Woher das System stammt
Imi Lichtenfeld, der Begründer von Krav Maga, wurde 1910 in Ungarn geboren, wuchs aber in Bratislava auf, das damals noch zur Tschechoslowakei gehörte. Er war sportlich begabt und gewann im Jahr 1928 die tschechoslowakische Jugendmeisterschaft im Ringen und wurde im Jahr darauf Landesmeister in der Weltergewichtsklasse. Im selben Jahr gewann er außerdem die nationale Boxmeisterschaft und einen internationalen Turnwettbewerb. Im darauffolgenden Jahrzehnt stieg er in die Riege der besten Ringer Europas auf. Am meisten prägte ihn jedoch sein Vater Samuel, ein Polizeibeamter und Selbstverteidigungstrainer. Samuel hatte als Zirkusakrobat und Ringer begonnen, war dann aber in den Polizeidienst eingetreten und arbeitete 30 Jahre lang als Kriminalpolizist. Er wurde bekannt für seine beeindruckenden Verhaftungserfolge, insbesondere für die Festnahmen gefährlicher Verbrecher.
Wenn er nicht gerade irgendeinen Gewalttäter jagte, unterrichtete Samuel Selbstverteidigung im Hercules, Bratislavas erstem Fitnessstudio, dessen Inhaber er auch war. Beim Training betonte Samuel stets, wie wichtig der moralisch korrekte Umgang mit der Bevölkerung und mit Verdächtigen sei.
In den Dreißigerjahren erprobte Imi sein kämpferisches Können auf den Straßen von Bratislava, wo er sich und andere Juden vor den örtlichen faschistischen Schlägern schützen musste. Er nahm an zahlreichen Kämpfen teil, um den antisemitischen Pöbel daran zu hindern, die Juden der Stadt zu terrorisieren. Diese Straßenkämpfe schärften bei Imi das Bewusstsein für den Unterschied zwischen sportlichem und realem Kampf. Es war zu jener Zeit, als in seinem Kopf die Saat für Krav Maga aufzugehen begann.
Ende der Dreißigerjahre hatte Hitlerdeutschland Europa in ein Schlachtfeld verwandelt und für Juden wurde es dort immer gefährlicher. Mit seinem handgreiflichen Eintreten zum Schutz seiner Verwandten und Bekannten machte sich Imi bei der örtlichen Obrigkeit schnell unbeliebt, sodass er 1940 fliehen musste.
Nachdem er einige Jahre herumgereist war, landete er schließlich in Israel, das damals noch Palästina hieß. Er trat der Haganah bei, einer paramilitärischen Organisation, die für die jüdische Unabhängigkeit kämpfte. Dort brachte er anderen Soldaten die Grundkenntnisse im Nahkampf bei und sein Ansehen wuchs mehr und mehr.
1948 schlug die Geburtsstunde des Staates Israel. Im Auftrag der noch jungen israelischen Regierung entwickelte Imi ein effektives Kampfsystem, das später die Bezeichnung »Krav Maga« erhielt. Schließlich wurde die Haganah in die israelische Armee eingegliedert und Imi wurde Cheftrainer für körperliche Fitness und Krav Maga an der Militärakademie.
Wer das Wesen von Krav Maga begreifen will, muss Imis Geschichte und die Israels kennen. Von der ersten Stunde an befand sich der Staat Israel im Krieg mit seinen Nachbarn. Israel musste unverzüglich eine Armee ins Feld schicken, seine Soldaten mit einem Minimum an Ausbildung und ohne Zeit für Manöver und Reservistenübungen in die Schlacht ziehen lassen. Aus diesem Grund mussten die Nahkampftechniken leicht erlernbar und unter Stress einfach abrufbar sein, auch wenn der Soldat schon längere Zeit nicht mehr geübt hatte. Dazu kam, dass Israel Soldaten aller Altersstufen und mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten in den Kampf schickte, von 18-jährigen Kriegern bis hin zu 40-jährigen Bauern. Das Kampfsystem musste für sämtliche Soldaten geeignet sein, nicht nur für Sportler in den besten Jahren.
Imi fand die Lösung darin, die Selbstverteidigungsaspekte seiner Kampftechniken aus den natürlichen Körperinstinkten heraus zu entwickeln. Anstatt festzulegen, wie die Soldaten agieren sollten, beobachtete er, wie ihre Körper in Stresssituationen reagierten, und benutzte diese instinktiven Reaktionen als Bausteine seines Selbstverteidigungssystems. Dieser Ansatz stellte sicher, dass die Funktion des Systems sich nah an den natürlichen Körperbewegungen orientierte. Ebenso wichtig war, dass durch diesen Ansatz die Reaktionszeit verkürzt wurde, besonders bei Stress, denn die Techniken orientierten sich an den körpereigenen Stressreaktionen.
Ein weiteres Element, das Imi Krav Maga mitgab, war Aggressivität. Auch dies ergab sich aus den Umständen und Folgen der israelischen Staatsgründung. Krieg ist immer brutal und blutig, aber in der Menschheitsgeschichte enden viele Kriege mit einer Einigung: Sieger und Besiegte unterzeichnen einen Vertrag und der Besiegte überlebt meistens irgendwie. Das erklärte Ziel der Feinde Israels bestand jedoch darin, Israel von der Erdoberfläche zu tilgen. Aus diesem Grund war man in Israel der Meinung, dass man niemals einen Krieg verlieren dürfe, denn das hätte ja das Ende bedeutet. So war für Israel jede Schlacht, jeder Krieg ein Kampf ums Überleben. Diese Einstellung durchdrang jeden Aspekt der soldatischen Ausbildung, auch das Nahkampftraining. Krav Maga bedeutet, aggressiv auf gewalttätige Angriffe zu reagieren, um den Angreifer möglichst rasch zu neutralisieren. Im Training geht es auch darum, niemals aufzugeben, denn die Folgen davon (auch hier blicken wir zurück auf die Ursprünge des Systems) wären unter Umständen fatal.
