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Lebenssätze

AutorSusanne Breit-Keßler
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451346552
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Sich schön machen und richtig streiten, Scheitern gemeinsam bewältigen und verliebt feiern - was hat das mit den 10 Geboten zu tun? Eine ganze Menge: Das 6. Gebot ('Du sollst nicht ehebrechen') ermuntert dazu, am Anfang einer Liebe und nach vielen Jahren Ehe füreinander begehrenswert zu bleiben. So bleibt die Ehe lebenslang ein sicherer Hafen. Auch die anderen Gebote sind keine schlichten Moralpredigten, sondern verführerische Lebenssätze für den Alltag.

Susanne Breit-Keßler, geb. 1954, ist seit 2001 Regionalbischöfin und Oberkirchenrätin im Kirchenkreis München. Die ausgebildete Journalistin und Publizistin ist bekannt als Rundfunkpredigerin, Autorin und Kolumnistin für 'chrismon'.

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Leseprobe

Das erste Gebot


Ich bin der Herr, dein Gott,

der dich aus der Knechtschaft

geführt hat. Du sollst nicht

andere Götter haben neben mir.

Ich bin


Ich bin – mit diesen zwei kleinen Worten eröffnet Gott die Liste der Zehn Gebote. Bevor er Räume zum Leben eröffnet und die Weite des Daseinshorizonts abschreitet, sagt er, wer er ist. Ich bin, das ist eine Aussage über die eigene Identität.

Wer bin ich? Ich kenne meinen Namen, weiß, was mich bisher geprägt hat: Uneheliche Geburt, der Pfarrer, der mir die Taufe verweigert, weil ich »Kind der Sünde« bin. Meine Mutter, die wie eine Löwin für ihre Tochter und ihr Recht auf die Sakramente kämpft.

Sie findet einen Vikar, der mich im Wohnzimmer tauft. Ich bin ein Kind Gottes, sagt er liebevoll. Der Pfarrer dagegen muss bald darauf gehen, weil er kleine Mädchen, nackt unter Baströckchen, durch ein Flüsschen waten lässt. Röckchen in die Höhe.

Ich erlebe eine Kindheit in einfachen Verhältnissen. Der geliebte Vater ist bald schwer krank, die Mutter pflegt ihn liebevoll. Es riecht nach Äther im »Taufzimmer«. Wunden müssen verarztet werden. Ich spiele neben Medikamenten.

Ich bin: Ein kleines Mädchen, das neugierig ist auf die Welt und von seinen Eltern schon bald freigelassen wird. Suche du dir deinen Weg!, heißt es. Ich gehe als Erstes in den Kindergottesdienst, weil es dort aufregende Geschichten zu hören gibt. Und die Gebote!

»Ich bin!«, sagt Gott. Er verbindet seine Aussage mit der ersten Erinnerung, die das Volk an ihn hat. Gott ist der, der ein Ende macht mit aller Sklaverei und in die Freiheit führt. Wer sich ihm anvertraut, spürt frischen Wind um die Nase.

»Ich bin« – seit wann kann ich das sagen? Meine erste Erinnerung ist die an den irdischen Vater. Er darf nur zu Besuch kommen, denn unverheiratete Paare können zu jener Zeit nicht zusammenleben. Ich stehe im Gitterbett und warte, dass er kommt.

Endlich ist er da. Jetzt will ich auch essen, kann schlafen. Am nächsten Morgen, als ich aufwache, ist er wieder weg. Meine Mutter verheißt seine Wiederkehr. Ich warte wieder. Und er kommt. Verlässlich, jeden Tag. Bis er zu uns ziehen kann, weil er Hilfe braucht.

»Ich bin derjenige«, sagt Gott, »der dir Leben möglich macht. Lass andere sagen, was sie wollen. Kümmere dich nicht um ihre verlogene, selbstgerechte Moral. Du bist mein geliebtes Kind, meine geliebte Tochter. Ich bin dein Vater. Du sollst leben!«

Wunderbare Unvollkommenheit


Gott sagt, wer er ist. Er erinnert an die ersten gemeinsamen Erfahrungen. Gott wünscht sich Treue – und er will uns nicht teilen. Das erinnert natürlich an die Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich lieben. Ich will meinen Mann keinesfalls teilen – er mich auch nicht. Trotzdem spreche ich jetzt nicht von der Treue in einer Partnerschaft, sondern davon, dass dieser eine Gott ganz klar entlasten will.

Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Manchmal sagt mein Mann zu mir lächelnd »meine Göttin« – und ich weiß, dass er das mit zärtlicher Ironie sagt. Er kennt meine Schwächen viel zu genau. Würde er es ernst meinen, wäre das ein Problem. Ich bin der Herr, dein Gott: Lass dich nicht dazu verführen, deinen Mann, deine Frau in den Himmel zu heben und alles von ihm, von ihr zu erwarten.

Der Partner, die Partnerin – sie sind nicht Gott, nicht vollkommen. Sie sind nicht dazu da, einen zu erlösen von allen Übeln. Wer an Gott glaubt und sich von ihm Zuwendung erhofft, kann seinen Mann, seine Frau entlasten vom Terror der totalen Verantwortung für das ganze eigene und gemeinsame Leben. Die Endlichkeit zeigt sich auch im begrenzten Glück. Wir müssen und dürfen uns einüben in die Freude am halb Gelungenen.

Mein Mann hat Pfannkuchen gemacht und die Küche nicht aufgeräumt? Jetzt kommt Arbeit auf mich zu – aber seine braunen Augen haben so unfassbar geleuchtet, dass ich einfach nichts sagen kann und stillschweigend-verliebt alles sauber mache. Umgekehrt legt er nur leise knurrend die weißen Handtücher ins oberste Fach des Kleiderschrankes und die bunten ins Bad, weil ich es gerne so habe. Einfach so. Ohne Grund.

Ich liebe meinen Mann. Er ist mein gleichberechtigter Partner. Gott ist für mich alleiniger Herr meines Lebens. Das erspart uns »Irdischen« Allmachtsfantasien und Überforderung. Wir können uns nicht wechselseitig die Seligkeit garantieren – höchstens für eine wunderbar begrenzte Zeit. Wir sind ganzer und wahrer Mensch – in charmanter und hinreißender, manchmal nervenaufreibender Unvollkommenheit. Das macht dieses gemeinsame Leben so abwechslungsreich …

Aufbrüche


Glaube ist Beziehung, ist Leben in der Gegenwart mit ganz unterschiedlichen Erinnerungen an Vergangenheit und wagemutige, manchmal nur zaghafte Hoffnung auf Zukunft. Ich erinnere mich daran, dass Gott von Anfang an zu meinem Leben gehört hat – mal näher und mal sehr fern.

Mein Glaube: Ich denke an verschiedene Aufbrüche, Formen des Exodus, die ich durchgemacht habe: Auszug aus meinem kindlichen Zuhause, der Tod der Eltern, Krankheit, Verlust und die Trennung von Menschen, die ich lieb gehabt habe, Um- und Ausbrüche aus dem Gewohnten.

Es war mir möglich, mich auf den Weg zu machen, erwachsen zu werden, Verantwortung für mich und andere zu übernehmen, Vertrauen zu lernen, phasenweise zu verlieren und neu zu lernen. Exodus, Auszug aus Knechtschaft, neuer Aufbruch meint nicht eine immerwährende und zu bekämpfende Tretmühle.

Exodus ist sozusagen das Grund- oder Eckdatum unserer Existenz: Unser Gott hat von Anfang an klargemacht, dass er Freiheit für seine Geschöpfe will, nicht Unterwerfung. Er ist nicht kühl und unnahbar auf einem jenseitigen Thron hocken geblieben. Er hat sich in Bewegung gesetzt und ist Mensch geworden.

