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Yu wei: Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen

Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen

AutorTheo Fischer
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
ReiheWu wei 
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644503113
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Die Weiterführung des Bestsellers «Wu wei» Wenn wir das Falsche aus unserem Leben entfernen, bleibt das Richtige übrig, ohne dass wir danach suchen müssen. Diese einfache Einsicht ist der Grundgedanke des neuen Buches von Theo Fischer, das der Lebenskunst des Tao gewidmet ist. Es zeigt uns anhand von Alltagssituationen aus verschiedenen Lebensbereichen, wie wir eingefahrene negative Verhaltensmuster erkennen und überwinden können, um so die Entfaltung der Lebensweise des Tao zu befördern. Wir lernen, wieder im Hier und Jetzt zu leben, uns weniger zu sorgen und auf unsere innere Stimme zu vertrauen.

Theo Fischer war über zwanzig Jahre lang Managementberater, bis er seinen Beruf aufgab und begann, sich mit dem Daoismus zu beschäftigen. Sein erstes Buch «Wu wei, die Lebenskunst des Tao», wurde zum Bestseller, ihm folgten weitere erfolgreiche Bücher. Bei rororo erschienen «Wu Wei. Fragen und Antworten», «Yu wei. Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen», «Lass dich vom Tao leben» und «Tao heißt leben, was andere träumen». Bis zu seinem Tod 2013 lebte Theo Fischer in Italien. 

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Leseprobe

Erleuchtung und die Folgen


Hinter Mirko tickte leise und monoton die Digitaluhr an der Wand. Er saß mit dem Rücken zur Uhr mit gekreuzten Beinen im Lotussitz auf einem kleinen Teppich, und er verließ sich auf sein Zeitgefühl, das ihm sagte, wann die Stunde der Schmerzen überstanden war. Es musste bald so weit sein, denn sein Rücken und die Kniegelenke fühlten sich taub an, der anfängliche Schmerz der Stellung war wie eine ferne Autobahn zum Hintergrundgeräusch geworden. Es hatte lange gebraucht, bis er die Beine nach der klassischen Manier zu überkreuzen vermochte, dass jeweils die Ferse des einen Fußes auf dem Schenkel des anderen Beines auflag. Es hatte beim Training für diese Sitzposition eine lange Unterbrechung gegeben, als er sich beim gewaltsamen Versuch die Sehne am linken Knie gezerrt hatte. Eine Freundin hatte ihn in der kleinen Zen-Gemeinde eingeführt, und er war geblieben, auch als seine Freundin die Zen-Leute samt ihm wieder verließ. Im Gegenteil: Die Meditationsübungen und die Konzentration, die er dafür aufwenden musste, halfen ihm über seinen Liebeskummer hinweg.

 

Während sein körperlicher Zustand ihm das Ende der täglichen Meditationsstunde signalisierte, versuchte Mirko festzustellen, was er in diesem Moment empfand. War er heute einem seiner Ziele näher gekommen, oder waren seine Übungen inzwischen wie Kettenrauchen zur Gewohnheit oder gar Sucht mutiert? Hatte er die Götter durch seine Opfer gnädiger gestimmt, sodass die alltäglichen Probleme kleiner wurden, oder lenkte ihn sein neuerlicher Geisteszustand so weit von der tristen Realität ab, dass er ihre nach wie vor bestehenden Unzulänglichkeiten nicht mehr wahrnahm? Bin ich überhaupt den Forderungen des Tages noch gewachsen, oder ist mir die Meditation samt meiner veränderten inneren Einstellung nur zum Fluchtweg vor meinen Problemen geworden?, fragte er sich mehr als einmal in diesen Tagen.

 

