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Kann August Aichhorns Handeln aus der prinzipienwissenschaftlichen Perspektive Marian Heitgers als 'pädagogisch' angesehen werden?

Eine Gegenüberstellung der Gesichtspunkte pädagogischen Handelns nach August Aichhorn und Marian Heitger in Bezug auf die Arbeit mit verwahrlosten Kindern und Jugendlichen

AutorIrene Grundler
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl93 Seiten
ISBN9783640243594
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Pädagogik - Wissenschaft, Theorie, Anthropologie, Note: gut, Universität Wien, 29 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: In meiner Diplomarbeit behandle ich mittels eines Vergleiches v. August Aichhorn und Marian Heitger folgende Forschungsfragen: 1.)An welchen Gesichtspunkten hat sich pädagogisches Handeln in Bezug auf die Arbeit mit verwahrlosten Kindern und Jugendlichen nach August Aichhorn und Marian Heitger zu orientieren? 2.)Sind diese beiden Positionen kompatibel? Aus der Behandlung dieser beiden Fragen entwickelte sich eine dritte Frage, die zur zentralen Forschungsfrage meiner Arbeit wurde: 3.)Kann August Aichhorns Handeln aus dem Blickwinkel Marian Heitgers Prinzipien als 'pädagogisch' angesehen werden? Aichhorn, der psychoanalytische Theorieelemente zur Begründung seines zuvor gesetzten Handelns herangezogen hatte, verfolgte als Erziehungsziel die Kulturfähigkeit. Der Zögling sollte vom Lustprinzip über die primitive Realitätsfähigkeit durch die Erziehung zur Kulturfähigkeit gelangen. Das Erlangen der Kulturfähigkeit sah er gleichzeitig auch als eine Charakterveränderung, indem die Ichstruktur - insbesondere die Ausbildung des Über-Ichs - verändert wird. Dabei richtete sich Aichhorns Augenmerk primär auf das emotionale Erleben des Kindes. Heitgers Ziel der Erziehung ist eine Gewissensbildung. Diese richte sich auf die Vernunft. Weiters nennt Heitger Prinzipien, nach denen sich Erziehung orientieren muss. Einige dieser Prinzipien habe ich in meiner Arbeit näher ausgeführt. Es sind dies Selbstbestimmung und Mündigkeit, argumentativer Dialog und Takt. Heitger bezeichnet ein Handeln, das sich nicht nach diesen Prinzipien orientiert, als 'nicht-pädagogisch'. Auch bei der Anwendung von Erziehungsmitteln gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Aichhorn vertritt die Ansicht, dass bezüglich aggressiver verwahrloster Jugendlicher absolute Milde und Güte und vor allem die Herstellung einer positiven Übertragungsbeziehung notwendig seien. Heitger wiederum vertritt die Ansicht, dass pädagogisches Handeln, das Erziehungsmittel überhaupt einsetzt, nicht als pädagogisch begründbares Verhalten anzusehen ist, da es dem Prinzip der Selbstbestimmung und Mündigkeit zuwiderläuft.

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Leseprobe

Einleitung


 

