Nachdem im ersten Jahrhundert die römische Eroberung vollzogen worden war, im 2. Jahrhundert die Weltliteratur sich entwickelt, im 3. Jahrhundert die Ausbildung des römischen Rechtes und zu Ende des 3. und 4. Jahrhundert die Ausbildung der Monarchie in einigermaßen haltbarer Form stattgefunden hatte, so trat nun auch die Begründung einer Weltreligion als die größte in die Reihe der welthistorischen Produktionen ein.
Konstantin basierte seine Würde: erstens auf seinen Sieg und die Waffen, zweitens auf die Reform der Verwaltung, drittens auf die Religion. Die welthistorische Frage ist aber die: worauf beruht es, daß das Christentum im römischen Reich begründet werden konnte, und hat das römische Reich seiner Natur nach etwas hiezu beigetragen?
Man kann sagen, daß das römische Reich die Idee des Christentums, weltlich gefaßt, im höchsten Grade gefördert hat. Es mußte zuerst ein großer Völkerkomplex entstanden sein, der eine gewisse Einheit hatte, in welchem die Idee der Weltreligion sich Bahn brechen konnte; solange die Völker nebeneinander als verschiedene Individualitäten mit verschiedenen Religionen bestanden, waren nur nationale Gottheiten möglich. Meine Idee von Kirche und Staat ist die, daß der Staat zuerst vorhanden sein muß, und danach die Kirche erscheint. Der Staat macht die Kirche möglich, und dies zeigt sich bei der Erscheinung der Kirche im römischen Staat im höchsten Grade; ohne denselben wäre die christliche Religion schwerlich auf der Erde eingeführt worden.
Gehen wir um einen Schritt weiter, so würde die Einführung des Christentums, wäre nicht die orientalische Welt bereits gräzisiert gewesen, auf die größten Schwierigkeiten gestoßen sein. Hätte nicht eine allgemeine Sprache und Literatur damals existiert, so hätte die Religion nicht eine so allgemeine Wirksamkeit haben können. Gesetzt den Fall, das Christentum hätte durchaus in dem syrischen Idiom, welches Christus sprach, verkündet werden müssen, so wäre es den Menschen als etwas ganz Nationales und Absonderliches erschienen; in der Weltsprache mitgeteilt, wurde es den Menschen, wurde es der übrigen Bildung analog.
Außer diesen Momenten der politischen und literarischen Einheit lag aber noch etwas im römischen Wesen, was die Ausbreitung der Weltreligion unendlich gefördert hat. Dadurch, daß die Römer alle nationalen Gottheiten der ihnen bekannten Völker nach Rom transportierten und dort verehrten, wurde diesen Götzen gleichsam der Boden unter den Füßen weggezogen. Die Verehrung der Isis z.B. hatte nur in Ägypten ihre große Bedeutung, in Rom hatte sie gar keinen Sinn. Durch die Aufnahme fremder Götter verlor das nationale Prinzip seinen Wert; und eine Idee, welche durch sich selbst Geltung hat und deren Durchführung in den Dingen selbst präpariert ist, konnte um so leichter die verschiedenen Kulte überwältigen, als sie ihre ursprüngliche Bedeutung verloren hatten.
Dazu kam noch folgendes, kaum minderwichtiges Moment: die Römer hatten von Anfang an sowohl in religiöser als moralischer Beziehung einen eigentümlichen Geist, eine größere Fülle strenger moralischer Begriffe, als irgendein Volk der Welt. Man denke z.B. an die hohe Vorstellung, welche die Römer von der Ehe hatten, so daß Jahrhunderte vorübergingen, bis die erste Ehescheidung eintrat; man denke an das häusliche Leben der Römer, an das Institut der väterlichen Gewalt usw. Diese stärkere Repräsentation moralischer Tendenzen wirkte auch später in den Zeiten der größten Entsittlichung noch fort. Ein ferneres entscheidendes Moment ist der unaufhörliche Widerstreit der reineren religiösen Anschauungen der Römer und des semitischen Götzendienstes. Dieser zeigte sich schon im Kampfe gegen die Karthager, deren menschenopfernden Kultus die Römer stets verschmähten. Selbst der sonst ganz anrüchige Kaiser Claudius verbot ausdrücklich die Menschenopfer. Diese und noch andre Vorkommnisse weisen daraufhin, daß die Römer höhere Begriffe vom Werte des Menschen hatten, als andre Völker. Also auch in dieser Beziehung trafen die römischen, wenn auch immerhin noch unvollkommenen Vorstellungen mit den christlichen zusammen.
Die weitere Frage ist nun die: welchen Wert gewann das Christentum in seiner ersten Ausbreitung, welche Eigentümlichkeiten waren es, die das Christentum fähig machten, stärker zu werden, als alle andern Religionen?
