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Entwicklungsförderung im Sportunterricht. Bedeutung der Bewegung für die Entwicklung körperbehinderter Kinder.

AutorTanja Jörck
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783638276245
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Didaktik - Sport, Sportpädagogik, Note: 1, Universität Hamburg (Institut für Sonderpädagogik in Hamburg), Sprache: Deutsch, Abstract: In verschiedenen pädagogischen Ansätzen wird in den frühkindlichen Bewegungen, die zur Erfahrung des eigenen Körpers und der Umwelt führen, ein wesentlicher Beitrag zur Persönlichkeits- und Selbstständigkeitsentwicklung gesehen. Dieses selbstständige Handeln ist u.a. über Bewegung möglich. Die Bewegung wird als grundlegende Kommunikationsform angesehen, durch sie gelingt dem Menschen die Auseinandersetzung mit der Umwelt. Einem Kind mit einer körperlichen Behinderung ist eine solche Erkundung über Bewegung nur unter erschwerten Bedingungen oder fast gar nicht möglich. Seine Erfahrungen sind andere als die von Kindern ohne eine solche Bewegungsbeeinträchtigung. Dies muss bei der Erziehung von Kindern mit körperlichen Behinderungen bedacht werden. Erziehung hat die Aufgabe entwicklungsfördernde Bedingungen bereitzustellen, um zu einer Handlungsfähigkeit zu führen, die eine Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt ermöglicht. Eine solche Auseinandersetzung vollzieht sich im Kindesalter zum großen Teil über den Körper. Die sportliche Bewegung bietet vielfältige Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper sowie mit der materialen und sozialen Umwelt. Die Bewegungsförderung hat für die Entwicklung von Kindern mit einer Körperbehinderung eine besondere Bedeutung. Förderangebote für die Entwicklung von Kindern mit Beeinträchtigungen in der Bewegung müssen vor allem Bewegungsanreize bieten, die ihrem individuellen Bedarf entsprechen. Die Bewegungsförderung findet an der Schule für Körperbehinderte unter anderem im Sportunterricht statt. Innerhalb des Sportunterrichts soll für die Schüler eine Entwicklungsförderung geboten werden. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Entwicklungsförderung körperbehinderter Schüler in der Primarstufe (1.- 4. Schuljahr). Der Lehrplan Sport schreibt für die Primarstufe vor allem die Förderung der Bewegungserfahrungen vor. Als Ziel dieser Arbeit möchte ich didaktische und methodische Aspekte des Sportunterrichts an der Schule für Körperbehinderte formulieren. Das übergeordnete Ziel des Sportunterrichts ist dabei die Entwicklungsförderung. Die Körperbehindertenpädagogik ist unter anderem geprägt durch die Ideen der Kooperativen Pädagogik. Die hier beschriebenen Gedanken zum Sportunterricht an der Schule für Körperbehinderte stützen sich in vielen Punkten auf die Ideen der Kooperativen Pädagogik.

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Leseprobe

2. Behinderung und Körperbehinderung


 

2.1 Begriffsbestimmung „Behinderung“


 

Der Begriff „Behinderung“ ist in der Literatur nicht klar definiert. Er wird in der Wissenschaft und im Alltag z.T. unterschiedlich genutzt. Im alltäglichen Sprachgebrauch steht er für unterschiedliche Sachverhalte. Er wird z.B. genutzt um die Behinderung des Verkehrs oder das Behindern von Personen bei Ausübung von Tätigkeiten zu beschreiben. Es werden Menschen als behindert bezeichnet, wenn sie in verschiedenen Bereichen nicht der gegebenen Norm entsprechen. In diesem Fall erscheint der Begriff „Behinderung“ als Merkmal einer Person.

 

Im folgenden möchte ich einen sonderpädagogischen Behinderungsbegriff erarbeiten, der auf der Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur und vor allem meinen eigenen Erfahrungen mit Menschen mit Beeinträchtigungen beruht.

 

PALMOWSKI (2000, 28) kommt zu dem Schluss, dass Definitionen nur versuchen, „die jeweilige, an den Begriff gebundene Konvention oder Vereinbarung in eine Kurzformel zu fassen“. Definitionen zum Begriff Behinderung bezeichnet er als „sprachliche Übereinkünfte“ (ebd.). Der Begriff Behinderung ist danach im sprachlichen Diskurs vereinbart. PALMOWSKI weist auch gleich darauf hin, dass diese Übereinkünfte sich ständig im Prozess der Veränderung befinden, und damit auch das Verständnis von Behinderung.

