Leseprobe Asit Datta Einleitung "Ein Haus stirbt nicht, das einen Gast willkommen heißt." Afrikanisches Sprichwort Wir haben genug soziale und Verteilungsprobleme innerhalb unserer Gesellschaft und zwischen den Staaten. Eine berechtigte Frage wäre deshalb, warum wir uns in diesem Buch mit der Zukunft der Migration beschäftigen. Die Antwort ist komplex: Die Zukunftsforschung ist keine Flucht aus der Gegenwart. Und Migration ist Alltag, nicht nur für Europa. Die meisten Länder weisen eine große kulturelle Vielfalt auf. Über die Hälfte aller Länder weltweit hat einen Anteil über 25 Prozent an ethnischen und religiösen Minderheiten, in weiteren 17 Prozent der Länder variiert der Anteil zwischen 10 und 25 Prozent, nur ein Drittel der Länder hat einen Anteil von weniger als 10 Prozent (UNDP 2003, 37). Diese Vielfalt ist zumeist auf Migration zurückzuführen. In Europa hat man den Eindruck, dass Migranten mehrheitlich nach Europa strömen. Tatsächlich gehen aber 70 Prozent aller Migranten weltweit woanders hin. Unter den ersten zehn Ländern mit dem höchsten Anteil von Migranten befindet sich nur ein einziges europäisches Land mit einem 25-prozentigen Anteil von Migranten an der Bevölkerung, und das ist die Schweiz an siebter Stelle. An erster Stelle stehen die Vereinigten Arabischen Emirate mit einem Anteil von 68 Prozent. (UNDP, 109) Europa wird, so die allgemeine Annahme, in Zukunft wegen der negativen demografischen Entwicklung auf längere Sicht auf Migranten angewiesen sein. Die Zukunft kann man nur planen, wenn man in der Lage ist, Gegenwartsprobleme zu lösen. Dies ist Voraussetzung für die Zukunftsgestaltung. Deswegen gehen Regierungen aller Länder regelmäßig in Klausur (vgl. z. B. "Die Kanzlerin lädt zur Zukunftsklausur", in: HAZ, 10./11.4.2010). Diese Planungen beziehen sich meist auf die Zeit bis zur nächsten Wahl. Die wissenschaftliche Zukunftsforschung ist nicht an Wahlperioden gebunden und kann deshalb einen längeren Zeitraum berücksichtigen. Lange bevor Flechtheim 1941 den Begriff "Futurologie" in den deutschen Sprachraum eingebracht hat, gab es auch Zukunftsforschung und erschienen Zukunftsromane von Jules Verne und H. G. Wells. Auch der Klassiker von George Orwell 1984 (geschrieben im Jahre 1948) beschreibt die Befürchtung, wie eine Gesellschaft in Zukunft total überwacht werden kann ("Big Brother is watching you"). Drei Jahre zuvor hatte Orwell Animal Farm geschrieben, auch eine Beschreibung einer totalitären Gesellschaft, in der manche Tiere gleicher sind als die anderen ("Some animals are more equal than others"). Auch Aldous Huxyleys Brave New World (1932) beschreibt die drei Stufen in der Gesellschaft und die Manipulierbarkeit der Massen. Die Zukunftsromane sind Produkte der Fantasien, die vom jeweiligen Kenntnisstand der technischen oder gesellschaftlichen Entwicklung abgeleitet wurden und werden. Was damals nicht vorauszusehen war, kam in den Romanen nicht vor. Wir haben zwar nicht vor, in die Fußstapfen von Alvin Toffler, Daniel Bell oder Herman Kahn zu treten. Aber jede wissenschaftliche Beschäftigung mit Problemen von heute geschieht sebstverständlich auch in Sorge um die Zukunft. Nicht nur die erste Club of Rome-Studie Die Grenzen des Wachstums (1972) ist ein Zeugnis dieser These. Wissenschaftlich gesehen lag z. B. Thomas Malthus mit seiner Theorie der Nahrungsmittelknappheit deshalb daneben, nicht nur weil er die Veteilungsprobleme außer Acht ließ, sondern auch weil er die Entwicklung der Bewässerungmethoden, landwirtschaftliche Hightechgeräte oder der chemischen Industrie (Düngemittel) nicht vorausahnen konnte. Beschäftigung mit der Zukunft setzt genaue Kenntnisse von Vergangenheit und Gegenwart voraus. Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft, meinte Wilhelm von Humboldt. Im Bereich der Pädagogik ist Zukunftswerkstatt eine Methode (Jungk/Müllert), die den Lernenden hilft, aus den Kenntnissen von heute für die Zukunft Phantasie systematisch zu entwickeln. "Moderne Zukunftsforschung ist nach meiner Definition", schreibt Rolf Kreibich, einer der führenden Futurologen Deutschlands, "also die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wahrscheinlichen und wünschbaren Zukunftsentwicklungen (Zukünften) und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart". (Kreibich 2010, 5f.) Von Kreibichs zehn wichtigsten komplexen Herausforderungen für die Zukunft haben wir nur drei gewählt: Globalisierung/Globales Lernen, Nachhaltige Entwicklung, Weltbevölkerung/Migration/Integration. Wie alle anderen Probleme hängen auch diese miteinander zusammen. Bevor wir auf die Begründung für die Themenwahl eingehen, noch eine Anmerkung zur Beziehung von Gegenwart und Zukunft. Alle unsere wissenschaftlichen Beschäftigungen mit Problemen von heute geschehen in der Absicht, zukunftsfähige Lösungen zu finden und Hindernisse zu überwinden oder zu lernen, damit besser umzugehen. Ein Blick auf die Literaturliste würde diese Behauptung bestätigen (siehe z. B. Bücher von Wilfried Bommert, Lester R. Brown, Wolfgang Hirn, Rainer Müller/Albert F. Reiterer, die Studie des Wuppertal Instituts, Club of Rome-Studie, Thomas Malthus u. a. zu dem Beitrag von Datta in diesem Buch). Das Jahrbuch 2010 des Worldwatch Institutes hat z. B. den Titel: "Einfach besser leben". Unsere Auswahl der Themen hat mit unserer Arbeit in der AG Interpäd (Arbeitsgruppe Interkulturelles Lernen und Entwicklungspädagogik) zu tun. Die Themen dieses Buches sind die Felder, mit denen wir uns seit der Entstehung der AG beschäftigen. Da dieses Buch zum 25-jährigen Jubiläum der AG Interpäd erscheint, möchten wir einerseits ein Zeugnis unserer bisherigen Arbeit ablegen, andererseits soll der Band auch zukunftsweisend sein. Die Gruppe wurde 1985 von Gertrud Achinger (Soziologie), Ulrich Becker (Ev. Theologie), Horst Siebert (Erwachsenen- und außerschulische Jugendbildung - EB und aJB) und mir (Erziehungswissenschaft) gegründet. Die Auslandserfahrung von Frau Achinger (in Guniea Bissau), Herrn Becker (beim Ökumenischen Rat in Genf) und meine Herkunft (Indien) war anfänglich maßgeblich für unsere Arbeit (Dritte-Welt-/Entwicklungspädagogik). Anfang der 90er Jahre schloss sich uns eine weitere Gruppe (Migration und Integration) an. Vom Anfang an war (wie es damals hieß) Umweltbildung ein Bestandteil unserer Arbeit - vertreten durch den Kollegen Siebert. 1987 war das Lerngebiet als ein Wahlpflichtfach in Diplomstudium (Fachrichtung EB und ajB) zugelassen. So konzentrierte sich die Gruppe zunehmend auf drei Bereiche: 1. Dritte-Welt-Bildungsarbeit/Nord-Süd-Beziehung/Globalisierung/Menschenrechte, 2. Migration/Integration/Exklusion/Inklusion, 3. Globales Lernen/Bildung für die Nachhaltige Entwicklung (BNE). Das letztere Gebiet bekam noch einen zusätzlichen Impuls, als Dietmar Bolscho Mitte der 1990er Jahre in die Gruppe kam. Religionspädagogik war von Beginn an stark durch Ulrich Becker und später durch den Kollegen Harry Noormann (Geschäftsfüher seit 2002) vertreten. Bei der Planung dieses Buches haben wir uns drei Aufgaben vorgenommen: a)Die Beiträge sollen zu den Bereichen unserer Arbeit gehören, b)Internationale KollegInnen und Kollegen sollen sich beteiligen und c)Die Beiträge sollen neu und nur für dieses Buch geschrieben sein. Zu den Beiträgen: Sharon Beder, neben Joseph Stiglitz eine der vehementen Kritikerinnen des neoliberalen freien Marktes, erläutert in ihrem Beitrag, wie es zu der Finanzkrise kam. In Folge der Ölkrise verlor die keynsianische ökonomische Theorie an Popularität. Allmählich bekam die Deregulierung des "Reaganomics" und Thatcherismus die Oberhand. Regierungen schützen nicht mehr eigene Bürger gegen die Übermacht der