Der Mensch untersteht als bloßes Naturwesen zunächst ganz und gar der Zeit und ihrer Veränderung, wie ein regelloser Strom fließt ihm das Leben dahin. Sobald es aber irgendwelche Selbständigkeit gewinnt, möchte es der bloßen Zeit überlegen werden, da empfindet es die Bindung an sie als einen Schaden und Schmerz, und da entwickelt es ein Verlangen nach einem dauerhaften Bestehen, ja nach Ewigkeit, wie Plato es in seinem Gastmahl mit glänzenden Farben geschildert hat. So sucht der Einzelne, da er selbst bald vom Schauplatz abtreten muß, irgendwelche Spuren seines Daseins zu hinterlassen, große Könige errichten Denkmäler ihrer Taten und schreiben ihre Namen in Felswände ein. Über die Individuen hinaus aber verlangt der Aufbau der Kultur ein Anhäufen und Aufspeichern der Leistungen, die Gegenwart muß die Vergangenheit festhalten, um selbst weiter bauen zu können; zur Aufgabe wird, einen Grundstock des Lebens aller Veränderung der Umstände und aller Willkür der Individuen entgegenzuhalten. Als unwandelbar verkündete und als unantastbar verehrte Einrichtungen und Sitten beherrschen namentlich die Anfänge der Kultur, besonders wirkt die Religion durch ihre Verknüpfung des Lebens mit einer heiligen Ordnung zur Fernhaltung aller Wandlung als eines schweren Frevels.
Aber auf dem eignen Boden der Zeit kann der Mensch die Macht der Zeit nicht überwinden, ihr Strom unterwühlt und zerstört auch die gewaltigsten und kunstvollsten Werke, er bringt vom großen Ganzen bis in die kleinsten Elemente hinein alles in Fluß; nicht nur die Individuen, sondern ganze Völker und Kulturen versinken, auch die Religionen, die Hüterinnen ewiger Wahrheit, erliegen der Zeit und werden zur Vergangenheit; alles Verlangen nach Ewigkeit wäre müßig und eitel, wenn unser Leben nicht über das sinnliche Dasein hinaus zu einer neuen Ordnung vordringen könnte, die anders zur Frage der Ewigkeit steht. Ein solches Leben kann sich nur der geistigen Arbeit erschließen, zu dieser aber gehört notwendig auch das Denken und die Philosophie; sie scheint besonders berufen, die Dinge unabhängig vom Wandel zur Zeit unter der Form der Ewigkeit (sub specie aeternitatis) zu betrachten.
Die Philosophie der Griechen hat an diese Aufgabe besonderen Eifer gesetzt, sie hat einen energischen Kampf gegen die Flucht der Erscheinungen aufgenommen und dabei einen eigentümlichen Lebenstypus geschaffen. Wohl wird ein Anderswerden der Dinge von ihr in weitem Umfange anerkannt, aber es wird vom Hauptzuge des Denkens zu einer niederen Sphäre herabgesetzt und vom Kern der geistigen Arbeit ferngehalten. Es war nicht bloß das Interesse des Erkennens, das inmitten alles Wandels einen beharrenden Grundstoff oder unveränderliche Elemente suchen hieß, auch das Leben begehrte eines sicheren Haltes, an dem es sich innerlich befestigen könnte; diesen Halt aber glaubte es nicht anders erreichen zu können als in einer Wendung vom unsteten Tun und Treiben des Menschen zum All, dessen Grundbestand als unwandelbar galt; nur im Erfassen und Anschauen seiner Ordnung, der ewigen Zier, schien der Mensch einen merkwürdigen Lebensgehalt, sowie eine Erhebung über die Sorgen und Nöte des Alltags zu finden. Das Wissen erscheint hier als der einzige Weg, das Leben des Menschen ins Ewige zu heben; seine Überlegenheit gegen das Handeln war damit vollauf gesichert. So konnte ein Dichter wie Euripides die Glückseligkeit des Forschers preisen, der das Woher und Wohin der ewigen Natur erkennt, und dem aller Unverstand der Menschen nichts anhaben kann.