Weiter grübelnd, bewegte Mirko seine verkrampften Glieder und bog den Rücken mehrmals durch, damit die Wirbelsäule etwas von ihrer Starrheit verlor. Dieses Sitzen sollte ihm zur Erleuchtung verhelfen. In der Gruppe sagten sie, dies könne jederzeit geschehen, wie ein Blitzschlag, aber es könne auch ebenso gut Jahre dauern oder mehrere Inkarnationen lang. Die Menschen dort waren so liebenswert, vollkommen überzeugt von der Richtigkeit dessen, was sie taten. Aber manchmal drängten sich Mirko Vergleiche auf, wie die Geschichte mit dem Bauherrenmodell in der Algarve. Da war den Interessenten an einem Bungalow in Strandnähe einschließlich Swimmingpool (warum dieser, wenn der Strand so nahe ist?) ein wüster Landstrich vorgeführt worden und dazu phantasievoll gezeichnete Baupläne mit Grundrissen der Räume samt den geplanten Bäumen im Garten. Zahlreiche Gutgläubige hatten ihr Geld investiert, ratenweise mit dem angeblichen Baufortschritt gezahlt. Bis nach Monaten ein Käuferehepaar die Reise in die Algarve unternahm und sie an der Stelle, wo ihr nahezu fertiger Bungalow hätte stehen müssen, nichts als verdorrtes Steppenland vorfanden. So ähnlich mochte es ihm vielleicht auch einmal ergehen, womöglich nach siebenundzwanzig Wiedergeburten. Falls Wiedergeburten überhaupt stattfanden und die Idee der Reinkarnation nicht ein weiteres Bauherrenmodell in der Algarve war.

 

Heute war Mirkos Einzimmerwohnung ziemlich kühl. Er erinnerte sich unwillkürlich an Berichte von Zen-Klöstern, in denen die Mönche im Morgengrauen ohne Rücksicht auf Kälte und Feuchtigkeit still saßen. Ihm war bekannt, dass Meister Bankei im reiferen Alter kategorisch erklärte, man könne Erleuchtung durchaus ohne Zazen erlangen, nachdem er in jungen Jahren ums Haar seine Gesundheit beim Meditieren ruiniert hatte. Diese gewaltsamen Unternehmungen beschworen vor seinem geistigen Auge unwillkürlich die Reglements mittelalterlicher europäischer Klöster herauf, wo den Mönchen und Nonnen äußerste körperliche Bußübungen auferlegt wurden: nächtliches Aufstehen, Schlafmangel, Beten, auf kalten Steinböden kniend, und harte Pritschen in spartanischen Zellen. Überall, wo Spiritualität mit Mitteln des Willens betrieben wurde, waren Angst vor dem Versagen und auf jeden Fall Anstrengung die Begleiter. Wenn eine höhere Macht Interesse an den Menschen hatte, wie konnte sie dann so grausam sein und derart sinnlose Opfer von jenen verlangen, die sich ihr vertrauensvoll näherten? Konnte der Buddha oder der Gott der Christen sein Wohlwollen wirklich von einer derartigen Schinderei abhängig machen? Gab es nur den Weg der Mühsal, um Gnade oder Erleuchtung zu erreichen? Oder waren die Regeln, denen Mirko sich unterwarf, womöglich nur Ausgeburten menschlicher Herrschsucht? Über Jahrtausende weiter kultiviert, mit großartigen Versprechungen garniert, damit den Führern die Schar ihrer unkritischen Nachfolger treu blieb?

 

Was geschieht, wenn ich mit allem aufhöre?, dachte Mirko. Wenn ich höflich ablehnend danke für einen Gott oder Buddha, der fordert, ich möge mir erst die Knochen unterkühlen, ehe er mir gnädig seine Aufmerksamkeit schenkt? Bleibe ich dann unwissend und dumm, und alle Aussichten auf Erleuchtung schwinden dahin? Was ändert sich denn in meinem Leben, wenn mir womöglich Satori widerfährt? Kann ich dann weiter in meinem Beruf arbeiten? Werde ich nicht zu abgehoben sein, um jemals eine normale, gesunde Beziehung zu einem Mädchen zu finden? Oder bleibt mir dann nur noch die Diaspora der Zen-Gemeinde? Ich werde unter Umständen die Hilfe eines Psychologen brauchen, wenn ich aus diesem emotionalen Minenfeld herauswill, in das ich freiwillig und anfangs voller Begeisterung hineingegangen bin.

 

Wohl kam in der Lehre, an der Mirko zu zweifeln begann, das Tao vor – Der Weg genannt. Doch im Gegensatz zu den Dingen, die er über das Tao gehört hatte, erschien dieser Weg mit so vielen Anweisungen und Regeln und so viel psychischem Stress gepflastert, dass er sich fragte, ob der Aufwand, den das Streben nach Erleuchtung verlangte, nicht bereits Bestandteil einer falschen Lebensweise und eine der Wurzeln seines Unglücklichseins war. Ehe er sich therapeutischen Rat holte, würde er erst einmal versuchen, zu den Wurzeln des Taoismus vorzudringen, und zwar diesmal ohne allen Stress. Er würde nichts, absolut nichts davon erwarten, nahm er sich vor – und er wunderte sich, wie fröhlich er plötzlich war.