Konzerne, sondern sie schützen das "Business" gegen demokratische Regulierungen. Der Washingtoner Consens wurde den Entwicklungsländern durch die Weltbank und den IWF aufoktroyiert. Die Deregulierung des Finanzmarktes (uneingeschränkter Kapitalfluss inner- und außerhalb der Staatsgrenzen, Beseitigung der Regulation von Finanzinstituten und Beseitigung der politischen Kontrolle der Zentralbanken) verleitete zu wilden Spekulationen. Nur 10 Prozent des Finanztransfers betraf den internationalen Handel, der Rest war spekulativ. Knapp, präzise und verständlich legt Beder die Ursachen der Krise dar. Die Finanzwelt wurde durch die massive Unterstützung der Regierungen, also durch Steuerzahler aus Industriestaaten gerettet. Die Lehre aus der Krise, meint Stiglitz, ist, dass die unsichtbare Hand, wie sie Adam Smith verstand, ein großer Irrtum war (in: SZ von 31.12.09/1.1.10) und dass ohne eine global koordinierte Regulierung der Finanzwelt nichts funktionieren wird (in: HAZ vom 21.4.2010). Sowohl Stiglitz als auch Beder meinen, dass die Finanzmärkte aus der Krise nichts gelernt haben und wie bisher operieren. Die Regierungen halten sich zurück. Dennoch sieht Beder paradoxerweise eine Chance aufgrund der Ungleichheit des Einkommens: Da immer mehr Menschen mangels Geld immer weniger zu konsumieren in der Lage sind, könnte eine Umkehrung (höhere Gehälter, progressive Besteuerung der Reichen) stattfinden. In Asit Dattas Artikel Weltbevölkerung, Klimawandel und Migration geht es einerseits um die komplexen Zusammenhänge, andererseits auch um die Einsicht, dass wir durch den Klimawandel in Zukunft Lebensraum und Ackerböden verlieren werden. Dies scheint unausweichlich zu sein. Aus diesem Grund wäre es sinnvoll, eine Obergrenze der Weltbevölkerung auf etwa neun Milliarden bis 2050 anzustreben. Hier werden auch einige Begriffe in der Annahme erläutert, durch Klarheit die diffusen Ängste der Europäer ein wenig zu mildern. Die große Völkerungwanderung findet ohnehin außerhalb von Europa und zumeist innerhalb der Staatsgrenzen (Landflucht, Wucherung der Megastädte) der Entwicklungsländer ab. Explizit auf die Ängste der Europäer vor Immigranten geht die international renommierte Migrationsforscherin Saskia Sassen ein. Sassen nimmt die Argumente gegen eine Migration auf: Europa kann nicht alle Armen aufnehmen,die staatlichen Ressourcen sind knapp und es gibt eine Anti-Migranten-Stimmung in den Gesellschaften. Sie widerlegt alle diese Argument und begründet, warum Europa in Zukunft auf Migration angewiesen ist. In dem Abschnitt "Cross Country Regularities" zeigt Sassen in sechs Punkten historisch das "Wo, Wann, Wer" der Migration auf. Hier betont sie u. a., dass kein Migrant gerne seine Heimat aufgibt. Gestützt auf Untersuchungen unter den mexikanischen Immigranten in den USA stellt sie die These auf, dass viele irreguläre Migranten, wenn möglich, gerne nur für eine kurze Zeit im Ausland arbeiten würden (etwa drei Monate). Sie würden gerne wieder zurückgehen und wieder kommen. Sassen bezeichnet diese Art als eine "Circular Migration". Wegen der demografischen Entwicklung (Bevölkerungsschwund von 80 Millionen, Überalterung) ist Europa ohnehin auf Migration angewiesen, so gilt es aus Erfahrung zu lernen (Wir sind ein gemischtes Volk, wie haben wir es früher gemacht?). Aber eine gewisse Last könnte gemindert werden, wenn "zirkuläre Migration" legalisiert würde. Die meisten Migranten wandern aus dem Osten nach Westen. Christoph Butterwegge sieht ebenfalls Spaltungstendenzen als Konsequenz neoliberaler Modernisierung. Einerseits nimmt - global gesehen - die soziale Polarisierung zu, andererseits wird aus dem Wohlfahrtsstaat der Industrieländer ein "nationaler Wettbewerbsstaat". Perspektivisch wird das Gemeinwesen in einen Wohlfahrtsmarkt und einen Wohltätigkeitsstaat gesplittet. Butterwegge