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Normativität und Professionalität in der Übungsfirma

Von den theoretischen Grundlagen zum Beobachtungsbogen

AutorMichael Pflugfelder
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783640213993
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Pädagogik - Berufserziehung, Berufsbildung, Weiterbildung, Note: 2,3, Universität Hohenheim (Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik), 85 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Übungsfirmen stärken den Praxisbezug des Unterrichts. Der Schritt in die Berufswelt gelingt jungen Menschen umso besser, je stärker Schule und Arbeitswelt miteinander verzahnt sind.'(Dr. Annette Schavan) Mit diesen Worten eröffnete die damalige Kultusministerin Baden-Württembergs (BW) am 3. März 2005 die Einweihung von Räumlichkeiten zweier Übungsfirmen in der Fritz-Erler- Schule in Pforzheim. Sie ging sogar noch einen Schritt weiter und sprach von einer 'geübten Praxisnähe, welche die Ausbildungsfähigkeit stärke'1 und somit den 'Übergang in eine berufliche Ausbildung erleichtere.'2 Durch die enge Verzahnung von Theorie und Praxis sind Übungsfirmen besonders geeignet, 'um den Schülerinnen und Schülern berufliche Schlüsselqualifikationen3 zu vermitteln.'4 Über die Aussage von Frau Dr. Schavan hinaus, soll hier der Frage nachgegangen werden, ob die Übungsfirma (ÜFA) am kaufmännischen Berufskolleg (BK) in BW5 mehr als nur ein Mittel sein kann, um mehr berufsspezifische Kenntnisse in die Schule zu tragen, oder durch Üben eine bessere Ausbildungsfähigkeit zu ermöglichen. Vermag die ÜFA zu einer Bildung der Schüler beizutragen, die zwar größtenteils berufliche Inhalte enthält, nicht aber nur durch berufsspezifische Kenntnisse vermittelt wird? Können die in der ÜFA vermittelten Lerninhalte auch Fähigkeiten und Kompetenzen fördern, die den Schüler zu einem auf Dauer angelegten, über die beruflichen Schlüsselqualifikationen hinaus, lebensbegleitenden Lernen befähigen? Fähigkeiten und Kompetenzen, die den Lernenden (Schüler) im Sinne von REETZ zu intellektueller, sozialer und moralischer Mündigkeit verhelfen. Darf Praxisbezug bzw. Üben verstanden werden als 'praktisch im Sinne von etwas handgreiflich tun [und; M.P.] Einübung technischer Fertigkeiten im Sinne von unkritischer Einpassung in bestehende Strukturen'?6 Ist ein gehbarer Weg nicht viel mehr der, dass mit dem Konzept der ÜFA ein Balanceakt zwischen Instruktion (Wissensvermittlung) und Konstruktion (Wissenserarbeitung) zu bestreiten ist und Lehr-Lern-Prozesse als konstruktiv anzusehen sind. Deshalb muss es oberstes Ziel sein, den Lernenden einen eigenständigen Wissensaufbau zu ermöglichen und diesen anzuregen.7 Könnte nicht eines der Ziele des ÜFA Konzepts eine Abkehr vom lehrerzentrierten Unterricht hin zum Konzept der Handlungsorientierung sein.8

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Leseprobe

2 Grundlagen, Positionierung und Funktionen der Übungsfirma


 

Zum Gesamtverständnis der vorliegenden DA ist es dienlich die Entstehungsgeschichte der ÜFA welche von HOPF in ihrer Dissertation an der Universität Mainz sehr anschaulich aufgearbeitet wurde kurz darzustellen. Des Weiteren soll in diesem Abschnitt die Bedeutung der ÜFA in Wissenschaft und Wirtschaft angesprochen werden. Das Konzept und die die ÜFA konstituierenden Merkmale sind notwendig, um sich ein Bild zu verschaffen wie diese Lehr-Lernform in der Realität umgesetzt wird. Eine anschließende Abgrenzung der ÜFA soll noch einmal die in vorigem Abschnitt angesprochen Merkmale aufgreifen und die ÜFA innerhalb der Lernfirmen positionieren. Da sich das Berufsbildungssystem in Deutschland einer Vielzahl von Ansprüchen gegenüberstehen sieht, die sich aus verschiedenen Zuständigkeiten auf Bundes- und Landesebene ableiten lassen, soll unter Punkt 2.2.1 herausgearbeitet werden, wie die Lehrpläne am kaufmännischen BK in BW zustande kommen bzw. welche Interessen damit verfolgt werden. Kapitel 2 abschließend sollen die von LIPSMEIER herausgearbeiteten Funktionen, welche das berufliche Schulwesen charakterisieren, erläutert werden. Dies ist von großer Bedeutung, da sich das Kaufmännische BK in BW in einem Spannungsfeld zwischen Berufs- und Berechtigungsorientierung befindet.[17]  

