1 Die DNS des Erfolgs
Die Manager haben es in der Hand: Auch am Standort Deutschland können Unternehmen stetig und profitabel wachsen. Das beweisen viele große Mittelständler. Fünf Faktoren bringen den Erfolg: Die richtige, konsequent verfolgte Strategie, stetige Konzentration auf Innovationen, frühzeitige Internationalisierung, ständige Optimierung der Wertschöpfung und professionelle Führung. Was sich von den Besten lernen lässt.
Politiker interessieren sich dafür, Arbeitnehmer wollen es wissen und Unternehmer denken schon von Berufs wegen darüber nach: Wo kommt das Wachstum her? Wer bringt die deutsche Volkswirtschaft voran?
Denn ohne Wachstum geht es nicht. Rund 2 Prozent beträgt der jährliche Produktionsfortschritt der deutschen Wirtschaft. Das bedeutet: Den gleichen Output wie im Vorjahr schafft die Volkswirtschaft mit 2 Prozent weniger Produktionsmitteln – und das geht fast immer zu Lasten der Arbeitnehmer. Soll sich an der Arbeitsmarktsituation in Deutschland etwas ändern, muss Wachstum her – je kräftiger, desto besser.
Der öffentliche Sektor, da sind sich inzwischen alle einig, liefert das Wachstum nicht. Zwar gilt hier per Definition: Kosten gleich Umsatz, da lässt sich Wachstum leicht erzielen. Weil aber Mehrausgaben finanziert werden müssen, führt dies zu mehr Schulden für den Staat. Langfristig ist dies nicht wünschenswert.
Gern und oft werden die Wachstumsparameter unserer Großkonzerne untersucht, ebenso häufig kümmern sich Politik und Wissenschaft um den klassischen deutschen Mittelstand, die kleinen und mittleren Unternehmen (»KMU«). Tatsache ist: Die dazwischen sind es – mittelständisch strukturierte Großunternehmen mit Umsätzen zwischen 50 Millionen und 3 Milliarden Euro sind der Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft. Wendig und eng am Kunden wie die Kleinen, international aktiv und professionell geführt wie die Großen verbinden viele dieser Unternehmen das Beste beider Welten. Wenn dann noch ein tüchtiger Schuss deutschen Innovationsgeistes hinzukommt, sind sie auf den globalen Märkten kaum zu schlagen. Mittelständische Weltmarktführer wie Stihl, Kärcher und Vaillant sind durch ihre Produkte den meisten Menschen bekannt, aber auch unbekannte Unternehmen wie Bürkle (Plastiklaminierpressen), Kässbohrer (Pistenbullys) oder Becker Marine Systems (Schiffsruderanlagen) sind auf ihren Feldern global die Nummer 1.
Die großen Mittelständler bilden das erfolgreichste Segment der deutschen Wirtschaft
Doch gerade die Gruppe dieser großen Mittelständler – insgesamt gut 5.000 – wurde bislang kaum systematisch untersucht. Dieses Buch beschreibt die Erfolgsfaktoren in diesem Segment der deutschen Wirtschaft: Basis der Analyse bildet die bisher größte und umfangreichste Umfrage unter diesen Unternehmen, an der bis 2005 rund 700 von ihnen teilgenommen haben. 2006 folgten dann fast 100 Tiefeninterviews und Unternehmergespräche, um das Erfolgsrezept der Mittelständler genauer zu verstehen. Parallel untersuchte McKinsey den Zugang dieser Unternehmen zu den Auslandsmärkten. Überdies profitiert dieses Buch von den Erkenntnissen dreier weiterer McKinsey-Untersuchungen: der Studie ProNet, die sich 2006 mit der Optimierung der Wertschöpfungskette befasste, dem InnovationCompass, der den effizientesten Weg von der Idee zum neuen Produkt beschreibt, sowie dem BrandMatics genannten Konzept für Markenmanagement, das die Markenführung analysiert.
Die Umfrageteilnehmer repräsentieren das erfolgreichste Segment der deutschen Wirtschaft: Sie bringen es im Zeitraum von 1998 bis 2003 im Schnitt auf eine jährliche Wachstumsrate von 4,6 Prozent und verdienen dabei auch noch kräftig. Die durchschnittliche Umsatzrendite liegt bei 5,0 Prozent. Zum Vergleich: Die Top 150 der Konzerne wachsen im gleichen Zeitraum im Mittel mit einer Rate von 3,7 Prozent und erwirtschaften dabei eine Umsatzrendite von 3,8 Prozent. Die knapp zwei Millionen Unternehmen mit einem Jahresumsatz unter 50 Millionen Euro verlieren im Schnitt sogar 0,9 Prozent Umsatz pro Jahr, ihre durchschnittliche Rendite liegt bei 3,0 Prozent (Abbildung 1).
Abbildung 1: Wachstumsrate und Umsatzrendite Unternehmertum vs. Vergleichssegmente
Natürlich sind nicht alle großen Mittelständler automatisch gleich gut, sprich wachstums- und ertragsstark. Die Durchschnittswerte von Rendite und Wachstum variieren je nach Branche: Ganz vorn liegen die Mittelständler in Pharma und Gesundheitswesen, die im Schnitt mit einer Jahresrate von 11,9 Prozent wachsen und dabei stolze 14,7 Prozent Umsatzrendite erwirtschaften. Im Mittelfeld liegen Automobil- und Maschinenbau mit einem Durchschnittswachstum von 6,2 Prozent und einer mittleren Umsatzrendite von 3,6 Prozent. Ganz unten rangieren die Konsumgüterhersteller, die im Schnitt 0,6 Prozent Umsatz pro Jahr verlieren, ihre Rendite liegt bei 2,7 Prozent.
