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Der Raum als dritter Pädagoge

AutorSarah Dahlinger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl101 Seiten
ISBN9783640181858
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau, 70 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Räume wirken unmittelbar und nachhaltig auf Menschen. Ob man ein Kaufhaus oder eine Kirche betritt, der Unterschied ist sofort spürbar. Jeder Raum hinterlässt eine ganz bestimmte Stimmung in uns. Gerade deshalb verwenden wir so viel Zeit mit der Gestaltung unserer Wohnräume, schließlich möchte man sich zuhause wohlfühlen. Ausschlaggebend für mein Interesse am Thema 'Der Raum als dritter Pädagoge' waren sowohl meine eigenen Schulerfahrungen, als auch das im Rahmen meines Studiums an der Pädagogischen Hochschule Freiburg erste absolvierte Schulpraktikum. Am ersten Tag dieses Praktikums bemerkte ich, dass ich bereits beim Betreten mancher Klassenräume ein 'ungutes', fast beklemmendes Gefühl verspürte. Anfangs dachte ich, es sei vielleicht die erste Aufregung vor dem Unterrichten in einer Klasse oder die ungewohnte Situation nach so langen Jahren wieder einmal in der Schule zu sein. Jedoch stellte ich bald fest, dass dieses Gefühl mit dem Raum selbst zu tun hatte, seiner Eigenart und vor allem seiner Gestaltung.

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Leseprobe

2. Ist-Zustandsbeschreibung mit                  Blick zurück


 

 

Abb. 2

 

„Indem wir die Geschichte ignorieren, leugnen wir gleichzeitig unsere eigene Zeit.“ (Gustave Flaubert)

 

Schulbauten repräsentieren stets den pädagogischen Geist ihrer Zeit, der einem ständigen Wandel unterzogen ist. Sie spiegeln sowohl bildungspolitische Absichten als auch architektonische Leitbilder der jeweiligen Zeit wider. Ändert sich das „Innen“, pädagogische Leitgedanken und damit die Art des Unterrichts, ändert sich auch das „Außen“, die Gebäude und Räume, in denen der Unterricht stattfindet. Geschichte ist stets im Zusammenhang zu sehen. Um etwas in Zukunft anders gestalten zu können, ist es notwendig, zurückzuschauen. Wird man sich dieser Vergangenheit bewusst, können aus ihr sinnvolle Schlüsse für die Zukunft gezogen werden.

 

Dieses Kapitel dient der Hinführung zum Thema und gibt einen kurzen Überblick über die bisherige Geschichte und zur aktuellen Situation des Schulbaus in Deutschland. Laut Luley hätte diese Geschichte „einen weitaus günstigeren Verlauf“ (Luley 2002, S.7) genommen, hätten „günstigere Rahmenbedingungen“ (ebd., S.7) bestanden. Architektonische Entwicklungen werden stets von pädagogischen, philosophischen und gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst, weshalb erziehungsgeschichtliche Aspekte nicht zu vernachlässigen sind. Da dieses Thema sehr komplex ist, wird der Anspruch auf eine systematische oder chronologische Vollständigkeit nicht erhoben.

 

2.1. Die Geschichte der Schulraumgestaltung


 

„Fehler darf  man machen, aber bauen sollte man sie nicht“.

 

 (Zitat frei nach Goethe zit. n. Luley 2000, S.124)

 

Im 16. Jahrhundert gab es im heutigen Sinne noch keine Schulbauten. Die Kirche war für das Schulwesen zuständig und so fand der Unterricht, in dem rein religiöse Inhalte behandelt wurden und hauptsächlich aus dem Katechismus unterrichtet wurde, in Rats- und Kirchenschulen statt (vgl. Walden/Borrelbach 2002, S.19). Mit der Einführung der Schulpflicht wurden vielerorts die ersten Schulen eingerichtet, für die in manchen Gemeinden ein Schulgeld zu entrichten war (vgl. ebd., S.19).

