Warum drehen sich Knödel im Topf?
1Fast täglich erhalte ich Post von Menschen, die ich nicht kenne. Manchmal schicken sie mir seitenlange Abhandlungen über neuartige und unbekannte Phänomene, geheime, aber angeblich vielversprechende Patente oder aber Beweise, dass Albert Einstein mit der Relativitätstheorie offensichtlich doch unrecht hatte. Nicht selten ermahnen mich die Autoren schon auf der ersten Seite, dass ihre Erkenntnisse den Lauf unserer Welt verändern werden. Was folgt, sind komplizierte Skizzen, unkonventionelle Rechnungen und abenteuerliche Argumentationen. Bisweilen verlassen dann die leidenschaftlichen Erfinder mit einem gefährlichen Halbwissen den Boden physikalischer Gesetze.
Besonders häufig erhalte ich nicht enden wollende Anleitungen für die Konstruktion eines Perpetuum mobile, einer Maschine, welche auf wundersame Weise unendliche Energie aus dem Nichts produziert. Wie verlockend und unglaublich ist da die Vorstellung, man könne damit auf einen Schlag die Energieprobleme dieser Welt lösen? Es wundert also nicht, dass das Perpetuum mobile immer wieder die Phantasie selbsternannter Erfinder beflügelt.
Doch eines Tages schrieb mir ein älterer Herr und schilderte mir ein sonderbares Phänomen, mit der Bitte um Aufklärung. Zum Glück war das Schreiben kurz und beinhaltete dieses Mal keinen Versuch, die Energieprobleme der Welt für immer zu lösen. Vielmehr ging es um eine einfache Frage: Warum drehen sich Knödel im Topf?
Knödel und Klöße sind überall beliebt, und es gibt sie in einer unglaublichen Vielfalt: Kartoffelklöße, Thüringer Klöße, Germknödel, Hefeklöße – die kocht meine Schwiegermutter besonders gut – und last but not least Karl Valentins bekannte »Semmelnknödeln«.
Allen gemeinsam ist eine Eigenschaft: Sie sind rund, und genau hierin liegt wohl die Lösung des Rätsels. Wenn ein runder Knödel im Wasser schwimmt, dann kennt er kein »oben« und »unten«, denn durch die runde Form bleibt der Schwerpunkt immer an derselben Stelle, egal wie man den Knödel dreht. Genauso wie einen Ball im Wasser kann man ihn leicht drehen und benötigt hierfür kaum Kraft.
Im kochenden Wasser oder siedenden Fett bilden sich jedoch im Knödel kleine Bläschen. Die perfekt symmetrische Form wird dadurch leicht gestört. Da die Unterseite völlig ins Wasser eingetaucht ist, können sich die Bläschen dort aufgrund der höheren Temperatur stärker ausdehnen. Bläschen, die vom Boden des Kochtopfs aufsteigen, haften an der Unterseite des Knödels und bewirken einen leichten Auftrieb. Die kleinen Kräfte reichen aus, um den runden Knödel zu drehen. Jetzt taucht aber eine andere Partie ein, die vorher aus dem Wasser ragte. Sie wird plötzlich stärker erhitzt, die Bläschen dehnen sich aus, und erneut dreht sich der Knödel im Topf. Wenn der Topf offen ist, wird das Drehen noch verstärkt, denn unmittelbar über dem kochenden Wasser ist es kälter. Diese Temperaturdifferenz reicht aus, um die Drehbewegung weiterzutreiben.
Etwas Ähnliches kann man übrigens auch beim Abschmelzen von Eisbergen beobachten. Auch hier kommt es durch das Abschmelzen zu einer ständigen Verschiebung des Schwerpunktes, und so dreht sich der schmelzende Eisberg wie von Geisterhand im Wasser.
Der drehende Knödel im Topf bewegt sich durch minimale Änderungen der Dichte und wird damit zu einem thermo-dynamischen Gebilde. Durch die Expansion von Gasen wird mechanische Arbeit geleistet, wie bei einem Motor. Es gibt übrigens Parallelen zwischen dem drehenden Knödel und so manchem Perpetuum mobile: Dieses besteht häufig aus Rädern, die sich durch minimale Temperaturunterschiede an einer Seite ausdehnen und so zu drehen beginnen. Doch bevor Sie jetzt der Idee erliegen, man könne die Welt durch selbstdrehende Knödelmaschinen retten: Auch beim Knödel gelten die klassischen Gesetze der Physik!
Warum bildet sich Haut auf der erhitzten Milch?
