3 Die Erlebnispädagogik und die Frage nach ihrer Wirksamkeit
Im folgenden Kapitel stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der Erlebnispädagogik. Die historischen Wurzeln allein als Legitimation aufzuführen, wäre unreflektiert und unvollständig, denn Traditionen allein sind kein Wirksamkeitsgarant. Die Erlebnispädagogik gerät häufig unter den Druck der Öffentlichkeit, da Kritiker den Transfer des Erlernten in den Alltag und somit die Effektivität in Frage stellen. Es stellt sich demnach die Frage, ob sie vielleicht nur ein finales Rettungskonzept verzweifelter Pädagogen für die „Problemjugend“ in der heutigen Erlebnisgesellschaft ist, oder ob sie tatsächlich etwas bewirkt?
Im Folgenden werden ausgewählte Methoden beschrieben und auf die entsprechende methodische Vorgehensweise der traditionellen Erlebnispädagogik eingegangen. Da die Reflexion eine essentielle Rolle in Hinsicht auf die Frage der Wirksamkeit einnimmt, wird diese ausführlich beschrieben und bietet gleichfalls den Eingang für einige Kritikpunkte an der Erlebnispädagogik.
3.1 Eine Auswahl konzeptioneller Prinzipien
Die aktuelle Literatur über Erlebnispädagogik gibt einen großen Überblick über verschiedene Elemente der Erlebnispädagogik. In der traditionellen Erlebnispädagogik gelten die drei Bausteine: das Gruppenerlebnis (siehe Kapitel 3.1.2), das Naturerlebnis (siehe Kapitel 3.1.3) und das Ich- Erlebnis (siehe Kapitel 3.1.4) als die Wichtigsten. Im folgenden Abschnitt wird eben diese Auswahl an traditionellen Elementen und die Ganzheitlichkeit als generell wichtiges Element der Pädagogik, sowie der für die Erlebnispädagogik wichtige Transfer in den Alltag, erläutert.
3.1.1 Ganzheitlichkeit
In der Erlebnispädagogik findet man Leitsätze wie: „Learning by doing“ und „Lernen durch Kopf, Hand und Herz“ nach K. HAHN (siehe Kapitel 2.3), woran sich die Ganzheitlichkeit des Konzeptes feststellen lässt. Die Erlebnispädagogik betrachtet somit den Menschen als Ganzes, der nicht nur von Wissen und Kenntnissen geleitet ist, sondern vielmehr von moralischen Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Normen. Neben den Werten des Menschen und den gesellschaftlichen Normen werden allerdings auch seine Psyche, sein Geist und sein Körper in die Arbeits- und Lernmethoden einbezogen (B. Heckmair/W. Michl, 1993, S. 73). Auf praktischer Ebene bedeutet dies, dass die Erlebnispädagogik im Gegensatz zum rein theoretischen Lernen durch praktische, künstlerische, körperbezogene, emotionale, soziale und physisch erfahrbare Situationen gekennzeichnet ist. Diese Lernelemente stehen auf einer Stufe und bedingen sich gegenseitig.
Andererseits ist die Ganzheitlichkeit durch das „Lernen mit allen Sinnen“ geprägt. Nach B. HECKMAIR/W. MICHL (1993) gilt dies als unmittelbares Lernen und dient der Kompensation der Umwelterfahrungen aus zweiter und dritter Hand. Die Aktivität aller Sinne fördert die Konzentrationsbereitschaft und insbesondere das Erinnerungsvermögen. Der Lernende nimmt folglich beim ganzheitlichen Lernen insgesamt eine aktive Rolle in der Lernsituation ein. Durch diese Art des Lernens soll Dauerhaftigkeit und Effektivität erreicht werden.
3.1.2 Gruppenorientierung
B. HECKMAIR/W. MICHL (1993) gehen davon aus, dass in der heutigen modernen Gesellschaft durch die zunehmende Individualisierung kaum noch die Möglichkeit, und auch nicht die Notwendigkeit zum sozialen Lernen besteht. Für sie ist dieser Mangel bedingt durch materiell- und emotional verwöhnten Lebensstile. Dieser Verwöhnung gilt es den Lernenden bewusst zu machen und ihr durch Identität und Gruppengefühl, durch Selbstbestimmung und Einfühlungsvermögen, durch Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft entgegenzuwirken. Da diese Fähigkeiten nur in der Gruppe erfahren und gefördert werden können, ist im Kontext der sozialen Kompetenz und Verantwortung der Gruppenprozess essentiell.
„Im Rahmen von Gruppenarbeit, also in der Begegnung mit anderen Menschen, gekoppelt mit Erfahrungen und Erlebnissen, die gute Gefühle verursachen, können Interaktions-, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit (…) angebahnt werden P. Brandt, 1998, S.57).“
Es ist folglich wichtig, Raum und Zeit für Interaktion und Kommunikation bereitzustellen, da Kinder immer seltener in großen Altershomogenen Gruppen spielen und mehr Zeit allein verbringen.
