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E-Book

Mythos Wagner

AutorUdo Bermbach
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783644113312
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Richard Wagner ist ein Mythos, nicht nur der Deutschen. Seit über hundertfünfzig Jahren üben sein Werk und sein Leben eine ungebrochene Faszination auf Kultur, Gesellschaft und sogar Politik aus. Wagners künstlerisch revolutionäres Musiktheater hat die Abgründe der modernen Seele ausgeleuchtet und politische Utopien entworfen, es problematisiert den Kapitalismus und wird immer wieder neu gedeutet. Sein Schöpfer wurde zum Gegenstand völkischer Heroisierung, sagenverliebter Idolatrie und klügster Erörterung. Zugleich schafft es Wagner bis heute in die Boulevardpresse, nämlich durch die Festspiele in Bayreuth und ihren gesellschaftlichen Rummel: Der Mythos lebt. Udo Bermbach, einer der renommiertesten Wagner-Kenner, zieht nun nach jahrzehntelanger Forschung Bilanz. Anhand der Lebensstationen Wagners, seiner Werke und der schillernden Festspielgeschichte zeigt er, wie aus Selbststilisierung, Politik und Kalkül der Mythos entstand: wie der Revolutionär Wagner zum Nationalkünstler avancierte, wie die «Ersatzmonarchie» Bayreuth zur Pilgerstätte deutscher Staatsoberhäupter wurde und warum Wagner nicht ohne sein historisches Umfeld zu begreifen ist. Ein glänzend erzähltes, erhellendes Buch über eine deutsche Legende.

Udo Bermbach, geboren 1938, war Professor für Politische Ideengeschichte an der Universität Hamburg und gilt als einer der versiertesten und originellsten deutschen Wagner-Kenner. Mit seinen Arbeiten zu den Bayreuther Festspielen und der ideologiegeprägten Wagner-Rezeption hat er Maßstäbe gesetzt. Zuletzt veröffentlichte Bermbach, der auch Konzeptdramaturg für die Bayreuther 'Ring'-Inszenierung von Jürgen Flimm war, u. a. 'Blühendes Leid. Musikdramen' und 'Richard Wagner in Deutschland'.

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Leseprobe

Werbung mit Bildern


Wagner als Charismatiker zu bezeichnen mag auf den ersten Blick erstaunen, denn er war nicht von beeindruckender Statur; eher klein von Wuchs, nur eben 1,56 Meter groß, hatte er einen charaktervollen, etwas zu großen Kopf, ein energisches Kinn und einen ausschwingenden Hinterkopf. Auf frühen Bildern wirkt er beinahe schüchtern, zumindest sensibel, und man gewinnt den Eindruck, dass er durch füllige Kleidung seine Erscheinung zu stärken sucht. Von gepflegtem Äußeren, aber als Typus doch sehr durchschnittlich, bietet er sich dem Zuschauer ohne imperatorisches Sich-ins-Bild-Setzen dar, zurückgenommen und von unsicherem, zweifelndem Blick. Schon in jungen Jahren sieht man die Ansätze zu jenem unter dem Kinn verlaufenden Backenbart, der später zu einem seiner äußerlichen Markenzeichen werden sollte.

Fast ein privates Porträt: Richard Wagner auf einer Daguerrotypie nach einer Zeichnung von Ernst Benedikt Kietz, 1850.

© Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

Wagner auf einem Aquarell von Clementine Stockar-Escher, noch nicht in Künstlerpose. Zürich, 1853.

© Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

Die frühen Bilder wirken, obgleich sie natürlich gestellt sind, auf den unbefangenen Zuschauer eher spontan, zufällig aufgenommen, ohne die Absicht einer demonstrativen Selbstrepräsentation, auch wenn diese durchaus schon anklingt – und wenn die Porträts bereits zum Zweck der Eigenwerbung angefertigt wurden. Denn Wagner ließ seine Porträts in der Absicht herstellen, sie zu verbreiten und so sich selbst in ein günstiges Licht zu setzen. Dabei war er keineswegs der Erste, der diese Strategie zu eigenen Gunsten verfolgte; schon Mozart und Beethoven hatten ihre Bilder zu solchen Zwecken anfertigen und verbreiten lassen, und zu Wagners Lebenszeit, der Zeit der industriellen Revolution und der rapiden Entwicklung auch maschineller Reproduktionstechniken wie der Fotografie, bot es sich an, sein Bild zu Werbezwecken für die eigene Person und vor allem für das eigene Werk gezielt einzusetzen.