 

2.1 Die Übungsfirma


 

Die geschichtliche Entstehung und die Bedeutung der ÜFA in BW sowie das hinter der ÜFA stehende Konzept und deren Merkmale werden in den Unterkapiteln 2.1.1 und 2.1.2 beschrieben. Im Kapitel 2.1.3 soll der Untersuchungsgegenstand der ÜFA beleuchtet und zu anderen betrieblichen Simulationen[18] (Lernbüro und Juniorenfirma) abgegrenzt werden.

 

2.1.1 Entstehung und Bedeutung der kaufmännischen Übungsfirma


 

Schon im 17. Jahrhundert entstand die Idee, kaufmännische Ausbildung durch Unternehmenssimulationen wirklichkeitsnah zu gestalten. Zu dieser Zeit wurden in der wirtschaftlichen Ausbildung Übungsfirmen entwickelt, welche man als Musterkontor, Kontorübungen, Lehrbüro, Schulungsbüro, Büroübungen, Scheinfirma, ÜFA und Juniorenfirma bezeichnete.[19] All diesen Begrifflichkeiten ist gemeinsam, dass es sich um Simulationsformen handelt die sich kaufmännischen Aufgaben- und Arbeitssituationen zu Lernzwecken bedienen. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert entwickelten sich daraus drei Grundmodelle der komplexen Unternehmenssimulation, welche konkrete kaufmännische Tätigkeiten in ihr Schulungsverständnis mit einbezogen und auch heute noch, sicherlich zum Teil in modifizierter Form, unter den Bezeichnungen Lernbüro, ÜFA und Juniorenfirma (auch als Lernfirmen bezeichnet) ihre Verwendung finden.[20] Barbara HOPF unterteilt die Entstehungsgeschichte der ÜFA Arbeit in vier Phasen, deren wesentliche Kennzeichen hier kurz genannt werden sollen.

 

„Phase eins: Kontorübungen bis Ende des 18. Jahrhunderts“

 

In dieser Zeit sprach man von einer Konzentration der kaufmännischen Lehrgegenstände Buchführung, Rechnen und Schriftverkehr. Sie galten als unverzichtbar, um dem Kaufmann Informationen zukommen zu lassen, die seinen wirtschaftlichen Erfolg maßgeblich beeinflussten. Bei der zu dieser Zeit vorherrschenden Übungskontorkonzeption ging es im Wesentlichen um die Anschaulichkeit der oben genannten Lehrgegenstände, welche durch erdachte Geschäftsvorfälle und fiktive Briefe erreicht wurde. Die konkrete Verankerung der Scheinfirmenkonzeption vollzog sich Ende des 18. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt standen praktische buchhalterische Übungen und die damit einhergehende schriftliche Korrespondenz.

 

„Phase zwei: Das Übungscomptoir im 19. Jahrhundert“

 

In dieser Phase vollzog sich die Weiterentwicklung der Idee des Übungskontors vor allem in unseren Nachbarländern Schweiz und Österreich. Durch eine Integration der ÜFA Idee in die Curricula der zu dieser Zeit stark aufkommenden Handelsschulen bzw. Handelsakademien wurde versucht der Industrialisierung und dem zunehmenden Handel in den oben erwähnten Ländern gerecht zu werden.

 

Hervorzuheben ist hier die Prager Handelsakademie welche schon damals einen Lehrplan besaß, der auf einer bis ins Detail ausgearbeiteten curricularen und didaktischen Konzeption basierte, die auch heute noch Parallelen zum deutschen kaufmännischen Schulwesen erkennen  lässt. Die Handelsakademie sollte zu einem direkten Berufseinstieg im Bereich des Großhandels befähigen, was der Berufsqualifizierungsfunktion[21] im kaufmännischen BK in BW sehr nahe kommt. Der heute wieder in Mode kommende und schon damals zentrale Unterrichtsgrundsatz lautete: „Von der Theorie herabsteigen zur Praxis und von der Praxis sich erheben zur Theorie“.

