„Laut Finke kennt und kannte jegliche lebende und tote Sprache einen Begriff für Tätowierungen mit Ausnahme von Sanskrit[4]-Sprachen“ (Bischof 2006: 15). Das Wort `tattoo´ entstammt ursprünglich einem tahitianischen Dialekt, in dem das Wort `tatau´ von dem Geräusch `ta-ta-ta´, welches während dem Einschlagen der Farbpigmente in die Haut entstand, abgeleitet wurde (vgl. Bischof 2006). Die Entwicklung des Begriffs in Europa beginnt erst Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem Erscheinen des Reiseberichts von James Cooks erster Reise in den südpazifischen Raum, in dem er eine Sitte der Eingeborenen als etwas, „was man `Tattaw´ nennt“ beschrieb (Cook 1774 zitiert nach Joest 1887: 6). Im gleichen Jahr, in dem dieser Bericht entstand, brachte Cook einen tätowierten Polynesier Namens Omai mit nach London, was zu der Verbreitung des der Bezeichnung `tatauierung´ beitrug. Der Schritt zur deutschen Tätowierung ist, laut gängiger Meinung in der Literatur nur einer fehlerhaften Schreibweise zu verdanken, bei der die englische Silbe mit `tow´ statt mit `tau´ übersetzt wurde. Heute gebräuchlich sind die Begriffe Tätowierung und durch die in den letzten Jahren stattgefundene Angloamerikanisierung der deutschen Sprache die englische Form tattoo.
Der folgende historische Überblick ist lediglich ein Ausschnitt der umfangreichen Geschichte der Tätowierung, allerdings liefert er vielleicht einige Erklärungsansätze für die heute noch oft vertretenen stigmatisierenden Ansichten über diese Körperkunst. Den Körper zu verschönern und zu schmücken ist eines der frühesten Bedürfnisse der Menschen, allerdings sind die Ursprünge des Hautbildes, aufgrund seiner Vergänglichkeit mit dem Träger, schwer ausfindig zu machen. Die prähistorischen Belege zeigen, dass die Körperbemalung auf die gleiche Zeit zurückzureichen scheint wie die Höhlenmalerei. Der Ursprung der Bemalung liegt laut Buschan (1910) in dem Bestreichen mit Erden zur Kühlung und Abwehr von Insekten oder zur Tarnung. Erste Beweise für die frühe Praxis des Tätowierens stellen die ägyptischen Mumien zweier tätowierter Mädchen aus der 11. Dynastie (2000 v. Chr.) dar (vgl. Winlock, zitiert nach Ruhnke 1974: 17). Den wohl bekanntesten Fund stellt der prähistorische `Ötzi´ dar, der 1991 in einer Gletscherspalte im Ötztal in der Schweiz gefunden wurde und auf dem Wissenschaftler über 50 Tätowierungen gefunden haben. Nach langer Zeit der Spekulationen sind sich die Forscher heute über den Zweck dieser Tätowierungen fast alle einig. So befinden sich nahezu 100% der Strichtätowierungen auf Akupunkturpunkten, die für Rückenleiden und Verdauungsprobleme verwendet werden, weshalb die Wissenschaftler davon ausgehen, dass `Ötzi´ akupunktiert wurde. Das Alter wird mittlerweile auf Grundlage wissenschaftlicher Tests auf 5300 Jahre geschätzt (vgl. Feige 2003). Einen Aufschwung in Europa erhielt die Tätowierung Mitte des 18. Jahrhunderts, als James Cook von einer Reise den Südseeinsulaner Omai mit nach England brachte und ihn zu Attraktionszwecken ausstellte, wie es zu dieser Zeit üblich war (vgl. Oettermann 1994: 24ff). Omai erlangte hohe Popularität, da die Europäer die Welt der Südsee für das Paradies hielten, rein und unberührt und die Tätowierung als Schrift dieser Welt empfunden wurde (vgl. Oettermann 1994: 47ff). Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an bis zum ersten Weltkrieg erreichte die Tätowierung ihren Höhepunkt, was zur Niederlassung erster Berufstätowierer führte und auch von einer stark tätowierten Frau ist 1890 das erste mal zu lesen (vgl. Oettermann 1994: 58f). Zeitgleich erschien Lombrosos[5] kriminalanthropologisches Werk „Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung“, in dem er einen kausalen Zusammenhang zwischen kriminellen Neigungen und Tätowierungen herstellte. Dies führte dazu, dass Tätowieren allgemein als Manie bezeichnet wurde (vgl. Finke 1993). Ab den 20er Jahren wurde die Zurschaustellung von Tätowierten „(…)fast bis zum vollständigen Verbot reglementiert“ (Oettermann 1994: 91). Die Nazis verfolgten Tätowierte und deportierten sie in Konzentrationslager, da die weit verbreitete Meinung bestand sie würden den Staat zerstören und wären kriminell. Allerdings hielt diese Ansicht SS-Offiziere nicht davon ab sich selbst tätowieren zu lassen um ihre Zugehörigkeit zum politischen System zu demonstrieren (vgl. Oettermann 1994). Zudem waren in dieser Zeit Straf- und Zwangstätowierungen an der Tagesordnung, bei denen Gefangenen in Konzentrationslagern zum Zweck der Stigmatisierung Nummern und Blutgruppen tätowiert wurden (vgl. Oettermann 1994). Seit den 80er Jahren scheint der Hautstich eine Renaissance zu erleben, was unter anderem die zunehmende medizinische und allgemeine Literatur zu dem Thema und zum anderen die steigende Zahl der Hautbilder belegt (vgl. Friederich 1993). Die häufig fehlenden Belege für die Entwicklung haben allerdings zur Folge, dass sich die verschiedensten Standpunkte herausgebildet haben, wie diese Aussage von Finke zeigt: „Es konnte weiterhin die Annahme erhärtet werden, dass sich die Tätowierung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen in allen Erdteilen selbständig und unabhängig voneinander entwickelt hat und keineswegs von der Südsee in den europäischen Raum eingeschleppt wurde, wie es in einigen Veröffentlichungen immer wieder behauptet wird“ (Finke 1996: 49). Trotzdem wird an Hand der weit zurück reichenden Geschichte der Körperkunst deutlich, dass es kaum möglich ist, dass alle Menschen mit einer Körpermodifikation psychopathologische Züge aufweisen, sonst hätten wir die älteste Krankheit der Menschheit entdeckt.