3.1.3 Die Natur in der Erlebnispädagogik
Durch die Verstädterung der heutigen Gesellschaft verlernen viele Menschen den Umgang mit der Natur. Die Erlebnispädagogik setzt unter anderem aus diesem Grund die Natur bewusst ein, denn eine Auseinandersetzung mit Naturphänomenen, oder -gewalten macht Menschen oft unmittelbar betroffen und bietet die Chance ein neues Bewusstsein für die Natur zu wecken. Die Erlebnispädagogik möchte einen sanften und vor allem bewussten Zugang zur Natur herstellen. Die Teilnehmer sollen dazu angeregt werden sich als Teil der Natur zu sehen und über ihr Verhältnis zur Natur nachzudenken. Intensive Naturerlebnisse sollen eine emotionale Betroffenheit auslösen, welche die umweltbezogenen Werte und Einstellungen zu beeinflussen vermögen, und die dadurch wiederum eine Sensibilisierung für die Natur und Umwelt bewirken werden sollen. Weiterhin kommt es zu einer Wissensaufnahme über ökologische Zusammenhänge, was dazu beitragen soll über die menschlichen Eingriffe in natürliche Kreisläufe nachzudenken. Ziel ist es mit diesem, möglicherweise veränderten, Umweltbewusstsein und Umwelthandeln einen Beitrag zum Naturschutz zu leisten (S. Jahnke, 2003, S. 21). Vorraussetzung dafür ist natürlich ein gründliches ökologisches Wissen des Initiators und darüber hinaus grundlegende Informationen über die speziellen Gegebenheiten vor Ort, da ansonsten eine Gefährdung der Natur durchaus denkbar ist (siehe Kapitel 3.4).
3.1.4 Angstüberwindung und Abbau von Ängsten
Viele Menschen interessieren sich für erlebnispädagogische Angebote, stehen ihnen allerdings ängstlich gegenüber. Häufig herrschen in den Gruppen verschiedene Ängste in verschiedener Intensität. Der Leiter hat also die Aufgabe, den Grad der Angst abzuschätzen, um eine Situation zu schaffen, in der alle Teilnehmer die Möglichkeit haben, ihre Ängste erfolgreich zu überwinden. Ängsten und Vorbehalten muss ein großer Raum zugebilligt und kein Zwang ausgeübt werden (Prinzip der Freiwilligkeit), sondern es muss besprochen werden, worauf die Unsicherheit beruht und inwieweit die Sorge begründet ist. Weiterhin kann er ihnen verschiedene Wege aufführen, die es ermöglichen, Erfahrungen zu machen aus denen sie Vertrauen zu sich selbst und eine realistische Einschätzung ihrer Fähigkeiten gewinnen können. Wird eine Situation erfolgreich bestanden, kommt es zu einer positiven Spannungsentladung und die Angst ist schnell vergessen. Kommt es allerdings durch Misserfolg zu einer negativen Spannungsentladung, kann sich die Angst verstärken. Die Teilnehmer machen also Grenzerfahrungen, bei denen sie keinesfalls ausschließlich an ihre körperlichen Grenzen, sondern vielmehr auch an ihre psychischen Grenzen stoßen. Soziale Grenzerfahrungen sind für die meisten Zielgruppen sogar von höherer Bedeutung, um ihre sozialen Defizite aufzugreifen und sollten aus diesem Grund nicht zu Gunsten der körperlichen Aktivitäten aus dem Fokus geraten. Das übergeordnete Ziel der Erlebnispädagogik (welches letztendlich von den Grenzerfahrungen ausgeht) ist schließlich die Bereicherung der Persönlichkeit durch die Steigerung des Selbstwertgefühls (siehe Kapitel 3.5).
3.1.5 Transfer
In der Erlebnispädagogik ist der Begriff des ‚Transfer’ folgendermaßen definiert:
„Als Transfer ist das Fortschreiten des Lernenden vom Konkreten zum Abstrakten verstanden, indem er (der Teilnehmer) neue Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-) Situation entdeckt, diese Lernerfahrungen generalisiert und auf andere (Alltags-) Situationen überträgt (A. Reiners, 1995, S. 59).“
Die Generalisierung der Kurserfahrung ist hierbei eine grundlegende Vorraussetzung für den Transfer, wobei wiederum eine ausführliche Reflexion der Erlebnisse Grundlage ist (siehe Kapitel 3.2). Die Reflexion ist demnach essentiell für den Transfer, da ohne diese kein Transfer stattfinden kann. Der Teilnehmer muss seine Erfahrungen zuerst auf sich wirken lassen und reflektieren, um sie dann in seinen Alltag einordnen zu können und für ihn persönlich das Beste daraus ziehen zu können. Nur so kann er diese in seinem Verhalten später anwenden und umsetzten. Bei eingehender Betrachtung der Literatur wird deutlich, dass der Transfer zwar ein wichtiges Element der Erlebnispädagogik ist, in seiner Wirkung jedoch recht umstritten ist, da die Gestaltung der kurzeitpädagogischen Maßnahmen mit ihren räumlichen und zeitlichen ‚Insellagen’ recht weit entfernt von der Lebenswelt der Teilnehmer...