In den ersten Jahrhunderten suchten noch orientalische Götzendienste und Glaubensvorstellungen überall in das Christentum einzudringen; ich erinnere an die Manichäer, deren Glaubenssätze bis nach Afrika und Indien sich verbreiteten u.a.m. Hätten diese Sekten die Oberhand gewonnen, welche das Christentum zu orientalisieren suchten, so wäre auch aus letzterem nichts andres geworden, als eine dieser orientalischen Religionen. Das Christentum fand aber eine andre Verbindung, mit deren Hilfe es sich diesen Einflüssen widersetzte, nämlich die mit der römischen und griechischen Philosophie. Die Weltweisen, ja zuweilen auch die Dichter dieser beiden Nationen hatten von jeher in einer gewissen Opposition gegen den Götzendienst gestanden, und so wurde es auch dem Christentum nicht schwer, sich an diese Philosophen anzulehnen, wohingegen auch viele der christlichen Märtyrer den Heiden als Philosophen erschienen, insofern sie von vielen Dingen abstrahierten, an denen andre festhielten (Justinus).
Das Hauptmoment, welches dem Christentum zustatten kam, ist wissenschaftlicher und dialektischer Natur. Während der Götzendienst mehr oder minder in die größten Abenteuerlichkeiten und Phantasmagorien ausgeartet war, besaßen die wissenschaftlichen und religiösen Begriffe des Christentums, abgesehen von dem unergründlichen Mysterium, auf dem es basiert, vielmehr die Eigenschaft, nach den verschiedensten Seiten hin erörtert werden zu können. Man erkannte bald, daß das Christentum mit den größten Produktionen des menschlichen Geistes zusammentraf, und diese Erkenntnis war einer der mächtigsten Hebel bei der Verbreitung der Weltreligion. Diese Verbindung des Christentums mit der antiken Kultur, die Ehe der zwei Prinzipien, die einander widerstehen und doch unaufhörlich verbunden waren, sie ist es, die der Sache eigentlich ihre Weltbedeutung gegeben hat.
Ganz unabhängig von Interessen, die irgendein Potentat wie Konstantin verfochten haben mag, hat die Weltstellung des römischen Reiches, die eigentümliche Richtung des römischen Geistes in religiöser und moralischer Beziehung und die einheitliche Verfassung in Verbindung mit der allgemeinen Literatur zusammengewirkt, um dem Christentum das Übergewicht über alle andern Religionen zu geben.
Nachdem wir von der Ausbreitung der Religion gesprochen haben, ist die Frage zu beantworten, auf welche Weise die Begründung einer Kirche vor sich gegangen ist. Hiebei ist einiges als Analogie aus dem Judentum herübergenommen worden, z.B. der Unterschied zwischen Geistlichen und Laien. So wie es bei den Juden einen besonderen Stamm, die Leviten, gab, dem die Besorgung des Gottesdienstes vorzugsweise oblag, so wurden auch im Christentume die Geistlichen, im Gegensatz zum Volke (λαοσ) als Los Gottes (χληροσ) angesehen. Ungeachtet der in manchen Beziehungen nicht zu verkennenden Analogie mit dem Judentum gewann die Kirche jedoch eine andre Gestalt, als dieses, namentlich durch die höchst eigentümliche Bildung und Erscheinung der Synoden und Konzilien.
Schon in den frühesten Zeiten der Kirche bildeten sich Gemeinden, welche in einer gewissen Verbindung miteinander standen und sich eine Art von kirchlichem Selfgovernment angeeignet hatten. Die Hauptsache aber ist, daß die Vorsteher dieser Gemeinden, die Episkopi, zusammentraten und streitige Fragen über das Dogma in letzter Instanz entschieden, unter der Behauptung, daß dieser ihrer Verbindung der heilige Geist innewohne. Merkwürdig ist es hiebei, daß diese Synoden zuerst in echt republikanischen Gegenden zusammenkamen, wo noch die Idee von den alten Bundesverhältnissen sich erhalten hatte, wie in Achaja. Ursprünglich waren diese Synoden partikulärer Natur, später dehnten sie sich zu allgemeinen Konzilien aus, zu denen die ganze Welt (οιχουενη) zusammenströmte, und auf welchen dem Christentum jene doktrinelle Grundlage gegeben wurde, auf der wir heutzutage noch stehen. Dieses höchst wichtige Institut gab dem Christentum auch eine größere Repräsentation für die Doktrin, wie sie noch nicht dagewesen war, und während die Staatsverfassung sich zur Absolutheit ausbildete, trat in der Kirche eine ganz andre Erscheinung hervor, nämlich die der Selbstregierung und Selbstbestimmung von unten her, welche, alles zusammenfassend, wieder neben dem großen Staate ein eignes Reich bildete.
Das Christentum war bereits, bald unter der Verfolgung, bald unter der Konnivenz der Kaiser ziemlich weit verbreitet worden, als Kaiser Konstantin in der Mitte des 4. Jahrhunderts es in seinem Interesse fand, oder durch irgendeinen uns unbekannten Umstand bewegen wurde, das Christentum anzunehmen. Es war für ihn von der größten Wichtigkeit, sich, nachdem er als Imperator an der Spitze der Armee...