spricht von einer Dualstruktur der Armut (arme Arbeitslose und arbeitende Arme). Analog findet eine Dualisierung der Zuwanderung statt (Eliten- und Elendsmigration). Während die Eliten eher als Transmigranten (heute hier, morgen dort) allseits willkommen sind, unterliegen die anderen Zuwanderer (gering Qualifizierte, Asylsuchende) restriktiver nationaler Migrationspolitik. Gleichzeitig findet eine soziale (nicht ethnische) Segregation statt. Trotz aller solcher Widerstände sieht Butterwegge ähnlich wie Sassen oder Franz Nuscheler Migration als Normal- oder Regelfall für die Zukunft. Den zweiten Teil beginnen wir mit gewissen Normen wie Menschenrechte, die für unser Lernfeld Globales Lernen konstitutiv sind. Ein sehr weit verbreitetes Vorurteil in den mehrheitlich nicht christlichen westlichen Ländern ist, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechten (AMER) mehr von den westlichen/christlichen Normen geprägt seien. Dass das nicht so ist, zeigt Harry Noormann in seinem Beitrag. Die christlichen Kirchen mussten 170 Jahre mit sich ringen, um die freiheitlichen Prinzipien (der Menschenrechte) zu akzeptieren. "Die Menschenrechte [...] sind keine Errungenschaft des Christentums", zitiert Noormann Honecker, "sondern ein Ergebnis der [...] Demokratisierungsbewegung der Aufklärer". Noormann beruft sich auf Hans Küngs Programm "Weltethos". Noormann legt behutsam die Perspektive für eine interreligiöse Ethik der Menschenrechte dar. Das Leiden ist auch der Ausgangspunkt für Neville Alexander. Er leidet unter der Maßlosigkeit der politischen (schwarzen) Elite in Sdüdafrika. Alexander, der über ein Jahrzehnt in Hochsicherheitstrakt von Robben Island mit Nelson Mandela und 15 anderen Mitgefangenen die Zukunft seines Landes mitkonzipiert hat, sieht sich getäuscht, verraten. Der Grund ist das Verhalten der neuen politischen (schwarzen) Elite. Sie genehmigen sich üppige Gehälter und noch üppigere Zuwächse, fahren Mercedes oder BMW, während die breite Masse der schwarzen benachteiligten armen Unterschicht, Opfer der Apartheid von früher, heute Opfer des Neoliberalismus ist. Alexander ist übrigens der einzige überlebende Mithäftling von Nelson Mandela, der 1994 kein Regierungsamt übernahm, sondern zur Universität ging. In der Gefangenschaft haben sie von einer egalitären Gesellschaft geträumt. So fragt er sich: Wie kann man zurück zur Wurzel kehren, wie kann man "eine Kultur der positiven Werte" wieder durchsetzen. Alexander plädiert für eine Rückbesinnung, ein Ideal der Genügsamkeit und für ein urafrikanisches Gemeinschaftsziel ubuntu (Ich bin ein Mensch nur durch andere Menschen). In seinem Beitrag Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bringt Dietmar Bolscho zwei unterschiedliche Disziplinen mit Erfolg zusammen. Während Bildung für Nachhaltige Entwicklung eher naturwissenschaftlich orientiert ist, wird die Forschung über Migration der Kultur- und Sozialwissenschaft zugeordnet. Bolscho bricht die Tradition und bringt sie zusammen. Nachdem er den Begriff Globalisierung in verdichteter Form erläutert hat, geht er auf die BNE ein. Ausgehend vom Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro beschreibt er, wie der Lebensstildiskurs Eingang zur Bildung findet. Bolscho sieht die Agenda 21 als Legitimationsrahmen für pädagogische Programme und BNE als eine Weiterentwicklung der Umweltbildung. Er geht auf die Gemeisamkeiten und Unterschiede zwischen der BNE und dem Globalen Lernen ein. Gregor Lang-Wojtasik nimmt sich des Themas Globales Lernen an, wobei er mit dem Engagement der Jugendlichen für BNE in Deutschland und Österreich beginnt. Lang-Wojtasik beschreibt kurz die Entwicklung des Globalen Lernens in Deutschland. Zwanzig Jahre lang war entwicklungsbezogene Bildungsarbeit, das Thema Nord-Süd-Beziehung, vorherrschend gewesen. Nach dem Erdgipfel