2. Aspekte zur Kreativitätsförderung im Unterricht
Von verschiedenen Autoren sind zur Förderung von kreativem Verhalten im Unterricht verschiedene Aspekte dargestellt und Theorien entwickelt worden. Besonders relevant in diesem Zusammenhang sind motivationale und emotionale Gesichtspunkte im Unterrichtsgeschehen, die Frage nach dem angemessenen Erziehungsstil und ob Gruppenarbeit und spielerisches Lernen hinsichtlich der Förderung von kreativem Schülerverhalten eine positive Wirkung hat. Auch die Frage nach gesellschaftlich-kulturellen Einflüssen auf kreatives Verhalten im Unterricht soll in diesem Teil thematisiert werden.
2.1 Motivation und Kreativität
In der psychologischen und pädagogischen Literatur wird Kreativität im Zusammenhang mit der Motivationslage gesehen. Vor der Darstellung dieses Gesichtspunkts soll zunächst auf begriffliche Aspekte der Motivation eingegangen werden.
2.1.1 Zum Begriff „Motivation“
Motivation kann definiert werden als der “Zustand des angetrieben seins, in welchem sich Motive manifestieren, die auf die Reduktion einer Bedürfnisspannung abzielen” (Correll 1970, S. 67). Im Allgemeinen werden in der Psychologie Motive als „latente und relativ stabile Dispositionen“ gedeutet, „die nur dann manifest“ (…), also deutlich erkennbar werden, „wenn entsprechende Schlüsselreize oder Anreize als instrumentell zu ihrer Verwirklichung erfahren werden.“ (…) Motivation kann also aus psychologischer Sicht als „Inbegriff einer Interaktion von Motiv und Situation verstanden werden“ (Graumann 1969, S. 113).
Im erzieherischen Bereich wird nicht selten der Begriff „Interesse“ verwendet. So unterscheidet der Arbeitsschulpädagoge Georg Kerschensteiner (1854-1932) in seinem Werk „Theorie der Bildung“ (1926) zwischen erzieherisch bedeutsamen und erzieherisch nicht bedeutsamen Interessen. Das erzieherische relevante Interesse bezeichnet er als „echtes oder Triebinteresse, im Gegensatz zum Reizinteresse. Trieb als pädagogischer Begriff ist hier im Sinne von Treiben, Antreiben, also aktiv, als Tätigsein zu verstehen. Das Triebinteresse sucht deshalb seinen Gegenstand auf, das Reizinteresse hingegen wird durch den Gegenstand ausgelöst und verliert sich mit dem Verschwinden des Gegenstandes“ (vgl. Josef 1970, S. 56 f.).
Im Hinblick auf das schulische Lernen wird vor allem das Leistungsmotiv als bedeutsam hervorgehoben. Es dient dazu, die unterschiedlichen Leistungsverhalten, die im Unterricht trotz scheinbar gleicher situativer Bedingungen zu beobachten sind, zu interpretieren. H. Heckhausen (1965, S. 648) bezeichnet die Leistungsmotivation „als das Bestreben, die eigene Tüchtigkeit in allen jenen Tätigkeiten zu steigern oder möglichst hoch zu halten, in denen man einen Gütemaßstab für verbindlich hält, und deren Ausführung deshalb gelingen oder misslingen kann.“
H. Fend (1971, S. 194) sieht die Leistungsmotivation in gegensätzlicher Position zur intrinsischen Motivation. Während bei der Leistungsmotivation „die Erreichung bestimmter Ergebnisse im Vordergrund steht, verleihen bei der intrinsischen Motivation bestimmte Merkmale des Lernprozesses selber die Befriedigung.“
Weitaus bestimmender als eine „individuelle Bezugsnorm“ sind soziale Normen, an denen Leistungen gemessen werden. Durch die in den Schulen praktizierten Formen der Leistungsbeurteilung, bei der häufig bestimmte Gütestandards willkürlich festgelegt werden, erleben die Schülerinnen und Schüler das erbrachte Leistungsergebnis als Erfolg oder Misserfolg.
Ein Schulsystem mit starren Strukturen, das in Form von verbindlichen Lehrzielen und Prüfungsanforderungen ein für alle Schüler gleiches Anspruchsniveau festsetzt und individuelle Normabweichung einem mehr oder weniger starken Sozialisations- und Sanktionsdruck aussetzt, ist nach Ansicht vieler Psychologen für ein Hervorlocken intrinsischer Motive nur bedingt geeignet und kann eine Behinderung kreativer Aktivitäten bedeuten, da aufgrund einer einseitigen, nur auf das Lernresultat abzielenden Leistungsbewertung, die nicht selten ein Konkurrenzstreben zur Folge hat, die Experimentierfreudigkeit eingeschränkt oder unterbunden wird.
Ein Leistungsmotiv, das durch eine Wettbewerbssituation angeregt wird, ist im Allgemeinen extrinsisch. Das Individuum schreibt seine Erfolge den eigenen Fähigkeiten zu und sieht die Misserfolge als Ursache des eigenen Unvermögens an.
