Angesichts der Tatsache, dass in der Fachliteratur keine einheitliche Definition zum Begriff Mobbing existiert[6], ist es für die Untersuchung der verschiedenen Präventions- und Interventionskonzepte gegen Mobbing essentiell, zunächst zu definieren, was unter dem Begriff Mobbing im Rahmen dieser Arbeit verstanden wird, um sich Klarheit über einen Sachverhalt zu verschaffen, welcher in der Öffentlichkeit fälschlicherweise für Konflikte aller Art gebraucht wird.[7]
Daher werden in diesem Kapitel verschiedenste Elemente, die mit dem Phänomen Mobbing zusammenhängen, erörtert. So wird innerhalb dieser Erörterung darauf eingegangen, welche Strukturmerkmale Mobbing aufweist, wer am Mobbingprozess beteiligt ist, aber auch in welchen unterschiedlichen Formen sich Mobbing äußern kann. Aus der Darstellung dieser einzelnen Elemente resultiert schließlich eine Definition zum Begriff Mobbing, welche für die vorliegende Masterarbeit gilt.
Mobbing, welches eine spezifische Gewaltform[8] darstellt, kommt in allen sozialen Bereichen vor, in welchen Menschen immer wieder zusammenkommen und aus welchen sie nicht oder nur schwer entfliehen können. Auch die Schule stellt einen sozialen Bereich dar, dem sich die von Mobbing betroffenen Schüler aufgrund der allgemeinen Schulpflicht nicht entziehen können.[9]
Die Bezeichnung „Mobbing“ hat hierbei seinen Ursprung im schwedischen Sprachraum des Wortes „mobbning“, welches mit „fertigmachen“ oder „anpöbeln“ übersetzt werden kann. Während im deutschen Sprachraum „Bullying“[10] synonym zum Begriff Mobbing verwendet wird, wird in der Schweiz für den Begriff „Mobbing“ oftmals auch der Begriff „Plagen“ gebraucht.[11] Anfangs wurde in Deutschland der Begriff Mobbing ausschließlich für das zielgerichtete, andauernde Belästigen am Arbeitsplatz benutzt. Inzwischen wird es jedoch zunehmend auch für die Schule, als Arbeitsplatz der Schüler, verwandt.[12]
Prinzipiell können innerhalb des Schulkontextes drei Mobbingarten unterschieden werden: Lehrer gegen Schüler, Schüler gegen Lehrer und Schüler gegen Schüler.[13] Im Rahmen der Masterarbeit wird bei den ausgewählten Präventions- und Interventionskonzepten jedoch ausschließlich die Mobbingart „Schüler gegen Schüler“ berücksichtigt, was damit zusammenhängt, dass die Programme für Lehrkräfte konzipiert worden sind.
Um die Merkmale von Mobbing herauszuarbeiten, ist es wichtig, Mobbing von Konflikten abzugrenzen. Wenn Kinder miteinander streiten oder auch kämpfen, jedoch psychisch und physisch kein Ungleichgewicht zwischen ihnen besteht, wird von einem Konflikt und nicht von Mobbing gesprochen. Zudem bieten Konflikte, im Gegensatz zu Mobbing, den Schülern die Möglichkeit, die eigenen und die Grenzen der anderen Kinder kennen und akzeptieren zu lernen sowie darüber hinaus Konfliktlösungen selbstständig zu finden.[14] Bei Mobbing trägt nichts dazu bei, Konflikte zu beenden, sondern stattdessen diese zu intensivieren und zu wiederholen.[15] Insofern kann Mobbing als ein andauernder Konflikt bezeichnet werden.
Desweiteren besteht der wesentliche Unterschied zwischen einem herkömmlichen Konflikt und einer Mobbingsituation darin, dass ein Konflikt unregelmäßig und ungeplant passiert, während Mobbing systematisch, wiederholend und zielgerichtet stattfindet.[16] Auf diese Weise greift Mobbing im Gegensatz zu Konflikten die Menschenwürde an, weil bewusst und mit Absicht verletzt wird.[17]
Es handelt sich bei Mobbing also nicht um negative Handlungen, die einzeln und spontan, sondern vielmehr strategisch, beabsichtigt und beständig sind. Auch wenn die Bezeichnung negative Handlungen auf den ersten Blick sehr allgemein wirkt, ist dies gerade für das Phänomen Mobbing passend, um die Mannigfaltigkeit der Verhaltensweisen, die während des Mobbings auftreten können, zu kennzeichnen.[18]
Laut Leymann liegt Mobbing nur dann vor, wenn die Handlungen häufig, also mindestens einmal wöchentlich, über mindestens drei Monate ausgeführt werden. Kindler meint jedoch, dass im schulischen Kontext Mobbing bereits vorliegt, wenn die Angriffe in einem Zeitraum von mindestens vier Wochen ausgeübt werden, weil es dann bereits seine Wirkungen zeigt.[19]
Der schwedische Professor Dan Olweus, der als Vorreiter der Erforschung von Mobbing gilt, definiert Mobbing folgendermaßen:
„Ein Schüler […] wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist.“[20]
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass folgende vier Merkmale für Mobbing besonders charakteristisch sind:
1. Es handelt sich um einen verhärteten Konflikt.
2. Es herrscht ein asymmetrisches Machtverhältnis zwischen mindestens zwei Personen.
3. Eine Person wird von mindestens einer anderen Person mit Absicht, zielgerichtet und regelmäßig, das heißt mindestens einmal pro Woche, und über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen, angegriffen.
4. Die unterlegene Person ist nicht in der Lage eigenständig der Situation zu entkommen und kann dementsprechend das Mobbing nicht beenden.[21]
Die beteiligten Personen im Mobbingprozess werden im folgenden Unterkapitel beschrieben.
Mobbing kann sowohl von einzelnen als auch von mehreren Personen ausgehen, welche als Täter bezeichnet werden.[22] Die Personen, auf die wiederum Mobbing ausgeübt wird, werden als Opfer bezeichnet. Darüber hinaus sind an einer schulischen Mobbingsituation noch weitere Personenkreise beteiligt, nämlich die Mitläufer sowie die restliche Lerngruppe. Es gibt demzufolge vier Gruppierungen innerhalb des Mobbings: Täter, Opfer, Mitläufer und die restliche Lerngruppe.[23]
Abbildung 1: Klassische Gruppierung innerhalb eines schulischen Mobbingprozesses
(eigene Darstellung in Anlehnung an: Jannan 2008: 30 und Linzbach 2010: 25).
Im Folgenden werde ich auf jede Gruppierung näher eingehen, dabei im Besonderen auf die Täter und das Opfer.[24]
Die Täter
Bei den Tätern handelt es sich um bis zu maximal drei Personen, die die Mobbinghandlungen veranlassen oder ausführen und selbst nicht gemobbt werden.
Die Täter, auch als Mobber bezeichnet, zeigen oftmals ein unbedachtes, aggressives Verhalten, welches wiederum von einer geringfügigen Selbstkontrolle zeugt. Aufgrund der Tatsache, dass die Täter auch oftmals ein geringes Selbstwertgefühl besitzen, versuchen sie dieses durch Machtausübung zu kompensieren. Insofern steht als Motiv für Mobbinghandlungen die Machtausübung im Vordergrund. Zudem fällt es den Tätern schwer Empathie für andere zu zeigen, weil sie nicht in der Lage sind, die Gefühlswelt anderer wahrzunehmen. Schließlich verfügen Täter über defizitäre Handlungsmöglichkeiten an Konfliktlösungsstrategien, sodass sie unangemessen handeln.
Das Verhalten des Täters gegenüber dem Lehrer nimmt eine zentrale Rolle ein. Gegenüber der Lehrkraft tritt der Täter stets loyal und freundlich auf. Dieses Auftreten bietet dem Täter aber nicht nur den Schutz, dass die Lehrperson ihn nicht durchschaut, sondern vor allem trägt ein solches zuvorkommendes Verhalten zum Machtanstieg bei. Denn wenn der Lehrer nicht im Mobbinggeschehen interveniert, steigt aus Sicht der Mitschüler die Macht des Täters, während der Lehrer nach und nach seine Autorität verliert. In der Konsequenz wird der Lehrer als schwach eingeschätzt und wird daher weder vom Opfer noch von der restlichen Lerngruppe um Hilfe gebeten.[25]
Abbildung 2: Charakteristika eines Täters
(eigene Darstellung).
Das Opfer
Im Mobbingprozess handelt sich beim Opfer stets um eine Einzelperson. Innerhalb eines Mobbingvorfalls fühlen sich die Opfer hilflos, weil sie sich nicht selbstständig aus der Situation befreien können.[26]
Prinzipiell kann bei den Opfern zwischen zwei verschiedenen Opfertypen unterschieden werden: das passive und das provozierende Opfer, wobei passive Opfer häufiger vorkommen.
Passive Opfer sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie oftmals körperlich...