, bei der Gesellschaft – bei Menschen „aus allen Klassen, Gegenden und Ständen“ - „ohne Zwang, ohne Falschheit, ohne sich verdächtig zu machen“ auf Gefallen zu stoßen, da es eine so große „Verschiedenheit der Gegenstände“ gegeben habe, die die Aufmerksamkeit der verschiedenen Volksklassen erregt habe.[53] Dabei postuliert Knigge aber zugleich, dass jeder Mensch in der Welt nur soviel gelte, „wozu er sich selbst“, nach Außen hin, mache.[54]
Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts entwickelte sich demnach - um ein Modell des Soziologen Pierre Bourdieu anzuwenden - zu einer Art „Kampfschauplatz“, zu verstehen als ein System von Aktionen und Reaktionen und einem System objektiver Beziehungen, worin die Positionen und Standpunkte relational bestimmt waren. Dabei kann der Konsum von Gütern zur Verbesserung des sozialen Status als eine Art „Umstellungsstrategie“ angesehen werden, durch die versucht wurde, die Stellung innerhalb der Sozialstruktur zu behaupten oder zu verbessern.[55] Auf diesem „Kampfschauplatz“ wurden somit - verfolgt man dieses abstrakte Modell - „Konkurrenzkämpfe“ ausgetragen, bei denen mit Hilfe des Systems distinktiver, also Positions- zuweisender Zeichen (z.B. Mimik, Sprache etc.) und Produkte (z.B. Schmuck, Kleidung)[56] angestrebt wurde, Vorteile gegenüber anderen Menschen, bzw. Klassen, zu erringen.[57] Dass hierbei der Begriff eines „Konkurrenzkampfs“ keinesfalls übertrieben ist, lässt sich anhand einiger zeitgenössischer Gesellschaftsanalysen Knigges veranschaulichen:
„Es ist unterhaltend für den Beobachter zu sehn, welchen Tauschhandel von Schmeicheleien die Menschen unaufhörlich untereinander treiben und wie fast alle ihre Verbindungen auf diese Warenspekulation berechnet sind. […] Fast die ganze Kunst der feinen Lebensart beruht weniger auf zweckmäßigen, wahren, gegenseitigen Gefälligkeiten als auf einem stillschweigenden Vertrage, sich einander Gesinnung und Empfindungen zu heucheln, wovon nicht eine Spur im Herzen und Kopfe ist. […] So bereitwillig aber auch die Menschen sein mögen, da, wo es ihnen Vorteil bringen kann, auch wider ihre Überzeugung für die Unvollkommenheit ihrer Mitbürger blind zu sein und sich gegenseitig mit Beifall und Lob zu hintergehen, so wenig Gerechtigkeit lassen sie […] dem wahren Verdienste widerfahren, wenn dadurch das ihrige verdunkelt werden kann.“[58]
Die repräsentierte soziale Welt konstituierte sich demnach in Bezug auf die „Konkurrenzkämpfe“ aus einer Beziehung zwischen klassifizierbaren Praxisformen und Gütern einerseits und einem Klassifikationssystem, bestehend aus der Unterscheidung und Bewertung der Formen und Güter. Als solche Klassifikationssysteme dienten im 18. Jahrhundert – und das war neu - der „Geschmack“[59], die „Mode“, „tugendhaftes Verhalten“ oder auch Vorgaben aus Anstandsbüchern, die, je nach Klassenzugehörigkeit unterschiedlich bewertet wurden.
In diesem „Spielfeld“ der sozialen Repräsentation ging es also um strukturierte Produkte („opus operatum“) innerhalb einer klassifizierenden Struktur („modus operandi“), der eine in den Köpfen der damaligen Menschen verankerte Ordnung zugrunde lag und die sich durch die Lebensstile, bzw. Praxisformen äußerten.[60] Der Aneignung dieser Lebensstile, also der Aneignung spezifisch klassifizierter und klassifizierender Produkte oder Verhaltensweisen, lag dabei ein ebenfalls klassenspezifisches Verständnis von „Geschmack“ zugrunde.
Die „soziale Konditionierung“ erfolgte dann durch den meist gezielten Einsatz des „opus operatum“ - z.B. Häuser, Möbel, Kleidung, Tabak, Tee, Bücher, Gemälde, Parfums oder auch die gesellschaftlichen (Verhaltens-) Praktiken - wodurch das Anderssein demonstriert werden sollte.[61] Zum Kaufanreiz wurde somit nicht die Funktion der Produkte, sondern deren Bedeutung. Die Aufmerksamkeit der Bürger des 18. Jahrhunderts galt vor allem solchen Produkten, die Abgrenzung und Zuordnung in der Gesellschaft ermöglichten.[62]
Dem Ganzen lag ein tief in den Köpfen der damaligen Menschen verankerter Abgrenzungs- und Differenzierungswille zugrunde, der mit unseren heutigen pluralistisch geprägten gesellschaftlichen Einstellungen nur noch schwer nachzuvollziehen ist.[63] Oft wurden die konsumierten Güter dabei auch als Loblied an den materiellen Reichtum des frühmodernen bürgerlichen Lebens verstanden,[64] der durch die Geldverschiebung während des Siebenjährigen Krieges sowie die zunehmende Liberalisierung des Wirtschaftssystems zu Stande gekommen war.[65]
Inwiefern es diesbezüglich schwierig gewesen sein musste, das „opus operatum“ tatsächlich situationsgerecht einzusetzen, um in „der Kunst zu leben“ nicht als unkompetent zu erscheinen und inwiefern die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts extrem von materialistischen Äußerlichkeiten und Vorurteilen geprägt war, verdeutlichen Ausschnitte eines Artikels aus einem der ersten Lifestylemagazine namens „Der Menschenfreund“ von 1747. Unter der Überschrift „Von der Kunst zu leben“ lässt sich dort Folgendes finden:
„Ein munteres Wesen, ein scherzhaftes Gespräche, eine gewisse kleine Nachläßigkeit in Reden und Handlungen kann uns bey unseres gleichen beliebt machen, welches aber bey Personen von höherem Stande nicht eben so gut statt finden wird. Man würde sich auch sehr irren, wenn man glauben wollte, man müßte immer einerley Art der Aufführung beybehalten, ohne insbesondere auf das Alter, und die einem jeden Alter eigne Umstände zu sehen. Nicht nur ein jeder Stand, sondern auch ein jedes Alter hat etwas eignes.[…] Wenn man demnach recht zu leben wissen will, so muss man bey jedermann, so zu reden, den Mantel nach dem Winde hängen.“[66]
Auch Knigge analysierte diesen Sachverhalt, beschreibt jedoch darüber hinaus auch einen verstärkten Trend der Mitmenschen seiner Zeit, sich als „Männer von hervorstehenden Talenten, von ausgebreitetem Rufe oder von großem Gewichte“[67] hervorzutun, oder so zu erscheinen, als sei man wohlhabend, um sich somit in den „Zirkel Reicher und Vornehmer“ einzuschleichen.[68] Knigge protokolliert diesbezüglich, dass häufig „die Sitten der sogenannten höhern Stände auf eine zuweilen in das Komische fallende Weise“ kopiert worden seien. Außerdem habe man versucht, ausländische Sprachen in der Gesellschaft zu sprechen, die man eigentlich gar nicht beherrschte oder aber man habe sich „auf phantastische Weise“ gekleidet, nur um nach Außen hin als reich und vornehm zu gelten.[69]
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