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E-Book

Die kaputte Elite

Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen

AutorBenedikt Herles
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641113292
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die ökonomischen Eliten stecken in der Krise. Action required!
Von den Seminarräumen der BWL-Fakultäten bis in die Chefetagen - vieles läuft schief in unserer Wirtschaft. 'Die kaputte Elite' berichtet von selbstgefälligen Business Schools und verantwortungslosen Technokraten, von angepassten Führungskräften und ängstlicher Bullshit-Rhetorik. Benedikt Herles beschreibt präzise und liefert ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Menschlichkeit, Kreativität und Mut in unseren Unternehmen.

Benedikt Herles, Jahrgang 1984, studierte Volks- und Betriebswirtschaftslehre und promovierte über die Entstehung ökonomischer Werte. Als Unternehmensberater arbeitete er für unterschiedliche Industriezweige. Er lebt in München und Hamburg.

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Leseprobe

Hunting Ground

Das BWL-Studium ist Gehirnwäsche

Hunting Ground [ˈhʌnt ŋ graʊnd] = Beraterdeutsch für »gute Uni, um Neueinsteiger zu rekrutieren«. Verwendet als Bezeichnung für renommierte Business Schools, deren Absolventen heiß umkämpfte Bewerber sind.

Vallendar am Rhein. Ein unscheinbarer Ort unweit von Koblenz ist die Heimat einer der angesehensten Business Schools in Deutschland: der WHU – Otto Beisheim School of Management.3 Hier begann nach dem Abitur meine Reise in die Welt der BWL. Ein altes Kloster, in dem bereits Goethe genächtigt haben soll, bildet das Hauptgebäude der Hochschule. In der Eingangshalle grüßt den Besucher die Bronzebüste des Namensgebers und Stifters höchstpersönlich. Neben der schicken Rezeption werden in einer Vitrine Merchandise-Artikel à la Oxford und Cambridge angeboten. Das Sortiment reicht von Manschettenknöpfen bis zum Visitenkartenetui. Auf vier Tafeln gegenüber prangen die Namen großzügiger Unternehmen, darunter stolze Adressen aus Investment Banking, Industrie und Strategieberatung. Deutsche Bank, Merrill Lynch, Morgan Stanley, Bain & Company – alle sind sie Teil der großen WHU-Familie. Um die Ecke, über den hölzernen Stufen einer breiten Treppe, hängen Fotos von Absolventen. Eine Galerie von Ehemaligen, die sich für ihre Alma Mater spendabel gezeigt haben.

Zu meiner Zeit ging es noch etwas beschaulicher zu, heute zählt die Kaderschmiede mehr als 1000 Studenten.4 Sie haben mit der Aufnahmeprüfung die Hälfte des Weges in eine aussichtsreiche Einstiegsposition schon geschafft. So zumindest versuchen es einem Professoren und ältere Semester von Tag eins der Ausbildung an klarzumachen. Das Aufnahmeverfahren ist kompliziert. Nach einem schriftlichen Intelligenztest wurde ich zu Einzelinterviews und Gruppendiskussionen auf den Campus geladen. Die zukünftigen Führungskräfte sollen auch in sozialer Kompetenz spitze sein. Ein Praktikum schon vor Studienbeginn ist Pflicht. Ich hatte meines bei der Boston Consulting Group absolviert. Ihr damaliger Deutschland-Chef Dieter Heuskel gratulierte mir zum Studienplatz und schwärmte von der WHU als idealem Jagdrevier. Es konnte losgehen.

Romantisches Studentenleben ist an der WHU Fehlanzeige. Vallendar bietet wenig Ablenkung. Das ist Teil des Konzepts. Während an öffentlichen Universitäten vielerlei Verlockungen vom Lernen abhalten, gibt es an der WHU nichts, was auch nur im Ansatz spannender sein könnte als Skripte und Fallstudien. Studentische Kneipen und Cafés gehören nicht zum Stadtbild. Wer den Ort zum ersten Mal besucht, dem fallen sofort junge Leute auf, die keine Zeit zu haben scheinen. Im Laufschritt eilen sie mit ihren Laptoptaschen durch die engen Gassen, um möglichst schnell zur Vorlesung oder zurück an den Schreibtisch zu kommen. Wie von einem anderen Stern erscheinen hier Bilder von entspannten Studierenden, die in Heidelberg, Tübingen oder München auf Rasenflächen und Treppen sitzen, Bier trinken, rauchen oder schmökern.

Einer meiner Professoren bezeichnete die WHU einmal als »Durchlauferhitzer«. Eine treffende Beschreibung. Wer hierher kommt, will sich nicht lange mit Studieren aufhalten. Die WHU ist eine »Mikrowelle, die ihre Absolventen in Rekordzeit gar kocht«.5 Die Ausbildung ist der Katapultstart ins »Big Business«. In den Pausen zwischen den Vorlesungen werden E-Mails geschrieben oder The Wall Street Journal Europe gelesen. In ihrer freien Zeit widmen sich WHU-ler universitären Initiativen wie dem »Campus for Supply Chain Management« oder der studentischen Unternehmensberatung »Confluentes«. So lässt sich im Lebenslauf außeruniversitäres Engagement nachweisen. Arbeitswochen von 80 Stunden sind hier keine Seltenheit. In den Semesterferien wird kaum Urlaub gemacht. Es gilt, möglichst viele Praktika im In- und Ausland zu absolvieren. Wer mit Mitte 20 abschließt, hat schon viel durchgemacht. Manche Diplomanden »sehen aus wie Ende 30 und würden das wahrscheinlich als Kompliment auffassen«.6

