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Buh

Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück

AutorLeander Haußmann
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783462306965
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»Deutschlands fröhlichste Regienull« Gerhard Stadelmaier/FAZ Leander Haußmann zeigt, wie man durch brillante Erzählkunst und umwerfende Komik aus Niederlagen und Skandalen Siege macht.Schillernde Figur? Ewiges Enfant terrible? Virtuoser Multitasker? Keine leichte Aufgabe, Leander Haußmann zu beschreiben: Theaterregisseur. Schauspieler. Intendant. Filmregisseur. Drehbuchautor. Komödienspezialist. Und wenn man weiter zurückblickt: Ossi-Jugend. NVA-Wehrdienst. Schauspielschule Ernst Busch ...Erfreulicherweise ist Leander Haußmann noch etwas anderes: ein hochorigineller, hochunterhaltsamer Schriftsteller, der in seinem ersten Buch zeigt, wie man durch brillante Erzählkunst und umwerfende Komik aus Niederlagen und Skandalen leuchtende Siege macht.In einem feuerwerkartigen Monolog, in raffinierten Sprüngen und überraschenden Assoziationsketten erzählt Leander Haußmann Szenen aus einem Leben, in dem sich Zeitgeschichte, Kulturgeschichte und eine turbulente Familiengeschichte überkreuzen: Theaterabenteuer in der tiefsten DDR-Provinz, kuriose Stasi-Überfälle und rekordverdächtige Alkoholexzesse, eine Druckerlehre mit gefährlichen Druckmaschinen, die missglückte Ehe der Großmutter mit Hermann Hesse, Ausreiseanträge und Mauerfall, Prügeleien und entsicherte Pistolen in der Bochumer Theaterkantine, Filmfestivaldepressionen, Burnoutkrisen und nächtliche Nacktszenen auf Leipziger Hotelfluren.Doch insgeheim ist das Buch ein nachgeholter Dialog - mit dem vor zwei Jahren verstorbenen Vater, dem Schauspieler Ezard Haußmann, dem der Sohn mit seinem Buch ein berührendes Denkmal setzt.

Leander Haußmann, geboren 1959 in Quedlinburg, Schauspielschule Ernst Busch, danach Schauspieler in Parchim, Greiz und Gera, von 1990-1995 Theaterregisseur in Weimar, danach Intendant Schauspielhaus Bochum. Über 120 Theaterinszenierungen. Filmregie u. a. »Sonnenallee« (1999), »Herr Lehmann« (2003), »NVA« (2005), »Kabale und Liebe« (2005), »Hotel Lux« (2011). Filmrollen u.a. in »Männerpension«, »Sonnenallee«, »Soloalbum«, »Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe«.

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Leseprobe

1 Wer kommt da durch die Tür?


Beginnen wir in Portugal. Genauer gesagt, in Porto. Ich bin wegen eines Filmfestivals hier. Mit meinem neuen Film. Meine Laune ist nicht die beste. Das hier ist ein Horrorfilm-Festival, mein Film ist eine Komödie, ich komme mir deplatziert vor. Niemand unternimmt den Versuch, mir diesen Eindruck zu nehmen.

Schon am Tag der Vorführung habe ich eine Blue-Ray-Projektion über mich ergehen lassen müssen, bei der nicht nur der Sound albtraumhaft schlecht war, sondern auch das Bild an der spannendsten Stelle hängen blieb, dann musste die Disc gegen eine noch schlechtere ausgetauscht werden und die Zuschauer waren gezwungen, sich noch mal eine halbe Stunde von dem anzuschauen, was sie schon gesehen hatten. Vielleicht plagt die Organisatoren ein so schlechtes Gewissen, dass sie mich seitdem ignorieren. Für sie scheine ich nicht mehr da zu sein.

Nachdem ich also an diesem trotz des Sonnenscheins tristen Ort drei Tage lang herumgehangen, den Hafen und alle Shoppingstraßen besichtigt, hunderttausend Mal in das Schaufenster neben meinem Hotel geglotzt und wie eine verblühende Dame in der Hotelbar namens »Windsor« an meinem zwanzig Jahre alten Portwein genippt habe, ohne dass mir irgendein spannendes Wesen über den Weg gelaufen wäre, wird mir klar, wo ich mich auf der Karte des Lebens befinde.

 

Die Tür fliegt auf und herein kommt ein junger, schöner Mann. Er hat langes, volles Haar, seine Nase ist prächtig, seine Bewegungen sind schlaksig und seine Art ist laut. Er strebt mit schlafwandlerischer Sicherheit auf eine berühmte Schauspielerin der Ostberliner Volksbühne zu, die ihren wohlverdienten Premierenwein trinkt.

