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Kirchenrecht im mittelalterlichen Ungarn

AutorPéter Erdo
VerlagFrank & Timme
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783865960283
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Die kirchlichen Gesetze konnten sich – anders als die Normen des römischen Rechts – im mittelalterlichen Ungarn in vollem Maße durchsetzen. Der Autor arbeitet die verschieden Aspekte einer organischen Verbindung der Kirchengesetze mit der westlichen Rechtskultur heraus. Dadurch bietet das vorliegende Werk gerade in der heutigen Zeit, in der sich die Harmonisierung des europäischen Rechts immer mehr als drängende Aufgabe erweist, materialrechtliche und ideengeschichtliche Bezüge von bemerkenswerter Aktualität. Die Studien befassen sich mit folgenden Hauptthemen:

1) Dokumente der ungarischen kirchlichen Gesetzgebung im Kontext des Partikularrechts der benachbarten Regionen;
2) Offizialate und diözesanes Gerichtswesen;
3) Rechtsunterricht und kirchenrechtliche Kultur;
4) kirchliche Rechtsinstitute.

Zum Autor

Péter Erdö, geb. 1952 in Budapest, studierte Philosophie und Theologie in Esztergom und Budapest sowie Kirchenrecht in Rom. Promotionen (Dr.theol. und Dr.iur.can.) sowie Habilitation (habil.theol.); 1975 Priesterweihe; 1980-1986 Theologieprofessor am Seminar von Esztergom; bis 1988 Professor an der Fakultät für Kirchenrecht der Universität Gregoriana, Rom, danach dort Gastprofessor bis 2003. Seit 1988 Professor an der Theologischen Fakultät der Katholischen Péter-Pázmány-Universität Budapest, 1998-2003 dort Rektor; 2000 Bischofsweihe durch Papst Johannes Paul II. in Rom; seit 2003 Erzbischof von Esztergom und Primas von Ungarn; Ende 2003 Kardinalpriester; u.a. Mitglied des Höchsten Gerichts der Apostolischen Signatur und des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten.

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Kapitelübersicht
  1. Inhalt und Vorwort
  2. I. Konzilien und Synoden
  3. II. Offizialate und diözesanes Gerichtswesen
  4. III. Rechtsunterricht und kirchenrechtliche Kultur
  5. IV. Ungarische kirchliche Rechtsinstitute im Zusammenhang des universalen Kirchenrechts
  6. Nachträge sowie Fundorte der einzelnen Studien
Leseprobe
IV.2. DAS OBERSTE PATRONATSRECHT DER UNGARISCHEN KÖNIGE IN DER FORSCHUNG VON VILMOS FRAKNÓI (S. 196-197)

IV.2.1. Die Bedeutung der Frage des obersten Patronatsrechts

Das oberste Patronatsrecht bezeichnete die Gesamtheit der besonderen Vorrechte der ungarischen Könige gegenüber der Kirche. Die Bestimmung seines inhaltlichen Umfangs hat sich je nach der Gestaltung der Rechtswissenschaft und der Kirchenpolitik entwickelt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, d.h. zu Lebzeiten des berühmten Kirchenhistorikers Vilmos Fraknói, haben die verschiedenen Verfasser dem Patronatsrecht nicht dieselben Vollmachten zugewiesen. Des Weiteren wurde der Ursprung dieses Rechtes von den jeweiligen Autoren auf verschiedene Faktoren zurückgeführt.

Nach Károly Lajos Eötvös ist die Ausübung des Patronatsrechts durch das „ungarische Staatsoberhaupt" – und nicht nur durch den König – zum einen durch die Gründung der Kirche in Ungarn durch denselben zu begründen, zum anderen durch den Charakter der kirchlichen Pfründe als Schenkung aus dem staatlichen Vermögen. „Kraft dieses Rechtes verleiht der gekrönte König alle größeren Benefizien in der römisch-katholischen und in der griechisch-katholischen Kirche; er ernennt die wirklichen und die titularen Erzbischöfe, Bischöfe, Kanoniker, säkulare und ordensangehörige Äbte und Pröpste – wobei das Recht des Papstes zur Bestätigung (Konfirmation) der Erzbischöfe und Bischöfe unberührt bleibt. Aber auch ohne diese Bestätigung können die vom König ernannten Diözesanbischöfe (mit Ausnahme der Rechte, die mit der bischöflichen Ordensgewalt verbunden sind) die ganze oberhirtliche Gewalt und alle Rechte – wie die Verleihung der kirchlichen Benefizien und die sonstige bischöfliche Regierung – ausüben, die nach staatlichem Recht den ungarischen Bischöfen eigen sind. Sie beziehen auch die Einkünfte des Bistums".

