Der amerikanische Psychologe Jerome Bruner benannte drei Gründe, weshalb Menschen überhaupt lernen wollen. So ist Neugier eine dem Menschen innewohnende Eigenschaft, die von dem Bedürfnis ergänzt wird, mit anderen Menschen gemeinsam in sozialen Prozessen Ziele zu erreichen und darüber hinaus herrscht ein auf unsere Umwelt abgestimmtes Fachinteresse vor.[29]
Um den Begriff ,Lernen’ erklären zu können, muss er interdisziplinär betrachtet werden. Nicht nur in der Pädagogik, sondern auch in der Psychologie, der Soziologie, den Neurowissenschaften und anderen Fachbereichen ist Lernen ein zentraler Begriff, der aus der jeweiligen Betrachtungsweise seine diesbezüglichen Schwierigkeiten aber auch eigene Definitionsansätze mit sich bringt. Anders als die Fähigkeit des Sehens, kann Lernen selbst von den Neurowissenschaften nicht eindeutig im Nervensystem lokalisiert werden, so dass das Lernen mehr als eine Funktion der Wahrnehmung und der Handlungen gesehen wird.[30] Aus den verschiedenen Disziplinen heraus etablierte sich die empirische Lehr-Lern-Forschung, die darum bemüht ist, unter anderem die schlechten Ergebnisse der PISA- und TIMS- Studien zu erklären und damit neue Aufschlüsse im Zusammenhang der Lernthematik zu liefern. Aber auch die Hirnforschung beschäftigt sich mit dem Lernen, erforscht die dabei angeregten Hirnareale und versucht so Zusammenhänge bestimmter Verhaltensweisen und Lernmustern zu ergründen.
„ ,Lernen’ und Lernfähigkeit spielen in allen Lebensbereichen und Lebensphasen eine wichtige Rolle. Daher rührt auch die Vieldeutigkeit des Begriffs ,Lernen’. Sie macht es erforderlich, sich darauf zu verständigen, was Lernen in der Schule der Gegenwart und Zukunft sein kann und sein soll.“[31]
Dieses Kapitel beleuchtet die aus pädagogischer Sicht relevanten Erkenntnisse um die Bedeutung des Begriffes Lernen und erörtert Hintergründe zu Lernvorgängen und -methoden, um bezüglich der Fahrlehrerausbildung die Anforderungen an Lern- und Lehrprozesse herauszustellen.
Menschliches Denken ist im Wesentlichen nicht nur ein Operieren mit Symbolen. Wenn man dieses vom Denken anderer Primaten unterscheiden will, muss man über die Definition hinausgehen, dass Denken ein bloßes Wahrnehmen, Erinnern, Kategorisieren und intelligentes Handeln sei. So vertritt der amerikanische Antropologe und Verhaltensforscher Michael Tomasello die metatheoretische Sichtweise, dass sich die spezifisch menschlichen Aspekte der Kognition aus den drei folgenden Einflussgrößen entfalteten:
1. Phylogenese
In der Erforschung der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen versteht Tomasello die spezifisch menschliche Form der Kognition als die Wahrnehmung anderer Artgenossen als intentionale Wesen, deren Handeln von einer mentalen Repräsentation eines gewünschten Ergebnisses geleitet wird.
2. Geschichte
Viele Aspekte der spezifisch menschlichen Kognition können sich erst im Laufe der Geschichte entwickelt haben, da es sich bei ihnen im Blick auf die Genese der Welt um recht neue Entwicklungen handelt. Das heißt nicht, dass damit neue kognitive Fähigkeiten entstanden sind, sondern bestehende Fähigkeiten weiterentwickelt und ausgebaut wurden. Eine Umwandlung bestimmter menschlicher Tätigkeiten in ihren verschiedenen Bereichen ist die Folge einer kognitiven Anpassung an eine Weiterentwicklung.
3. Ontogenese
Die Entwicklung des einzelnen Lebewesens ist einzigartig, insofern Neugeborene spezifische Fähigkeiten ausprägen und sich somit von anderen unterscheiden. Diese Ausprägung ist aber insbesondere davon abhängig, in wie weit das Kind Handlungen anderer Personen imitierend zu erlernen vermag. Erlernen die Kinder eines der prägenden kulturellen Werkzeuge wie zum Beispiel die Sprache, so wird dadurch zwar die Kognition des Kindes nicht neu geschaffen, aber dennoch stark davon geprägt. Die Umgebung nimmt also starken Einfluss auf die Entwicklung des Menschen.
