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Medientheoretische Grundlagen der Medienkompetenz. Theoretische Perspektiven einer ideologiekritischen Medienbildung

Theoretische Perspektiven einer ideologiekritischen Medienbildung

AutorJanis Just
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl85 Seiten
ISBN9783640368341
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main, Sprache: Deutsch, Abstract: Medial vermittelte Lernprozesse werden zunehmend Teil der Grundsozialisation eines jeden Menschen und es lassen sich Erziehungs- bzw. Sozialisationsprozesse immer weniger ohne Bezug zu Medien denken. Weniger soll es hier jedoch um die praktische Handlungsorientierung medienpädagogischer Arbeitsfelder gehen, sondern vielmehr um eine theoretische Reflexion oftmals unhinterfragter vermeintlicher Gewissheiten. Soziale Arbeit, verstanden als ausführender Arm staatlich gelenkter Interessensdurchsetzung, wird an der angestrebten Professionalisierung scheitern, wenn sie nicht durch Selbstbewusstsein zu sich findet und eigene Wege nicht nur erkennt und aufzeigt, sondern auch selbstreferentiell daran arbeitet und somit eigene Theoriebildung vorantreibt. Für den Bereich der Medienpädagogik oder der Medienbildung bedeutet dies, keinen Rückschritt hinter technische und zivilisatorische Errungenschaften durch Zensurversuche oder Bewahrpädagogik zu forcieren und auch nicht in der Regression von scheinbar harmonischer Natur und nachbarschaftlicher Gemeinschaft aufzugehen. Mit der von mir intendierten Begriffswahl der 'ideologiekritischen Medienbildung' stellt sich die Frage nach dem Deutungskontext in Abgrenzung zur Medienkompetenz, der bereits weitgehend systematisch aufgearbeitet ist und in diesem Feld generelle Verwendung findet. Der von mir eingenommene Fokus auf die Bildung als informellem und selbstreflexivem Lernprozess von Mündigkeit und Autonomie verlangt eine Akzentuierung der Aneignungsprozesse, hier der einer 'Bildung durch Medien'. Medienbildung bezeichnet daher nicht eine Form der Medienrezeption, sondern die Art und Weise, wie der Mensch mit dem medienvermittelten Gegenstand umgeht. Medienbildung geht also erweiternd und ergänzend über das 'Bilden für Medien', die Medienkompetenz, hinaus.

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Leseprobe

1. Einleitung[1]


 

März, 2009: In der baden-württembergischen Kleinstadt Winnenden tötet ein 17-jähriger Junge 15 Menschen, darunter sind die meisten Opfer Schüler aus seiner alten Schule. Innerhalb weniger Stunden sind mehr als 200 Reporter für Fernsehstationen aus aller Welt an dem Ort des Geschehens versammelt. Die Medien berichten wochenlang über mögliche Hintergründe und Ursachen dieser Tat. Der Täter soll regelmäßig Gewalt darstellende Computerspiele konsumiert haben. Innerhalb einer Woche nach der Tat wurden allein im Land Baden-Württemberg 56 Delikte registriert, die aufgrund von Ankündigungen einer ähnlichen Bluttat zur Anzeige gegen Trittbrettfahrer führten. Die facettenreiche und globalisierte Medienlandschaft exemplifiziert sich anschaulich an diesem Beispiel. Aktuell und in drastischer Deutlichkeit zeigt sich hier ein erstmal abstrakt vermittelter Einfluss der Medien, sei es in der Verarbeitung der aktuellen Ereignisse oder in dem spielerischen Umgang mit ihren multimedialen Formen wie der des Computerspiels. Eines wird auch in der auf die Tat folgenden hilflosen Diskussion um das Verbot so genannter „Killerspiele“ deutlich: eine fundierte Medienbildung wäre von Nöten, um den Wandel lebensweltlicher Erfahrungen nicht nur von Kindern und Jugendlichen neu zu erfassen, denn Medien spielen eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung der Welt, für die Entstehung von Weltbildern und folglich für die politische und kulturelle Praxis.

