In dem nun folgenden Abschnitt geht es darum, typische Ursachen für Verarmungsprozesse herauszuarbeiten. Dabei soll neben der Ermittlung der Armutsursachen in den einzelnen Dimensionen der Lebenslage geklärt werden, ob diese spezifische Armutsursache Kinderarmut nach sich zieht, oder ob diese Armutsursache auf die Eltern beschränkt bleibt.
Wichtig ist bei der Suche nach den Ursachen für Armut, darauf hinzuweisen, dass nie ein Kausalzusammenhang zwischen Ursache und Armutsfolge konstruiert wird. Denn wie an entsprechender Stelle gezeigt wird, existiert eine solche Kausalität nicht. Es besteht zwischen Ursache und Wirkung im Sinne einer Armutsfolge immer nur ein Möglichkeitscharakter. Könnte also als mögliche Armutsursache zum Beispiel ein bestimmter Grad an Bildung festgestellt werden, so folgt nicht automatisch Armutsbetroffenheit oder Armutsgefährdung. Allerdings ist bei einem Zusammenfallen mehrerer Armutsursachen bei einem Menschen das Risiko höher, von Verarmungsprozessen betroffen zu werden. Bei einer ernsthaften Beschäftigung mit dem Armutsphänomen muss das immer wieder bedacht werden.
Nun folgt der Überblick über die Ursachen für Armut im Sinne potentiell armutsauslösender Ereignisse.
Kinder gelten in unserer Gesellschaft als Hauptursache für Verarmungsprozesse; anders sieht dies beispielsweise in der sogenannten Dritten Welt aus, wo Kinder meist die Existenz von Familien sichern und nicht gefährden.[105]
Doch auch in unserer Gesellschaft wird häufig übersehen, dass Menschen, die sich darauf „einlassen“, Kinder in die Welt zu setzen, damit für den Fortbestand dieser Gesellschaft einen unentbehrlichen Beitrag leisten.
Die gesamte Phase der Familiengründung kann Verarmungsprozesse von Familienhaushalten auslösen oder begünstigen, denn mit jedem Kind (mehr) muss das Familieneinkommen für die Versorgung einer weiteren Person ausreichen, so dass für die anderen Familienmitglieder ein entsprechender Anteil weniger verbleibt. Viele Eltern versuchen, den erhöhten Bedarf an finanziellen Ressourcen durch eine Kreditaufnahme zu kompensieren. Ach dies kann ein Abgleiten in Armut (-snähe) bedeuten, denn eine Verschuldung kann in dieser Situation leicht eine Überschuldung nach sich ziehen.[106]
Elternschaft ist somit immer verbunden mit ökonomischen Nachteilen und häufig einer Verminderung des materiellen Lebensstandards. Steuerfreibeträge und Transferleistungen gleichen die durch Kinder entstehende (finanzielle) Belastung nicht aus.[107]
Eine wichtige Rolle spielt die Kinderanzahl. Je höher die Kinderzahl in einem Haushalt ist, umso größer ist auch die Zahl der Fälle, die wegen unzureichendem Erwerbseinkommen Sozialhilfe trotz fortbestehender Erwerbstätigkeit beziehen.[108]
Kinder bedeuten familiäre Mehrbelastungen und –kosten von mindestens 300 - 350 € monatlich,[109] denn es entstehen unter anderem erhöhte Verbrauchskosten in der Familie und erhöhte Wohnkosten. Dazu kommt ab einem gewissen Alter ein im Gegensatz zu früher erheblich vergrößertes Konsumbedürfnis. Der Markt bezieht Menschen heute als Nachfrager viel früher mithilfe der Medien ein. Kinder und Jugendliche nehmen ähnlich am Konsumalltag teil wie Erwachsene. Zum Armutsrisiko wird eine solche Entwicklung, wenn -bei Kindern und Jugendlichen genau wie bei Erwachsenen- eine hinreichende Selbstkontrolle von Konsumwünschen fehlschlägt.[110]
Mit einem erhöhten Bedarf an finanziellen Ressourcen geht eine erhöhte Zeitaufwendung mit Folgen für Erwerbsprozesse einher: in der Regel fällt ein Vollzeit – Erwerbseinkommen weg.[111] Denn Kinder im Haushalt stellen Restriktionen dar, die die Aufnahme der Erwerbstätigkeit erschweren, zumindest bis die Schulpflicht halbtags Entlastung von Betreuungsaufgaben bringt.[112]
Zusammenfassend kann man sagen: Kinderarmut ist meistens eine Armut durch Kinder. Zum anderen steht die Kinderarmut häufig am Ende einer von den Eltern nicht mehr bewältigten Unterversorgungslage der Familie.[113]
Genau wie Kinder ein armutsauslösendes Ereignis darstellen können, kann bei der Suche nach den Ursachen für Armut die Bildung eine wichtige Rolle spielen. Zu prüfen ist daher, ob mit Armut ein bestimmter Bildungsgrad einhergeht. Mit anderen Worten: kann ein bestimmtes Bildungsniveau als Auslöser für Verarmungsprozesse festgestellt werden kann?