 

In der Geschichte des Schulbaus haben sich immer wieder Pädagoginnen und Pädagogen mit der Bedeutung des architektonischen Raumes für Lern- und Bildungsprozesse beschäftig und sich Gedanken über die Gestaltung der Lernorte, sowie über die Funktion der Architektur gemacht. Comenius (1592-1670), einer der Urväter der Erziehungswissenschaft, thematisierte die pädagogisch-didaktische Seite des architektonischen Raums mit dem Idealbild einer dem Unterricht förderlichen Schulumgebung:

 

„Die Schule selber soll ein angenehmer Aufenthalt sein, eine Augenweide innen und außen. Das Schulzimmer muss innen hell, rein und überall mit Bildern geschmückt sein […]. Weiter muss bei der Schule außen nicht nur ein Lauf- oder Spielplatz liegen […], sondern auch ein Garten, in dem man bisweilen die Kinder zur Augenlust an Bäume, Blumen und Kräuter führt.“ (Comenius Didacta Magna 17.Kapitel, zit. n. Luley 2000, S.13) 

 

An dieser Forderung, die bereits aus dem Jahre 1632 stammt, wird deutlich, dass Comenius nicht unbegründet bis heute als einer der bedeutendsten Pioniere der modernen Pädagogik bezeichnet wird. Bereits im 17. Jahrhundert wusste er um die Bedeutung der Gestaltung von Schulgebäuden und entwickelte mit dem Klassenverband eine neue Unterrichtsmethode. Damit legte er den Grundstein für eine moderne Pädagogik und die Humanisierung des Bildungswesens, deren Umsetzung erst mit der Reformpädagogik, Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts, praktische Züge annahm (vgl. Walden/Borrelbach 2002, S.19).

 

Das Klassenzimmer des 19. Jahrhunderts war ein sehr beengter kleiner Raum, in dem lehrerzentrierter Frontalunterricht statt fand (vgl. Dreier u.a. 1999, S.33). Die Lehrkraft dirigierte, kontrollierte und beherrschte von einem erhöhten, frontal vor der Klasse aufgebauten Pult aus das Unterrichtsgeschehen und nahm dabei meist keinen Bezug auf die Schülerinnen. Deren Aufgabe hingegen war es, zu antworten, Wissen zu reproduzieren und zuzuhören. Ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse wurden ausgegrenzt und sie hatten keinerlei Einfluss auf den Ablauf der Unterrichtsstunden oder gar die Themenauswahl (vgl. ebd., S.33). Laut Winkel war es jedoch anhand dieser autoritären Methoden des strengen Frontalunterrichts möglich, große Mengen an Wissen zu vermitteln (vgl. Winkel 1997, S.248). Oftmals verwehrten zu hoch oben montierte Fenster den Kindern den Ausblick in die freie Natur (vgl. Dreier u.a. 1999, S.33). Mit 50 Schülerinnen in einer Klasse und einer Fläche von 0,9 Quadratmeter pro Schülerin waren die Klassenräume ohnehin schon viel zu knapp bemessen, deshalb war der Raum sehr streng geordnet (vgl. ebd., S.33). Um keinerlei Ablenkungsmöglichkeiten zu schaffen, war der Raum an sich „kahl und grau in seinen Farben“ (Luley 2000, S.32). Licht-, Luft- und Sitzverhältnisse waren so ausgerichtet, dass vor allem die hygienischen Zustände gewahrt waren. Die Flure waren lang gezogene dunkle Gänge und das Mobiliar bestand aus ungemütlichen, harten Holzbänken und Pulten, die in mehreren Reihen, zentral auf die Tafel ausgerichtet und oftmals am Boden fest geschraubt waren (vgl. Winkel 1997, S.248).

 

Montessori schrieb über die Schulräume dieser Zeit, die oftmals als ‚Kasernen‘ bezeichnet wurden: „Die Schule war für das Kind die Stätte größter Trostlosigkeit. Alles hier ist auf Erwachsene zugeschnitten: die Fenster, die Türen, die langen Gänge, die kahlen einförmigen Klassenzimmer“ (Montessori 1909, S.57 zit. n. Dreier u.a. 1999, S.33).