Ursula Karusseit hat gerade die Premiere eines Franz-Xaver-Kroetz-Stückes gestemmt. Der hübsche junge Mann ruft schon von Weitem »Hey, Uschi«, bevor er sich auf eine Weise vor ihr auf die Knie lässt, die er für charmant hält. »Du bist eine gute Schauspielerin, aber nicht in diesem Stück«, sagt er und zwinkert ihr zu.

Ursula schaut ihn an. Was fällt diesem Kerl ein, fragt sie sich. Obwohl: Hat sie sich das nicht selbst eingebrockt? Hat sie nicht, wenn sie mal ehrlich ist, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen versucht, als sie sich mit diesen Schauspielstudenten, den Freunden ihres Sohnes Pierre Besson, eingelassen hat, als seien sie Kollegen auf gleicher Ebene? Hat sie es nicht sexy gefunden, wie diese verwirrten Jugendlichen durch die Straßen Ost-Berlins gelaufen sind und irgendwas von einem »Berliner Boheme Theater« gebrüllt haben? Ist sie nicht selbst schuld, dass ihr da jetzt dieser Schnösel so auf den Sack geht? »Nicht jetzt«, sagt sie, »sonst immer gern, Leander.«

Der junge Mann rollt seinen Körper nach oben und mit einem »Alles klar, Uschi« trollt er sich.

An der Bar des grünen Salons in der Volksbühne steht sein Kumpel Uwe Dag Berlin, der in den nächsten Stunden noch seine Hose herunterlassen und sein Geschlechtsteil zeigen wird, woran er sich aber am nächsten Morgen nicht mehr erinnern wird. Er quasselt auf einen nicht mehr ganz jungen Schauspieler ein, der sich von dem Kroetz-Stück ein gigantisches Comeback erwartet hatte, aber schon beim Schlussapplaus spüren konnte, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllen würde. Uwe Dag bearbeitet den armen Kerl nach allen Regeln der Dekonstruktion. Man hört Worte wie »geht gar nicht«, »langweilig« und »Kunst«.

Der junge Mann stellt sich dazu. »Ich musste es der Uschi sagen.« Er bestellt sich ein Glas Rotwein. Gegenüber der Bar ist ein Spiegel. Er prostet sich zu.

Uwe Dag ist ein Gérard-Depardieu-Typ mit einem Schuss Kinski. Auch er trägt das Haar lang. Und möhrenrot gefärbt. Wenn Uwe trinkt, wird er entgegen seiner Natur etwas lauter, vor allem aber unversöhnlicher.

Die beiden sind Freunde. Sie haben zusammen eine Theatergruppe gegründet. Das Berliner Boheme Theater. Damit sind sie auf den Straßen aufgetreten, in Kleingartenkolonien, Dörfern und auf öffentlichen Plätzen. Inoffiziell, an der FDJ vorbei, das war 1980. Dann beschlossen sie in einer Kneipe, es mal an der Schauspielschule Ernst Busch zu versuchen. »Wenn sie uns nicht nehmen, hauen wir ab in den Westen«, das war der Plan.

Nach diesem Entschluss rief er sofort volltrunken seine Eltern an. Seine Mutter war dran. »Was will er?«, rief es von hinten gegen das Gedröhn des Fernsehers, der immer sehr laut lief, denn sein Vater war schwerhörig.

»Er will jetzt doch Schauspieler werden«, kam es von seiner hilflosen Mutter zurück.

»Mit dieser Nase kriegt er nur komische Rollen«, nörgelte es aus dem Fernsehzimmer.

 

Ein hübsches dunkelhaariges Mädchen durchquert die Hotelbar in Porto. Sie schaut mich an und lächelt. Schöne Zähne hat sie, strahlend weiß. Unwillkürlich fahre ich mir mit der Zunge über die abbröckelnden Teile meines Provisoriums an den Vorderzähnen. Ich muss zum Zahnarzt, denke ich und lächle zurück, mit geschlossenem Mund. Das Mädchen geht zum Ausgang, auf die Shoppingstraße, die ich mittlerweile so gut kenne. Ein junger Mann folgt ihr. Er hat lange Haare, sieht gut aus. Er ist ein wenig schlaksig, auf jeden Fall sehr sympathisch. Er sieht mich. »Hallo«, sagt er.

Ich weiß nicht genau, wo ich ihn hinstecken soll.

»Du erinnerst dich nicht? Wir wurden uns mal vorgestellt.«

Jetzt erinnere ich mich: ein junger Filmregisseur, dessen Erstlingsfilm – ein Endzeitszenario – auch auf dem Festival läuft und im Gegensatz zu meinem Film wie Arsch auf Eimer passt. Ich sage ihm, dass ich seinen Film leider noch nicht gesehen habe, sehe, dass es ihn betrübt, und erkenne, dass er meinen Film sehr wohl gesehen hat und ihn beschissen findet. Ich bin trotzdem froh, hier wenigstens eine deutsche Nase anzutreffen, und frage ihn, ob er mit mir ein Bier trinken würde, heute Abend vielleicht.