 

BLEIDICK (2000, 19) sieht es als pragmatische Entscheidung an, zu bestimmen, was als Behinderung gilt. Es dient „dem Zweck, benachteiligten Menschen Hilfe zukommen zu lassen“. Der Begriff „Behinderung“ kommt als erstes im Zusammenhang mit der Krüppelfürsorge für Körperbehinderte auf. In die sozialen Leistungsgesetze (BSHG[6]) wurde der Begriff ab 1961 aufgenommen (vgl. BLEIDICK 2000, 13). BLEIDICK weist darauf hin, dass zum Beispiel aus der Behindertenpädagogik ein pauschaler Behinderungsbegriff wie einer, der für alle „krankheitsbedingten Beeinträchtigungen und funktionellen Ausfälle gilt“, kritisiert wurde (ebd., 13). Der Begriff  „Behinderung“ wird als zu massiv beanstandet. Es wird auf eine Relativität der Beurteilungskriterien hingewiesen, die auch bei dem Betroffenen selbst liegen, und von weiteren Faktoren abhängen. Diese Faktoren sind nach BLEIDICK die Gebiete, auf denen mit Folgewirkungen zu rechnen ist, wie z.B. die Familie, die Art der Behinderung, das Ausmaß der Schädigung sowie die subjektive Stellungnahme bzw. die Verarbeitung der Behinderung (ebd., 15). Hier ergibt sich ein vielschichtiges Bild von Behinderung.

 

Die von BLEIDICK angesprochene Relativität der Beurteilungskriterien und die subjektive Stellungnahme zur Behinderung, die beim Betroffenen und beim Betrachter liegen können, möchte ich aufgreifen und weiter erörtern. „Zunächst durch andere erfährt der Mensch jene Bewertung, die letztlich den Grundstein für eigene Wertschätzung“  (STAATSINST. MÜNCHEN 1993, 71) legt. Aus dieser Aussage ergeben sich, nach meiner Ansicht, zwei Seiten des Behinderungsbegriffes. Die mit den Polen `behindert-sein´ und `behindert-werden´ beschrieben werden können. Das Phänomen von `behindert-werden´ geht vom Betrachter aus, der seinen Mitmenschen aufgrund z.B. äußerer Auffälligkeiten beurteilt. Dazu passt der Hinweis von PALMOWSKI (2000, 27), der Behinderung als eine „Kategorie des Beobachters“ bestimmt. Bei dieser Betrachtungsweise des Behinderungsbegriffes wird dem Betroffenen von seiner Umwelt die Behinderung zugesprochen, auch wenn er sich selbst nicht als behindert empfindet. Die Kriterien die ein Betroffener für sich bestimmt gehen von ihm selbst aus, wobei ich hier die Zuschreibungen der Gesellschaft als Ursache nicht gänzlich ausschließen möchte. Ein Mensch kann sich in einer oder mehreren Situationen als nicht der Norm entsprechend bzw. als `nicht passend´ empfinden, was einer eigenen Zuschreibung als `behindert-sein´ entsprechen würde. Dies ist nach meiner Ansicht zu bedenken, wenn eine Förderung des Selbstbewusstseins angestrebt wird. Ein Kind mit einer körperlichen Behinderung erlebt sich häufig in der Situation etwas nicht zu können. Dies verdeutlicht ihm, dass es anders ist als die nichtbehinderten Kinder. Diese Erfahrung wirkt sich auch auf das Selbstbewusstsein aus. Es wird deutlich, dass der Begriff Behinderung ein sehr komplexes Phänomen beschreibt, das geprägt ist durch gesellschaftliche Normen und die individuelle Einschätzung des Betroffenen.  

 