Das scheinbare Fehlen demonstrativer Selbstrepräsentation, das die ersten Bilder noch ausstrahlten, ändert sich freilich im Lauf der Jahre. In dem Maße, wie Wagner bekannt wurde, wie sein Ruhm als Komponist zunahm, seine Werke heftig umstritten und ebenso heftig verteidigt und bejubelt wurden, dienten seine Porträts mehr und mehr auch der Werbung in eigener Sache. Das schlägt sich in seinen Porträts selbst nieder. Die Bilder aus reiferen Lebensjahren zeichnen den Komponisten in die Richtung des Exzeptionellen, suchen ihn in seiner Einzigartigkeit einzufangen. Da wird – wie auf einer Pariser Fotografie vom März 1860 – der Kopf leicht zur Seite gedreht, was ein markantes Profil ergibt, wird der Umhang in weiten Falten um den Körper drapiert, um eine gut proportionierte und gewichtige Person vorzustellen. Der Blick geht in die Ferne, als zeichne sich dort eine große Vision ab, er geht weg vom Betrachter in Sphären, die scheinbar nur dem Künstler erreichbar sind. Der Gesichtsausdruck ist ernst und gefasst, Entschlossenheit steht Wagner ins Gesicht geschrieben. Da präsentiert sich einer, der für die eigene Utopie des Gesamtkunstwerks einsteht, entschieden seine Ideale im Blick hat und dem vielgehassten Opernbetrieb seiner Zeit als «Unterhaltung der Gelangweilten» ein Ende bereiten will.

Sich mit visionärem Blick ins Bild setzend: der Komponist auf einer Pariser Fotografie, 1860.

© Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

Die Art, wie Wagner in seinen ersten Bildern – auch in den meisten der späteren Porträts – aufgenommen ist, entspricht einer damals weitverbreiteten Typisierung. Wagner erscheint in «napoleonischer Pose»[12], in der er sich immer wieder fotografieren – und auch malen – ließ und die das Moment des «Herrschers» einfangen sollte, zugleich ein Moment des Genialen, das ihn aus aller Durchschnittlichkeit heraushebt. Gleichwohl ist es eine ritualisierte Haltung, der eine gewisse Starrheit innewohnte, die nur schwer den individuellen Eigenschaften des Porträtierten gerecht werden konnte.[13] So gängig eine solche Geste damals war, sosehr sie auch der Intention Wagners entsprechen mochte – er selbst war zumeist damit unzufrieden und merkte 1858 in einem Brief an einen Freund an: «Noch nie ist eine Photographie von mir gelungen (…). Ich bin zu wechselnd in meinem Ausdrucke, und unter den Vorbereitungen und in der zwangvollen Haltung entgeht mir immer der günstigste Ausdrucksmoment.» Was ihn allerdings nicht daran hinderte, sich immer wieder in ebendieser Pose fotografieren zu lassen. Auf vielen seiner zahlreichen Reisen ging er in jenen Städten, in denen er sich länger aufhielt, zum Fotografen, ließ sich dessen Porträtfotos vorlegen, dann sich selbst fotografieren, um seine Fotos sowohl in den Fenstern des Ateliers ausgestellt zu sehen wie deren Abzüge großzügig an Freunde und Musikerkollegen zu verteilen – gezielt warb er so für sich und seine Werke.

