3. Determinismus und Macht
Das Verhältnis von Determinismus und Macht ist denkbar einfach: Wenn der Mensch einer – wie auch immer gearteten - Vorbestimmung unterworfen ist, so ist seine Entscheidungsfreiheit dadurch selbstverständlich eingeschränkt. Moderne Theorien der Hirnforscher unterstellen einen solchen Determinismus und Pädagogen und Philosophen sind gefordert, auf diesen Trend mit einer angemessenen Antwort zu reagieren. Petra Gehring, die als studierte Medizinerin und Philosophin in beide Disziplinen involviert ist, versucht, eine Erklärung für die Popularität des aufkommenden biologistischen Determinismus zu formulieren. Sie zeigt in ihrem Artikel „Vergesst den freien Willen“[87] die Macht deterministischer Thesen auf. Solche Thesen stehen ihr zufolge für eine Macht, die, sich gegenseitig - meinungsbildend - Wichtigkeit für sich beanspruchend - aus dem Rampenlicht verdrängen, ohne dass, wenn eine neue auftaucht, über ihr Verhältnis zur Vorhergegangenen nachgedacht wird. Aktuell ist es wieder einmal reizvoll, den freien Willen als Illusion zu entlarven, nur mit dem Unterschied, dass wir nun eben nicht genetisch, sondern neuronal determiniert sind. Der Reiz eines Determinismus ist nichts Neues, denn für Unabänderlichkeit sorgte früher das Schicksal, dann die göttliche Prädestination, später ab dem 18ten Jhd. dann die Definitionen der Formen von Natur, der Lauf der Geschichte, das Leben, das Unbewusste, und nicht zuletzt das soziale Milieu, wie Gehring treffend zusammenfasst. So hat sich eine neue Determinismustheorie etabliert, die an die alte Tradition, den Menschen aus seiner Entscheidungsfreiheit zu entlassen, etablieren können, die mit pseudowissenschaftlichen Begründungen versucht göttlichen durch neuronalen Determinismus abzulösen. Nach Gehring steckt in jedem Determinismus eine politische Gleichung: „Was am Menschen sich in der Experimentalforschung herausstellt, das könnte auf lange Sicht aus außerhalb des Labors mit technischen Mitteln kontrollierbar sein.“[88] Die sozialtechnologischen Verlockungen, die deterministische Thesen in sich bergen, sind Verheißungen auf Lösungen fast unlösbarer Probleme. Die Möglichkeit, Erbkrankheiten zu eliminieren, das Erbgut nach Qualität und Verwertbarkeit zu selektieren und u.U. durch Eingriffe zu »verbessern« oder gar Verbrechen schon bevor sie geschehen, zu beseitigen. Dies alles scheint unwiderstehlich, obgleich wie Gehring ausführt, deterministische Naturwissenschafttheorien in der Theorie jedes Mal widerlegt werden, da sie im Kern auf dem einfachen logischen Kurzschluss beruhen, blind zu universalisieren, über keine Wissenschaftstheorie ihrer selbst zu verfügen, und sich pauschal auf die »Wissenschaftlichkeit« überspezialisierter Aussagen zu stützen. Dieser Vorwurf gelte für die Hirnforschung in ganz besonderem Maße: „Sie besitzt keine Theorie darüber, was ihre eigenen Geräte messen; sie hat wenig positives Wissen über ihren beeindruckend komplexen Gegenstand, und sie verfügt über keinerlei Erkenntnistheorie, die darlegt, woher der plötzliche Wissensvorsprung ihrer eigenen Disziplin - die gleichsam der Natur über die Schulter schaut – wohl kommt.“[89] Trotz ihrer fachlichen Schwäche haben deterministische Thesen nach Gehring erhebliche Wissenschaftsmacht, indem sie die Welt schlicht an ihre Theorie anpassen, wobei sie bestimmte Wissenschaftskriterien übergehen und bewusst auf Gesellschaftsveränderungen setzen. Dennoch ist für die Autorin fraglich, was am Determinismus derart fasziniert: Die erste Vermutung bezieht sich auf die Entzauberungsformel, mit der man als Mensch konfrontiert ist: „Die Idee eines alles regierenden inneren Prinzips hat etwas Bedrohliches.“[90] Wir haben uns demnach zwar an die Relativitäten des Alltags und an das Zusammenspiel von Freiheit und Unübersichtlichkeit, die zum modernen Selbst und Handlungsverständnis gehört, gewöhnt. Dennoch wissen wir nicht, ob bestimmte determinierende Aussagen einfach ignoriert werden können. Gehrings zweite Vermutung ist, dass die medienwirksamen Darstellungen dem Publikum einfach Freude bereiten und für Jedermann einfach und leicht nachvollziehbar sind. Ihre dritte Vermutung scheint eine Art Antwort auf die erste zu sein, nämlich eine Antwort für diejenigen Menschen, die sich durch ihr zur Freiheit verpflichtetes Selbst überfordert fühlen. „Die nüchterne Wahrheit ist hart, so lautet die Botschaft, aber wer es wagt, ihr mannhaft ins Auge zu blicken, dem enträtselt sich eine nur für Dumme und Ängstliche erklärbare Welt – zumal die Erklärung ja viel einfacher ist, als die komplizierte Weltsicht der Ewiggestrigen.“[91] Ihr zu Folge kann man sich auch als zu den zwar als unfrei entlarvten zählen, immerhin aber zu denen mit Durchblick, den Entdeckern und Verkündern einer These.
