Die Stadt Hilo und ihre Umgebung. – 20 Fuß Regen im Jahr. – Der große Lavastrom dicht vor Hilo. – Die Beschwörung der Prinzessin Ruth. – In Keauhou. – Ein Ritt über ein Lavafeld. – Ein tropischer Regensturm. – Der Yankee-Agent in seinem Heim. – Im Karren nach dem Vulkan.– Ohiabäume und Pulu-Farne. – Ankunft im Volcano-House. – Erster Blick in den Krater des Kilauéa.
Hilo, 192 engl. Meilen (309 km) von Honolulu, ist der zweitgrößte Ort auf den Sandwichinseln, hat aber mehr das Aussehen eines großen Dorfes als das einer Stadt. Mit dem in seiner Nähe liegenden gleichnamigen Zuckerdistrikte hatte der Platz bei der letzten Volkszählung (27. Dezbr. 1884) 7988 Bewohner, von denen die Landbevölkerung aber weitaus die Mehrzahl bildet. Landungsbrücken oder irgend welche Bequemlichkeit und Sicherheit für die Schifffahrt giebt es in Hilo nicht; doch könnte die Bucht durch das Fortsprengen eines Korallenriffs, das bei schwerer See eine mächtige Brandung verursacht, leicht in einen guten Hafen umgewandelt werden. Da Hilo auf der am weitesten gegen Osten vorgeschobenen Hauptinsel des hawaiischen Königreichs liegt, und die Entfernung nach San Francisco von dort 150 Seemeilen geringer ist, als von Honolulu, so ist Aussicht vorhanden, daß sich jene Stadt einst zu einem ansehnlichen Hafenplatz emporschwingen wird, zumal sich viele große Zuckerpflanzungen in der unmittelbaren Nähe des Ortes befinden. Bis jetzt werden alle Landeserzeugnisse über Honolulu nach auswärts verschifft, und es nehmen sowohl die Wareneinfuhr als der Personenverkehr denselben Weg. Eine Dampfschiffslinie zwischen Hilo und San Francisco wurde bereits geplant; aber mit der Ausführung eines solchen Unternehmens hat es vorläufig gute Wege, da für die Verbesserung des Hafens noch gar nichts gethan ist.
Die Lage und die Umgebung von Hilo sind echt tropisch. Palmen und Brotfruchtbäume stehn vor jeder Thür der hölzernen Häuser, die sich in einem Halbkreise an das Ufer lehnen. Die tropischen Waldungen in der unmittelbaren Nähe des Ortes, die großen Zuckerpflanzungen, der prächtige »Regenbogen«-Wasserfall, die Kokosinsel, die Aussicht auf die felsige Küste und das blaue Meer, die mächtigen Lavafelder u.s.w. gewähren dem Fremden eine Fülle von neuen Eindrücken. Er braucht auch gar nicht, wie die Eingeborenen es zu thun pflegen, dort die halbe Zeit zu verschlafen, – wenn nur nicht der für einen civilisierten Menschen kaum zu ertragende ewige Regen da wäre! Der Regenfall sollte dort nach Fuß, nicht nach Zoll berechnet werden. Vom 1. Januar bis zum 1. November 1887 fiel in Hilo z.B. 14 Fuß Regen! und da die Monate November und Dezember die regnerischsten Monate im Jahre sind, so wird das Jahr 1887 ohne Zweifel die Durchschnittsziffer von 20 Fuß Regen erreicht haben. Infolge des fast unaufhörlichen Regens ist der Pflanzenwuchs im Hilo-Distrikt außerordentlich üppig, und es mag wenige Gegenden auf der Erde geben, wo sich jener so dicht zeigt wie hier. Wer sich zu Pferde ins Innere der Insel begeben will, der kann nur auf Saumpfaden fortkommen, selbst nicht über die Ebenen, die von dem mannshohen sogenannten Hilo-Gras so dicht überwuchert sind, daß kein Pferd hindurchschreiten kann.
Als ich bei Tagesanbruch aufstand, um Hilo vom Verdeck des Dampfers zu betrachten, goß es dermaßen vom Himmel herab, daß ich nur einige Kokospalmen und wenige Häuser am Ufer zu erkennen vermochte. Den Riesenvulkan Mauna Loa hatte ich bis jetzt noch gar nicht gesehn. Derselbe steht, obgleich er 30 engl. Meilen (48 km) landeinwärts liegt, mit Hilo in unmittelbarer Verbindung, weil mehrere seiner gewaltigsten Lavaströme die Richtung nach dieser Stadt nahmen und ihr sehr nahe kamen. Der Ausbruch, welcher unter allen, die sich bis jetzt ereigneten, für Hilo weitaus der gefährlichste war, fand im Jahre 1880 statt, als ein neun Monate lang ununterbrochen fortfließender, fast 50 engl. Meilen (80 km) langer Lavastrom jenen Platz beinahe erreichte.
Langsam wälzte sich die ungeheure Glutmasse vom Mauna Loa herab, gerade auf Hilo zu. Es war ein feuriges Ungeheuer, das mit einem wahren Schneckengang vom Berge herunterkroch. Ohne sich zu übereilen, gleichsam Schritt vor Schritt, drang der gewaltige Feuerstrom vorwärts. Er füllte Thäler und Flußläufe aus, zerstörte die auf seinem Pfade liegenden Urwälder, die spurlos in ihm verschwanden, und überschüttete das Land weit und breit mit schwarzen Steintrümmern und Lavaschollen. Ungefährdet konnte man an seinem Ufer stehn, oder vor ihm herspazieren und einen Stock in die dicke glühende Masse hineinstecken; seine Oberfläche erkaltete so rasch, daß man schon nach einem Tage über sie hinwegzuschreiten vermochte. Aber der Kopf des höllischen Ungeheuers schob sich viele Monate lang unausgesetzt weiter vorwärts, als wäre dieses darauf erpicht, Hilo zu erreichen.