August Aichhorn[1] arbeitete mit verwahrlosten[2] Kindern und Jugendlichen. Er war Fürsorgeerzieher und hatte mit dem Phänomen der Verwahrlosung[3] sowohl in Fürsorgeerziehungsheimen als auch im Rahmen der Erziehungsberatung zu tun. Sein Wirken fand zunächst vorwiegend in der Praxis statt. Er ist in seiner Arbeit im Rahmen der Fürsorgeerziehung einen ungewöhnlichen Weg gegangen, indem er intuitiv erzieherisch anders handelte als es zu seiner Zeit üblich war, und forderte bei bestimmten Verwahrlosungsformen - so auch bei einer Gruppe von äußerst aggressiven Jugendlichen - von Erziehern[4] als Erziehungsmaßnahme „absolute Milde und Güte“ gegenüber den Zöglingen (vgl. Aichhorn 1925, 144ff.). Später hielt er Vorträge, in denen er sein Handeln anhand psychoanalytischer Theorieelemente rechtfertigte. Diese Referate sind im Buch „Verwahrloste Jugend“ (Aichhorn 1925) niedergeschrieben, das bis zur heutigen Zeit weite Verbreitung findet. Aichhorns Ziel in der Fürsorgeerziehung war es, die Verwahrlosten zur „Kulturfähigkeit“ zu bringen. Das Kind solle von der „primitiven Realitätsfähigkeit“ mit Hilfe der Erziehung zur „Kulturfähigkeit“ gelangen, die es ihm ermöglicht, sich in die Gesellschaft zu integrieren. In einem eigenen Kapitel über die Erziehungsziele bei Aichhorn werde ich auf dieses spezielle Ziel genauer eingehen. Mit seinen Worten lässt sich zusammenfassen: „Der Säugling … verlangt sehr vernehmlich sofortige Befriedigung seiner Bedürfnisse und wehrt sich heftigst gegen jede Unlust. Im Heranreifen hat er sich so zu entwickeln, daß[5] er fähig wird, Lustgewinn aufzuschieben, auf Lustgewinn zu verzichten und Unlust zu ertragen; denn sonst ist ein Leben in der sozialen Gemeinschaft unmöglich. Auch alle geistigen und seelischen Fähigkeiten müssen sich so entfalten, daß das Kind in die Kulturgemeinschaft seiner Zeit hineinwächst, an deren Kulturgütern teilnimmt, sie erhält und nach Möglichkeit mithilft, sie zu vermehren“ (Aichhorn 1959, 136). Und in einem weiteren Zitat verdeutlicht er die Aufgabe der Erziehung, indem er sagt: „Das Leben allein, mit seinen das Einzelindividuum recht wenig berücksichtigenden Konstellationen, reicht dazu nicht aus, es bedarf noch jener Einflußnahme von seiten der Erwachsenen, die Erziehung heißt. … Das Leben selbst erzwingt mit seinen Anforderungen die primitive Realitätsfähigkeit, die Erziehung erweitert diese zur Kulturfähigkeit“ (Aichhorn 1925, 12). Um Anhaltspunkte für ein pädagogisches Handeln – dieses Ziel betreffend - zu finden, richtet Aichhorn sein Augenmerk auf die Entwicklungstheorie und auf das Instanzenmodell von Sigmund Freud (vgl. Freud 1923) und versucht mit Hilfe von letzterem eine Darstellung des Kräfteverhältnisses von Es, Ich und Über-Ich - wie es bei verwahrlosten Jugendlichen bestehen kann – zu geben. Aus der jeweiligen Gewichtung dieser drei Anteile leitet sich nach Aichhorn das geforderte Verhalten des Erziehers ab.

 

Im Rahmen meines Studiums bin ich zudem immer wieder auf Marian Heitgers[6] Prinzipien gestoßen, die in der Pädagogik als Wissenschaft immer wieder zu wertvollen Diskussionen führen. Aus diesem Grund möchte ich auf seine Prinzipien näher eingehen und seine Gesichtspunkte pädagogisches Handeln betreffend mit denen Aichhorns vergleichen. Heitger ist ein Vertreter der Prinzipienwissenschaftlichen Pädagogik und vermittelt sein pädagogisches Wissen vorwiegend in der Lehre der Erziehungswissenschaft an Universitäten sowie in seinen Schriften. Er setzt sich mit Pädagogik im Allgemeinen auseinander und formuliert Prinzipien, deren Beachtung ein Handeln – aus Heitgers Sicht - erst zu einem pädagogischen Handeln macht. Seinen Ausführungen zufolge haben diese Prinzipien einen allgemeinen Geltungsanspruch für die Pädagogik. Heitger formuliert das Ziel pädagogischen Handelns wie folgt: „Die Erziehung richtet sich auf ein Verhalten und eine Haltung, die dem Sollen gehorcht, d.h. nicht schon durch naturhaftes Wachsen gerechtfertigt ist; die auch einmal gegen die eigenen Neigungen und Wünsche gerichtet sein kann, die vielleicht auch Schmerz bereitet und Anstrengung fordert, die aber um des ethischen Anspruches willen in Kauf genommen werden muß“ (Heitger 1994, 126). Auch in diesem Zitat klingt an, dass gesellschaftliche Normen den Maßstab für das Ziel bilden, das mit Hilfe der Erziehung erreicht werden soll. Um dieses Ziel erreichen zu können, bezieht sich Heitger auf die Transzendentalphilosophie und nennt - wie schon zuvor erwähnt - Prinzipien, die ihm zufolge für den Pädagogen und sein Handeln jederzeit und unbedingt Geltung haben.

 

Die Ausgangspunkte der beiden Pädagogen, unter welchen Gesichtspunkten erzieherisches Handeln als solches geltend gemacht werden kann, sind demnach unterschiedlich. Und doch vertreten beide die Ansicht, dass es wichtig für Pädagogen ist, mit Hilfe eines bestimmten theoretischen Hintergrundes pädagogisches Handeln auch rechtfertigen zu können. Aichhorn nimmt hierfür die psychoanalytische Theorie zu Hilfe, während Heitger den transzendentalphilosophischen Zugang wählt. Das Erziehungsziel beider nimmt die Gesellschaft mit ihren Forderungen nach Sozietät mit in ihre Betrachtungen hinein. Es besteht also auch hier eine Überschneidung des Geltungsanspruchs ihrer Ausführungen.