 

Medial vermittelte Lernprozesse werden zunehmend Teil der Grundsozialisation eines jeden Menschen und es lassen sich Erziehungs- bzw. Sozialisationsprozesse immer weniger ohne Bezug zu Medien denken. Weniger soll es hier jedoch um die praktische Handlungsorientierung medienpädagogischer Arbeitsfelder gehen, sondern vielmehr um eine theoretische Reflexion oftmals unhinterfragter vermeintlicher Gewissheiten. Soziale Arbeit, verstanden als ausführender Arm staatlich gelenkter Interessensdurchsetzung, wird an der angestrebten Professionalisierung scheitern, wenn sie nicht durch Selbstbewusstsein zu sich findet und eigene Wege nicht nur erkennt und aufzeigt, sondern auch selbstreferentiell daran arbeitet und somit eigene Theoriebildung vorantreibt. Für den Bereich der Medienpädagogik oder der Medienbildung bedeutet dies, keinen Rückschritt hinter technische und zivilisatorische Errungenschaften durch Zensurversuche oder Bewahrpädagogik zu forcieren und auch nicht in der Regression von scheinbar harmonischer Natur und nachbarschaftlicher Gemeinschaft aufzugehen.

 

Ein theoretischer Unterbau und eine Einführung in die Medientheorien erscheinen mir daher als Basis für das Verständnis und bei der Beantwortung einer Frage zu Medienkompetenz oder Medienbildung unerlässlich. So habe ich meinen Schwerpunkt auf die Theorien gelegt und auf das Handwerkszeug, das eine Entwicklung zur Medienkompetenz und -bildung erst zulässt. Der Vermittlung einer reflexiv-kritischen Medienbildung, und diese sei als anzustrebende Grundlage sozialpädagogischen Handelns gesetzt, hat eine praktische und theoretische Medienkritik vorauszugehen.

 

Den Schwerpunkt legen möchte ich daher auf die kritische Medientheorie, die Rezeption und den Umgang mit der „Kulturindustrie-These“ als dem zentralen Referenzpunkt in der Auseinandersetzung mit Medien im Spannungsfeld von Manipulation und Emanzipation, die das globale und zugleich ausdifferenzierte Netzwerk der Kulturvermittlung in der gegenwärtigen Gesellschaft bezeichnet. In dem einflussreichen und begriffsprägenden Kapitel „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ aus der „Dialektik der Aufklärung“ wird von Horkheimer und Adorno eine zentrale These der Kritischen Theorie ausgeführt, nämlich dass die Kultur Warenform annähme, so dass nicht mehr von Kultur gesprochen werden könne, sondern von Kulturindustrie gesprochen werden müsse. Sie stellen heraus, dass die Massenkultur eine gesamtgesellschaftliche Wirkung entfaltet. So subsumiere die Kulturindustrie alle Kultur unter sich und passe sie ihren spezifischen Schemata an. Um eine begriffliche Basis für den späteren Umgang mit den Themen Bildung und Kultur zu haben, ist dieses Kapitel und die Einsicht essentiell, dass jedwede Kultur unter den Bedingungen des Kapitalismus hervorgebracht wird. Eines ist gewiss: „Kulturindustrie ist, heute besonders, eine Grundbedingung von gesellschaftlichem Wissen.“ (STEINERT: 9) Als Protagonisten der Kritischen Theorie möchte ich mich auf Theodor W. Adorno und Max Horkheimer konzentrieren, da meine Arbeit auch nicht in Ansätzen der gesamten Kulturtheorie der Frankfurter Schule mit Herbert Marcuse, Erich Fromm, Leo Löwenthal etc. und den Beiträgen zu Massenliteratur, Triebstruktur und Kultur gerecht werden könnte.

 

Es soll ein Überblick gegeben werden über medientheoretische Theorien und Thesen, die das heterogene Spektrum der Medienforschung widerspiegeln und darlegen sollen, was auf die medienpädagogischen Vorgaben in Lehrplänen und anderswo heute Einfluss ausübt. Da eine Analyse jeder Medientheorie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, werde ich versuchen, anhand bedeutender Theoretiker einige Stoßrichtungen aufzeigen.

 

Resultierend aus eigenen Erfahrungen in verschiedenen Studienseminaren, soll das Kapitel „Thesen zu Medienmanipulation und Medienzensur“ u.a. den besonders in linken Studentenkreisen grassierenden Antiamerikanismus beleuchten und zeigen, dass es sich hierbei nicht bloß um eines von vielen Vorurteilen handelt, sondern dass jener – ähnlich dem Antisemitismus – als gänzlich ideologisierte Weltdeutung dient, die meistens mit einem Gestus der reflektierten Kritik und moralischen Gerechtigkeit vorgetragen wird. Dass die Rede von einer „Amerikanisierung“ in vielen Fällen wenig über die damit beschriebenen Verhältnisse aussagt, viel aber über die, die diese Deskription verwenden, soll dieser Abschnitt ebenso deutlich machen, wie den Unterschied zwischen Alltags-Medienverdammung und Medienkritik.