2»Ihhh ... !« Der Blick in die Tasse wirkt verzweifelt, und im ersten Moment könnte man meinen, im frischen Kakao der Tochter schwimme etwas Entsetzliches. »Das ist doch nicht schlimm, das ist nur die Haut auf der Milch«, schüttelt Opa verständnislos den Kopf. In den folgenden Minuten gibt es eine ausgiebige Diskussion über den Ekel mancher Menschen vor der dünnen Hautschicht auf der Milch oder dem Pudding. Oma findet die Puddinghaut besonders lecker, und Opa erzählt irgendwann vom Krieg und dass es damals nichts zu essen gab. Die Eltern versuchen mit vorgetäuschtem Verständnis die Kleine zu beruhigen. Mit einem Sieb wird der Kakao gefiltert, doch es bleiben kleine Flocken im Getränk übrig. Am Ende wird Großvater den Kakao trinken, und Töchterchen bekommt eine neue Tasse. Haut auf der Milch ist in vielen Familien ein Thema. Mancher ekelt sich regelrecht vor dem glitschigen Etwas. Der in den vergangenen Jahren in Mode gekommene Milchschaum hingegen gilt als köstlich und schick. Dabei ist er im Grunde nichts anderes.
Milch ist eine sehr nahrhafte Flüssigkeit. Immerhin ernähren wir uns zu Beginn des Lebens ausschließlich davon. Nicht nur für uns, sondern für alle Säugetiere ist sie das Lebenselixier der ersten Monate oder Jahre. Neben Wasser enthält frische Milch Fett, Milchzucker und zu etwa 3,5 Prozent Eiweißstoffe, sogenannte Kaseine und Molkeproteine.
Wenn wir genau hinsehen, können wir einige dieser Bestandteile sogar erkennen: Lässt man frische Milch ruhig stehen, entdeckt man auf der Oberfläche kleine Öltröpfchen, das Milchfett.
Wird die Milch nun erhitzt, dann verändert sich vor allem die Struktur der Eiweißstoffe. Die mikroskopisch kleinen fadenförmigen Moleküle sind anfangs zu kleinen Kügelchen aufgerollt, die wie Wollknäuel aussehen, und schwimmen frei in der Milch. Mit steigender Temperatur beginnen sie sich zu entfalten. Bei etwa 75 °C wird die Knäuelstruktur aufgehoben.
Etwas Ähnliches sieht man beim Eiweiß: Auch hier handelt es sich um ein mehrfach ineinandergefaltetes Protein, das sich beim Erhitzen verändert und fest wird. Das Eiweiß denaturiert, wie der Fachmann sagt.
Übrigens: In unserem Blut finden sich ebenfalls jede Menge Eiweißstoffe, und bei extrem hohem Fieber kann es daher gefährlich werden. Ab 42 °C verändern auch diese Eiweißmoleküle ihre Struktur, und somit sterben lebenswichtige Körperzellen, was für den Patienten tödlich enden kann.
Zurück zur Milch auf dem Herd: Sobald sich die Molekülfäden »entknäueln«, geben sie viele Stellen frei, an denen andere Fäden ansetzen können, und so bildet sich schnell ein feines und festes Netz aus Eiweißstoffen, in das sich die oben schwimmenden Fetttröpfchen einlagern. Wann und wie dieses Netz entsteht, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab: vom Fett- und Eiweißgehalt der Milch, vom Grad der Homogenisierung und auch vom Prozess des Abkühlens an der Oberfläche.
Da dieses Eiweiß- und Fettnetz leichter ist als Wasser, schwimmt es oben, wodurch auf der heißen Milch eine Haut entsteht. 1 Beginnt nun die Milch unter dieser Haut zu kochen, dann steigen unentwegt Wasserdampfbläschen von unten nach oben, die von der feinen Haut festgehalten werden. Da immer mehr Bläschen nachrücken, drücken sie die Haut nach oben, und die Milch kocht irgendwann über. Wenn man hingegen mit dem Schneebesen kräftig rührt, wird die Haut ständig zerstört, und das gefürchtete Überkochen bleibt aus.
Bei der geschäumten Cappuccino-Milch sorgt eben jene Haut dafür, dass der Schaum stabil bleibt und nicht so schnell in sich zusammenfällt. Beim Schäumen werden jede Menge Luftbläschen in den Eiweißnetzstrukturen der Milch eingeschlossen.
Der geliebte Milchschaum ist also eigentlich nichts anderes als Haut mit...