2.
Von sieben Kindern, welche in dieser Ehe geboren wurden1, erhielten sich nur zwei am Leben, eine Tochter Maria Anna, in der Familie Nannerl genannt, geboren den 30. Juli 17512, und ein Sohn Wolfgang, geboren den 27. Januar 17563.
Die Tochter zeigte ein so entschiedenes Talent zur Musik, daß der Vater früh mit ihr den Unterricht im Klavier begann. Dies machte auf den etwa dreijährigen Knaben einen großen Eindruck, er setzte sich auch aus Klavier und konnte sich dort lange mit dem Zusammensuchen von Terzen unterhalten, welche er unter Freudenbezeugungen über seinen Fund zusammen anschlug; auch behielt er hervortretende Stellen der Musikstücke welche er hörte im Gedächtniß. Im vierten Jahre seines Alters fing sein Vater gleichsam spielend an, ihn einige Menuets und andere Stücke auf dem Klavier zu lehren; eine Sache die dem Lehrer ebenso leicht und angenehm wurde als dem Schüler. Zu einer Menuet brauchte er eine halbe Stunde; zu einem größeren Stück eine Stunde um es zu lernen und es dann mit der vollkommensten Nettigkeit und mit dem festesten Tacte zu spielen. Von nun an machte er solche Fortschritte, daß er in seinem fünften Jahre schon kleine Stücke componirte, die er seinem Vater vorspielte und von diesem zu Papier bringen ließ4. Das Buch, in welches der Vater sowohl die Uebungen als die ersten Compositionen Wolfgangs mit genauer Zeitangabe sorgfältig eintrug, bewahrte seine Schwester als eine theure Reliquie; wohin es nach ihrem Tode gerathen sei, konnte ich nicht in Erfahrung bringen; Nissen hat wenigstens einen Theil derselben abdrucken lassen. Fröhlich, der das Buch selbst zur Einsicht von Mozarts Schwester erhalten hatte, bemerkt mit Recht (A. M. Z. XIX S. 96.), daß diese kleine Arbeiten von einigen Zeilen, wenn sie auch an sich für die Kunst wenig Bedeutung haben, doch bereits die eigenthümliche Richtung Mozarts verrathen, angeregt durch die in den Uebungsstücken ausgesprochene Form, welche er aber schon in diesen ersten Versuchen mit seiner Eigenthümlichkeit gestaltete. Allerdings kann hier von eigentlicher Erfindung noch nicht die Rede sein, allein es spricht sich sehr bestimmt ein Gefühl für das Einfache, Naturgemäße und Wohllautende aus, ohne alle Beimischung von Tändelei und Vergnügen an Fingerkunststückchen, und eine merkwürdige Sicherheit in der Form, sowohl was Melodiebildung als Harmonie und Rhythmisirung angeht. Es läßt sich freilich nicht mit Bestimmtheit sagen, wie weit in dieser Beziehung der Vater beim Aufschreiben hie und da etwa nachgeholfen habe, in jedem Fall aber sprechen sich die charakteristischen Züge Mozarts so früh schon unverkennbar aus.
Die meisten Anecdoten aus den Kinderjahren Mozarts, welche sein wunderbares Genie bezeugen, sind einem Briefe Schachtners entnommen, welchen ich vollständig mittheile, weil man lieber den unmittelbaren Bericht eines Mitlebenden als daraus abgeleitete Erzählungen lesen wird, und die Person des Berichterstatters die beste Gewähr für die Glaubwürdigkeit giebt. Andreas Schachtner war Hoftrompeter, ein Amt das in damaliger Zeit eine höhere musikalische Ausbildung verlangte als heutzutage; er war aber nicht allein ein tüchtiger Musiker, sondern zeichnete steh auch durch litterarische Bildung aus, er machte dichterische Versuche und wir werden ihn später bei deutschen Operntexten für Mozart betheiligt finden. Er verkehrte sehr viel im Mozartschen Hause, und wie warm und treu er an demselben hing bezeugt dieser Brief, welchen er bald nach Mozarts Tode an dessen Schwester schrieb. Die Wärme und Treuherzigkeit, die Unmittelbarkeit der Erinnerungen, welche sich darin ausspricht, kann in jeder Bearbeitung nur verlieren; auch deshalb gebe ich ihn wörtlich5.