 

Pestalozzi (1746-1827) schloss sich Comenius Idealbild einer dem Unterricht förderlichen Umgebung an. Die Bedeutung, die er dem räumlichen Umfeld beimaß, das er als ‚Schulwohnstube‘ bezeichnete, ist deutlich zu erkennen:

 

„[…] mit dem Geist und dem Wesen des häuslichen Lebens genau übereinstimmende Übungsanstalt der Liebe, des Wohlwollens, des Gemeinsinns der kindlichen Unschuld und ihrer dankbaren und vertrauensvollen Anhänglichkeit […]“ (Pestalozzi: Gutachten über ein Seminar im Kanton Waadt, zit. n. Luley 2000, S.14).

 

Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich eine neue Bewegung von Pädagoginnen ausmachen, die sich gegen diese starre Vorstellung von Schule, ihren Autoritarismus und ihre Lebensfremdheit wandte (vgl. ebd., S.34), die Reformpädagogik. Sie sah Defizite im Hinblick auf die Förderung von Leistungs- und Lernfähigkeit, Wohlbefinden und sozialem Miteinander von Schülerinnen und Lehrkräften und wollte diese Zustände verändern. Die Vertreterinnen dieser Richtung hatten vor allem das Ziel, „einzelne Wissensgebiete“ (ebd., S.34) miteinander zu verbinden. Die Unterrichtsinhalte sollten die Lebenswelt der Kinder betreffen, wobei der zu bildende Mensch stets im Mittelpunkt stand (vgl. Walden/Borrelbach 2002, S.24). Selbständiges, erlebnis- und handlungsorientiertes Lernen waren dabei wichtige Prinzipien (vgl. Dreier u.a. 1999, S.34). Für viele der Reformpädagoginnen bedeutete dieser, die Bildungstheorie und Didaktik betreffende Wandel, dass, um eine ganzheitliche  Reform der Verhältnisse zu erreichen, sich die räumlichen Gegebenheiten entsprechend mit verändern mussten. So wurde der Zusammenhang von Lernraum und Lernsituation zum Ausgangspunkt der Neugestaltung des institutionellen Bildungsraums Schule (vgl. Luley 2000, S.31 f.)

 

An dieser Stelle beschränkt sich die Arbeit auf drei wichtige Vertreter dieser Reform und stellt ihre Vorschläge in Bezug auf räumliche Veränderungen in Bildungseinrichtungen kurz vor. 

 

Peter Petersen (1884-1952) ging von Schule als einer Lebensgemeinschaft aus. Er griff damit auf Pestalozzis ‚Wohnstubenerziehung‘ zurück und forderte die Abschaffung der Jahresklassen und Massenschulen sowie eine Raumgestaltung, die die „innere Sammlung“ (Petersen: Der kleine Jena-Plan o.J., zit. n. Luley 2000, S.35) der Schüler unterstützt, denn diese hilft dem Schüler „seine[r] geistigen und schöpferischen Kräfte nach außen [zu] entfalten“ (ebd., S.35). Diesen durch die Reformpädagogik in Bewegung gesetzten Wandel des Schulwesens bezeichnete Petersen als „[…] Kampfe um die Neue Schule der Volksgemeinschaft […]“ (ebd., S.35) und meinte: „Je kräftiger sich der pädagogische Standpunkt im Schulwesen durchsetzt, desto schneller wird auch eine vollkommene Änderung im Schulbau und in der gesamten Schuleinrichtung Platz greifen“ (ebd., S.35).  Bis heute bestimmen Petersens Überlegungen sowohl die Gegenwart und dadurch auch die Zukunft und es scheint als erlebten sie momentan, infolge der Diskussion um Bildungs- bzw. Schulreformen, ihr Comeback.

 

Auch Maria Montessori (1870-1952) legte großen Wert auf die räumliche Gestaltung kindlicher Lernumgebung und prägte...

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