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Die Darstellung des Nationalsozialismus im Geschichtsschulbuch, Schulbuchanalyse: DDR/BRD

AutorKatharina Götz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl145 Seiten
ISBN9783656382263
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Didaktik - Geschichte, Note: 13 Punkte, Justus-Liebig-Universität Gießen, Veranstaltung: Geschichtsddaktik, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Thematisierung des Nationalsozialismus ist nach wie vor einer der wichtigsten Bestandteile der politischen Bildungsarbeit. Schülerinnen und Schülern soll sowohl das Ausmaß der NS-Verbrechen als auch die politische Verantwortung, die aus der nationalsozialistischen Vergangenheit resultiert, vor Augen geführt werden. Ziel ist es schließlich, demokratische und mündige Staatsbürger heranzuziehen. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hat in den letzten vierzig Jahren nicht an Bedeutung verloren, wohl aber haben sich die politischen Absichten hinter ihr verändert. Nach dem Zusammenfall des NS-Regimes mussten beide deutschen Teilstaaten, die DDR und die Bundesrepublik, einen Weg finden, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten und aus ihrem Schatten zu treten. War die Vergangenheitsbewältigung anfangs noch in allen Besatzungszonen bzw. beiden deutschen Staaten hauptsächlich auf die Entfernung der alten Eliten ausgerichtet, so entwickelten sich die DDR und die Bundesrepublik gegen Ende der fünfziger Jahre in entgegengesetzte Richtungen. Während in der DDR eine Externalisierung der Vergangenheitsbewältigung auf die BRD erfolgte, wurde die Kontinuitätsproblematik zum Dauerdiskurs im westdeutschen Teilstaat. Beide nutzten die NS-Vergangenheit, um das jeweilige neue System im Kontext des Ost-West-Konflikts zu legitimieren. Die Darstellung des Nationalsozialismus im Schulgeschichtsbuch ist ein vielschichtiges Forschungsfeld und ließe sich auf die unterschiedlichsten Kulturkreise und Bildungsgänge hin untersuchen. Aufgrund der politischen Bedeutung, die der Vergangenheitsbewältigung im Geschichtsunterricht des geteilten Deutschlands zukam, befasst sich diese Arbeit mit der Schulbuchanalyse eines DDR-und eines BRD-Geschichtsbuches. Auch hier ergibt sich wiederum ein weites Feld. Der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im geteilten Deutschland verlief in mehreren Phasen und wurde stets von außen- sowie innenpolitischen Entwicklungen bestimmt. Die sechziger Jahre standen insbesondere im Zeichen der deutsch-deutschen Auseinandersetzung. Zu keinem anderen Zeitpunkt wurde die Geschichte, besonders die NS-Vergangenheit, in solchem Maß als Legitimitätsgarant herangezogen. Hallstein-Doktrin und Mauerbau grenzten nicht nur die beiden deutschen Gesellschaften stärker voneinander ab, sondern spalteten auch das Geschichtsbewusstsein und die Vergangenheitsbewältigung im geteilten Deutschland.[...]

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Leseprobe

2. Vergangenheitsbewältigung im geteilten Deutschland


 

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes stand zunächst die Phase der politischen Säuberung und des Neuaufbaus in allen Besatzungszonen an. Dennoch entstand in beiden Nachfolgestaaten zunehmend die Notwendigkeit belastete Personen und Gruppen zu integrieren und den Deckmantel des Schweigens über die Verbrechen der NS-Vergangenheit zu legen. Vergangenheitsbewältigung fand erst auf der Basis der jeweils neugewonnen politischen Stabilität in Ost und West statt. Nun war bereits eine neue Generation „Unbelasteter“ herangewachsen, die zur systematischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bereit war, diese teilweise sogar forderte. Doch auch diese „unbelastete Generation“ konnte für sich keine Position des neutralen Beobachters oder Schiedsrichters beanspruchen, da der Nationalsozialismus das zentrale Bezugsereignis für das Selbstverständnis aller Generationen der beiden deutschen Staaten war und es gewissermaßen bis heute ist.[9]

 

