Angst ist eine Reaktion auf die Wahrnehmung einer Gefahr, die logischerweise als bedrohlich eingeschätzt wird. Im „Normalfall“ setzt sie ein, wenn wir ein - mit Hilfe unserer Sinnesorgane erkanntes- körperlich oder seelisch bedrohendes Ereignis fürchten, um diesem daraufhin mit einer Reaktion, wie etwa der Flucht, begegnen zu können. In dieser Terminologie wäre natürlich, wie bereits geschrieben, das Wort „Furcht“ wohl passender, der Begriff Angst wird aber fast zwangsläufig wieder zum Mittelpunkt der Beschreibung, da man nun davon ausgehen muss, dass „Furcht“ hier nur mehr unzureichend das emotionale Erleben widerspiegelt, während „Angst“ ein vielschichtigeres Erleben beinhaltet.
Hinterlässt aber die höchst dominant (im Sinne von Einflussreich) wirkende Emotion „Angst“ ein Vakuum, das uns Menschen dabei behindert, angemessen auf die wahrgenommene Bedrohung zu reagieren, befinden wir uns auf dem Übergang zum Pathologischen. Nun, da eine Bedrohung als (zuweilen) Übermächtig angesehen wird und sie zugleich die eigene Machtlosigkeit verstärkt, liegt die Gefahr also nahe, dass ein angemessenes Reagieren unmöglich wird. Einige Menschen kapitulieren dann scheinbar und lassen die Angst walten, was zur Folge hat, dass diese in unnatürlicher Weise das Leben beeinträchtigt und es dort erschwert, wo es „objektiv“ betrachtet keinen Sinn ergibt. Trotz dessen ist die Wahrnehmung dieser Angstgefühle keineswegs als sinnlos zu bewerten, gibt sie doch gewissen Aufschluss darüber, dass eine gestörte Beziehung zur Aussenwelt vorliegt, die sich natürlich nun in der Innenwelt manifestiert. Individuelle Dispositionen, unterschiedliche Wahrnehmung, Erziehung, gemachte Erfahrungen und Bewältigungsmuster etc.. tragen zur Entstehung von Angstkrankheiten oder Angst-störungen bei, die uns aber, so groß die Gefahr der Stigmatisierung (und damit der Individualisierung der Störungen) als klinische Krankheit auch ist, zugleich vermitteln: Das Vorhandensein übermäßiger Angst ist auf Faktoren zurückzuführen, die auch ausserhalb unseres Selbstes liegen, denn eine Reaktion bedingt immer der Aktion, also des prägenden Reizes, ohne den (trotz des Faktes, dass Angst mit dem „Nichts“ zu tun hat) , keine Angst denkbar wäre. Gleichsam gibt es individuelle Schicksale, die ebenfalls zu Angstbelastungen führen können und ebenfalls zur Sprache kommen sollen. Der Schwerpunkt dieses Kapitels bildet somit die Darstellung der üblichen (klinischen) Angststörungen.
Angst ist in gewisser Weise ein Signal für Gefahren, gleich ob diese als real oder als phantastisch angesehen werden. Üblicherweise steht bei krankhaften Ängsten die irreale bzw. irrationale Seite im Vordergrund. Realangst tritt in der Regel erst in bedrohlichen Situationen auf. Ob allerdings und in welchem Verhältnis die angstauslösenden Momente in Verbindung von realen und „irrealen“ Faktoren stehen, dürfte weniger leicht zu klären sein. So bleibt man in der Kategorisierung bei den üblichen Einteilungen, die Ängste mit offensichtlichem und Ängste mit nicht-offensichtlichen Auslösemomenten unterscheiden. Auch verläuft die Grenze fliessend und nur scheinbar objektiv. Ein nur objekt-bezogenes Angstempfinden, dass für alle Menschen gleich relevant wäre, ist kaum vorstellbar, da jeder Mensch mitsamt seiner psychischen Verfassung und Disposition individuell geprägt ist. Ist es nun tatsächlich der Fall, dass uns Ängste erst und dann krank machen, wenn sie „nur“ der Fantasie entspringen (sie also irrationalen Charakter haben), wie es Holger Bertrand Flöttmann in seinem Buch formuliert.(Flöttmann, S.15) Es ist wohl ein entscheidendes Kriterium, wenn es um die Herkunftsanalyse von Angstgefühlen geht, dass man den diesbezüglichen irrealen Ursachen auf die Schliche kommen muss; man sollte sie aber dennoch nicht ins Reich der Fantasie verbannen, denn damit könnte doch der Eindruck entstehen, Angst wäre ein ausschliesslich individuelles (ein „Ego“-) Problem (im Sinne einer irregeleiteten Wahrnehmung), so sie sich in der entsprechenden Form darstellt. Ängste, die für aussenstehende Betrachter als nicht objektiv gelten, sind deshalb oft trotzdem als realistisch zu verstehen, im Sinne von „real“ wie die „tatsächlich“ begründbaren Ängste rationalen Ursprungs. Unnormale Angst kann es zumindest in diesem Verständnis nicht geben. Man kann also zunächst nur nach Gesichtspunkten, die entweder innerhalb oder ausserhalb der rationalen Wahrnehmung liegen, unterscheiden.
