EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
»Der da trinket von den Wassern Afrikas,
der kehret zurück für und für!«
(Arabisches Sprichwort)
»Wie lange ich geschlafen, erinnere ich mich nicht. Als ich erwachte, stand der Scheich der Oase dicht über mich gebeugt vor mir, die rauchende Mündung seiner langen Flinte war noch auf meine Brust gerichtet. Er hatte aber nicht, wie er wohl beabsichtigt hatte, mein Herz getroffen, sondern nur meinen linken Oberarm zerschmettert; im Begriff, mit der Rechten meine Pistole zu ergreifen, hieb nun der Scheich mit seinem Säbel meine rechte Hand auseinander. Von dem Augenblick sank ich auch schon durch das aus dem linken Arm in Strömen entquellende Blut wie tot zusammen … Als ich am folgenden Morgen zu mir kam, fand ich mich allein mit neun Wunden, denn auch noch, als ich schon bewusstlos dalag, mussten die Unmenschen, um mich ihrer Meinung nach vollkommen zu töten, auf mich geschossen und eingehauen haben. Meine sämtlichen Sachen, mit Ausnahme der blutdurchtränkten Kleider, hatten sie weggenommen. Obgleich das Wasser nicht weit von mir entfernt war, konnte ich es nicht erreichen, ich war zu entkräftet, um mich zu erheben, ich versuchte mich hinzurollen, alles vergebens, ich litt entsetzlich vom brennenden Durst.«
Um ein Haar hätte dieser Überfall auf der ersten Reise des Gerhard Rohlfs durch Marokko einem Forscherleben ein Ende gesetzt, noch bevor es richtig begonnen hatte. Doch zum Glück kam es anders. Nach drei Tagen wurde der Halbtote gefunden und in einer elenden Hütte der kleinen Sahara-Oase Hajui soweit wiederhergestellt, dass er die Reise fortsetzen und die Küste des Mittelmeers erreichen konnte. Rohlfs’ Wunsch, seinen nur noch an Haut und Muskeln hängenden linken Arm amputieren zu lassen, wurde ihm von seinem Retter verweigert: »Das kann bei euch Christen Sitte sein, aber wir schneiden nie ein Glied ab, und da du, der Höchste sei gelobt, jetzt rechtgläubig bist, wirst du deinen Arm behalten.« Er behielt ihn tatsächlich, wenn auch etwas verkürzt und zeit seines Lebens mit teilweise steifen Fingern.
Es würde den Rahmen der Einführung bei Weitem sprengen, wollte man das abenteuerliche und ereignisreiche Leben des Afrikaforschers Gerhard Rohlfs hier detailliert schildern. Der an der Person des Entdeckers interessierte Leser sei auf die im Literaturverzeichnis angeführten Werke verwiesen. Wir können hier lediglich versuchen, den Lebensweg einer der größten und berühmtesten, wenn auch nicht immer unumstrittenen Forscherpersönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts kurz zu skizzieren.
Gerhard Friedrich Rohlfs wurde am 14. April 1831 in dem kleinen Hafenstädtchen Vegesack bei Bremen als Sohn des dortigen Arztes geboren. In seiner Kindheit und frühen Jugend wie seine sechs Geschwister von Hauslehrern unterrichtet – in Vegesack gab es zur damaligen Zeit noch keine höheren Schulen –, entwickelte der Knabe früh ein unabhängiges, freiheitsliebendes und unternehmungslustiges Wesen, dem jeder Zwang ein Gräuel war. Er war ein eher schlechter Schüler, wie er selbst freimütig bekannte: »So viel ich essen konnte, so faul war ich andererseits in der Schule; nur Geographie, Deutsch und Geschichte habe ich gut gelernt; auch für neuere Sprachen, wie Englisch und Französisch, hatte ich Verständnis; Latein und Griechisch fand ich höchst langweilig, und in der Geometrie habe ich es auch später auf dem Gymnasium nur bis zum Pythagoras gebracht; Algebra blieb mir immer ein Buch mit sieben Siegeln.«
Mit fünfzehn Jahren kam er auf das Gymnasium von Osnabrück, wo ihm der schulische Zwang vollends unerträglich wurde. Er verkaufte seine Uhr, schrieb seinen Eltern in einem Abschiedsbrief, dass er keine Lust mehr zum Studieren habe, und brannte nach Amsterdam durch. Im letzten Augenblick konnte er von seiner Mutter von Bord eines Schiffes geholt werden, auf dem er sich schon als Decksjunge hatte anheuern lassen.
