Tritt ein Problem auf, so stellt sich als eine der ersten Fragen, die Frage nach dem wieso und woher und was die Ursache war. Ist der Grund erstmal gefunden, ist die Lösung des Problems nicht weit. Beim Phänomen der Prüfungs- und Redeangst sind verschiedene Ursachen denkbar und die Probleme der Einzelperson haben zumeist mehrere Gründe. Grob kann man angeborene und erworbene Teile unterscheiden, die bei der Entstehung von Prüfungsangst eine Rolle spielen.
Denkt man an den Urmenschen zurück, so erscheinen gewisse Ängste als durchaus sinnvoll und notwendig. Die Angst vor dem Säbelzahntiger musste zu einem großen Teil schon vererbt sein, denn derjenige, der sie erst langsam „lernen“ wollte, endete in des Säbelzahntigers Magen. Möglicherweise wird heutzutage neben der mittlerweile nutzlosen „Säbelzahntigerangst“ auch Sozialangst weitervererbt. Kleinkinder zeigen im Alter von ca. acht Monaten eine verstärkte Angstreaktion, wenn sie von ihrer Mutter getrennt werden: Das Fremdeln. Es ist noch ungeklärt, ob besonders starkes Fremdeln auf eine spätere Sozialangst, die wiederum Prüfungsangst begünstigen würde, hindeutet. Laut Kagan und Snidman kommen ungefähr 15-20% aller Kinder mit einer neurochemischen Ausstattung auf die Welt, die eine besondere Anfälligkeit für gehemmtes Verhalten aufweist (vgl. Kagan & Snidman 1991). Dieses trat durch eine Fehlfunktion im Gehirn ausgelöst in Stresssituationen auf. So wurde eine ungewohnte Situation nicht neugierig erkundet, sondern lieber gemieden. Dies führt dazu, dass diese Kinder weniger Erfahrung mit ungewohnten Situationen haben und somit sich auch mit der Bewältigung selbiger schwerer tun. Nach Studien der Zwillingsforschung lassen sich familiäre Abstammungslinien von Sozialangst vermuten. Ähnliche Ergebnisse ergaben sich auch bei der Untersuchung an Tieren (Rhesusaffen, Mäusen). Die Forschungen ergaben jedoch allesamt einen genetischen Einflussfaktor von unter 50%, was auf eine große Rolle der Umwelteinflüsse hindeutet (vgl. Beushausen 2004, S. 32). Auch Überlegungen zur Selbstsicherheit deuten in diese Richtung. Kein Baby zieht sich die Decke über, da es der Meinung ist, dass es um die Hüften herum in letzter Zeit etwas dicklich geworden ist. Also muss auch die Unsicherheit mit der Zeit erworben werden.
Die Angst kann also nicht allein aus den Genen erwachsen. Wie entwickelt der Mensch also dieses Verhalten? Und welche Rolle spielt dabei dessen Umwelt?
Laut Eschenröder gibt es bei der Entwicklung von Prüfungsangst sowohl begünstigende als auch hemmende Faktoren:
Tabelle 1: Prüfungsangstbegünstigende und hemmende Faktoren bei Kindern (vgl. Eschenröder 2002)
Schon in frühster Kindheit wenden sich Kinder mit sprachlichen Äußerungen an ihre Umwelt und diese reagiert wiederum darauf. Diese Reaktionen prägen sich mit der Zeit ein. Nun liegt es an den Reaktionen, ob sich daraus beim Kind Selbstvertrauen entwickelt, wenn sein Handeln erwünscht ist und durch Lob u. ä. gefördert wird, oder ob sich bei ihm Unsicherheit breit macht, da seinen Äußerungen mit Missbilligung, Kritik oder gar Strafen entgegnet wird. Diese Unsicherheit kann sich dann im Laufe der Jahre zu einer Redeangst verfestigen. Dieses Problem wird noch das Phänomen, dass Prüfungsängstliche häufig an sich selbst höhere Anforderungen als an andere stellen, verstärkt. Stopa und Clark fanden heraus, dass solche Leute dazu neigen ihre Fähigkeiten und Leistungen zu unterschätzen und sich selbst negativer zu beurteilen als dies das Publikum tun würde. Fehler bei anderen tolerieren sie eher als bei sich selbst (vgl. Stopa & Clark 1993, 267 ff.).
Einen weiteren Einfluss auf das Kind übt das Umfeld dadurch aus, indem es ihm als Modell dient. Wortschatz, Grammatik, Stimmgebrauch, Sprachlaute sowie das Kommunikationsverhalten der Personen in dessen näherer Umwelt werden vom Kind nachgeahmt und somit im Lauf der Zeit selbst übernommen.
Hat sich dann mal eine gewisse Unsicherheit eingeschlichen und verfestigt, so meiden diese Personen in Zukunft häufig unangenehme Situationen. Somit vermeiden sie auch neue Erfahrungen zu machen bzw. diese zu erweitern und ihre Fähigkeiten zu trainieren. Bisher gekonntes wird wieder verlernt.