in Rio ist der Blickwinkel auf BNE gerichtet. Beide sind Bestandteile des Globalen Lernens. Diese sind aber eben Teile, nicht das Ganze. Zu den bleibenden Herausforderungen gehören Globalisierung, Identitäts- und Legitimationsprobleme, Komplexität, Ungewissheit und sozialer Wandel. Für die Zukunft des Globalen Lernens hält der Autor eine Klärung der vier Fragen für erforderlich - Kompetenzen, empirisch/theoretische Grundlage, disziplinäre Verortung und Legitimation der Normen. Im dritten Teil gehen wir exemplarisch auf einige Grundprobleme ein. Dirk Jacobs, Karen Phalet und Marc Swyngedouw präsentieren in Kurzform Ergebnisse einer Untersuchung, die sie in Belgien durchgeführt haben. Das Ziel ist herauszufinden, ob die Zugehörigkeit einer Minderheit die Wahrnehmung der Gruppendiskriminierung beeinflusst. Die Forscher gehen von drei Annahmen aus: 1.) Ihre Gruppe wird von der Aufnahmegesellschaft besonders diskriminiert, 2.) die Zugehörigkeit einer bestimmten ethnischen Minderheit beeinflusst die Wahrnehmung der Diskriminierung und 3.) sozio-kultuturelles Wissen und Kenntnisse der (Mehrheits-)Sprache fördern interethnische Kontakte und mindern das Gefühl der Gruppendiskriminierung. Untersucht wurden zwei Gruppen in Brüssel, aus Marokko (N=392) und aus der Türkei (N=587). Die Wahrnehmung der beiden Gruppen unterscheidet sich manchmal signifikant. Hier liegt eine aufschlussreiche Forschungsarbeit vor, deren Ergebnisse differenziert, behutsam und reflexiv dargestellt werden. Katrin Hauenschild behandelt das Thema aus einer anderen Pespektive. Sie beschreibt einerseits die historische Entwicklung von der Ausländerpädagogik bis zum transkulturellen Lernen über die verschiedenen Hypothesen. Andererseits fragt Hauenschild zu Recht, ob es sich nur um eine Änderung der Semantik handelt oder ob es tatsächlich einen Bewusstseinswandel gegeben hat. "Tauglich kann Transkulturalität als Konstrukt [...] dann sein, wenn es nicht als migrationsspezifische Dimension pädagogischer Interaktion betrachtet wird, [...] sondern als eine allgemeine Dimension gesellschaftlicher und individueller Phänomene, in denen Subjekte je ihre eigenen Transformationen vollziehen und werden, wie sie geworden sind." Zu der gesellschaftlichen und individuellen Transformation gehört auch die Sprache. Unbestritten ist, dass eine unabdingbare Voraussetzung für eine Integration die Beherrschung der Sprache der Mehrheit ist. In unserem Fall ist damit die Beherrschung der deutschen Sprache gemeint. Manch einer aus der Mehrheit meint, die deutsche Sprache von heute sei der Standard auch in der Zukunft. Minderheiten müssen also die Sprache beherrschen. Aber Linguisten wissen, dass auch die Mehrheitssprache einer Wandlung unterliegt. Diese Wandlung ist von vielen Faktoren, nicht zuletzt auch durch Einflüsse der Minderheiten, abhängig. Am auffälligsten kann man eine solche Wandlung an der Entwicklung der englischen Sprache studieren. Im übrigen, wenn man die deutsche Sprache von heute mit der von vor 100 Jahren vergleicht, wird einem klar, wie sehr eine lebendige Sprache von Wandlungen und Außeneinflüssen bereichert wird. Inci Dirim, eine Fürsprecherin der Mehrsprachigkeit der Kinder, hat die Bedeutung der Transformation der deutschen Sprache durch die Migrantenkinder mehrmals empirisch nachgewiesen. Mit Marion Döll begründet sie hier, warum sie die Mehrsprachigkeit - nicht nur bei Migrantenkindern - zur Intgegration für notwendig hält. In der hegemonialen Repräsentationspraxis sieht auch Erol Yildiz eines der Haupthindernisse für die Integration. Ähnlich wie Saskia Sassen hält Yildiz Migration für ein konstitutives Element zur Modernisierung, insbesondere für die Entstehung und Urbanisierung von Städten. Sassen hat dies am Beispiel von Amsterdam dargestellt (Sassen 1996, 23f.). Ähnlich wie sie ("Immigranten