Determinismus ist deswegen so attraktiv, weil einfache »Totschlagargumente« auf den ersten Blick überzeugend wirken, und jeder Diskussionspartner dadurch gezwungen ist, komplexere Theorien zu reduzieren und zu minimalisieren, wodurch selbstverständlich jede komplexere These an Tiefe und Substanz verliert, um überhaupt an einem Diskurs teilnehmen zu können, denn ansonsten ist es nahezu unmöglich, das vorgeblich Offensichtliche auch nur an der Oberfläche anzukratzen. Auf Argumente kann man immer nur auf dem Niveau antworten, auf dem sie formuliert sind. Niemand käme auf die Idee, eine falsche »BILD-Schlagzeile« mit einem philosophischen oder pädagogischen Aufsatz zu dementieren. Es ist für Gehring nicht nur die strukturelle Affinität zum vorschnellen Vorgriff auf die Zukunft, sondern vor allem autoritäre Rechthaberei, die zur Diskussion und Auseinandersetzung zwingt. So sind wir gefordert, auf diese, auf den ersten Blick plausibel wirkenden, Thesen, viel tief greifender zu antworten, als es spontan erscheint. Dieser Punkt ist nach Gehring besorgniserregender, als auf den ersten Blick ersichtlich, denn an einem Dialog mit einer allzu simplen Position nehmen schon allein die eigenen Argumente leicht Schaden, da die differenziertere Position immer mehr Platz braucht und schon allein deshalb schlechter aussieht. Einen Ansatz, den Nachweis zu erbringen, dass die Thesen der Hirnforscher in Wirklichkeit nicht die versprochenen Lösungen liefern, sondern nur scheinbare Erklärungen vorgaukeln, formuliert Uwe Laucken in einem viel beachteten Aufsatz, der im nächsten Abschnitt thematisiert werden soll.
3.1. Die Leugnung der Zwiespältigkeit des Menschen durch einen reduktionistischen Monismus
In seinem Aufsatz „Über die semantische Blindheit einer neurowissenschaftlichen Psychologie“[92] beschreibt Uwe Laucken eindrucksvoll die Folgen eines, derzeit geradezu euphorisch überbewerteten, Hanges dazu, psychologische und pädagogische Fragestellungen mit physiologischen Methoden, bearbeiten und beantworten zu wollen. Er weist auf das Problem hin, dass entsteht, wenn vorrangig neurophysiologisch ausgebildete Psychologen sich auf physische, rein naturwissenschaftliche, Denkformen beschränken, und sich selbst dadurch die Kompetenz für ihr eigentliches eigenes Arbeitsfeld entziehen. Laucken illustriert diese Aussage am Beispiel des Schlagworts »Dialog der Kulturen« und führt eben auf oben beschriebenen simplifizierenden Denkansatz ein zwangsläufiges Scheitern der Neuro-Wissenschaften in psychologischen Forschungsfeldern aufgrund der Unfähigkeit, semantische Größen zu erfassen oder gar zu erklären, zurück.[93]
Schon seit den achtziger Jahren des 20ten Jahrhunderts gibt es eine zunehmende Affinität aller Wissenschaften zur Erforschung des Gehirns und im Jahre 1997 stellte der damalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Gerd Lüer, in einer kurzen Schrift fest, dass Deutschland ebenfalls, wie die USA, den Weg einer »Hinwendung zum Gehirn« eingeschlagen hat.[94] Diese Hinwendung hat zur Folge, dass sich den Prognosen von Biopsychologen zufolge die Allgemeine- in eine Bio-Psychologie wandelt. Glaubt man den Statistiken über Lehr- und Forschungsaufwände einerseits in der Psychologie abnehmend und andererseits in der Neurophysilogie stetig zunehmend, so scheint sich diese Prognose, zumindest im finanziellen Aufwand und entsprechenden Zuwendungen, zu erfüllen. Stellen in Forschung und Lehre werden umdotiert oder Lehrstühle für Psychologie schlicht der Neurowissenschaft unterstellt. Begründet wird dies mit den schier unglaublichen, »neuen« Erkenntnissen, die innerhalb kürzester Zeit in den Neurowissenschaften vorgewiesen werden konnten. Zu solchen Bahn brechenden Erkenntnissen gehört zum Beispiel die Aussage Roths, dass Gefühle eine physikalische Eigenschaft eines menschlichen Körpers sind, so wie Masse, Dichte, elektrische Ladung etc. Eigenschaften eines physischen Körpers, z.B. eines Steins, sind, denn auch der Mensch ist in seiner Sicht ein physisches Objekt und der Unterschied zum Stein liegt lediglich in der Komplexität seiner biologischen Hirnfunktion. Angst und Liebe, Freude und Hass, sind mitnichten situativ verursacht oder gar im Menschen oder dem Menschlichen selbst begründet, sondern das Produkt von Biochemie; Es gibt keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Gefühlen und ihren Ursachen, sondern lediglich eine »biochemisch-raumzeitliche« Koinzidenz. Singer konstatiert zum Beispiel in einem in der »Zeit« vom 7.12.2000 veröffentlichten Streitgespräch mit Lutz Wingert, dass die „[…] Annahme […], wir seien voll verantwortlich, für das, was wir tun, weil wir es ja auch anders hätten tun können,...