Ganz anders hat dasselbe Recht einige Jahrzehnte später Prälat Béla Turi, Abgeordneter des ungarischen Parlaments, beschrieben. Seiner Meinung nach ist das oberste Patronatsrecht „ein besonderes, von der Kirche erhaltenes Recht der ungarischen Könige, das sich von dem obersten Aufsichtsrecht (inspectio) unterscheidet. Aufgrund dieses Rechts besitzt der König bei den kirchlichen Ernennungen und bei anderen, mit der weltlichen Sphäre verbundenen Angelegenheiten der Kirche (in temporalibus) solche von Privilegien stammende kirchliche Jurisdiktionsbefugnisse, die anderen Königen nicht eigen sind, es sei denn, dass sie ähnliche Rechte, oder einige von diesen Vorrechten von der Kirche erhalten haben ... Das oberste Patronatsrecht hat also nicht nur einen ganz anderen Ursprung als das oberste Aufsichtsrecht der Staatsoberhäupter, sondern auch eine ganz andere Natur.

Das Aufsichtsrecht ist nämlich eher eine Befugnis der Staatsgewalt in der Hand dessen, der die Exekutivgewalt besitzt, während das oberste Patronatsrecht, dem Begriff des Patronats entsprechend, zum Schutz der Kirche dient und eine Art von Kirchengewalt darstellt"2. Heftige Diskussionen unter Politikern und Juristen zeigen, dass dieses Thema eine der schwierigsten Fragen der Kirchenpolitik war. Wie den oben zitierten zwei Standpunkten zu entnehmen ist, drehte sich die diesbezügliche wissenschaftliche Kontroverse vor allem um das Problem des Ursprungs des obersten Patronatsrechts. Dieses Problem aber musste von der historischen Forschung geklärt werden. Die Frage nach dem Ursprung des obersten Patronatsrechts hat sich dadurch gestellt, dass das Tripartitum von István Verböczy ausdrücklich eine Bulle über das oberste Patronatsrecht erwähnte, die vom Konstanzer Konzil erlassen wurde.

„Quarto, quia ista libertas regni, quantum ad beneficiorum collationes, olim tempore domini Sigismundi imperatoris, et regis nostri, una cum complurimis libertatibus huius regni, in generali, ac celebri concilio Constantiensi (cui triginta, et duos cardinales, demptis aliis viris ecclesiaticis, et multis principibus Christianis praefuisse constat) corroborata, iurisque iurandi religione firmata fuit: prout in Bulla superinde confecta, clare continetur."