Erst zehn Jahre nach der Gründung beider deutscher Teilstaaten geriet die nationalsozialistische Vergangenheit in den Mittelpunkt des deutsch-deutschen Kräftemessens. Während sich die DDR selbst als antifaschistisches Staatswesen betrachtete, dem es gelungen war, die Grundlagen des Nationalsozialismus zu beseitigen, erschien die Bundesrepublik aus dieser Perspektive als „Staat der Mörder“. Jene wiederum figurierte die DDR als totalitäres System, das mit dem NS-Regime grundlegende Strukturen gemeinsam hatte, während sie selbst eine freiheitliche Demokratie aufbauen konnte. Zwischen den späten fünfziger Jahren bis hin zur allmählichen Annäherung beider Staaten, Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre, war die NS Vergangenheit das brisanteste Thema ihres Abgrenzungs- und Verflechtungsverhältnisses. [10]

 

Das Wechselverhältnis zwischen BRD und DDR durchlief während dieser Zeit mehrere Entwicklungsstufen. Teilweise entstanden ähnliche Vergangenheitsdiskurse, andererseits aber auch sehr unterschiedliche Diskussionskulturen, die jedoch immer aufeinander Bezug nahmen.[11]

 

Der Historiker Norbert Frei entwickelt ein Dreiphasenmodell zur Vergangenheitsbewältigung in den beiden deutschen Teilstaaten.

 

 Die erste Phase grenzt er in den Zeitraum 1945-1948/49 ein. Diese Phase, so Frei, sei zwar in allen Besatzungszonen von säuberungspolitischen Initiativen der Besatzungsmächte dominiert gewesen, Ost und West entwickelten sich aber schnell in verschiedene Richtungen. Während „bürokratische Säuberung“ im Westen vorgenommen wurde, erklärt Frei die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zur „instrumentalisierten politischen Säuberung“.

 

 Die zweite Phase, 1948/1949 bis Ende der Fünfziger, habe dann ein paralleles Phänomen der Bewältigung der frühen Bewältigung[12] hervorgebracht. Beide Staaten setzten nun auf Integration der zuvor ausgegrenzten Gruppen, da sie erkannt hatten, dass dies notwendig war um die breite Masse in das jeweilige neue Staatskonzept einzubinden. Dieses Phänomen wurde durch das Bedürfnis mit der NS-Vergangenheit abzuschließen verstärkt. Gesetze zur Entlastung der „kleineren NS-Täter“ stellten die Weichen zum Einbezug ehemaliger Nazis in die neue Gesellschaft.

 

 Die dritte Phase der Vergangenheitsbewältigung begann, nach Frei, Ende der fünfziger Jahre. Die mediale Erfassung der unbewältigten Vergangenheit zwang vor allem die Bundesrepublik eine Stellung zur eigenen Kontinuitätsproblematik einzunehmen. Die historisch-moralische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wurde in der BRD Ende der Sechziger besonders wichtig, während es in der DDR zur Erstarrung des antifaschistischen Geschichtserinnerungskonzepts kam.[13]

 

Beide deutschen Staaten mussten die Vergangenheit aufarbeiten, Schuldige, Mitläufer und Opfer des nationalsozialistischen Regimes definieren und sich als dessen Gegenkonzept öffentlich positionieren. In der DDR vollzog sich eine Verschiebung der Schuldzuweisung. Wurde vor der Staatsgründung noch von der Mitschuld des ganzen Volkes gesprochen und damit die Pflicht zur Haftung, insbesondere bezüglich der Reparationszahlungen an die UdSSR begründet, verlagerten sich die Akzente im neuen „antifaschistischen“ Staat. Kontinuitäten zum alten Reich sollte es nicht mehr geben. Durch oberflächliche politische Säuberung und gesellschaftliche Veränderung sagte man sich los von den Schatten der NS-Vergangenheit. Hierbei wurde nicht nur die Arbeiterklasse, sondern das gesamte Volk in die „antifaschistische Front“ eingereiht und von der Mittäter- in die Opferperspektive gerückt. Aus dem zuvor proklamierten „Irrweg der deutschen Nation“ wurde nun der „Irrweg der herrschenden Klasse“.[14]

 

