Im Folgenden soll der Begriff der Ich-Schwäche näher bestimmt werden. Dazu werden zunächst einmal die Kriterien für Ich-Stärke definiert.
FEND verwendet den Begriff der Ich-Stärke folgendermaßen: „Der für produktive Problembewältigung wichtige Kern selbstreflexiver Prozesse besteht u. E. in Kognitionen, die man zusammenfassend ‚Kontrollbewusstsein’, ‚Selbstvertrauen’ oder ‚Ich-Stärke’ nennen könnte.“[31] Für FEND beinhaltet der Begriff „Ich-Stärke“ ein „Positives Selbstbild“, „Kompetenzbewusstsein“ und „Psychische Stabilität“.
Im Folgenden möchte ich eben genannte Begriffe (Positives Selbstbild, Kompetenzbewusstsein, Psychische Stabilität) dem Begriff „Selbstkompetenz“ unterordnen. Der Begriff der Ich-Stärke soll erweitert werden.
Für die vorliegende Problematik sollen im Weiteren zwei für die Ich-Stärke wesentlichen Kompetenzen herausgegriffen werden, die Selbstkompetenz und die Sozialkompetenz. Abbildung 3 soll der Veranschaulichung der Begriffe dienen. Anzumerken ist auch hier, dass die in diesem Modell künstlich getrennten Begriffe zum Teil fließend ineinander übergehen und einander gegenseitig bedingen.
1.1.1. Anlage
Damit soll der Anteil der Anlage an der Gesamtheit eines Individuums mit einbezogen werden. Selbst- und Sozialkompetenz sind natürlich auch in einem gewissen Maß[32] durch die „Gene“ bestimmt, gemeint sind aber vor allem körperliche Anlagen wie das Aussehen, sowie motorische und musische Fähigkeiten.
1.1.2. Selbstkompetenz
Damit meine ich sämtliche Fähigkeiten eines Menschen, mit der Umwelt und deren Einflüssen aber auch mit sich selbst umzugehen und fertig zu werden. Es kann darunter die Bereitschaft verstanden werden, „neue Aufgaben zu übernehmen, sich auf Risiken einzulassen, Widerstand bei vorübergehenden Misserfolgen zu zeigen, Ziele konsistent zu verfolgen, Rückschläge fruchtbar zu verarbeiten, Verführungen zu widerstehen und problematische Abhängigkeiten zu vermeiden. Selbst die Fähigkeit des Umganges mit den eigenen Emotionen, mit Erfolgs- und Misserfolgserfahrungen, mit Enttäuschungen und Rivalitätsgefühlen, mit dem Verzicht auf kurzfristige Befriedigungen dürfte von diesen mediatisierenden und auf die eigene Person bezogenen Kognitionen beeinflusst sein.“[33]
Abbildung 3: Modell zur Veranschaulichung der für die Ich-Stärke wesentlichen Kompetenzen
Zugeordnete Fähigkeiten
Folgende Aspekte können der Selbstkompetenz zugeordnet werden:
Selbstkonzept
Selbstbild
Selbstakzeptanz
Kompetenzbewusstsein
Psychische Stabilität
Selbstkonzept
Das Selbstkonzept stellt nach PETERMANN & PETERMANN „das gesamte Wissen über die eigene Person und die Summe der gesammelten Erfahrungen dar.“[34] Ich verstehe darunter auch eine Art „Grundeinstellung“ dem Leben gegenüber. Dieses Konzept beginnt sich bereits vor der Geburt als Interaktionsprodukt zwischen Anlage und Umwelt[35] zu entwickeln. Je nach Ausprägung spricht man von einem positiven oder einem negativen Selbstkonzept.
Selbstbild
Unter Selbstbild soll das „Bild“ verstanden werden, das eine Person von sich selbst besitzt. Dieses beinhaltet beispielsweise das Aussehen, die Stellung in der Gruppe, Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, aber auch die Vorstellung darüber, welches Bild die Umwelt von der eigenen Person hat. Je nachdem spricht man auch hier von einem positiven oder negativen Selbstbild.