»Hochwohledelgeborne gnädige Frau!«
»Deroselben sehr angenehmes Schreiben traff mich nicht in Salzburg, sondern in der Hammerau an, wo ich eben bey meinem Sohne dortigem Mitbeamten beim Obverwesamt auf einen Besuch war; aus meiner sonstigen Willfährigkeit gegen Jedermann, und vorzüglich gegen das Mozartische Haus, können Sie schließen, wie sehr leid mir war, daß ich nicht auf der Stelle ihren Auftrag befriedigen konnte. Zur Sache also! auf Ihre erste Frage was Ihr seel. Hr. Bruder in seiner Kindheit NB. außer seiner Beschäftigung in der Musik für Lieblingsspiele hatte: auf diese Frage ist nichts zu beantworten: denn sobald er mit der Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel als todt6, und selbst die Kindereyen und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant seyn sollten, von der Musik begleitet werden: wenn wir, Er und Ich, Spielzeuge zum Tändeln von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemal derjenige von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen und geigen. Vor dieser Zeit aber, eh er die Musik anfing, war er für jede Kinderey, die mit ein bischen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich ward ihm daher, weil ich, wie Sie wissen, mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte und wenn ich es zuweilen, auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.«
»Zweite Frage, wie er sich als Kind gegen die Großen benahm, wenn sie sein Talent und Kunst in der Musik bewunderten?«
»Wahrhaftig da verrieth er nichts weniger als Stolz oder Ehrsucht7: denn diese hätte er nie besser befriedigen können, als wenn er Leuten die die Musik wenig oder gar nicht verstanden, vorgespielt hätte, aber er wollte nie spielen, außer seine Zuhörer waren große Musikkenner, oder man mußte ihn wenigstens betrügen, und sie dafür ausgeben«
»Dritte Frage, welche wissenschaftliche Beschäftigung liebte er am meisten?«
»Antw. Hierinfalls ließ er sich leiten, es war ihm fast Einerley, was man ihm zu lernen gab, er wollte nur lernen und ließ die Wahl seinem innigst geliebten Papa8, welches Feld er ihm zu bearbeiten auftrug, es schien, als hätte er es verstanden, daß er in der Welt keinen Lehrmeister noch minder Erzieher, wie seinen unvergeßlichen Herrn Vater hätte finden können«A1.
»Vierte Frage, was er für Eigenschaften, Maximen, Tagesordnung, Eigenheiten, Neigung zum Guten und Bösen hatte?«
»Antw. Er war voll Feuer, seine Neigung hieng jedem Gegenstand sehr leicht an; ich denke, daß er im Ermangelungsfalle einer so vortheilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reitz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war.«
»Einige sonderbare Wunderwürdigkeiten von seinem vier- bis fünfjährigen Alter, auf deren Wahrhaftigkeit ich schwören könnte.«
»Einsmal ging ich mit Hrn. Papa nach dem Donnerstagamt zu Ihnen nach Hause, wir trafen den vierjährigen Wolfgangerl in der Beschäftigung mit der Feder an.«
»Papa: was machst du?«
»Wolfg.: ein Concert fürs Clavier, der erste Theil ist bald fertig.«
»Papa: laß sehen.«
»Wolfg.: ist noch nicht fertig.«
»Papa: laß sehen, das muß was sauberes seyn.«
»Der Papa nahm ihms weg, und zeigte mir ein Geschmiere von Noten, die meistentheils über ausgewischte Dintendolken geschrieben waren (NB. der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder aus Unverstand allemal bis auf den Grund des Dintenfasses ein, daher mußte ihm, sobald er damit aufs Papier kam, ein Dintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der flachen Hand darüber hin, und wischte es auseinander, und schrieb wieder darauf fort), wir lachten anfänglich über dieses scheinbare galimathias, aber der Papa fing hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, über die Noten, über die composition an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrachtung an dem Blatte, endlich fielen zwei Thränen, Thränen der Bewunderung und Freude aus seinen Augen. Sehen sie, Hr. Schachtner, sagte er, wie alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande wäre. Der Wolfgangerl fiel ein: Drum ists ein Concert, man muß so lange exercieren bis man es treffen kann, sehen Sie, so muß es gehn. Er spielte, konnte aber auch just soviel herausbringen, daß wir kennen konnten, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begrif, daß Concert spielen und Mirakel wirken einerley sein müsse.«
»Noch Eins.«
»Gnädige Frau! Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen seinem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einsmals, bald nachdem Sie von Wien zurückkamen9, geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben; nach ein oder zween Tagen kam ich wieder ihn zu besuchen, und traf ihn als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt an, sogleich sprach er: Was macht Ihre Buttergeige? geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte er ein bischen nach, und sagte zu mir: Hr. Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte. Ich lachte darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtniß dieses Kindes kannte, bat mich meine Geige zu hohlen, und zu sehen, ob er recht hätte. Ich thats, und...