Wie kalkuliert Wagner seine eigenen Fotos und Bilder verbreitete und sich auf seinen Porträts selbst stilisierte, zeigt ein am 9. Mai 1872 in Wien aufgenommenes, in den folgenden Jahren weitgestreutes Bild von ihm und Cosima. Es ist eine durch und durch kühl komponierte Fotografie, die Momente der Bewunderung und Verklärung festhält und damit visuell dem Prozess der Mythisierung des «Meisters» dient. Cosima sitzt, weil sie ihren Gatten sonst fast um Haupteslänge überragen würde, sie blickt bewundernd zu ihm auf, streckt ihm die Hand entgegen, die er mit seiner von oben kommenden linken Hand fest umschließt. Das Verhältnis der beiden drückt Zusammengehörigkeit und Abhängigkeit gleichermaßen aus. Der breit aufgefächerte Rock Cosimas signalisiert sowohl Eleganz als auch Bodenständigkeit, was beides durch das Sitzen noch unterstrichen wird; Wagners rechte Hand zur Sessellehne schafft die Verbindung seiner Person zu der Cosimas, zu ihrer «Erdung», aber zugleich setzt der Schwung seines Körpers, unterstrichen durch das helle Hemd und die helle Hose, der sich der fließende Überrock anschmiegt, einen deutlichen Gegenakzent. Ein insgesamt geglücktes Arrangement, dessen ästhetische Stilisierung seine Wirkung bis heute nicht verfehlt und die Selbsteinschätzung als Hohes Paar sinnfällig macht. Noch am Abend vor seinem Tod, am 12. Februar 1883, hatte Wagner zu Cosima bemerkt: «Alle 5000 Jahre glückt es», und – wie Cosima hinzufügte – er «umarmte mich lange und zärtlich».

Auf den im Dezember 1871 in München aufgenommenen Fotos sitzt Wagner wiederum in der beliebten Napoleon-Haltung: den Kopf nach links gedreht, im scharfgeschnittenen Profil, mit Barett und Samtjacke, seinem künstlerischen «outfit», das energische Kinn in die Höhe gereckt, die Augen nach vorn gerichtet. Hier zeigt sich, dass die Porträts von ihm, sofern sie für die Öffentlichkeit bestimmt sind, in seinen späteren Lebensjahren einem festen ikonographischen Muster folgen, das bereits mit der Pariser Fotografie vom März 1860 festgelegt worden ist: Der «Meister» tritt dem Zuschauer als Künstler entgegen, sein Blick ist in die Ferne und damit in die Zukunft gerichtet. Diese Pose suggeriert, dass Wagners Werke die ihnen einkomponierte Wirkung erst noch voll entfalten werden, dass sie auf lange Zeiten berechnet sind, nicht gedacht für schnellen Konsum und raschen Verbrauch. Vollends imperatorisch erscheint der Komponist auf dem zweiten Bild, bei dem der übergelegte Pelz die Assoziation zu einem königlichen Hermelin nicht zufällig hervorruft. Da ist einer zu sehen, dessen überragende Bedeutung außer Zweifel steht, für ihn selbst wie für den Betrachter.

Ein Hohes Paar, raffiniert inszeniert – Richard und Cosima, 1872.

© akg-images

Man sieht: Die zu Wagners Lebzeiten entwickelte Technik der Fotografie wurde von ihm durchaus schon gezielt eingesetzt, um den eigenen Interessen zu dienen. Sie war eines der Mittel, die den Mythos Wagner mit aufbauen halfen, nicht das einzige, aber ein wirksames, eines, das mithelfen sollte, das große Ziel, Wagner und sein Bayreuth zu einer nationalen Sache zu machen, zu erreichen. Die Bilder wurden gestreut, persönlich verteilt, aber auch über seinen Verlag Breitkopf & Härtel der interessierten Öffentlichkeit angeboten und zugänglich gemacht. Während der Jahre seines Schweizer Exils dienten sie dazu, Wagner als Komponisten und Denker, der die deutschen Länder nicht betreten durfte, im öffentlichen Bewusstsein der Deutschen präsent zu halten.

Ein deutscher Meister, fast wie von Holbein gemalt. Richard Wagner, 1871.

© akg-images

Hier fand der Mythos sein ikonisches Bild. Fotografie von 1871.

© akg-images

Wie nachhaltig mit solchen offiziellen Bildern die eigenen kunst- und kulturpolitischen Ziele verfolgt wurden, wird deutlich, wenn man sie mit einer Zeichnung des englischen Malers Henry Holiday vergleicht. Holiday durfte Wagner auf Proben in London skizzieren, und er erfasste dabei einen «konzentrierten» Künstler in einem «sehr innigen Moment».[14] Da fehlt jede berechnende Pose, fehlt die Absicht, öffentlich zu wirken; Wagner schaut nachdenklich, fast in sich versunken vor sich hin, kein Bildarrangement wertet ihn repräsentativ auf. Der Maler zeigt ihn in seiner ganzen, fast zerbrechlichen...

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