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Demografischer Wandel: Über die Bedeutung des Alters in einer alternden Gesellschaft

AutorSarah Wölke
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl61 Seiten
ISBN9783656268802
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,85, Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena, Sprache: Deutsch, Abstract: Wir leben in einer Gesellschaft des langen Lebens, wie es so schön im sechsten Altenbericht der Bundesregierung (2010b, S. 19) heißt. Die Lebenserwartung der Deutschen ist in den letzten 110 Jahren um 30 Jahre angestiegen. Gleichzeitig sanken Geburten- und Sterberate, sodass zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Alten die zahlenmäßig stärkste Gruppe bilden. Diese Tatsache stellt sowohl die Gesellschaft, als auch jeden einzelnen von uns vor Herausforderungen. Was sind das für Herausforderungen und Krisen, die wir im Alter zu bewältigen haben? Und wie schaffen wir das? Statistisch gesehen werden wir älter als vergangene Generationen, aber paradoxer-weise will niemand alt sein. Was bedeutet alt sein - vor allem in unserer jetzigen Zeit und Gesellschaft? Und ab wann zählt man eigentlich zu den Alten? Diese und ähnliche Fragen trieben mich bei der Recherche zu meiner Diplomarbeit an. Einleitend wage ich den Versuch einer Definition der Begriffe Alter bzw. Altern und lege kurz dar, warum und wie wir altern. Darüber hinaus interessieren mich die Altersbilder und stereotypen Vorstellungen, die gesellschaftlich vorherrschen. Welche allgemeine Meinung haben wir von alten Menschen? Ist diese eher positiv oder negativ geprägt? Diese Arbeit beschäftigt sich weiterhin mit den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen und Heraus-forderungen, mit denen ältere Menschen heutzutage zu kämpfen haben. Hierbei werde ich sowohl auf die Chancen als auch auf die Risiken, die das Alter mit sich bringt, näher eingehen. Im vierten Kapitel möchte ich abschließend zeigen, dass der Ruhe-stand nicht gleich Ruhestand im eigentlichen Wortsinn bedeuten muss. Vor allem (Weiter-)Bildung und bürgerschaftliches Engagement können dem Leben nach der Erwerbsphase einen tieferen Sinn geben und leisten zudem einen gemeinnützigen Beitrag. Zum Abschluss meiner Diplomarbeit fasse ich meine Betrachtungen zusammen und gebe einen Ausblick.

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Leseprobe

1 Alter(n) in Zahlen und Fakten


 

1.1 Was ist Alter(n)?


 

Eine scheinbar einfache Frage, die aber bei genauer Betrachtung gar nicht so einfach zu beantworten ist. Es gibt wissenschaftliche Literatur auf dem Markt, die sich ausschließlich mit Beantwortung dieser einen Frage beschäftigt. Das zeigt wie vielschichtig und interdisziplinär man darauf antworten kann.

 

„Alter – das ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein allmählicher biologischer Vorgang, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Es handelt sich um einen irreversiblen Prozess, sozusagen ein biologisches Schicksal, das jedes Lebewesen erfasst“ (Ho/Wagner/Eckstein 2008, S. 33). Eine kurze und prägnante, sowie sehr nüchterne biologische Betrachtungsweise auf das Alter. Für die Soziologen bedeutet Altern als Prozess diverses: „Auf der Individualebene sind es die permanenten Sozialisationsvorgänge und die Erfahrungen, die in einem bestimmten Lebensalter die Handlungskompetenzen und Deutungsmuster beeinflussen“ (Prahl/Schroeter 1996, S. 14). Die heute 80-Jährigen beispielsweise wurden in der ausklingenden Weimarer Republik geboren, erlebten als Kinder und Jugendliche die Erziehungsstile des Dritten Reiches und später die der DDR oder BRD. Sie durchlebten also verschiedene Sozialisationsstile und Gesellschaftsordnungen. Apropos Gesellschaft: Auf dieser Ebene lassen sich Veränderungen in der Wertschätzung von Altwerden und Altsein erkennen: Altersbilder wandeln sich in rasantem Tempo, neue gesellschaftliche Muster kristallisieren sich heraus. Und auf der demographischen Ebene verändert sich die Bevölkerungsstruktur: Der Anteil der älteren Jahrgänge nimmt zu, während der Anteil der Jüngeren abnimmt. Auf diesen drei Ebenen (Individual-, Gesellschafts- und demographische Ebene) wird Altern als Prozess begriffen und meint trotzdem auf jeder Ebene verschiedenes (vgl. ebd.).