Die heutige Kognition von erwachsenen Menschen ist nicht nur das Ergebnis von genetischen Anpassungen im Verlauf der Evolution, sondern gleichfalls das Resultat von kulturellen Einflüssen, die über die gesamte menschliche Entwicklung hinweg auftraten sowie persönlichen Erfahrungen, die sich in der Geschichte des Menschen auf die persönlichen Entwicklung des Einzelnen ausgewirkt haben.[32]
Da der Mensch als instinktreduziertes Wesen zu betrachten ist, ist er zu einer ständigen Anpassung an die Umweltfaktoren und den Fortschritt in Gesellschaft und Wissenschaft angewiesen, um überleben zu können. Allerdings ist der Mensch durchaus in der Lage, sich seine Umwelt auch viabel gestalten zu können.[33]
„Im Zusammenhang mit menschlichem und tierischem Verhalten ergeben sich viele interessante Fragen, von denen sich die wenigsten durch die Reduktion von Lernvorgängen auf ihre neurophysiologische Grundlage beantworten lassen. [...] Wenn man herausfinden möchte, warum Menschen in manchen Teilen der Erde hungern müssen, wird man keine passende Antwort finden, wenn man sich mit Stoffwechselvorgängen im Körper befasst, statt mit ökologischen und ökonomischen Bedingungen.“[34]
Um Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten, fungiert das Gehirn auf verschiedenen Arealen mit verschiedenen Gedächtnisarten. „Das Gedächtnis ist somit eine Grundvoraussetzung für das Lernen. Es kann als ein aktiv wahrnehmendes kognitives System definiert werden, das Informationen aufnimmt, enkodiert, modifiziert und wieder abruft.“[35] Die Aufteilung in das Ultrakurzzeit-, das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis[36] ist die hinlänglich bekannteste Unterscheidung, ist aber bei weitem nicht die einzige. Diese drei Gedächtnisarten bedingen die Speicherung der aufgenommenen Informationen für unterschiedlich lange Zeiten. Dabei nimmt das Ultrakurzzeitgedächtnis, die für eine sofortige Umsetzung relevanten Informationen auf, die aber bei Nichtgebrauch nach einer Zeit von ungefähr zwanzig Sekunden bereits wieder vergessen werden.[37] Die Informationen, die für eine Handlung bedeutsam wurden und dementsprechend Aufmerksamkeit erhielten, gelangen in das Kurzzeitgedächtnis, wo sie für weitere zwanzig Minuten[38] gespeichert bleiben. Über diese Zeit hinaus als unwichtig erachtete Informationen gehen verloren, die brauchbaren gehen in das Langzeitgedächtnis über. Dieses kann unbegrenzt viele Informationen für unbegrenzt lange Zeit speichern. Jedoch sind für eine feste Verankerung der Informationen im Langzeitgedächtnis ein häufiger Gebrauch und ein oftmaliges Wiederholen erforderlich. Ohne ein solches gehen die gespeicherten Informationen zwar nicht verloren, geraten aber in Vergessenheit.
Für die unterschiedlichen Arten von Informationen gibt es andere dafür vorgesehene Gedächtnisspeicher.
Das deklarative Gedächtnis basiert auf Gehirnarealen, die zum einen bestimmte Erlebnisse unseres Lebens speichern (episodisches Gedächtnis), und die zum anderen an Fakten, Daten, Namen oder Telefonnummern erinnern (semantisches Gedächtnis). Dazu kommt das prozedurale Gedächtnis, welches Fähigkeiten und Fertigkeiten wie zum Beispiel das Zubinden der Schnürsenkel speichert. Darüber hinaus gibt es deutlich mehr als die eben beschriebenen Gedächtnisarten. Alle diese unterschiedlichen Gehirnsysteme sind Grundlage dazugehöriger Gedächtnissysteme, entwickeln sich zu unterschiedlichen Zeiten im Verlauf des menschlichen Lebens, werden vom Gehirn getrennt voneinander verwaltet und können auch isoliert voneinander bestehen. [39] Nach Hirnverletzungen zeigt sich dieses oft darin, dass geschädigte Hirnareale nur bestimmte Erinnerungen oder Fähigkeiten sowie das Neuerlernen dieser beeinträchtigen. Bei Alzheimerpatienten ist das episodische Gedächtnis beeinträchtigt; so können sich diese Personen nicht mehr an bestimmte Erlebnisse in ihrem Leben erinnern, sind aber durchaus in der Lage Kreuzworträtsel zu lösen oder an tagesaktuellen politischen Diskussionen teilzuhaben.[40]
Die Konditionierung die der Physiologe und Mediziner Iwan Pawlow mit seinen Hunden durchführte, basiert wiederum auf einer dafür ausgerichteten Gedächtnisart. So findet ein Konditionierungslernen auch beim Menschen statt, um somit lebenserhaltende Schutzmechanismen aufrechterhalten zu können. Zum Beispiel führt der Verzehr von unbekömmlichen Speisen zu einer Konditionierung: Der Betroffene wird diese Speise künftig meiden. Kleinkinder nutzen schon ab einem Alter von drei Monaten Konditionierungsmechanismen. Ihr Schreien erzeugt bei den betreuenden Personen in der Regel ein erhöhtes Maß an Fürsorge. Neugeborene lernen von Anbeginn ohne sich darüber bewusst zu sein. Viele unserer Gedächtnisarten funktionieren implizit, sie speichern und verarbeiten Informationen unbewusst. „Beim Indirekten Lernen [...] ergeben sich die Lernprozesse als Folge vollzogener Handlungen von selbst.“[41] So sind Konditionierung oder Prozesse, die im prozeduralen Gedächtnis verarbeitet werden grundsätzlich implizite Lernvorgänge. Dem entgegengesetzt funktioniert das explizite Lernen, bei dem das Erlernte dem...