***

Mit der Geschichte von Mirkos Überlegungen will ich auf keinen Fall etwas verunglimpfen, was den Buddhisten heilig ist. Ich will vielmehr versuchen, zwischen dem in den östlichen Religionen verwendeten Begriff «Erleuchtung», zwischen dem Wort und dem Tatsächlichen eine Beziehung herzustellen, die auch mit den Grundgedanken der taoistischen Philosophie übereinstimmt. Im klassischen Taoismus wird Erleuchtung als Ziel nicht vorgegeben, Chuang tzu erwähnt Satori eher im Nebensatz, wenn er sagt, durch dieses Begreifen käme man dem Tao näher. Der Umstand, dass sich dieses Begreifen nicht durch Worte herbeiführen lässt, weil unsere Sprache dafür zu arm ist, hat im Laufe der Jahrtausende menschlichen Sehnens und Forschens nach den Wurzeln seiner Existenz Methoden hervorgebracht, mit deren Hilfe sich das Unaussprechliche vielleicht dennoch lehren und vermitteln ließe. Im Zen versucht der Meister, die Schüler durch gewollt paradoxe Gleichnisse, durch Pantomimen und Rätselaufgaben an die Grenzen ihres Verstandes und darüber hinaus zu führen. Intensive, wie oben erwähnt, vielfach bis zur körperlichen Erschöpfung praktizierte Meditationsübungen sollen weiter dazu beitragen, den Suchenden der Buddha-Natur oder dem Tao näher zu bringen. Wie bei der Befriedigung anderer menschlicher Sehnsüchte muss auch hier oft der Zweck die Mittel heiligen. Aus taoistischer Sicht ist demgegenüber jeder spirituelle Fortschritt, der mit Anstrengung, mit Schmerzen und Einschränkungen erkauft wurde, ein Pyrrhussieg. Auf dem Weg zur Erleuchtung wird durch das zwanghafte Befolgen von Regeln, die Druck auf die Psyche der Betroffenen ausüben, beträchtlicher Schaden angerichtet. Satori-Erfahrungen sollen laut zuverlässigen Berichten leider äußerst kurzlebig und für die Lösung von Lebensproblemen, außer dass sie von ihnen ablenken, kaum nützlich sein. Die Nebenwirkungen eines unter fortgesetztem Stress betriebenen Ringens um die so genannte Verwirklichung hinterlassen beim Sieger eines solchen Kampfes vielfach eine geistige Verfassung, in der er Schwierigkeiten hat, mit der Alltagsrealität zurechtzukommen. Kurzum: Die forcierte Suche nach geistigem Fortschritt lässt den Sucher emotional verarmt zurück, und ich habe schon so manchen Verzweifelten erlebt, der sich nichts mehr wünschte, als dass er mit dieser gewaltsamen Art, seinen Problemen beizukommen, niemals begonnen hätte.

 

Die alten Taoisten haben Jahrhunderte vor Bodhidharmas Auftreten begriffen, dass es auf diese Weise nicht geht. Laotse selbst stellte sich in seinen 81 Versen zweimal die Frage, woher er denn seine Kenntnis der Inhalte des Tao te king habe. «Woher ich dies alles weiß? – Aus diesem selbst», antwortet er. Womit gesagt ist, er habe die Dinge, mit denen er sich identisch und verbunden weiß, selbst zu Wort kommen lassen. Was Sprache anrichtet, wenn ein Berufener die Erleuchtung beschreibt, macht ein Text von Meister Eckhart2 deutlich: Was soll ich dann tun? – Du sollst ganz deinem Deinsein entsinken und in sein Seinsein zerfließen, und es soll dein Dein in seinem Sein ein Mein werden so gänzlich, dass du mit ihm ewig erkennst seine ungewordene Seinheit und seine unnennbare Nichtheit.

 

Haben Sie verstanden, was der gute Franziskanermönch sagt? In seinem Buch «Der westliche und der...

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