 

Ich werde nun im Folgenden die Umstände, aus denen sich die Forschungsfrage meiner Diplomarbeit ergibt, näher erörtern.

 

Die Sozialpädagogik ist ein Teilbereich der Pädagogik, in den auch die Fürsorgeerziehung[7] fällt. Aichhorns Arbeit mit verwahrlosten Kindern und Jugendlichen bewegte sich in diesem Bereich, den ich im Rahmen meiner Diplomarbeit genauer betrachten möchte, weil er durch die besondere Situation, in der sich Erzieher und Zögling befinden, interessante Einblicke in die Schwierigkeit der Erziehertätigkeit allgemein bietet und auch für die wissenschaftliche Begründbarkeit pädagogischen Handelns wichtigen Diskussionsstoff liefern kann. Für meine Arbeit wähle ich deshalb Aichhorn aus, weil er einen besonderen Stellenwert in der Sozialpädagogik erhielt, indem er als einer der ersten Pädagogen versuchte, mit Hilfe psychoanalytischer Theorieelemente das Phänomen der Verwahrlosung zu erklären. Diese zog er im Weiteren für die Begründung seines zuvor in der Fürsorgeerziehung und im Rahmen von Erziehungsberatungen intuitiv gesetzten Verhaltens heran. Seine Ausführungen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, stellen demnach auch keine „Theorie der Verwahrlosung“ im engeren Sinne dar. Und doch hat er mit diesen Überlegungen und Schlussfolgerungen einen wichtigen Schritt in diese Richtung geleistet. Er hat in dem Buch „Verwahrloste Jugend“ Elemente der psychoanalytischen Theorie mit einigen Falldarstellungen aus der Erziehungsberatung und aus Fürsorgeerziehungsheimen zusammengeführt und ist damit ein Wegbereiter für die Etablierung der Psychoanalytischen Pädagogik innerhalb der Erziehungswissenschaft allgemein geworden. Dieser Teilbereich der Pädagogik befindet sich in einer Entwicklung, die auch heute noch lange nicht zu Ende ist. Einer der Ausgangspunkte hierfür liegt jedoch in der Arbeit Aichhorns.

 

Um zu überprüfen, ob seine Gesichtspunkte, pädagogisches Handeln betreffend, innerhalb der Pädagogik auch für einen Vertreter der Allgemeinen Pädagogik Geltung haben können, ziehe ich Heitger hinzu, dessen Zugang, pädagogische Themen betreffend, ein philosophischer ist. Er setzt sich eingehend mit allgemeinen Fragen der Pädagogik auseinander und lässt in seinen Theorien keinen Zweifel daran, dass pädagogisches Handeln – aus seiner Sicht gesehen – erst unter bestimmten Voraussetzungen „pädagogisch“ genannt werden darf. Die Bedingungen, die ihm zufolge erfüllt sein müssen, gelten auch für jede Erziehungssituation. Ich werde demnach in meiner Diplomarbeit Heitgers philosophischen Zugang zu pädagogischen Themen Aichhorns psychoanalytischem Ansatz pädagogisches Handeln betreffend gegenüberstellen, um zu überprüfen, ob dessen erzieherisches Handeln auch aus der bildungsphilosophischen Sicht Heitgers pädagogisch genannt werden kann.

 

Aichhorn beschäftigt sich intensiv mit psychoanalytischen Theorieelementen, die sein erzieherisches Verhalten rechtfertigen können. In seinen Publikationen geht er jedoch kaum auf allgemeine Fragen der Pädagogik ein, sondern richtet sein Augenmerk - geprägt durch seine Tätigkeit in der Fürsorgeerziehung - vorwiegend auf das Phänomen der Verwahrlosung.

 

Obwohl Heitger sich mit Fragen der Sonder- und Heilpädagogik und der Psychotherapie auseinandergesetzt hat und auch das Phänomen der Verwahrlosung bzw. Verhaltensauffälligkeit in seine Betrachtungen mit einbezieht, fehlt jedoch in seinen Ausführungen ein konkreter Verweis auf die Schriften Aichhorns. Beide Pädagogen konzentrieren sich für die Begründung pädagogischen Handelns lediglich auf ihre jeweiligen Anschauungen. Eine Gegenüberstellung der Gesichtspunkte verschiedener Teilbereiche innerhalb der Pädagogik war in ihren Ausführungen jedoch nicht Gegenstand der Betrachtung.

 

Weiters ist festzuhalten: Es gibt zwar einige Forschungsarbeiten (vgl. Kazak 2003; Schopf 2002; Forstner 1997), die sich intensiv mit Aichhorns Methodik und seinem Bild der Verwahrlosung auseinandersetzen, eine Gegenüberstellung mit Theorien von Vertretern der Allgemeinen Pädagogik, die Gesichtspunkte für...

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