Der Text dieser „Bulle" stand aber nicht zur Verfügung. Er war völlig unbekannt. Die Frage begann immer heikler zu werden. Die international praktisch beispiellosen königlichen Einspruchsrechte auf Eingriff in Bereiche, die das innere Leben der katholischen Kirche betrafen, wurden mit der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft und der Politik immer anachronistischer. Die andere traditionelle rechtshistorische Grundlage dieser königlichen „Vorrechte", und zwar die Silvester-Bulle, deren Authentizität schon seit der im Jahre 1740 geäußerten Kritik von Gottfried Schwarz umstritten war, erwies sich in Folge der Forschungen von János Karácsonyi 1891 als eine im 17. Jahrhundert entstandene Fälschung3. Diese Fälschung verfolgte den Zweck das stark in Frage gestellte „Vorrecht" der ungarischen Könige auf die Verleihung der Bischofssitze zu legitimieren.
Inhaltsverzeichnis
VORWORT6
INHALTSÜBERSICHT8
INHALTSVERZEICHNIS10
I. KONZILIEN UND SYNODEN14
I.1. LIBRI SINODALI TARDO MEDIEVALI IN UNGHERIA: IL LIBRO SINODALE D’ESZTERGOM16
I.1.1. La nozione di libro sinodale16
I.1.2. Il libro sinodale d’Esztergom17
I.1.3. Contenuto22
I.1.4. Origine23
I.1.5. Influsso24
I.1.6. Appendice I: Le rubriche delle tre versioni27
I.1.7. Appendice II29
I.2. POLNISCHE QUELLEN DES GROSSEN SYNODALBUCHS VON ESZTERGOM (1382)33
I.2.1. Einleitung: Identifikation und Bedeutung des „großen“ Synodalbuchs von Esztergom33
I.2.2. Die Frage der Quellen des Esztergomer Synodalbuchs34
I.2.3. Die Hauptquelle des Synodalbuchs von 138235
I.2.4. Die Frage der anderen polnischen Quellen43
I.2.5. Zusammenfassung und Ergebnisse47
I.3. SYNODALBÜCHER DER KIRCHENPROVINZEN VON GNESEN, PRAG UND SALZBURG: ZU DEN ERSCHEINUNGSFORMEN EINER SPÄTMITTELALTERLICHEN LITERARISCHEN GATTUNG48
I.3.1. Der Begriff des großen Synodalbuchs einer Kirchenprovinz48
I.3.2. Die einzelnen Provinzialbücher49
I.3.3. Das große Synodalbuch der Kirchenprovinz Gnesen50
I.3.4. Das Provinzialbuch von Prag55
I.3.5. Das Provinzialbuch von Salzburg61
I.3.6. Zum Problem eines ungarischen Provinzialbuchs66
I.3.7. Zusammenfassung und Ausblick68
I.4. PARTIKULARE KIRCHENRECHTSQUELLEN IN UNGARN72
I.4.1. Einleitende Bemerkungen72
I.4.2. Verteilung und Wichtigkeit der partikularrechtlichen Handschriften72
I.4.3. Die verschiedenen Texte des partikularen Kirchenrechts73
I.4.4. Zusammenfassung83
II. OFFIZIALATE UND DIÖZESANES GERICHTSWESEN86
II.1. MITTELALTERLICHE OFFIZIALATE IN UNGARN UND IN POLEN88
II.1.1. Abgrenzung des Themas88
II.1.2. Quellenlage und Forschungsstand90
II.1.3. Institutionengeschichte91
II.1.4. Entstehung und Entwicklung der Offizialate95
II.1.5. Zusammenfassung105
II.2. DAS ÄLTESTE PROTOKOLLBUCH DES VIKARIATSGERICHTS VON ESZTERGOM (UNGARN)106
II.2.1. Der Stellenwert der Protokollbücher unter den schriftlichen Dokumenten der ungarischen Vikariatsgerichte106
II.2.2. Äußere Beschreibung des ältesten Protokollbuchs des Vikariatsgerichtes von Esztergom108
II.2.3. Ort und Zeit der Entstehung109
II.2.4. Inhalt110
II.2.5. Das Verhältnis des ältesten Esztergomer Protokollbuchs zu den anderen Dokumenten desselben Gerichts112
II.2.6. Zusammenfassung114
II.3. EHEPROZESSE IM MITTELALTERLICHEN UNGARN115
II.3.1. Die Quellen115
II.3.2. Die verschiedenen Typen von Ehesachen118
II.3.3. Zusammenfassung133
II.3.4. Anhang: Daten und Fundorte der zitierten Dokumente der Regestensammlung von Bónis134
III. RECHTSUNTERRICHT UND KIRCHENRECHTLICHE KULTUR138
III.1. RICARDUS DE SENIS’ GLOSSEN IN EINER BUDAPESTER DEKRETALENHANDSCHRIFT140
III.2. SULL'USO DELL’OPERA DEL PANORMITANO NEI CENTRI DIOCESANI DELL'UNGHERIA TARDOMEDIEVALE145
III.2.1. Premesse145
III.2.2. Il codice manoscritto che contiene la "Sumacio"145
III.2.3. Lo "scrittore" del codice146
III.2.4. Il contenuto del codice149
III.2.5. Osservazioni sull'uso della letteratura connessa con il panormitano nei centri diocesani dell'Ungheria tardo medievale154
III.3. DIE GLOSSEN IN DER HANDSCHRIFT MS 3 DER ROBBINS COLLECTION IN BERKELEY: EIN BEITRAG ZUR FRAGE DER WISSENSCHAFTLICHEN BEARBEITUNG DES PARTIKULAR- KIRCHENRECHTS IM MITTELALTER156
III.3.1. Das Problem156
III.3.2. Eigenschaften des Textes der Synodalstatuten vom 1420 der Gne- sener Kirchenprovinz in der Handschrift Berkeley MS 3158
III.3.3. Eigenschaften der Glossen159
III.3.4. Der Charakter und die Bedeutung der Glossen161
III.3.5. Glossen zu den Statuten der Provinzialsynode von Wielun und Kalisz von 142039163
IV. UNGARISCHE KIRCHLICHE RECHTSINSTITUTE IM ZUSAMMENHANG DES UNIVERSALEN KIRCHENRECHTS178
IV.1. LA DESIGNAZIONE DEI VESCOVI NEL DECRETO DI GRAZIANO: I CRITERI DELLA DESIGNAZIONE180
IV.1.1. Il problema180
IV.1.2. Panorama delle ricerche sulle elezioni dei vescovi in Graziano180
IV.1.3. Un punto da chiarire: i criteri dell'idoneità e la loro applicazione190
IV.1.4. Conclusione196
IV.2. DAS OBERSTE PATRONATSRECHT DER UNGARISCHEN KÖNIGE IN DER FORSCHUNG VON VILMOS FRAKNÓI197
IV.2.1. Die Bedeutung der Frage des obersten Patronatsrechts197
IV.2.2. Die Rolle des obersten Patronatsrechts im Lebenswerk von Fraknói198
IV.2.3. Fraknóis Beitrag zur Lösung des Problems200
IV.2.4. Wertschätzung der Leistung von Vilmos Fraknói205
IV.3. PATRIARCHAE MAIORES ET MINORES: ZUR FRAGE DES URSPRUNGS EINER UNTERSCHEIDUNG IN DER MITTELALTER- LICHEN KANONISTISCHEN TERMINOLOGIE207
IV.3.1. Das Problem207
IV.3.2. Der Ausgangspunkt: Die pseudoisidorische Theorie208
IV.3.3. Die Entfaltung der Kategorien der klassischen Kanonistik209
IV.3.4 Zusammenfassung215
IV.4. LE ESPRESSIONI CANONICHE DEL MATRIMONIO NELLA STORIA216
IV.4.1. L'antichità cristiana216
IV.4.2. L'alto medioevo222
IV.4.3. L'epoca della prevalenza della giurisdizione ecclesiastica sul matrimonio225
IV.4.4. L'epoca moderna229
IV.4.5. Tendenze del secolo XX sotto la luce della storia233
NACHTRÄGE236
FUNDORTE DER EINZELNEN STUDIEN238

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