Sämtliche erwachsene Bewohner des Hilo-Distrikts waren mit Hacken, Schaufeln und eisernen Brech- und Hebestangen dem nahenden Verderben mehrere Meilen entgegengerückt und errichteten, schräge gegen den Lavastrom, einen langen und hohen mächtigen Steinwall, um die lebendige Glutmasse womöglich seitwärts von der Stadt in das Meer zu leiten. Alles umsonst! Die Lava kümmerte sich nicht im geringsten um den großen Steinwall, sondern sie spazierte, ohne von ihrer Richtung abzuweichen, darüber hinweg, gerade auf Hilo los. Da erschien als Retterin in der Not die Prinzessin Ruth aus Honolulu. Die volle 300 Pfund wiegende Schwester Kamehamehas V. opferte der Göttin Pele mit einer grausigen Beschwörung ein lebendiges schwarzes junges Schwein, einen lebendigen schneeweißen Hahn und ein rotes baumwollenes Taschentuch, welche Opferstücke sie eigenhändig in den Lavastrom warf – und siehe da! dieser gelangte, nur 300 Schritt von den Thoren Hilos, plötzlich zum Stillstand. Die Stadt, aus welcher bereits alle Einwohner geflüchtet waren, wurde auf diese Weise vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt. Daß die seitdem selig entschlafene Ruth als Schutzheilige von Hilo gilt, ist nach jenem offenbaren Wunder gewiß ganz in der Ordnung.
Nachdem der Kinau die letzten Japaner und deren wunderbares Gepäck endlich in Böten glücklich an das Land befördert hatte, verstummte der Aufruhr im Schiff; nur der Regen prasselte nach wie vor auf das Verdeck. Froh war ich, als der Dampfer den Anker aufhißte und seine Weiterreise nach dem Landungsplatze Keauhou antrat, der 60 engl. Meilen (96 km) von Hilo an der Südostseite der Insel Hawaii liegt. Mit Ausnahme einiger hübschen Wäldchen von Kokospalmen war während der Fahrt dorthin am Ufer nichts Bemerkenswertes zu sehn. Um acht Uhr morgens hielten wir in geringer Entfernung vom Strande vor Keauhou (250 engl. Meilen == 402 km von Honolulu), wo wir vier Vulkanreisenden nebst einem uns als Diener begleitenden Kanaken in Böten bei einem bis an das Meer reichenden alten Lavafelde an das einsame Ufer gesetzt wurden. Der Kinau fuhr bald darauf nach Hilo zurück, von wo er in zwei Tagen wiederkommen und uns zur Weiterfahrt abholen sollte.
Der Regen hatte zeitweilig aufgehört, so daß wir mit trockener Haut über das zerrissene Lavafeld nach dem einzelnen Hause gelangten, welches den lediglich für die Bequemlichkeit der Vulkanreisenden eingerichteten Landungsplatz Keauhou bildet. Im Stationshause waren nur einige Kanakamädchen anwesend. Der Agent der Dampfschiffsgesellschaft, ein Yankee aus Neu-England, dessen Familie im Halbweghaus zwischen Keauhou und dem Vulkan wohnte, kam bald darauf im Galopp vom Gebirge herunter und quer über die Lavafelder nach der Station gesprengt. Er hatte auf der Höhe, wo er einige dort umherirrende Ponies einfangen wollte, unseren Dampfer kommen sehn und empfing uns herzlich. Vorerst mußten Reitpferde herbeigeschafft werden, weil man auf unsere Ankunft nicht vorbereitet war. Eine Kanakadirne schwang sich auf einen ungesattelten Pony, der giftig hinten und vorne ausschlug, und jagte über die rauhen Lavaschollen in die Wildnis hinaus, um Reitpferde zu holen. Bis diese anlangten und während ein einfaches Mal zubereitet wurde, erzählte unser Wirt uns von Erdbeben und Lavaausbrüchen, von seiner Vergangenheit und von seinem Thun und Treiben in dieser einsamen Gegend. Jahrelang hatte er als »cowboy« in Colorado und Arizona gelebt. Hier gefiel es ihm ganz gut. Schlecht zu sprechen war er eigentlich nur auf die vielen Haifische, die sich in der Nähe des Landungsplatzes in der See herumtrieben. Das Baden wäre ihm ganz verleidet worden, seit ein gefräßiger Hai dort vor kurzem einem Kanaken beide Hände und eine Ferse abgebissen hätte. Zu sehen gab es nicht viel in Keauhou. Wir betrachteten das große schwarze Lavafeld und das steile Gebirge, welches wir erklimmen sollten, nahmen einen Imbis ein und waren froh, als das Kanakamädchen eine Schar Ponies herbeitrieb, das Gepäck auf dem Rücken der Tiere mit Stricken festgeschnallt war und wir die Weiterreise antreten konnten.
Es war Mittag geworden, ehe unsere kleine Schar, die aus zwei Amerikanerinnen, einem jungen Amerikaner, einem Kanaken vom Kinau, der uns hilfreiche Hand leisten sollte, dem Agenten und mir – also aus sechs Personen – bestand, endlich im Sattel saß, die Damen, trotz ihres Widerspruchs, auf Herrensätteln, und Reiter und Reiterinnen sich in aufgelöster Reihe vom Stationshause über das entsetzlich rauhe Lavafeld auf dem Saumpfad nach dem Gebirge in Bewegung setzten. Die Packtiere sollten später unter der Obhut eines in der Station beschäftigten Kanaken auf einem kürzeren, aber noch schwierigeren Wege nach dem...