Imi Lichtenfeld, der Gründer von Krav Maga
Krav Maga in den Vereinigten Staaten
Mit Erlaubnis des Militärs begann Imi in den Sechzigerjahren, auch israelische Zivilisten zu trainieren. 1981 richtete der israelische Krav-Maga-Verband in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium das erste internationale Trainerseminar im Wingate-Institut für Sport in Netanya aus. Ein großzügiger Philantrop aus New York, S. Daniel Abraham, sponserte die Teilnahme einer 23-köpfigen Delegation aus verschiedenen Städten der USA. Der Kurs fand unter der Aufsicht von Imi statt, der mit seinen 71 Jahren seine Militärkarriere inzwischen beendet hatte, und wurde von den führenden Krav-Maga-Ausbildern Shike Barak, Eyal Yanilov und Ruevin Moimon abgehalten. Darren Levine wurde aufgrund seiner Box- und Kampfkunsterfahrung und wegen seines Engagements für das Sportprogramm der Heschel Day School bei Los Angeles als Delegierter ausgewählt.
Das Seminar war ein sechswöchiger Intensivkurs mit mehr als acht Stunden Training pro Tag an sechs Tagen in der Woche. Das Training brachte die Teilnehmer an ihre Grenzen und am Ende bestanden nur wenige. Einer davon war Darren.
Während dieses Seminars freundeten sich Imi und Darren miteinander an und Imi versprach, Darren in den USA zu besuchen. Er hielt Wort und reiste im Sommer 1982 nach Los Angeles, wo er bei Darren und seiner Familie wohnte und Darren noch mehr Krav Maga beibrachte.
Darren weiß von Imis Besuch eine Geschichte zu erzählen, die er auch in seiner Trauerrede zu Imis Beerdigung vortrug:
Als Imi mich besuchte, hatte ich gerade einen neuen Sportwagen gekauft und brannte darauf, ihn ihm vorzuführen. Ich war sehr stolz auf diesen Wagen. Aber als Imi sich hineinsetzte, fummelte und rutschte er darin herum und fasste sich immer wieder hinter die Schulter. Er wirkte unzufrieden. Schließlich fragte ich ihn, was los sei. Er meinte: »Dieses Auto taugt nichts. Der Sicherheitsgurt ist zu weit hinten. Mit der rechten Hand komme ich da nicht dran. Mit der linken auch nicht. Ich bin ja ein Faulpelz. So was muss leicht sein, sonst schnallt sich doch keiner an. Das ist nicht sicher.«
Damals war ich einfach enttäuscht, denn ich wollte ihn mit meinem Auto beeindrucken. Aber im Nachhinein wurde mir klar, dass er den Sicherheitsgurt so wahrnahm, wie er alles andere wahrnahm. Es musste einfach und wirksam sein, sonst würde es keiner hinbekommen. Das war Krav Maga.
Darren trainierte weiter und erhielt 1984 seine Trainerlizenz vom Wingate-Institut. In diesem Jahr überreichte Imi ihm auch persönlich seinen schwarzen Gürtel. Jahre später verlieh er ihm auch noch eine Gründerurkunde, eine von nur zweien, die Imi vor seinem Tod vergab. Darren und seine Kollegen hatten bereits die Krav Maga Association of America gegründet, und Krav Maga wurde in den USA immer populärer.
Krav Maga im Polizeidienst
1987 begannen Darren und seine besten Schüler, amerikanische Polizeikräfte in Krav Maga zu unterweisen. Mit Imis Hilfe passte Darren das Krav-Maga-System an die Anforderungen des amerikanischen Polizei- und Militärdienstes an. Die erste Polizeitruppe, die Krav Maga in ihre Ausbildung aufnahm, war die Polizei des Staates Illinois. Als Darren dort unterrichtete, kam Imi, mittlerweile 77 Jahre alt, aus Israel eingeflogen, um dabei zu sein.
Seither ist der Einsatz von Krav Maga im Polizeidienst rapide angestiegen. Krav Maga Worldwide (unsere Firma, die eine Masterlizenz der Krav Maga Association of America erhielt) trainiert inzwischen über 400 Polizeieinheiten auf Bundes-, Bundesstaats- und Ortsebene.
Die Bedürfnisse der Polizei ähneln in vielerlei Hinsicht denen der damals neu gegründeten israelischen Armee: begrenzte Ausbildungszeit, eingeschränkte Weiterbildungsmöglichkeiten und eine Truppe mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten. Da bietet sich Krav Maga förmlich an.
Wer weiß, wie aggressiv Krav Maga sein kann, runzelt womöglich die Stirn bei dem Gedanken daran, dass wir Polizisten trainieren. Schließlich ist Polizeiarbeit etwas anderes als Militärdienst: Im Krieg gilt es zu töten oder getötet zu werden, von Polizeibeamten wird dagegen eine gewisse Zurückhaltung erwartet. Dieser Ansicht stimmen wir hundertprozentig zu. Daher gehören juristische Aufklärung und Deeskalationsübungen zu all unseren Polizeikursen.
Davon einmal abgesehen, haben wir einen interessanten Aspekt der...