 

Neben der Analyse der Medientheorien darf die Frage, warum sich eine Beschäftigung damit lohnt, nicht zu kurz kommen: nämlich die Frage nach der aktiv handelnden Pädagogik, die versucht, mit der Vermittlung von Bildung auf den Menschen einzuwirken. In diesem Zusammenhang kann nur auf die Banalität hingewiesen werden, dass Bildung mehr ist als schulisches Wissen oder Kompetenzvermittlung und dass informelle Bildung gerade nicht in staatlich beaufsichtigten Räumen wie der Schule vermittelt werden kann. Wie es um Bildung steht und was damit erreicht werden soll, wird das Kapitel über den Begriff der „Medienbildung“ klären.

 

Dass ernstzunehmende Erziehung nur vor dem Hintergrund des Rückfalls der Moderne in die Barbarei zu denken ist, streicht die Kritische Theorie heraus. Der Kunst, aber auch der Theorie fehlen die Begriffe, sich angemessen mit der Massenvernichtung im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, ohne diese zu schmälern und zu verharmlosen. Die Ideen von Menschlichkeit und Individualität sind in der Praxis der Vernichtungsfabriken von Auschwitz gleichsam mit vernichtet worden. Daher ist es notwendig, sich die Dimensionen der Vernichtungslager zu vergegenwärtigen, um dem näher zu kommen, was Adorno unter einer „Erziehung nach Auschwitz“ versteht. Dieser Aufsatz ist ein Appell zur fundamentalen Selbstreflexion der Erziehungswissenschaft und beschreibt die desperate und die jeglicher Gewissheit beraubte Situation einer Erziehung nach Auschwitz. Nur über eine Erziehung zum Widerspruch und zum Widerstand kann sich das „Moment der kritischen Distanz gegenüber gesellschaftlichen Zwängen“ (KONNEFKE a: 11), was den Charakter der Mündigkeit ausmacht, konkretisieren. So vermag Pädagogik, ohne in reinen Erziehungsoptimismus auszubrechen, ihre Rolle als Geburtshelferin selbstbestimmt und autonom handelnder Wesen sinnhaft wie emanzipatorisch zu erfüllen.

 

Pädagogik ist prozessuale Sicherung des „Ausgangs des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) und beginnt in ihrem selbstreflexiven Sinne mit dem Zeitalter der Aufklärung. Die Konstitution der Pädagogik erfolgt von ihrem Kern her, der Bildung.

 

Für die kritische Bildungstheorie steht nicht das Pro und Contra der pädagogischen Autonomie im Vordergrund, sondern ihr widersprüchlicher Charakter. Autonomie in der Pädagogik wird also weder gefeiert noch negiert, sondern als prinzipieller Auftrag der Gesellschaftskritik innerhalb der bürgerlichen Pädagogik erkannt. Ihre Neubestimmung des Begriffs der Bildung, den sie notwendig als Inbegriff der Kritik fasst, stellt die Kritische Bildungstheorie ins Zentrum ihrer Pädagogik und grenzt ihn gegen eine geistlose Verdünnung als Allerweltsbegriff in Sachen Lernen und Vermittlung ab. Ebenso stehen sie der Ablehnung und Bekämpfung des Bildungsbegriffs von Seiten der emanzipatorischen Erziehungs­wissenschaft kritisch gegenüber. Die Kritische Bildungstheorie ist innerhalb der pädagogischen Theorien ziemlich in Vergessenheit geraten. Will die Pädagogik ihre Aufgabe und Funktion in der sich verändernden Gesellschaft und innerhalb von kulturellen Kontexten besser begreifen, ist es an ihr, die Auseinandersetzung mit ihr wieder aufzunehmen.

 

Mit der von mir intendierten Begriffswahl der „ideologiekritischen Medienbildung“ stellt sich die Frage nach dem Deutungskontext in Abgrenzung zur Medienkompetenz, der bereits weitgehend systematisch aufgearbeitet ist und in diesem Feld generelle Verwendung findet. Der von mir eingenommene Fokus...

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