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Schularchitektur im interdisziplinären Diskurs

Territorialisierungskrise und Gestaltungsperspektiven des schulischen Bildungsraums

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl351 Seiten
ISBN9783531918686
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,99 EUR
Schularchitekturen markieren material die Grenzen des schulischen Bildungsraums. Gleichzeitig geraten diese Territorialisierungen infolge des globalisierten Bildungsanspruchs, des Bedeutungszuwachses von Alltagsbildung und des medienkulturellen Wandels zunehmend unter Druck. Vor diesem Hintergrund werden schulbaulicher Wandel und aktuell konzeptionelle Raumdiskurse zu Ganztagsschulen, lokalen Bildungslandschaften und Homeschooling herausgearbeitet. In der Spannung von Materialität, Sozialität und Konstruktionen des Schulraums werden Bildungspotenziale und Gestaltungsperspektiven diskutiert.

Dr. Jeanette Böhme ist Professorin am Fachbereich Bildungswissenschaft, Lehrstuhl für Schulpädagogik, der Universität Duisburg-Essen.

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Leseprobe
Jeanette Böhme

Raumwissenschaftliche Schul- und Bildungsforschung (S. 13)

Dieser Band zielt auf die Pro. lierung einer raumwissenschaftlichen Schul- und Bildungsforschung. Dass dabei der Erziehungswissenschaft eine initiale Bedeutung zukommt, liegt nahe, besteht doch ihr Kerngeschäft in der reflexiven Beobachtung von Erziehungs-, Bildungs-, Lern- und Sozialisationsprozessen in soziokulturell und historisch konkreten Räumen.

Doch wie etabliert ist in dieser Disziplin die raumwissenschaftliche Forschungslinie? Mit dieser Fragestellung diskutiert Reutlinger (2009) die Erziehungswissenschaft im interdisziplinären Spektrum der „Raumwissenschaften“ (Günzel 2009).

Systematisch wird gezeigt, dass die erziehungswissenschaftliche Forschung bisher unterschiedlich auf den Raum Bezug genommen hat: Skizziert werden hier Forschungsschwerpunkte zu pädagogischen Interaktionsräumen, zu sozial/institutionellen und material/ physischen Bedingungen räumlicher Umwelten und zum Raumerleben bzw. -erschließen.

Sicher, eine Ignoranz gegenüber dem Raum kann der Erziehungswissenschaft nicht unterstellt werden. Jedoch ist der Raum keineswegs eine explizite zentrale Kategorie erziehungswissenschaftlicher Forschungsaktivitäten und Theoriebildung, er wird eher implizit in Diskursen mitgeführt und fristet daher ein „subkutanes Dasein“ (Schroer 2008, S. 126).

So ist es selbstverständlich Begriffe wie Bildungsraum, Sozialisationsraum, Lernraum, Interaktionsraum, Handlungsraum u.a. zu verwenden, jedoch verweist der Annex „-raum“ meist auf soziohistorisch konkrete Regelsysteme, in die die jeweils erstgenannten Prozesse (wie Bildung, Interaktion, Handeln etc.) eingelassen sind.

In dieser Begrifflichkeit verweist der Raum eher auf einen Sozialraum oder Kontext, in denen Prozesse ablaufen. Material-physische Raumordnungen werden dabei weitestgehend ausgeblendet. Sowohl die weitestgehende Raumvergessenheit in aktuellen Forschungsansätzen als auch die Ortlosigkeit konstruierter Forschungsgegenstände rückt im interdisziplinären Spatial Turn in den Fokus der Kritik.

1 Spatial Turn: Die Wiederentdeckung der materialphysischen Raumordnung als Forschungsfokus

In dem Sammelband zum „Spatial Turn“ (2008) behaupten Döring und Thielmann: „In den Kultur- und Sozialwissenschaften gibt es ohnehin kaum noch eine Disziplin, die nicht entweder ihren spatial turn eingeläutet hat, den in anderen Fächern ausgerufenen kommentiert oder sich zu ihm positioniert hat“ (ebd., S. 10).

Im dokumentierten Kontinuum der Medien-, Kommunikations-, Literatur-, Film-, Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaft, der Geographie und Philosophie ist die Erziehungswissenschaft jedoch nicht zu finden.

Der hier vorliegende Band zielt auf eine explizite Vernetzung der Erziehungswissenschaft mit dem interdisziplinären Diskurs zum Spatial Turn. Was kennzeichnet den Spatial Turn? Der Topos bezeichnet eine neue Aufmerksamkeit gegenüber dem Raum, die auf zwei Begründungsmuster bezogen wird: Einerseits steht die Formel für eine Priorisierung des Raums in Konkurrenz zur Zeit als dominante theoretische und empirische Schlüsselkategorie der Moderne.

In dieser Perspektive bezeichnet die Formel eine „postmoderne Moderne- Kritik“ (Döring/Thielmann 2008, S. 9), ein Programm, „die räumliche Dimension strategisch zu privilegieren“, „bis das theoretische Gleichgewicht zwischen Zeit und Raum wiederhergestellt ist“ (Soja 2008, S. 246). In diesem Sinne ist dann auch die Behauptung des eben zitierten Wortschöpfers und Humangeographen Soja zu relativieren, der den Spatial Turn als Master Turn ausweist.

Unstrittig bleibt dennoch das heuristische Potenzial hervorzuheben, neben oder in zeitlich-historisch ausgerichteten Analysen von soziokulturellem Wandel und Moderne auch den Raum einzubeziehen (vgl. Döring/Thielmann 2008, S. 8). Andererseits zeigt der Spatial Turn auch eine erweiterte Perspektive auf den Raum an.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort8
I Spatial Turn in der Schul- und Bildungsforschung: Ein Problemaufriss9
Raumwissenschaftliche Schul- und Bildungsforschung10
II Territorialisierungskrisen des schulischen Bildungsraums im soziokulturellen Wandel20
Globalisierte Bildungsansprüche im lokalen Schulraum21
Schulorte und Raumgefüge informellen Lernens38
Verortungsprobleme von Schule in einer Netzwerkgesellschaft54
Der schulische Lernort: Zwischen institutioneller Entgrenzung und sozialer Verräumlichung?69
III Schulische Bildungsorte im Schulentwicklungsdiskurs83
Schulraum und Schulentwicklung: Ein historischer Abriss84
Grenzverschiebungen: Diskurse und Praktiken in Ganztagsschulen98
Bildungslandschaften: Eine raumtheoretische Betrachtung114
Lernen ohne Schulraum: Home Education und Unschooling als Gegenentwurf zu raumgebundenem Lernen135
IV Wahrnehmung, Praktiken, Kultur: Schulbauliche Wirkmächtigkeiten149
Schulbauten als semiotische Szenerien: Eine methodologische Skizze150
Schularchitektur und rituelle Raumpraktiken164
Macht und Raum: Eine programmatische Skizze zur Erforschung von Schularchitekturen179
Schulraum und Schulkultur197
V Architektonische Potenziale für die Pädagogik214
Raumbildung und Bildungsräume215
Der Raum als dritter Erzieher227
Schule der Moderne: Das Bauhausgebäude in Dessau241
Organische Gestaltung von Schulgebäuden258
VI Gestaltungsperspektiven: Schularchitektur im Zeitalter der Bewegung272
Rationalisierung und Flexibilität: Schulbaudiskurse der 1960er und -70er Jahre273
Schulische Mobitektur: Bauen für die Bildung289
Fraktale Schularchitektur305
Flexibilisierung und Durchlässigkeit des schularchitektonischen Raumes320
Virtuelle Architekturen und Schulorte332
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren347

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