Ich bin der Herr, dein Gott. Neben ihm, dem Baby der Weihnachtsgeschichte, dem eigensinnigen Kämpfer für individuelles Leben, dem Mann am Kreuz, sollen wir keine anderen Götter haben. Das ist doch mal ein Herrschaftsanspruch: ein menschlicher Gott mit Kinderaugen, revolutionärer Seele und geschundenem Leib …

Aufbruch, Exodus zusammen mit ihm bedeutet: Wir kommen nicht immer im Gelobten Land an, in dem Milch und Honig fließen. Aber wir gewinnen, klein und schwach, groß und stark oder umgekehrt ordentlich Boden unter den Füßen, entdecken Raum zur Entfaltung und Entwicklung.

Schreck lass nach!


Aus der Knechtschaft geführt werden – das ruft nicht nur Jubelstürme in mir hervor. Denn irgendwie ist es doch auch ganz nett, sich in gewohnter Umgebung, in alten, vertrauten Verhaltensweisen einzurichten, nichts Neues mehr zu probieren. Gemütlich, immer das Gleiche zu essen, zu trinken, zu sagen, zu denken. Nichts Überraschendes mehr tun – das erspart mir Anstrengung und Mühe.

Diese Form von Knechtschaft hat auch gute Seiten: Gewöhnung, beruhigender Trott. Ich erspare mir Angst vor dem Aufbruch, muss mich nicht verblüffen lassen, neu sortieren und orientieren, bin nicht beunruhigt. Wenn sich zwei Menschen begegnen und beide sagen: »Alles beim Alten!«, dann sind sie meist zufrieden. Es ist nichts weiter passiert. Gut so!

Bloß – wenn man für immer dabei stehen bleibt, immer die ewige Wiederkehr des Gleichen begeht und womöglich auch noch feiert, dann wäre es so, als ob man sich zum Sklaven, zur Gefangenen des eigenen Lebens macht. Dann gönnt man sich keine Exkursionen ins Dasein, in die Wildnis der Gefühle, das schöpferische Chaos der Gedanken, die wilde Lust am Handeln. Wirklich: Es ist aufregender und schöner, neugierig zu sein.

Ich treffe Menschen im Rentenalter, die keinen Sinn für Bastelkreise und Diavorträge haben, dafür Computerkurse belegen und wie die Weltmeister durchs Internet surfen. Ein Freund von mir, der durch einen Motorradunfall jedes Gefühl und alle Kraft im rechten Arm verloren hat, macht einen Tauchkurs, um sich und die Welt neu zu spüren. Eine Witwe, der der Tod ihres Mannes schier das Herz gebrochen hat, fasst sich wieder eines und reist allein in den Urlaub, besucht Freunde, gibt Einladungen. Ein junger Mann, den ich im Gefängnis kennenlerne, nimmt widerstrebend an der Arbeitstherapie teil. Zum ersten Mal begreift er, was Pflichten und Termine sind – und freut sich wie ein Schneekönig, als sein hölzerner Nähkorb schnell verkauft und ständig nachbestellt wird.

Exodus, Aufbrüche: Es ist tatsächlich richtig Arbeit, etwas Neues anzufangen. Es braucht Mut, sich in unbekannte Gefilde zu wagen. Aber ist es nicht verlockend, dem Ruf desjenigen zu folgen, der sagt: Ich habe dich aus der Knechtschaft geführt – und wann immer du in eine neue gerätst, ich hol’ dich da wieder ’raus? Trau dich, komm … Geh auf neuen Wegen! Du kannst das!

Der ich bin


Auch das Miteinander lebt wie die Liebe von Erfahrungen, dass der andere anders ist und bleibt, einem manchmal fremd vorkommt. Deswegen kann es gelegentlich ziemlich unharmonisch zugehen, ein andermal leidenschaftlich und begeistert im besten Sinn. Den anderen sein, leben zu lassen, ohne ihn sein zu lassen, das ist neben der Ehre Gottes Mittelpunkt der Zehn Gebote.

Das hat natürlich seine problematischen Seiten. Zum Beispiel, wenn dieser oder diese andere das eigene Sein absolut setzt. Daneben ist kein Platz mehr. »Ich bin nun mal so, damit musst du dich abfinden«, sagt ein Mann zu seiner Frau. »Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen.« Oder sie sagt schnippisch zur kranken Kollegin: »Ist mir egal, wie viel...

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