R. S. Crutchfield unterscheidet zwischen „ichbezogener und aufgabenbezogener Motivation“ und stellt die Hypothese auf, dass die „äußere, ichbezogene Motivation – im Gegensatz zur eigentlichen, aufgabenbezogenen Motivation – beim Problemlösen hinderlich (…) sei, sowohl für die Fähigkeit des Kreativen, sich von den rigiden Zwängen alter Denkweisen zu lösen als auch für seine Fähigkeit, neue Einsichten zu produzieren“ (Crutchfield 1973, S. 157).
2.1.2 Motivationale Gesichtspunkte und Kreativität
In der Psychologie wird bei der Entstehung von Motiven als Beweggrund die „Vermeidung unerwünschter Konsequenzen“ oder die „Annäherung an erwünschte Ziele“ angenommen. Um unangenehme Folgen zu vermeiden, entwickeln Individuen meist konforme Verhaltensweisen, die nach Meinung vieler Psychologen kreatives Verhalten behindern.
Diese Annahme versucht R. S. Crutchfield zu verdeutlichen, indem er Kreativität und Konformität als antithetische Beziehung darstellt: „Der extreme Konformist, der im Allgemeinen ängstlich ist, darauf besteht, sich eine sichere und stabile Umwelt zu verschaffen und bestrebt ist, Ungewissheit und Ambiguität um jeden Preis zu vermeiden, sucht nach starken Bezugspunkten in seiner Welt, und die Gruppe ist im Allgemeinen geeignet, ihm solche starken Bezugspunkte zu geben, und zwar in der Form der nicht abweichenden Übernahme ihrer Urteile und etablierten Ansichten“ (Crutchfield 1973, 159).
Konformisten neigen im Allgemeinen dazu, sich anderen zu unterwerfen; dadurch werden die kreativen Kräfte des Individuums „unterminiert“, da durch den Konformitätsdruck „das Vertrauen in den grundlegenden Wert seiner eigenen Denk- und Vorstellungsprozesse“ geschwächt wird (vgl. Crutchfield 1973, S. 159).
Crutchfield versuchte bestimmte Persönlichkeitsmerkmale von Konformisten aufzuzeigen, wobei in einem standardisierten Testverfahren (1959) unter anderem folgende Charakteristika „extremer Konformisten“ identifiziert wurden (vgl. Crutchfield 1973, S. 158 f.):
- Tendenzen zu Rigidität kognitiver Prozesse und Ideenarmut,
- Tendenzen zur mangelnder Spontaneität und emotionalem Zwang,
- Tendenzen zu ausgeprägten Minderwertigkeitsgefühlen und zu fehlendem Selbstvertrauen,
- Tendenzen zu Passivität, Beeinflussbarkeit und Abhängigkeit von anderen Menschen,
- Tendenzen zu intoleranter und autoritärer Einstellung, verminderter Sensibilität und Wissbegierde, allgemeiner Kritikschwäche und geringer Eigeninitiative.
Damit soll vom Autor deutlich gemacht werden, dass ein Unterricht, der konformes Schülerverhalten erwartet, der Entfaltung kreativen Potenzials wenig Raum gibt.
Aber auch die Motive der Individuen, welche das starke Bedürfnis haben, sich besonders zu profilieren, indem sie ihre Identität dadurch zu stärken versuchen, dass sie eine Befreiung aus der Abhängigkeit von Gruppennormen um jeden Preis anstreben oder welche eine ablehnende Haltung zu sozialen Gebilden entwickeln und feindselige Haltungen in aggressiven Formen zum Ausdruck bringen, sind ichbezogener Natur und werden deshalb als Störfaktoren für die Freisetzung kreativer Fähigkeiten gesehen.
Im Gegensatz zur äußeren, ichbezogenen Motivation, bei der eine Leistung nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur Erreichung eines Zieles wie soziales Prestige und Anerkennung oder zur Vermeidung unangenehmer Folgen dient, fördert nach der Auffassung vieler Psychologen die eigentliche, aufgabenbezogene Motivation kreatives Verhalten und Denken, da die Person durch die „dem Problem inhärente Herausforderung gefangen und getrieben“ wird (vgl. Crutchfield 1973, S. 156). Auch K. Macht definiert: „Intrinsisch motiviert sein heißt (…), eine Tätigkeit ausführen aufgrund der in dieser Tätigkeit selber inhärenten Lust“ (Macht 1973, S. 26).
In vielen Publikationen wird auf die sachimmanente Motivation als wesentliche Bedingung für die Auslösung kreativer Denkprozesse hingewiesen (Skowronek 1970 u. a.); so schreibt H. Skowronek (1970, S. 143): „Eine sachimmanente, aufgabenorientierte Motivation stellt optimale Bedingungen für den Denkprozess her.“ Dabei wird die Stärke der Motivation in direkter Relation zur Ausdauer und Konzentration beim Problemlösen gesehen.
Kritisch anzumerken ist, dass Psychologen, welche die überaus große Bedeutung einer sachbezogenen (intrinsischen) Motivation für die Hervorlockung kreativer Fähigkeiten des Individuums betonen, nicht selten übersehen, dass in einer stimulierenden Situation eine große Anzahl von verschiedenartigen Motiven zusammentreffen, die interagierend und kumulierend wirken können, so dass eine Objektivierung bestimmter kreativitätsrelevanter Motive kaum möglich ist. Damit erscheint auch eine kausale Erklärung der Kreativität von aufgabenimmanenter Motivation aus wissenschaftstheoretischer Sicht...