»Na klar, sehr gerne«, sagt er und macht einen erfreuten Eindruck.

Das ermutigt mich, den Versuch zu unternehmen, in dieses Gespräch etwas mehr Tiefe zu bringen. Schließlich habe ich seit drei Tagen mit niemandem mehr gesprochen, meine Kehle ist ganz steif vom vielen Schweigen, so kommt mich das Plappern an. Ich beklage mich über die beschissene Projektion meines Films vor drei Tagen und merke, dass der junge Mann etwas hibbelig wird. Seine Projektion, sagt er, sei sehr gut gewesen und die Reaktionen der Zuschauer auch.

»Die Reaktionen der Zuschauer waren bei mir auch super«, erwidere ich schnell.

Er wirkt erstaunt, dass die Reaktionen in meinem Film auch gut waren, er scheint zu argwöhnen, ich wolle mich mit ihm gleichstellen.

Ich trinke den Rest Portwein, hebe den Arm zum Kellner – er nickt mir verschwörerisch zu, schließlich will er seinen einzigen Tagesgast nicht verlieren – und lasse mich tief in die Polster fallen, um Folgendes mitzuteilen: »Das hier ist ja ein Horrorfilm-Festival.«

Der Jungfilmer nickt, das ist ihm bekannt.

»Dein Film passt hier ganz gut her«, sage ich. »Aber warum ich hier bin, weiß ich nicht.«

Ich gebe mal wieder dem Drang nach, mich vollständig fremden Leuten gegenüber zu öffnen. Er schaut zum Ausgang, wo seine hübsche Freundin auf ihn wartet. »Gestern habe ich einen Film gesehen«, sprudelt es aus mir heraus, »den habe ich überhaupt nicht verstanden.«

So wie andere auf die Armbanduhr schaut der junge Regisseur erneut zum Ausgang, er sieht seine Freundin im Gegenlicht der Vormittagssonne.

»Da ging es um eine Frau«, sage ich gemütlich aus meiner Sitzecke heraus, »die ihren Freund mit seinem besten Freund betrügt. Der Betrogene kauft sich daraufhin eine Pistole, geht zu seinem Freund und weißt du, was der tut? Er fickt den Freund mit vorgehaltener Waffe in den Arsch.«

Meinem Gegenüber entgleiten die Gesichtszüge, er sieht jetzt ein wenig altjüngferlich aus. Doch ich bin nicht mehr zu stoppen, halte meinen Zeigefinger an die Stirn und mache Klack: »Doch dann ist die Knarre nicht geladen.«

Der Jungfilmer verzweifelt, das kann ich jetzt deutlich sehen, ich kenne diesen Gesichtsausdruck von mir. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. »Nicht geladen!«, rufe ich aus. »Nicht geladen!« Etwas zu leidenschaftlich für diese Tageszeit (vielleicht liegt es an den Schmerztabletten, die ich wegen meiner Rückenschmerzen nehmen muss und die aus der Familie der Opiate stammen, die ja bekanntlich Euphorie erzeugen, vielleicht an dem Portwein, wahrscheinlich an beidem), ich könnte mich jetzt jedenfalls ganz in dieser Aufregung einrichten.

Der Körper des Jungregisseurs ist schon wie ein windschiefer Baum zum Ausgang hin gerichtet. Könnte er sich in irgendeine Substanz neutralisieren, zum Beispiel Quecksilber, und in dieser Form zum Ausgang fließen, er würde es tun.

Doch ich kenne keine Gnade. »Ich hasse es, wenn sich in Filmen Waffen als nicht geladen herausstellen. Das ist wie mit Sequenzen, bei denen es sich um Träume handelt, von denen man aber nicht weiß, dass es Träume sind. Da wird man in Aufregung versetzt, dabei hat der Held, um den man sich Sorgen macht, die ganze Zeit doch nur geschlafen, von wegen Ätsche-Bätsche, umsonst gebangt.«

Habe ich wirklich Ätsche-Bätsche gesagt und dabei auch noch die Ätsche-Bätsche-Geste gemacht?

»Ich muss dann mal«, sagt der Junghorrorfilmer, »muss mal meine Freundin suchen.«

»Warum suchen? Sie steht doch da am Eingang«, sage ich laut lachend und gebe ihm zum Abschied die Hand, wofür ich mich ächzend aus den Polstern heben und meinen Arsch in halbe Höhe halten muss: »Bandscheibe.«

»Klar«, sagt...

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