werden heute meist als Bedrohung wahrgenommen", ebd., 13) argumentiert Yildiz, dass ohne den Transformationsprozess als eine positive Entwicklung anzuerkennen, selbst die kritische Sozialforschung hinter jedem Wandel desintegrative und krisenhafte Impulse vermutet. Ohne einen radikalen Perspektivwechsel, meint Yildiz, wäre eine Integration nicht möglich. Dies ist die schlichte Forderung, Diversität als eine neue Realität zu akzeptieren. So wie die Bevölkerungsmehrheit keine homogene Masse ist, sind auch Minderheiten nicht einheitlich. Diese sind nicht nur wegen der Herkunftskulturen unterschiedlich, sondern auch bildungsbiografisch, ökonomisch und sozial. Isabel Sievers berichtet über die Motive der gut ausgebildeteten Gruppen von Migranten, die zwischen Herkunfts- und Ankunftsländern hin und her pendeln. Der Ausgangspunkt ist der Widerspruch, "dass Deutschland gegenwärtig versucht, hochqualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben, aber gleichzeitig, mehr Akademiker, auch mit Migrationshintergrund, das Land verlassen. Die Gründe dafür werden mit einer explorativen Studie, die im Rahmen der AG Interpäd gelaufen ist, untersucht. Über die Ergebnisse dieser Studie berichtet Isabel Sievers. Als Gründe werden u. a. fehlende systematische Integrationspolitik, Verkennung der Stärke der Transmigranten (Qualifikation/Mehrsprachigkeit), mangelnde Berufsperspektiven und fehlende gesellschaftliche Anerkennung genannt. Zudem spielen für die Transmigranten Staatsgrenzen immer weniger eine Rolle, maßgebend sind die Lebensentwürfe. Eine ähnliche These vertritt auch Sassen in diesem Buch. Ohne Unterstützung aller Mitglieder der AG Interpäd und ohne intensive Mitarbeit von Frau Isabel Sievers und des Kollegen Harry Noormann wäre eine Fertigstellung dieses Buches gar nicht möglich gewesen. Ebenso wertvoll war die Unterstützung meiner Frau, Nana Klingenberg-Datta. Technisch hat mir Doktorandin Frau Mareike Dennies geholfen. Allen, natürlich auch den Autorinnen und Autoren, bin ich mit großem Dank verbunden. Hannover, im Mai 2010, Asit Datta Literatur Beder, Sharon (2006): Free Market Missionaries. London. Flechtheim, Ossip K. (1972): Futurologie. Frankfurt a. M. Huxley, Aldous (1932/2004)): Brave New World. London. Jungk, Robert/Müllert, Norbert R. (1989): Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. Müchen. Kreibich, Rolf (2010): Was hält die Gesellschaft in Zukunft (noch) zusammen? IZT-Arbeitbericht 35/2010. Berlin. Nuscheler, Franz (2010): "Migration als Chance begreifen", in: Migration als Chance, VENRO-Papier. Bonn, 4. Orwell, George (1948/o. J.): 1984. London. Orwell, George (1945/o. J.): Animal Farm. London. Sassen, Saskia (1996): Migranten, Siedler, Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europa. Frankfurt a. M. Stiglitz, Joseph (2009): "Das Geheimnis der unsichtbaren Hand", in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 31.12.2009/1.1.2010. Stiglitz, Joseph (2010): "Geld wurde Maßstab für richtig und falsch", in: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) vom 21.4.2010. Stiglitz, Joseph (2010): Im freien Fall. Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft. München. UNDP (Hrsg.) (2004): Bericht über die menschliche Entwicklung. Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt. Bonn. Worldwatch Institute/HBS/Germanwatch (Hrsg.) (2010): Einfach beser leben. Nachhaltigkeit als neuer Lebensstil. München. (o. A.) (2010): "Die Welle nach der Dürre. Diktatur, Armut, Klimawandel: Europa muss mit einem wachsenden Strom von Migranten aus Afrika rechnen", in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 27.1.2010. (o. A.) (2010): "Zahl der Migranten steigt. Jeder fünfte hat ausländische Wurzeln/weniger Chancengleichheit für Zuwanderer, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) vom 27.1.2010.