 

Altern ist ein lebenslanger Prozess, der bei jedem Menschen anders verläuft. Unsere Alterung ist „eine komplexe Erscheinung mit kulturellen, biologischen und individuellen Aspekten, deren Gestalt und Bedeutung sich im jeweiligen Umfeld einer Gesellschaft und ihrer Zeit äußert“ (Druyen 2005, S. 21). Es ist ein dynamischer Vorgang und „als Wechselspiel zwischen der individuellen Biografie und dem Lebenskontext“ (ebd.) zu verstehen.

 

Werfen wir ferner einen Blick in die frühe Menschheitsgeschichte: Der homo sapiens beispielsweise, der vor 200 000 Jahren die Erde besiedelte, starb, bevor er altern konnte. Die Cro-Magnon-Menschen hingegen, die vor ca. 50 000 Jahren lebten, wurden durchaus 60 Jahre alt und überlebten somit das Ende ihrer Fortpflanzungsphase. Demnach scheint das Alter(n) eine Zivilisationserscheinung zu sein. In dieser Kultur, die weder Schrift noch Papier kannte, war das Alter eine der bedeutendsten Ressourcen. Die Alten sammelten und bewahrten wertvolles Wissen auf und gaben es an die heranwachsende Generation weiter. Wenn man so will, waren diese Alten die Archive und Bibliotheken ihrer Zeit. Nicht nur die verlängerte Lebensspanne, auch der körperliche Verfall und die Vergreisung haben ihren evolutionären Sinn. Wären die Cro-Magnon-Menschen im Alter weiterhin stark, fit und potent geblieben, dann wären sie immer noch mit Jagen, Sammeln und Fortpflanzen beschäftigt gewesen. Nur das Alter mit seinen Erscheinungen erlaubte ihnen den Müßiggang und das Kommunizieren über alte Zeiten und neue Geschehnisse (vgl. Seidl 2005, S. 7). Doch wie sieht das heute aus? Heute müssen wir nicht mehr alt sein um Wissen weiterzugeben. Wir sind und fühlen uns auch geistig und körperlich mindestens zwei Jahrzehnte jünger als der Cro-Magnon-Mensch, der sich, müde von Jagd, Kampf und dem Zeugen unzähliger Kinder, ab dem 45. Geburtstag „in seine Höhle verkroch, sich am Lagerfeuer wärmte und nach einem schönen Stück gebratenen Büffels seinen Kindern und Enkeln die Welt erklärte“ (ebd.). War das Alter also nur eine Erfindung der Cro-Magnon-Zeit, die sich heute womöglich längst überholt hat?

Ab wann ist man nun eigentlich alt?

Der Mensch hat sich sein Leben seit jeher gerne in Abschnitte unterteilt. Schon im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. teilt Solon in seiner Alterselegie den Lebenslauf in zehn Stufen zu sieben Jahren ein, wobei die letzten beiden Stufen das Alter bedeuten (hier: 56 – 70 Jahre). Solon selbst wurde 80 Jahre alt und erreichte somit ein Alter, das er in seiner Einteilung nicht berücksichtigte (vgl. Ehmer 2008, S. 157). Pythagoras hingegen gliedert das Leben in vier Stufen zu je 20 Jahren und parallelisiert die Jahreszeiten mit den Lebensphasen. Kindheit, Jugend, Erwachsenen- und Greisenalter sollen wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter aufeinander folgen. Diese Analogisierung regt zum Nachdenken an. Erstens werden wir an unsere Natürlichkeit in Bezug auf Leben, Sterben und Altern erinnert und zweitens wird uns der Kreislauf bewusst, von dem wir ein Teil sind. Allerdings geht dieser nicht für uns von vorne los, sondern für die nachfolgende Generation (vgl. Welsch 2008, S. 201). Im Assyrischen findet sich eine weitere erstaunliche Einteilung: „40 Jahre ist Blüte, 50 Jahre sind kurze Tage, 60 Jahre ist reifes Alter, 70 Jahre sind lange Tage, 80 Jahre ist Greisenalter und 90 Jahre ist gesegnetes Alter“ (Höffe 2008, S. 191). In der späten römischen Republik unterschied man sogar schon zwei Phasen des Alters: senior (45 – 60 Jahre) und senex (60 Jahre bis zum Tod). Das 60. Lebensjahr findet sich häufig als Grenze zum Greisenalter, beispielsweise in der Neuzeit, als sich die Einteilung des Lebenslaufes in Zehnjahresgruppen durchsetzte (vgl. Ehmer 2008, S. 157). Heute bezeichnet die Bevölkerungswissenschaft, also die Demographie, die Zeit ab dem 65. Lebensjahr als Alter. Die Soziologie spezifiziert diese Jahre: So werden die 60 – 75-Jährigen als die jungen Alten, die 75 – 90-Jährigen als die Alten, die 90 – 100-Jährigen als die Hochbetagten und die über 100-Jährigen als die Langlebigen bezeichnet. Darüber hinaus schlug Peter Laslett schon in den 1970er Jahren vor, zwischen dem dritten und dem vierten Alter zu unterscheiden. Das dritte Lebensalter beschreibt die Phase nach der Erwerbsarbeit, die heutzutage meist 20 Jahre und länger sein kann. Es ist die Zeit der neuen Alten, die fit, mobil und konsumfreudig sind. Das vierte Lebensalter hingegen ist eine kurze Phase und umfasst die biologischen Vorgänge des nahenden Todes (vgl. Prahl/Schroeter 1996, S. 13f).