In der Literatur ist fast ausschließlich das gesellschaftliche Phänomen von `behindert-werden´ beschrieben als Zuschreibung durch die Gesellschaft. So hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1997 die ICIDH 2 (International Classification of Impairments, Activities and Participation) vorgestellt. Die WHO möchte mit ihrer Klassifikation eine einheitliche und standardisierte Sprache als Bezugsnorm für die „Folgen von Gesundheitsproblemen“ (WHO, ICIDH 1997, 13) zur Verfügung stellen. Die Klassifikation deckt jede Störung ab, die auf der Ebene des Körpers, der Person und der Gesellschaft im Zusammenhang stehen. Es werden die Dimensionen Impairments (Ebene des Körpers), Activity (Ebene der Person) und Participation (Ebene der Gesellschaft) unterschieden. Um die soziale Dimension mit einzubeziehen werden alle Lebensumstände einer Person zu den Kontextfaktoren zusammengefasst. Dies sind alle äußeren umweltbedingten Faktoren sowie die inneren persönlichen Faktoren der Lebensumstände, die auf die Person einwirken. Die WHO (1997, 34) nutzt den Begriff „Behinderung“ als Bezeichnung für „den Prozess oder die Handlung, jemanden zu behindern“. Der Plural (Behinderungen) wird ausschließlich dafür genutzt, „um die Begriffe `Schäden´, `Aktivitätsstörung´ und `Einschränkungen der Partizipation´ zu ersetzen“ (ebd.). PALMOWSKI (2000, 28) erkennt die ICIDH eher als eine Vereinbarung, „denn als eine Beschreibung von Wirklichkeit“ an. Die ICIDH beschreibt nach meiner Auffassung nur die eine Seite des dualen Behinderungsbegriffes, nämlich das `Behindert-Werden´, wenn sie von dem Prozess oder der Handlung des Behinderns spricht.

 

Aus den erwähnten Dimensionen der ICIDH ergibt sich nach BLEIDICK (2000) eine Mehrdimensionalität von Behinderung. Diese Mehrdimensionalität zeigt BLEIDICK (2000) an verschiedenen Paradigmen auf. BLEIDICK (2000) geht von drei Paradigmen aus:

 

1. Das Medizinische Modell: Ursachen von Behinderung werden mit medizinischem Wissen begründet.

 

2. Interaktionale Zuschreibung: Dem Behinderten wird in der Interaktion von dem Nichtbehinderten ein Stigma verliehen.

 

3. Systemtheoretische Ableitung: Behinderung ist eine Folge von systembedingten Aussonderungsprozessen.

 

Diese Paradigmen weisen darauf hin, dass eine Behinderung unterschiedliche Ursachen haben kann, die nicht nur in physischen oder psychischen Beeinträchtigungen liegen, sondern auch in sozialen Zuschreibungen der Gesellschaft. Die Paradigmen ergänzen sich, und schließen sich nicht gegenseitig aus. Die Sichtweise des Betroffenen kann eine andere sein als die des Beobachters. So kann zum Beispiel eine leichte körperliche Beeinträchtigung für den Betroffenen kein wesentliches Problem in seinem Alltag bedeuten. Für einen Mitmenschen kann diese jedoch maßgeblich für seine Beurteilung dieses Menschen sein. Er entwickelt Vorurteile und die Beeinträchtigung wird im interaktionalen Umgang zum Stigma. BLEIDICK weist nicht auf die Sichtweise des Betroffenen hin, der sich als behindert empfindet. Eine leichte körperliche Beeinträchtigung kann für den Betroffenen eine sehr große Beeinträchtigung in seinem Leben bedeuten, auch wenn es von seinen Mitmenschen nicht als sehr bedeutend für den gemeinsamen Umgang wahrgenommen wird.

 

SCHÖNBERGER stellt einen handlungsorientierten Behinderungsbegriff vor. Danach ist behindert wer,  

 

„1) infolge einer biologisch-psychisch oder sozial verursachten Schädigung in seiner Lernfähigkeit, seiner Sinnestätigkeit, seinem Sprachvermögen, seiner Bewegungsfähigkeit und/oder seinem Sozial- und Leistungsverhalten so beeinträchtigt ist,

 

2) daß er in seinem Kultursystem und in den Sozialsystemen, deren wertorientierte Normen für die Regelung seiner eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen und der seiner Sozialpartner bestimmend sind,

 

3) nicht oder nur unter außergewöhnlichen individuellen und kollektiven Bedingungen lernt, die Ziele, Bilder und Pläne seines Handelns verantwortlich mitzubestimmen,

 

4) und daher zu einer schädigungs- und persönlichkeitsspezifischen Interpretation jener wertorientierten Normen finden und an der Veränderung ihrer Entstehungsbedingungen mitwirken muß.“ (SCHÖNBERGER 1982, 87).

 

In der Beschreibung SCHÖNBERGERs wird die Mehrdimensionalität und der systemtheoretische Denkansatz des Begriffes „Behinderung“ als Behindert-Werden sehr deutlich. Mit diesem systemtheoretischen Denkansatz wird die soziale Auswirkung einer Behinderung dargestellt. Die Definition SCHÖNBERGERs ist eine handlungsorientierte, da die...

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