Zunächst einmal ist die Feststellung wichtig, dass Kinder aus einkommensschwachen Haushalten seltener eine weiterführende Schule besuchen. Kinder und Jugendliche in Armut wie in prekärem Wohlstand gehen dagegen deutlich häufiger auf die Hauptschule. Diese Feststellung gilt allerdings nur für jene Kinder, die aus einem bildungsarmen Milieu stammen und deren Eltern gering qualifiziert sind und gering qualifizierte Tätigkeiten ausüben.[114]
Nachvollziehen lässt sich diese Feststellung, wenn man durch Sorgen oder Armut hervorgerufene Belastungen bei der Gestaltung der schulischen und beruflichen Bildungskarriere von Kindern und Jugendlichen mitberücksichtigt. Zum einen lässt sich vor diesem Hintergrund leichter verstehen, dass Eltern ohne besonderen Bildungshintergrund bei geringen finanziellen Mitteln eher darauf dringen, dass Kinder möglichst rasch den Erwerbseintritt vollziehen und so auf längere Ausbildungszeiten ohne oder mit nur geringen Einkommen verzichten.[115]
Zum anderen dürften vor dem Hintergrund geringer finanzieller Ressourcen Eltern nachteilige Entscheidungen über den Bildungsverlauf ihrer Kinder auch im Hinblick auf absehbare Belastungen durch anstehende Bildungsinvestitionen treffen, wie z.B. Lernmittel, PC usw.[116]
Allerdings geht der Wunsch eines raschen Erwerbseintritts nicht nur von den für die Jugendlichen Verantwortlichen aus. Viele Jugendliche haben selbst das starke Bedürfnis, `eigenes´ Geld zu haben, um bei Geldknappheit im Elternhaus durch Arbeit, Verschuldung oder Formen der Illegalität Konsumbedürfnisse zu befriedigen, die ein Abfallen, z.B. anderen in der Clique gegenüber, verhindern sollen.[117]
Ein abstiegsgefährdetes und sorgenbelastetes Klima wirkt sich im übrigen markant auf die Bildungsaspiration der Eltern und damit auch auf Kinder und Jugendliche aus. Als Ursache zukünftiger Armut oder Kriminalität kann man bei ihnen zum Teil den resignativen, bewussten Verzicht auf perspektivisches Denken feststellen: „Warum sich in Schule und
Studium anstrengen, warum eine Lehre machen, warum Vorsorge für das Alter betreiben: Es ist doch eh alles umsonst.“[118]
Wichtig bei der Suche nach den Ursachen für Armut ist im Bereich der Bildung außerdem der Zusammenhang zwischen Schule und Beruf. Im allgemeinen beinhaltet ein geringer Schulabschluss die Gefahr, beim ohnehin schwierigen Übergang von der Schule in den Beruf nur prestigearme und unsichere Berufe mit geringen Aufstiegschancen besetzen zu können. Das Risiko der Verarmung ist damit höher als bei anderen Kindern und Jugendlichen.[119] Hieraus lässt sich ableiten, dass Kindern und Jugendlichen ohne Schul- bzw. Berufsausbildung der Zugang in den Arbeitsmarkt nahezu unmöglich sein dürfte. Geringe Bildung steht also meistens in direktem Zusammenhang zu einkommensschwachen Berufen.
Eine weitere Armutsursache besteht daher im Zusammenhang mit geringer Bildung auch darin, dass es nicht erlernt wurde, auf gegebene Situationen angemessen reagieren zu können.
Als Fazit in diesem Abschnitt „Bildung“ gilt also, dass Personen des gesicherten Wohlstandes meistens eine höhere Schulausbildung und Berufsausbildung mit all den daraus resultierenden Vorteilen genossen haben. Bildung muss hier im übrigen als Befähigung verstanden werden, auf gegebene Situationen angemessen reagieren zu können. Daher kann geringe Bildung als Ursache für Armut in dem Sinne verstanden werden, dass in bestimmten Situationen nicht über ausreichende Handlungskompetenzen verfügt wird.
Arme und prekär Arme sind sich in ihrem meist relativ geringen Bildungserfolg ähnlich. Allerdings sind die Bildungschancen auch nicht immer gleich verteilt. So gibt es „deutlich ausgeprägte herkunftsbedingte, geschlechtsspezifische, konfessionelle und regionale Unterschiede im Erwerb von Bildungschancen.“[120]
Bei der Suche nach den Ursachen für Armut stellt die Bevölkerungsgruppe der Straßenkinder eine besondere Gruppe dar. Hier liegen eigene, wenn auch untypische Ursachen für Armutsgefährdung oder Armutsbetroffenheit vor, die in keiner anderen Risikobevölkerungsgruppe anzutreffen sind. Zwei von diesen gruppenspezifischen Ursachen werden im folgenden genannt.
Einerseits wird die Armut unter Straßenkindern von Verantwortlichen verursacht, die ihre...