Vorbild Mittelstand
Die stattlichen Wachstumsraten und auskömmlichen Renditen erzielten die großen Mittelständler ganz unbeeindruckt von den deutschen Wirtschaftsproblemen. Seit vielen Jahren wächst das Sozialprodukt nicht nur schwächer als das der Aufsteigerstaaten in Fernost, sondern ist auch niedriger als das der USA, Großbritanniens und sogar Frankreichs (Abbildung 2).
Abbildung 2: Deutschlands BIP-Wachstum fällt im Vergleich zurück
Jahrelang hat Deutschland über seine Verhältnisse gelebt. Spitze sind nur die Arbeitskosten, unerreicht kurz die Arbeitszeiten, unterdurchschnittlich die Arbeitsproduktivität – »Made in Germany« ist in der Defensive. Die deutsche Arbeitsproduktivität (gemessen in Bruttoinlandsprodukt pro Arbeitnehmer) um 34 Prozent unter der in den USA; auch Japan, Frankreich und Großbritannien schaffen pro Kopf deutlich mehr als die Deutschen (Abbildung 3).
Abbildung 3: Deutschland 2005 – hohe Kosten, kurze Arbeitszeit, niedrige Arbeitsproduktivität
Die Globalisierung der Wirtschaft verschärft die hausgemachten Probleme. Drastisch gesunkene Transaktionskosten erlauben es, egal für welche Märkte an jedem beliebigen Ort rund um den Globus zu produzieren. 1,3 Milliarden arbeitshungrige Chinesen übernehmen fast jeden Job, eine Milliarde Inder, viele mit Spitzenausbildung, arbeiten für ein Zehntel deutscher Lohnkosten. Prompt verliert Deutschland Weltmarktanteile in vielen wichtigen Branchen. Zwischen 1995 und 2005 konnte nur die Autoindustrie ihren Anteil steigern, die Chemie verliert fast 13 Prozent, der Maschinenbau knapp 11 Prozent und die Elektrobranche sogar ein glattes Drittel des Weltmarktanteils (Abbildung 4). Im Zeichen der Globalisierung werden Fehler und Schwächen von Unternehmen sehr viel härter und schneller bestraft als früher – die Unternehmen verschwinden vom Markt. Fast 4 Millionen Arbeitslose sind der Beleg dafür, dass allzu viele deutsche Firmenchefs die Herausforderung deutlich unterschätzt haben.
Abbildung 4: Entwicklung Weltmarktanteile 1995 bis 2005 (Anteil des Bruttoproduktionswerts in Deutschland am Bruttoproduktionswert weltweit)
Zu beobachten ist eine wachsende Polarisierung in der deutschen Wirtschaft. Auf der einen Seite stehen die Verlierer – und finden sich schlimmstenfalls in der Insolvenzstatistik wieder. Auf der anderen Seite stehen wachstumsstarke, profitable Unternehmen, die auch in Branchen, die insgesamt wenig Dynamik zeigen, prosperieren. So stagniert beispielsweise bei vielen Konsumgüterherstellern der Umsatz, aber die fünf besten deutschen Unternehmen in diesem Segment wachsen mit einer durchschnittlichen Jahresrate von fast 15 Prozent. Das gleiche Bild im Maschinenbau, bei Autozulieferern und Pharmaherstellern: Die deutschen Topunternehmen dieser Branchen wachsen mit zweistelligen Raten.
Dies führt direkt zum Kerngedanken dieses Buchs. Es will die Frage beantworten, mit welchen Erfolgsfaktoren die Spitzenreiter ihren Kurs halten, was andere von ihnen lernen können – es will die DNS des Erfolgs entschlüsseln. Die prosperierenden Unternehmen beweisen, dass nicht der Standort mit seinen Hypotheken über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, sondern die Fähigkeit der Manager, unter den gegebenen Bedingungen die richtige Strategie für ihr Unternehmen zu finden und umzusetzen.
Ein Negativbeispiel lieferte der Fall Grundig. Nur neun Jahre nachdem Wirtschaftswunder-Kapitän Max Grundig sein Unternehmen an Philips verkauft hatte, geriet Europas zweitgrößter Fernseherproduzent in Bedrängnis. 1993 fielen zum ersten Mal die Großhandelspreise für Farbfernseher unter die Kosten, die bei Grundig je produzierte Einheit anfielen. Es dauerte Jahre, bis das Unternehmen mit einem wirksamen Kostensenkungsprogramm reagierte. Erst ab 1996 sanken die Stückkosten bei Grundig – aber die Preise fielen im selben Tempo, die Erlöslücke klaffte weiter. Das Ende ist bekannt: Insolvenz 2001, das Vorzeigeunternehmen der Aufbaujahre wurde zerschlagen.
Grundigs Weg in die Insolvenz wäre abwendbar gewesen
Aus öffentlichen Quellen lässt sich rekonstruieren, wie teuer das Zögern des Managements bei Grundig wurde und schließlich zum vermeidbaren Ende führte. Aus der Handelsbilanz, aus Veröffentlichungen des Unternehmens, aus Tariflöhnen und Komponentenpreisen kann man auf die Stückkosten der Grundig-Produktion für jedes einzelne Jahr zurückrechnen. Weil die Unternehmensführung einerseits die Chance verpasste, über Innovationen und das Erkennen von Kundenwünschen Produkte zu entwickeln, die am Markt Spitzenpreise erzielen, und sich andererseits auf das Ziel versteifte, die Arbeitsplätze im...