»Burnen« für die Karriere

Schon im Grundstudium konnten wir uns offizielle WHU-Visitenkarten drucken lassen. Und die brauchten wir auch. Denn an rund zwei Abenden pro Woche stellen sich auf dem Campus Unternehmen vor. Die meiste Aufmerksamkeit bekamen Beratungen und Investmentbanken. Sie zahlen die höchsten Einstiegsgehälter. Das ist entscheidend für Studenten, die zum großen Teil materiell getrieben sind. Nach vier Wochen in Vallendar kannte ich die Einstiegsgehälter der größten Wall-Street-Firmen. Beim Thema Insolvenz im Fach Allgemeine Betriebswirtschaftslehre lautete die wichtigste Frage an den Professor: »Was verdient ein Insolvenzverwalter?« Bereits am Tag eins der Einführungswoche versprach ein frischgebackener Absolvent uns »Quietschies« (so hießen wir Erstsemester) während einer abendlichen Bootsfahrt auf dem Rhein: »225 000 € im Jahr nach zehn Jahren! Das ist Durchschnitt hier!« Meine Kommilitonen strahlten. Welche Farbe soll der erste Porsche haben? Anthrazit oder doch lieber Blau?

Das Humboldt’sche Bildungsideal hat seinen Weg hingegen nicht nach Vallendar gefunden. Die zukünftigen Top-Kräfte erwarten keine hitzigen akademischen Debatten. Stattdessen gilt es, PowerPoint-Folien möglichst rasch auswendig zu lernen. »Burnen« nennen die WHU-ler das stumpfe Einprägen sogenannter Bullet Points, der Stichpunkte in den Vorlesungsunterlagen. Nach der Prüfung durfte getrost alles wieder vergessen werden. Bis zum nächsten Test blieb meist nur wenig Zeit. Ran an einen weiteren Ordner und wieder 1000 Bullets zum mentalen Einprügeln. Als »Bulimie-Lernen« wird dieser Arbeitsstil in Vallendar auch treffend bezeichnet. Ständige Leistungsnachweise statt Zeit zum Nachdenken. Aus meinem Grundstudium an der WHU habe ich nicht allzu viel behalten.

Geboten wird eine praktische Berufsausbildung zum Manager, keine akademische Bildung. Gelehrt wird Handwerkszeug, nicht mehr und nicht weniger. Die Studenten der BWL-Schmiede seien »vergleichbar mit einem Wachstumsunternehmen«, beschreibt ein Professor das System in einem Absolventen-Jahrbuch. Nach Semestern der teuren Investitionen in ihre Ausbildung kommen sie auf den Arbeitsmarkt, um endlich »positive Cashflows zu erzielen«.7

Auf dem mit hohen Gebühren (zurzeit 5300 Euro pro Semester im Bachelor-Studiengang8) bezahlten Stundenplan stehen die Klassiker der Betriebswirtschaftslehre: Wettbewerbsanalyse, Strategieplanung, Finanzoptimierung. Die Werkzeuge der Management-Wissenschaft sollen dabei helfen, Märkte und betriebliche Entscheidungen strukturiert zu betrachten. Sie heißen »Porter’s 5 Forces«, »BCG Matrix« oder »Experience Curve«. Spätestens im Vorstellungsgespräch muss man zeigen, dass man die Modelle anwenden kann.

Das Fach Wirtschaftsethik wurde mir nicht gelehrt. Und schon mit dem ersten VWL-Skript wurde uns klargemacht, wohin die Reise ging. Darin war zu lesen: »Da der reinen Planwirtschaft und den Mischformen zwischen Plan- und Marktwirtschaft heute keine große Bedeutung zukommt, sollen diese Wirtschaftssysteme hier nicht weiter verfolgt werden.«9 Der Sozialismus wurde kurz und knapp, im Rahmen des kleinen Fachs Wirtschaftsgeschichte abgehandelt. Von Gastprofessoren, die von öffentlichen Universitäten kamen.10

Die WHU selbst hat sich vollständig auf die Bedürfnisse der spendenden Unternehmen eingestellt. Für deren Leistung müsse die Uni »auch eine Gegenleistung erbringen«, so Peter Jost vom Lehrstuhl für Organisationstheorie gegenüber einem Spiegel-Redakteur.11 Vielleicht hat es das Fach Wirtschaftsethik auch deshalb so schwer. Vermutlich behagen dessen Inhalte den größten Geldgebern einfach nicht. Weit entfernt von Harvards Leitbegriff »Veritas« heißt es an der WHU offiziell »Passion, People and Performance« – eine Alliteration, die erstaunlich dem Werbespruch von Bain & Company ähnelt, eine der renommiertesten Strategieberatungen und gleichzeitig einer der wichtigsten Recruiter am Campus. Dieser lautet: »People. Passion. Results.« Auch die Deutsche Bank, ebenfalls großer Sponsor der WHU, prahlt mit ganz ähnlichen Werten. Ihr Claim heißt bekanntlich: »Passion to Perform«.

Ganz im Sinne der Arbeitgeber werden WHU-ler knallhart auf Leistung getrimmt. Performance ist nicht nur Leidenschaft, sondern auch Status. »An eins musst du dich gewöhnen – dass es hier Leute geben wird, die besser sind als du! Ich hatte daran zu knabbern, und zwar nicht zu schlecht. Ich kannte das nicht«, erklärte mir ein älterer Kommilitone in der ersten Woche. Stehen Klausuren an, wird gemeinsam bis zum Morgengrauen gelernt. Kein Wunder, dass der Geruch von Red Bull die Prüfungsräume erfüllte.

Am Ende des Grundstudiums wurde intern ein Ranking veröffentlicht. In die renommiertesten Banken und Beratungsfirmen schaffen es meist nur die oberen Ränge. Die Plätze für das Auslandsstudium...

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