 

„Phase drei: Das Übungskontor zu Zeiten des Übergangs ins 20. Jahrhundert“

 

Anfang des 20. Jahrhunderts schenkte man der Idee des Übungskontors auch in Deutschland wieder mehr Aufmerksamkeit. Wesentlich waren hier der schon im 18. Jahrhundert aufgenommene Konzentrationsgedanke und das Prinzip der Anschaulichkeit. Ausschlaggebend zur Entwicklung von Konzentrationsunterricht war eine Unzufriedenheit bezüglich einer ausgeprägten Fächerdifferenzierung die eine enge Beziehung und ein zusammenhängendes Verständnis verschiedenartiger Lehrinhalte nicht gerade erleichterte. Abhelfen sollte ein leitendes Fach namens Buchführung, welches die Verknüpfung der Lehrinhalte durch systematisch ausgearbeitete Geschäftsgänge ermöglichte. Der Praxisbezug wurde durch die Einrichtung eines Übungskontors, auch genannt als Musterkontor, gewährleistet.

 

„Phase vier: Der Übungsbürogedanke nach dem zweiten Weltkrieg“

 

Die letzte Phase, die HOPF definierte ist ihrer Meinung nach geprägt von einer Ergänzung der traditionellen Ziele, welche bestimmt waren durch den Konzentrationsgedanken und das Prinzip der Schülerselbständigkeit durch vier neu akzentuierte Zielkomplexe, die TRAMM in seiner Dissertation wie folgt zusammenfasst:

 

(1) Die zunehmende Verschachtelung und sich daraus ergebende Intransparenz kaufmännischer Arbeitszusammenhänge bedurfte eines Gegengewichts, um zum Einen eine kognitive Orientierung und zum Anderen die von KERSCHENSTEINER als berufserzieherisch wichtig postulierte „Werkvollendung in praxi“ zu ermöglichen.

(2) Deshalb sollte den Lernenden eine möglichst konkrete, anschauliche und vor allem lebensnahe Vorstellung des betrieblichen Geschehens und den kaufmännischen Arbeitszusammenhängen vermittelt werden. Gerade weil die Schüler oft noch keine eigenen Erfahrungen mit bzw. in der Berufs- und Arbeitswelt gemacht haben.

(3) Im Mittelpunkt der Übungskontorarbeit sollten Inhalte der Bürowirtschaft bzw. Bürotechnik und der Organisationslehre stehen. Diese Inhalte müssen den technischen und arbeitsorganisatorischen Veränderungen der Büroarbeit entsprechen. Zu denken ist hier an den sich ständig weiterentwickelnden immer schneller werdenden Wandel von Informations- und Kommunikationstechnologien, der über die heutige Zeit hinausreichen wird. Demnach erhielt ein entsprechendes Gewicht die zeitgemäße und praxisnahe Ausstattung der Übungsbüros, sowie eine sich in der Realität wieder findende Organisation von Arbeitsabläufen.

(4) Die Komponenten arbeitsethischer, sozialer und „staatsbürgerlicher“ Zielsetzungen durfte nicht vergessen werden. Typische Bürotugenden wie: „Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, Hilfsbereitschaft und Ordnungssinn, Organisationsgeschick und Umstellungsfähigkeit“ als Grundvoraussetzungen für Teamarbeit sollten im Übungskontor geschult werden. Ebenso der Umgang mit Konflikten bzw. das Akzeptieren gegenseitiger Interessen galt als Grundsatz der in der Politik und dem Wirtschaftsleben auftretenden Situationen.[22]

 

HOPF kam zu dem Ergebnis, dass mit der Ausweitung der curricularen Funktionen der „Bürosimulation“ eine vielfältige Variation des didaktischen Übungskontor-Grundkonzeptes einherging. Laut HOPF lässt sich in der historischen Entwicklung kein allgemeingültiges Modell der Übungsbüroarbeit herausstellen. Vielmehr ist Art, Ausprägung und vor allem auch Erfolg der an den einzelnen Schulen realisierten Variante von dem jeweiligen Initiator bzw. der Lehrkraft (seiner Professionalität) abhängig.

 

Laut GRAMLINGER müsste nach der HOPF’schen Einteilung mit Beginn der 90er Jahre eine Phase fünf benannt werden. In ihr existiert ein komplexer kaufmännischer Lehr-Lern-Ort in vielfach variierenden Ausprägungsformen (Schule oder Betrieb, für Jugendliche und Erwachsene, als Insellösung oder in nationaler und sogar internationaler Eingebundenheit, mit unterschiedlichem Ausmaß der Simulation usw.).[23]

 

Wie in obigen Ausführungen beschrieben, verkannte man lange Zeit das Potential derartiger operativer Unternehmenssimulationen und konzipierte sie als Orte der Konzentration, der Einübung von Fertigkeiten bzw. im Sinne eines Praxistrainings.[24] Zugesprochen wurde ihnen eine...

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