Selbstakzeptanz
Darunter verstehe ich die Fähigkeit eines Menschen, sich – obwohl er sich gewisser Fehler bewusst ist – als „gute“, „gelungene“ Person akzeptieren und „In-Ordnung“ fühlen zu können.
Kompetenzbewusstsein
Hierbei geht es um das Wissen einer Person um die eigenen Fähigkeiten. Das kann sich auf die Schule beziehen, die Zukunftsbewältigung, die Handlungskontrolle (z.B. Sachen zu Ende führen)[36], aber auch auf die hier angeführten Kompetenzen selbst.
Psychische Stabilität
FEND zieht in einer Untersuchung Emotionskontrolle und schulische Leistungsangst[37] als Indikatoren für psychische Stabilität heran. In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist meiner Meinung nach auch die soziale Angst und Formen der Depression.
1.1.3. Wahrnehmungskompetenz
Wahrnehmungskompetenz bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, sich und die Umwelt wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang ist damit insbesondere die Kompetenz, menschliche Persönlichkeits- und Beziehungsstrukturen erkennen und einordnen zu können, gemeint. Bei Störungen der kognitiven Verarbeitungsprozesse, kann es auch zu Wahrnehmungsverzerrungen kommen.[38]
Die Wahrnehmungskompetenz stellt in diesem Modell (Abbildung 3) die „Schnittstelle“ zwischen dem Ich und seiner Umwelt dar.
1.1.4. Sozialkompetenz
„Sozial kompetentes Verhalten befähigt eine Person, in spezifischen Situationen langfristig ein günstiges Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen herzustellen.“[39] Voraussetzungen für sozial kompetentes Verhalten sind nach PETERMANN & PETERMANN:
Frei sein von sozialer Angst
Verfügen über soziale Fertigkeiten
WOLPE & LAZARUS[40] listen vier Merkmale sozial kompetenten Verhaltens auf:
Nein zu sagen
Wünsche und Forderungen zu äußern
Kontakte anzuknüpfen, Gespräche zu beginnen sowie zu beenden
Positive und Negative Gefühle zu äußern
Zugeordnete Fähigkeiten
Der Sozialkompetenz können folgende Fähigkeiten zugeordnet werden:
Rollenübernahmefähigkeit
Interaktionsfähigkeit
Selbstbehauptungsfähigkeit
Rollenübernahmefähigkeit
Bezeichnet im Wesentlichen die „Fähigkeit, sich in die Lage von anderen (...) versetzen (zu können, Anm. d. Verf.). Eine sensible Wahrnehmung der eigenen Person und die der Interaktionspartner trägt zur Rollenübernahmefähigkeit bei.“[41]
Interaktionsfähigkeit
„Die Interaktionsfähigkeit bezieht Verhaltensweisen mit ein, die für unterschiedliche Kontakt- und Kommunikationssituationen unverzichtbar sind. Kontakte knüpfen, kooperieren, fragen, erklären und eigene Vorstellungen darlegen können, gehören genauso dazu wie zuhören und Anerkennung akzeptieren können. Die Interaktionsfähigkeit setzt Wahrnehmungs- und Rollenübernahmefähigkeit voraus.“[42]
Selbstbehauptungsfähigkeit
Nach FEND[43] sind soziale Durchsetzungsfähigkeit und Selbstbehauptung zentrale Aspekte sozialer Kompetenz.
„Die Selbstbehauptungsfähigkeit vervollständigt die Interaktionsfähigkeit in einem wesentlichen Bereich und trägt zur Entwicklung einer eigenständigen und unabhängigen Person bei. Sie zielt auf die Fähigkeit ab, nein zu sagen, Wünsche zu äußern sowie Forderungen zu stellen, Kontakte zu beenden und negative Gefühle sowie Kritik anzubringen. (...). Zur Selbstbehauptung müssen Konflikte richtig beurteilt werden und angemessene Bewältigungsstrategien zur Verfügung stehen.“[44]
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass unter Ich-Stärke das funktionierende System aus den beschriebenen Fähigkeiten, Kompetenzen und körperlichen Anlagen verstanden werden kann.
Verbundene Phänomene
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