Eine eindeutige Begriffsklärung der Tätowierung scheint auf den ersten Blick einfach, auf den zweiten Blick wird allerdings deutlich wie unterschiedlich die Aussagen in der Literatur darüber sind, was man unter einer Tätowierung zu verstehen hat, wenn überhaupt eine klare Definition vorhanden ist. In einem Großteil der Literatur wird ganz auf eine Begriffsklärung verzichtet und somit der Eindruck erweckt, es existiere eine allgemein anerkannte Begrifflichkeit. Dass dies nicht der Fall ist, wird im Folgenden deutlich. Das klinische Wörterbuch bietet eine der ältesten Versuche einer Begriffserklärung: „Tätowierung, Tatauierung polynes. tattau, Farbstichelung, Färbung von Malern und Hornhautflecken durch Einreiben von Farbstoff, gew. Tusche, in feine Stichöffnungen; der Name stammt von den Südseeinsulanern. Besonders ausgiebige und besonders laszive Tätowierung der Haut als Neigung bei Verbrechern, Lombroso. Aber auch sehr beliebt bei Matrosen“ (Dornblüth 1927). Auch wenn der Entwicklung dieser Zeit entsprechend, ist dieser Vorschlag in der heutigen Zeit wohl nicht mehr haltbar. Die gängigsten Vorstellungen von Tätowierungen sind Bilder oder Schriften auf der Haut von Menschen, leider gehen auch viele Autoren über diese Phänomenologie nicht hinaus oder treffen lediglich grobe Unterscheidungen, wie Christa Ruhnke: „Einige Autoren verstehen unter der Tätowierung jegliche Form bleibender Veränderung an der menschlichen Haut. Üblicher ist es, zu unterscheiden zwischen dem eigentlichen Tätowieren –nämlich der bleibenden Zeichnung der Haut durch Einbringen von Farbpartikeln- und den übrigen Formen der Veränderung der Hautoberfläche, wie dem Anbringen von Schnitt- und Brandnarben“ (Ruhnke 1974: 11). Doch diese Beschreibung greift eindeutig zu kurz, da nach Ruhnke auch eingebrachter Dreck in Schürfwunden als Tätowierung gelten würde. Lediglich der Vollständigkeit halber wird auch die Definition des bekannten Online- Lexikons Wikipedia erwähnt: „Eine Tätowierung (wissenschaftlich auch Tatauierung, umgangssprachlich (engl.) Tattoo) ist ein Motiv, das mit Tinte oder anderen Farbpigmenten in die Haut eingebracht wird“[6]. Bei dieser Definition wird schon die Einbringung in die Haut berücksichtigt, doch es fehlt die Absichtlichkeit, die Zielgerichtetheit der Handlung.
Finke bietet eine der aktuellsten Erklärungen und bringt in seiner Definition eine zusätzliche Dimension hinzu. Bei ihm bezeichnet die Tätowierung immer eine Erwerbs- oder Zweckmotivation, das bedeutet dass sie aus einem bestimmten Grund erworben wurde (Finke 1996: 17). In dieser Arbeit wird diese Ansicht geteilt und um den von Friederich vorgeschlagenen Aspekt, dass die eingebrachten Partikel einen bildhaften Charakter haben können, aber nicht zwangsweise haben müssen, erweitert (vgl. Friederich 1993). Im Folgenden wird also unter einer Tätowierung die künstlich vorgenommene, permanente und beabsichtigte, zielgerichtete Einlagerung von Farbpigmenten in die Haut verstanden, die nicht zwangsweise einen bildhaften Charakter haben müssen und bei der das Ziel des Tätowierers nicht mit dem des Tätowierten übereinstimmen muss.
„Psychiatric disorders, such as antisocial personality disorder,
drug or alcohol abuse and borderline personality disorder,
are frequently associated with tattoos.”
(Raspa &...