Wenn ein Kind den Eindruck bekommt, nur dann von seinen Eltern geliebt zu werden, wenn es gute Leistungen bringt und ansonsten Einschränkungen oder gar körperliche Strafen fürchten muss, dann kann jede Leistungssituation von ihm als eine Bedrohung empfunden werden (vgl. Eschenröder 2002, S. 15 f.). Diese Konnotation wird dann zumeist auch im Erwachsenenalter beibehalten.
Des weiteren können auch einschneidende Erfahrungen oder Traumata, Grund für die Abneigung vor anderen zu sprechen sein (vgl. Beushausen 2004, S. 27 ff.). Ob man zu Schulzeiten schrecklich ausgelacht wurde als man an der Tafel nicht weiter wusste, ob man gehänselt wurde oder ob es ein ganz anderes folgenschweres Erlebnis war – entscheidend ist nicht wie schlimm objektiv betrachtet die Situation zu beurteilen ist, sondern entscheidend ist wie unangenehm der Moment von der jeweiligen Person empfunden wurde.
Die Umwelteinflüsse auf das erworbene Verhalten sind also sehr zahlreich und im nach hinein ist eine bestimmte Verhaltensweise nur schwerlich einem bestimmten Umwelteinfluss zuzuordnen.
Jeder Mensch entwickelt also im Lauf seines Lebens eine mehr oder weniger große Anfälligkeit für Prüfungsangst. Wodurch diese Ängste dann jedoch ausgelöst werden, kann wiederum ganz unterschiedlich sein. Hier die Prüfung an sich als Auslöser zu nennen, wäre zu kurz gegriffen.
Furcht vor Lernschwierigkeiten
Die Befürchtung aus Zeitmangel die große Stoffmenge nicht zu schaffen und somit schlecht vorbereitet zu sein kann Auslöser für Prüfungsangst sein. Andere fürchten aufgrund von aufkommender Prüfungsangst oder gelegentlicher Unlust und Trägheit keine optimale Vorbereitung zu haben. Die Konsequenz ist die gleiche: Prüfungsangst.
Furcht vor dem Versagen
Die Vorstellung, wie sie in der Prüfung versagen, haben viele prüfungsängstliche Personen sehr detailliert. Sie denken an für sie unlösbare Fragen, die Ungeduld des Prüfers, Blackouts, etc. und wie sie somit völlig versagen.
Furcht vor dem Prüfer
Besitzt ein Mensch die Tendenz, sich vor Autoritätspersonen und deren Möglichkeiten zu fürchten, so hat dies automatisch auch darauf Einfluss wie der Prüfer wahrgenommen wird. Während diesem übermenschliche Macht und Wissen zugeschrieben wird, traut man sich selbst nur sehr wenig zu und unterschätzt sich in starkem Maße.
Furcht vor beruflichen Nachteilen
Nahezu jede Prüfung hat mehr oder minder große Auswirkungen auf den weiteren schulischen, universitären oder beruflichen Werdegang. Da manche Personen dazu neigen, diese Folgen viel dramatischer und endgültiger einzuschätzen als diese tatsächlich sind, droht auch hier sich Prüfungsangst daraus zu entwickeln. Werden zudem schlechte Leistungen als Anzeichen für die eigene Unfähigkeit gewertet und als etwas, das korrigiert werden kann, so verstärkt dies noch die Prüfungsangst.
Furcht vor Blamage und Zurückweisung
Wie schon bei den Ursachen erläutert, sind manche Personen davon überzeugt nur dann sozial akzeptiert und geliebt zu werden, wenn sie gute Leistungen bringen. Die Furcht vor Zurückweisung im Falle eines negativen Abschneidens ängstigt die Leute somit. Des weiteren haben sie die Furcht, sich komplett zu blamieren und sich Vorwürfe gefallen lassen zu müssen. Auch hier gibt es die Tendenz, dass die Anmerkungen anderer Leute negativer aufgenommen werden als sie eigentlich gemeint waren und bestärkende Kommentare einfach überhört werden. Den Menschen aus dem Umfeld werden dann die negativen Gedanken („Der hält mich bestimmt für unfähig.“, „Die schaut mit ständig so an als wüsste ich das nicht.“, usw.) unterstellt mit denen man sich selbst herumquält. Die Furcht vor negativen Bewertungen durch andere Menschen und einer Blamage hängt somit eng mit der Furcht vor dem Selbstwertverlust zusammen.
Furcht vor dem Verlust der Selbstachtung
Woraus folgert ein Mensch seinen Wert und die Achtung vor sich selbst? Manche ziehen hier das Abschneiden in Prüfungssituationen als Grundlage heran. Hier besteht dann jedoch die Gefahr, dass jede Leistungsabfrage als Bedrohung für das eigene Selbstwertgefühl angesehen wird. Entspricht das erzielte Ergebnis nicht den zuvor festgelegten Erwartungen, so drohen Selbstvorwürfe oder gar Selbstverachtung. Diese Aussicht löst nachvollziehbarer weise eine hohe Prüfungsangst beim Prüfling aus.
Furcht...