Was aber bis dahin ein Verlangen des Einzelnen war, das wird nun durch die Philosophie näher bestimmt und festgelegt; nun gilt es sorgfältig zu ermitteln, was am All als beharrend zu gelten hat. Die Antwort Platos ist dabei am meisten durchgedrungen und hat den tiefsten Einfluß auf die Menschheit geübt. Wenn er in den Begriffen des Denkens das Feste gegenüber der schwankenden Meinung sieht, so bestimmt sich ihm dies Feste näher als die lebendige Gestalt; indem die Gestalten sich zu einem großen Gefüge zusammenschließen, erhebt sich ein Reich von unwandelbarer Wahrheit und Schönheit; dies Reich muß die Welt, die uns umfängt; beherrschen, um seine Selbständigkeit und Reinheit zu wahren, aber es wirkt in sie mit bildender Kraft hinein und gibt ihrem Streben ein festes Ziel wie einen Zug zur Höhe. Die Führung des ganzen Lebens liegt hier bei der Wissenschaft, da sie allein jene Welt der Ewigkeit zu eröffnen und uns gegenwärtig zu halten vermag. – Aristoteles teilt diese Bewegung, auch er sieht in der Denkarbeit das Beharrende, aber er zieht die Form kräftiger in die Welt hinein, und indem er das Gegenstück des Stoffes klar herausarbeitet, gibt er dem Gesamtbild von Welt und Leben eine noch größere Geschlossenheit. Die so auf der Höhe des griechischen Denkens gewonnene Lösung hat das Ganze des Lebens eigentümlich gestaltet und wirkt damit durch die Jahrtausende fort. Das Weltphänomen der Form ist hier in vollem Umfange anerkannt und in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt. Die Welt tritt hier unter die Herrschaft des Gegensatzes von Stoff und Form, diese bildet das schlechthin Unwandelbare, so daß ein Beharrendes suchen nichts anderes als die Formen mit voller Klarheit herausheben heißt, der Stoff dagegen befindet sich in regellosem Fluß, er wird im Lebensprozeß von der Form ergriffen und für ihre Zwecke gestaltet, aber immer wieder entweicht er – innerhalb des irdischen Bereiches – der Bindung, und will er immer von neuem gewonnen sein. So ist die Welt in steter Bewegung begriffen, aber ihr Grundbestand bleibt dabei unverändert, das Beharren bleibt dem Wandel überlegen. Auch wo die Veränderung über das Individuum hinausreicht, wie das sowohl die Geschicke der Völker als die Bewegungen der Himmelskörper vor Augen stellen, da wird keineswegs alles Beharren aufgegeben, sondern es entwickelt sich, wohl im Anschluß an die babylonische Astronomie, die Überzeugung von festen Rhythmen innerhalb der Bewegung: wie Tag und Nacht, wie Sommer und Winter einander in ständiger Wiederkehr folgen, so wirken auch Rhythmen im Ganzen der Welt und bei den Geschicken der Menschen; die Bewegung geht nicht ins Unendliche fort, sondern nur bis zu einem gewissen, nicht zu verschiebenden Punkte, dann lenkt sie wieder zum Ausgang zurück und beginnt einen neuen Umlauf. So ist alles alt und neu zugleich, in unablässigem Auf- und Abwogen, im endlosen Kreislauf der Perioden bleibt das Ganze der Welt unverändert. Solcher Fassung der Wirklichkeit entspricht die Arbeit der Wissenschaft. Sie hat hier nicht sowohl dem Werden der Zusammenhänge nachzugehen, als ihr Gesamtbild aus dem Durcheinander der ersten Eindrücke herauszuheben, den Fluß der Dinge zum Stehen zu bringen; sie ist nicht erzeugender, sondern beschreibender und ordnender Art. Feste Typen zu ergreifen und in einer gewissen Verwandtschaft mit der plastischen Kunst auszubilden, darin hat diese Forschung ihre Stärke; der griechischen Arbeit vornehmlich verdanken wir die Festlegung scharfumrissener Typen des Denkens und Lebens, welche die Menschheit dauernd begleiten.
Das Suchen beharrender Größen reicht vom All auch in den näheren Befund des menschlichen Daseins hinein. Die Art des politischen Lebens scheint hier an erster Stelle durch die Art der Verfassung bestimmt, die Form des Staates erscheint als das, was gegenüber dem Wechsel der Individuen den Zusammenhang des Ganzen wahrt, die Schätzung und vielfache Überschätzung der Verfassungsformen hat sich besonders von hier aus eingebürgert. Dabei entwickelt sich die Neigung, eine Idealform zu entwerfen und sie als bleibende Norm aller Bewegung politischer Verhältnisse vorzuhalten.
Besonders deutlich erscheint jenes Beharrungsstreben in der Gestaltung des Seelenlebens. Ein fester Grundstock des Lebens wird hier vorausgesetzt; seine Entfaltung stellt der Tätigkeit eine bedeutende Aufgabe, aber auch ein festes, unüberschreitbares Ziel; mit seiner Erreichung hört sie auf, ein bloßes Streben zu sein, und verwandelt sich in ein Ruhen bei sich selbst, in ein durch die eigne Betätigung und Darstellung vollbefriedigtes Wirken. Als Beispiel dessen dient namentlich die künstlerische Anschauung, die eine, die Freude enthält, ohne etwas über sich selbst hinaus zu erstreben. Der Gegensatz scheint hier gänzlich überwunden, indem die Tätigkeit in sich selbst ein Beharren aufnimmt. Wenn demnach das Glück hier nicht im Streben, sondern im Besitz gesucht wird, so ist dieser Besitz keine träge Ruhe, sondern eine fortdauernde Tätigkeit. Die Hauptaufgabe ist hier das Leben selbst als volle Entfaltung und kräftiger Zusammenschluß der eignen Natur, es gilt, nach Pindars Worten, zu werden, was man ist. Alle Mannigfaltigkeit im Lebensbereich wird aber in ein festes Verhältnis, sei es der Abstufung, sei es des Gleichgewichts, gebracht. Mit dem allen entsteht ein in sich selbst gefestigtes, bei sich selbst befindliches, bei stetiger Betätigung aller Unruhe und Hast entzogenes Leben.
Daß dies von den Philosophen entworfene Bild den Durchschnitt des griechischen Lebens beherrscht hat, wird heute niemand behaupten, eher hat es sich erst durch den Gegensatz zum Durchschnitt ausgeprägt. Aber im geistigen Leben und in der Arbeit jenes einzigartigen Volkes steht die Philosophie nicht vereinzelt da. Auch die Kunst wie die Literatur zeigt mehr Beharren als das der Neuzeit, bleibende Typen gehen durch lange Jahrhunderte, ohne die Individualität der Schaffenden zu unterdrücken. Auch die technische Arbeit hat mehr Beharren, sie verändert sich in ihren Methoden und Werkzeugen weit weniger, als es namentlich in der...