 

Fraglich bleibt, ob eine chronologische Festlegung des Alters überhaupt Sinn macht oder ob wir uns nicht eher davon lösen sollten. In vielen östlichen und afrikanischen Kulturen spielt das chronologische Alter eine eher untergeordnete Rolle. Bedeutsamer bei der Altersorganisation sind Ereignisse, wie zum Beispiel das Klimakterium, graue und/oder ausfallende Haare, das Nachlassen körperlicher und geistiger Kräfte. „In vielen Wildbeutergesellschaften gilt ein Mensch als alt, der nicht mehr an weiten Jagdzügen oder an der Versorgung von Kleinkindern teilnehmen kann. Bei Kriegerkulturen setzt Altsein sogar noch früher ein, wenn Schnelligkeit und Körperkraft nicht mehr als hinreichend erachtet werden“ (ebd., S. 61). Und so haben die Menschen seit jeher das Alter nicht nach dem bewertet, was es tatsächlich ist, sondern nach dem was es nicht ist. Dunkelheit sei als Abwesenheit von Licht definiert und Alter als Abwesenheit von Jugend (vgl. Druyen 2003, S. 194). Trotzdem ist Alter „ein relativer Begriff, der vor allem von der Perspektive des Betrachters abhängt […] Je jünger ein Mensch ist, desto früher beginnt in seinen Augen das Altsein“ (Harsch 2012, S. 213).

 

Der demographische Wandel

 

Von der Antike bis in das 18. Jahrhundert hat sich in der Demographie nur sehr wenig verändert. Über die Jahrhunderte hinweg waren stets 5 – 10 Prozent der Bevölkerung, also ein recht geringer Teil, über 60 Jahre alt. Die Mehrheit der Menschen erreichte das hohe Alter nicht, was auch bedeutete, dass das Sterben, mehr als heute, in allen Altersstufen stattfand. Vor allem die Sterblichkeit von Säuglingen und Kleinkindern war sehr hoch. Trotzdem gab es auch zu jener Zeit alte und sehr alte Menschen. Hohe Anteile 60 – 80-Jähriger finden sich bei den Päpsten des Mittelalters oder den Künstlern der Renaissance. Bereits in der Antike schätzte man das von der Natur gesetzte menschliche Höchstalter korrekterweise auf 120 Jahre. Viele der großen Griechen lebten erstaunlich lange: Die Philosophen Epiktet, Platon und Pyrrhon von Elis erreichten ein Alter von 75, 80 und 90 Jahren. Der Lyriker Solon wurde 80, der Dichter Sophokles 90 und der Sophist Gorgias gar stolze 100 Jahre alt. Allerdings gab es zu jener Zeit gravierende geographische Unterschiede bezüglich der durchschnittlichen Lebensdauer der Bevölkerung. Diese betrug in Rom aufgrund der sehr hohen Kinder- und Jugendsterblichkeit nur 22,6 Jahre, in den nordwestafrikanischen Provinzen hingegen durchschnittlich bis zu 60 Jahre (vgl. Höffe 2008, S. 191).

 

Im 19. und 20. Jahrhundert begann der demographische Wandel. Trotz aller Kriege und Katastrophen wuchs die Weltbevölkerung zwischen 1900 und 2000 von 1,5 auf 6 Milliarden Menschen an. Daher bezeichnen Demographen das 20. Jahrhundert auch als das Jahrhundert des Bevölkerungswachstums. Dieser Trend wird sich stark verlangsamen (vgl. Kocka 2008, S....

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