Die nächsten zwei Jahre finden wir Gerhard Rohlfs wieder auf dem Gymnasium, diesmal in Celle. Noch einmal hatten ihn seine Eltern überreden können, seine Schulausbildung fortzusetzen. Im Januar 1849 jedoch verließ er endgültig die Schule und wurde Soldat, zuerst beim Bremer Füsilierbataillon, dann als Unteroffizier beim Schleswig-Holsteinischen Infanteriebataillon. In der Schlacht gegen die Dänen im Jahre 1850 fiel Rohlfs wegen seiner herausragenden Tapferkeit auf und wurde zum Leutnant befördert. Die folgende ruhige Zeit behagte dem unternehmungslustigen Mann jedoch überhaupt nicht. Im März 1851 nahm er seinen Abschied und begann in Heidelberg, später in Würzburg und Göttingen, mit dem Studium der Medizin. Zwei seiner Brüder waren bereits angesehene Ärzte. Der Student Rohlfs schien sich jedoch wieder nicht durch besonderen Fleiß und Erfolg ausgezeichnet, vielmehr ein flottes Leben im Kreis seiner Kommilitonen geführt zu haben. Sein Tatendrang jedenfalls wurde durch die Vorlesungen nicht befriedigt, und Rohlfs fuhr deshalb nach Österreich, um sich abermals in der Armee zu verdingen. Bald wurde ihm auch hier die Routine des täglichen Dienstes zu langweilig. Er desertierte, gelangte auf abenteuerlichen Wegen nach Frankreich und ließ sich in Nîmes von der Fremdenlegion anwerben.
1855 betritt Rohlfs in Algerien zum ersten Mal afrikanischen Boden. Seit dem Jahre 1830 hatte Frankreich begonnen, das nordafrikanische Land zu erobern und zu kolonisieren. Hauptsächlich wurden dafür die Soldaten der 1831 gegründeten Fremdenlegion – ausländische Freiwillige unter französischen Offizieren – eingesetzt, die trotz harter, verlustreicher Kämpfe das Land dreißig Jahre lang nicht vollständig unter ihre Gewalt bekommen konnten.
Wie Rohlfs es fertigbrachte, ohne abgeschlossenes Studium als Arzt und Apotheker, die letzte Zeit sogar als Leiter eines kleinen Feldhospitals in der Legion unterzukommen, entzieht sich unserer Kenntnis. Zweifellos waren es seine Fähigkeiten, sein Draufgängertum, sein Selbstbewusstsein und nicht zuletzt wohl eine gehörige Portion Frechheit, die ihm zu dieser Position verhalfen, in der er ohne Zweifel ein angenehmeres Leben als die gewöhnlichen Fremdenlegionäre führen konnte. In den Schlachten der Jahre 1856 und 1857 gegen die Kabylen, die berberische Bevölkerung Nordostalgeriens, wurde Rohlfs mehrmals mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet. Er brachte es bis zum Rang eines Sergeanten, dem höchsten Dienstgrad, den ein Ausländer in der Legion erreichen konnte. 1860 galt Algerien schließlich als mehr oder weniger befriedet, und der »Arzt« wurde ehrenvoll verabschiedet.
Rohlfs selbst hat es zeit seines Lebens vermieden, Aufzeichnungen über seine Erlebnisse während des sechsjährigen Dienstes in der Legion zu machen; nicht einmal im Freundeskreis durfte später dieses Thema angeschnitten werden.
Gerhard Rohlfs war dreißig Jahre alt, als er die Legion verließ. Er wusste nur, dass er in Afrika bleiben wollte. Arabisch hatte er in den Grundzügen gelernt, auch mit den Sitten und der Mentalität der Nordafrikaner war er einigermaßen vertraut. Einem Gerücht folgend, wonach der Sultan von Marokko seine Armee in europäischem Sinne zu modernisieren trachtete, brach Rohlfs von Oran nach Tanger auf, in der Hoffnung, wiederum als Arzt bei den dortigen Streitkräften eine Stellung zu finden. Anfangs wurde er freilich bitter enttäuscht. Der Fremdenhass der von Franzosen wie von Spaniern bedrängten Marokkaner wie auch der religiöse Fanatismus der Bevölkerung dämpften seine anfängliche Begeisterung. Rohlfs beschloss, zumindest äußerlich zum Islam überzutreten, ließ sich den Kopf kahl scheren, kleidete sich marokkanisch und brach mit einem einheimischen Begleiter ins Landesinnere auf. Seine Barschaft betrug ganze fünf englische Pfund, eingenäht in seine Mütze.
Und selbst dieses lächerlichen Betrages konnte er sich nicht lange erfreuen. Eines Tages war sein Reisegefährte samt Mütze, Geld und den übrigen spärlichen Habseligkeiten verschwunden. Rohlfs stand mittellos in einem fremden Land, ohne Besitztümer, außer dem, was er am Körper trug, angewiesen auf die Gastfreundschaft und Barmherzigkeit der Europäern feindselig gesinnten Marokkaner. Mehrmals wurde der »Ungläubige« ernstlich bedroht, weil man ihm nicht abnahm, dass er zum Islam übergetreten war, und nur mit Glück konnte er in solchen Situationen sein Leben retten. Doch Rohlfs gab nicht auf und zog weiter nach Ouezzane, dem Mekka der Marokkaner und Sitz des Großscherifs Sidi el Hadsch Abd es Ssalam. Der gleichaltrige Würdenträger, der schon Frankreich bereist hatte und im Vergleich zu seinen Landsleuten ein hochgebildeter Mann war, empfing den Reisenden mit größtem Wohlwollen, bot dem unerwarteten Besuch Quartier in seinem Palast an, und nach wenigen Tagen waren die beiden enge Freunde. Nur ungern ließ der Großscherif seinen deutschen Gast wieder ziehen. Zum Abschied stattete er ihn mit Maultier und Führer aus und gab ihm ein Empfehlungsschreiben an den Befehlshaber der marokkanischen Streitkräfte mit, mit der Bitte, den fremden Arzt in seinen Sold zu...