Die Erinnerungskultur in der SBZ war anfänglich noch auf verschiedene Opfer- und Verfolgtengruppen ausgelegt. Erst mit der Staatsgründung der DDR erfolgte eine ganzheitliche Fokussierung auf parteipolitische Sonderinteressen der SED. Die zunächst von vielen verschiedenen politischen Lagern gehegte Hoffnung auf den antifaschistischen Neubeginn wurde zerschlagen. Nun begann die Neuordnung nach sowjetischem Muster.[15] Dies ließ die Dominanz der in die Sowjetunion emigrierten Führungskorps der KPD in der Politik der frühen DDR schnell offenkundig werden. Deren Elitebewusstsein und Gefühl der Überlegenheit berief sich ganz auf die Aussage, man habe nicht nur unter dem Nationalsozialismus gelitten, sondern diesen auch von Beginn an aktiv bekämpft. Die Funktionärkorps der KPD erklärten sich quasi zum Bestandteil der sowjetischen Militärmacht. Die Niederlage der KPD von 1933 und das Scheitern des Widerstandes in Deutschland wurden dann entsprechend umgedeutet.[16]

 

Ebenso entschieden nun kommunistische Kriterien über die Zuwendung von Fürsorgemaßnahmen. Gegenüber jüdischen Verbänden und Israel wurde eine Absage erteilt, mit dem Verweis auf die Diskontinuität der DDR zum NS-Regime und dem politisch-moralischen Nichtbetroffenseins am Holocaust. Die DDR sah in der Verpflichtung auf den Antifaschismus eine besondere Art der Wiedergutmachung. [17]

 

Die Geschichtswissenschaft wandte sich erst Anfang der sechziger Jahre der Erforschung der NS-Zeit zu. Bürgerliche Historiker, die noch bis in die fünfziger Jahre hinein lehrten wurden entfernt, von kommunistischer Seite gab es zunächst kaum Fachwissenschaftler. Die Neuinterpretation der Geschichte wurde folglich zur Parteisache erklärt. Forschung und Universitäten wurden neu strukturiert, wobei der Darstellung der NS-Zeit eine besondere ideologische Vorbereitung zuteilwurde. Jeder Abschnitt der NS-Vergangenheit sollte parallel zum „antifaschistischen Kampf“ stehen, um von Anfang an den Eindruck zweier Lager und Entwicklungsstränge zu vermitteln. Der Mythos des „verordneten Antifaschismus“ verhalf dazu, sich von der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu entziehen.[18]

 

Jürgen Danyel, stellvertretender Direktor des Zentrums für Zeitgeschichte in Potsdam, schreibt dem „verordneten Antifaschismus“ sogar die Funktion einer Ersatzreligion zu. Diese Ersatzreligion habe über eine immense emotionale Bindekraft verfügt, die eine stärkere Identifikation der Bürger mit dem Staat erreichte, als alle anderen Elemente der SED-Ideologie. Der „antifaschistische Totenkult“, sprich die gefallenen kommunistischen Widerständler, erinnern Danyel an eine Art „Auferstehung“ der toten Märtyrer in der Gesellschaft des Realsozialismus.[19] Den Antifaschismus sieht der Geschichtswissenschaftler Danyel als simplen Gesellschaftsvertrag, der die DDR als Vaterland aller Deutschen die den Faschismus hassen und in Frieden leben wollen, erscheinen soll. Die weitgehend abstrakte und entdifferenzierte Erinnerung nivelliert die Individualität der Widerständler ganz bewusst, denn die Gruppe, das Kollektiv, soll die Botschaft vermitteln und Identifikationsmöglichkeiten für möglichst viele DDR-Bürger geben.[20]

 

Der Antifaschismus war Gründungskonsens und Sühneleistung in einem. Er ermöglichte einen relativ spannungsfreien gesellschaftlichen Integrationsprozess ehemaliger NSDAP-Mitglieder. Die, auch in Ostdeutschland mehrheitsbildenden, Gruppe derjenigen, die den Nationalsozialismus toleriert und gestützt hatten, konnten somit ins neue Staatsystem einbezogen werden. Ihre Wiedergutmachungsleistung bestand an der Mitwirkung am sozialistischen Aufbau. Politisch-pragmatische Erwägungen siegten letztlich über die sozialistische Schlussstrichvariante, die eine radikale Säuberung aller Belasteter erfordert hätte. Als Schutzschild gegen die vermeintlichen imperialistischen Kriegspläne sollten möglichst viele Bürger in die neue Gesellschaft integriert werden. Auch deshalb war die Verschleierung bzw. Verallgemeinerung der Geschichte von Verfolgung und Widerstand so nützlich. Letztlich fungierte der Antifaschismus als Konsens über den Umgang mit der NS-Vergangenheit, der für die Mehrheit des ostdeutschen Volkes akzeptabel sein sollte.[21]

 

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