Sigmund Freud, der Begründer des Psychoanalyse, begriff die Realangst auch als Furcht, im Gegensatz zur „neurotischen Angst“, die er in drei Kategorien einteilte: frei-flottierende Angst, Phobie und Panikreaktion. (Sörensen, S.4) Zu seiner Zeit dominierte eine stark klinisch und mechanisch gefärbte Psychopathologie, die er mit der Beschreibung seiner Vorstellung zur (Angst)Neurose teilweise überwand.
Seit dieser Beschreibung ist die Symptomatik der Angstneurose innerhalb der Kategorisierung der Krankheitsbilder für uns relevant geblieben, zusätzlich entstanden aus der etwa zeitgleich erstmalig geschilderten „Platzangst“ (Kraepelin, 1887) andere „Krankheitsbilder“, die letztlich in die gegenwärtige Einteilung in vier ICD-10 und fünf DSM-III Angstkategorien mündeten.(Nissen in Nissen, Hg., S.10)
Angstkrankheiten gehören zu den häufigsten psychischen Störungen der westlichen Länder. Schätzungen gehen von bis zu 5-10 % der Gesamtbevölkerung aus. Nach dem üblichen amerikanischen Klassifikationssystem lassen sich acht Formen der Angststörungen unterscheiden, die das klinische Bild von Angsterkrankungen dokumentieren: (Wurthmann, in Müller, S.27)
- Panikstörung (mit oder ohne Agoraphobie)
- Agoraphobie
- einfache Phobie
- soziale Phobie
- Zwangsstörungen
- posttraumatische Belastungsstörungen
- generalisierte Angststörung
- atypische Angststörung
Schwierig bleibt es jedoch weiterhin, einen Strich zu ziehen zwischen dem, was als krankhaft gelten mag, und dem, was noch als normal zu werten ist. Verschiedene Auffassungen definieren diesen Punkt mehr oder minder genau, speziell die medizinische/psychiatrische Klassifizierung hat ganz spezifische Orientierungspunkte, die als Einteilungsraster dienen. Sicher besteht hier eine gewisse Gefahr dahingehend, dass „biologistisch“ vorgegangen wird, das neurochemische Befunde in den Vordergrund rücken und dabei das menschlich-individuelle verloren geht, besonders in einem heute so häufig anzutreffenden „technokratischen“ Medizinbetrieb, in dem es vielfach in erster Linie um pharmakologische Symptomeindämmung zu gehen scheint. Es bleibt also schwierig, von krankhafter Angst zu sprechen, da die Emotion selbst als völlig normal gilt. Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von Beobachtungen und Erkenntnissen, begonnen durch die Freudsche Psychoanalyse, die einen Teil der übermäßigen Angst in Form einer krankhaften Angst zu erklären vermögen.
psychoanalytische Aspekte
Ängste haben immer eine individuelle Prägung, sie sind geradezu von individueller Natur und haben doch einen universalen Charakter (die Offensichtlichkeit des Seins). Die Rolle der Wahrnehmung ist ein entscheidendes Faktum, denn ohne Wahrnehmung, ohne Geist, gäbe es auch keine Angst. Angst ist eine Emotion und von daher wohl auf Erkenntnis (zumindest zu einem bestimmten Grade) der eigenen Existenz angewiesen. Der Unterschied zwischen den Menschen und deren verschiedenartiger Wahrnehmung wird auch in der individuellen Definition der Angstauslöser ersichtlich, in den Furcht-Objekten und Situationen, in denen offenbar wird, dass der eine Mensch Angst empfindet, ein anderer jedoch nicht, oder nur in einem geringen Maß, so dass eher von Unwohlsein gesprochen werden kann, während beim ersten schon panische Züge auftreten. Neurotische Ängste haben etwas mit spezifischer Angstpräferenz zu tun, mit einer vom „normalen“, aussenstehenden Menschen abweichenden Realitätsvorstellung, die sich in der Empfindung und Bewertung der „Realität“ ungewohnt anders äussert, so dass man bei angstneurotischen Menschen von einer angstgewichteten Realitätswahrnehmung ausgehen kann und zwar in der Hinsicht, dass die Fixierung sich an bestimmte nichtaufgearbeitete bzw. durch frühere Erlebnisse geprägte Angstmuster heftet. „Der gemeinsame Nenner aller Neurosen ist Angst“, schreibt Michael Brown, kommt sie nicht vor, ist der betreffende Mensch wohl nicht neurotisch. (Brown, 1994, S.17) Die neurotische Angst ist eine Folge inneren Erlebens, sie ist gleichzeitig verzerrt und verfremdet. Die Folge ist, dass der Neurotiker die Angst nicht sinnvoll bewältigt, sondern dazu neigt, mithilfe verschiedener...