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E-Book

Ludwig II.

Der unzeitgemäße König

AutorOliver Hilmes
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783641130015
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
König Ludwig II. von Bayern (1845-1886) war und ist ein Mythos. Millionen Menschen besuchen jährlich seine Schlösser Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee. Erstmals legt Bestsellerautor Oliver Hilmes nun eine Biographie des »Märchenkönigs« vor, die ihn als Herrscher und historische Gestalt ernst nimmt. Denn Ludwig, so Hilmes, wusste trotz aller scheinbaren Widersprüche seines Lebens genau, was er wollte - ein absoluter König sein.

Oliver Hilmes, 1971 geboren, wurde in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen 'Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel' (2004) und 'Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner' (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte 'Liszt. Biographie eines Superstars', danach 'Ludwig II. Der unzeitgemäße König' (2013) sowie 'Berlin 1936. Sechzehn Tage im August' (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschienen 'Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre' (2019) und 'Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe' (2023).

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Leseprobe

KAPITEL I
Der Kronprinz

KÖNIG MAXIMILIAN II. VON BAYERN war ein Ordnungsfanatiker mit einem starken Hang zur Umstandskrämerei. Was sein Vater Ludwig I. im Übermaß besaß – Temperament, Leidenschaft, Selbstbewusstsein, Charisma und Entscheidungsfreude –, ging Max weitgehend ab. Im Gegensatz zu Ludwig, der sich mit Vorliebe als egomanisches und mitunter polterndes Originalgenie inszenierte, trat sein Sohn den Zeitgenossen steif, still, übertrieben förmlich und unnahbar gegenüber. Angesichts der unterschiedlichen Charaktere mag es kaum verwundern, dass sich das Mit- und Nebeneinander des schillernden Vaters und des vergleichsweise blassen Sohnes zeitlebens als schwierig erweisen sollte. Die beiden fanden einfach keinen Weg zueinander. Noch über seinen 28-jährigen Filius klagte Ludwig: »An meinen Sohn Max darf ich nicht denken, soll ich heiter bleiben.«10

Dass Maximilian so wurde, wie er war, mag ebenso viel mit seiner Persönlichkeit wie mit seiner Erziehung zusammenhängen, die ganz im Zeichen einer strengen geistigen und körperlichen Züchtigung gestanden hatte. Von Anfang an wurde der im November 1811 geborene Kronprinz im Hinblick auf sein zukünftiges Amt gedrillt; auf die Bedürfnisse eines Knaben nahmen die zumeist lieblos agierenden Lehrer keine Rücksicht. In Max’ Worten klang das so: »Mein Inneres war gedrückt und verwundet. Meine im Ganzen gesunde, aber erregbare Körperbeschaffenheit, brachte es mit sich, daß ich Alles um so lebhafter und tiefer empfand. Einer um so verständigeren, mich zum frohen Lebensmuth und Selbstvertrauen erziehenden Leitung hätte ich bedurft, während vielmehr das Gegentheil stattfand.« Der Junge fühlte sich auf das Leben schlecht vorbereitet. Noch als erwachsener Mann beklagte er sich über die offensichtlich unzureichenden Lerninhalte. »Die Zeit meiner Erziehung war vollendet, und ich war eigentlich nicht erzogen«, gestand er sich mit larmoyanter Aufrichtigkeit ein. »Vielerley hatte ich gelernt und nichts recht. Ich war ohne feste, religiöse Ueberzeugung und Grundsätze.«11

Als junger Mann von achtzehn Jahren zog der Kronprinz im Herbst 1829 zum Studium nach Göttingen und im Jahr darauf nach Berlin, wo er bei so angesehenen Gelehrten wie Friedrich Christoph Dahlmann und Leopold von Ranke Vorlesungen hörte. Nach der Theorie kam die Praxis: Max unternahm in den folgenden Jahren ausgedehnte Bildungsreisen, die ihn nach Österreich und Ungarn, nach Frankreich und England, nach Belgien und in die Niederlande sowie nach Griechenland und immer wieder in das besonders geliebte Italien führten. Er lernte aber auch das eigene Land kennen und besuchte Augsburg, Nürnberg, Bamberg, Regensburg und das Alpenvorland.

Im Jahre 1835 erkrankte er plötzlich und litt seitdem an starken Kopfschmerzen, deren Ursache aber im Dunkeln liegt. Nach Max’ Tod wurde die Leiche zwar seziert – das Sektionsprotokoll, das für diese Biographie erstmals ausgewertet werden kann, gibt in dieser Frage aber leider keinen Aufschluss. Es werden dort keine erkennbaren Zeichen einer Infektion oder einer früheren Entzündung des Gehirns und der Häute erwähnt. Die Ärzte fanden auch keine Hinweise auf eine Atrophie – auf einen Substanzverlust –, ganz im Gegenteil beschrieben sie in ihrem Bericht ein »wohlgeformtes und großes Gehirn«.12 Wie auch immer, das mysteriöse Leiden muss so schlimm gewesen sein, dass sich im Laufe der Zeit seine Persönlichkeit veränderte: Max wurde übertrieben skrupulös, und die körperlichen Qualen lähmten seine Entschlusskraft zeitweise bis zur Apathie.

Da der bayerische Kronprinz ein Zauderer war, tat er sich auch mit der Brautwahl nicht leicht. Hochzeiten in Königshäusern hatten in der Regel wenig mit Liebe und viel mit dynastischen Zwängen zu tun. Es ging um Macht, um politischen Einfluss und um die Thronfolge, schließlich sollte aus der Verbindung der nächste Regent erwachsen. Royale Ehen wurden von den Familien arrangiert – persönliche Zuneigung oder gar romantische Liebe spielten nur eine untergeordnete Rolle; im Idealfall waren sich die Brautleute nicht unsympathisch.

Die mangelnde Entschlusskraft des bayerischen Kronprinzen machte diesen schwierigen Prozess sicher nicht einfacher. Und so warb Max erst mit dreißig Jahren – für die damalige Zeit also vergleichsweise spät – um die Hand einer jungen Dame. Seine Wahl fiel auf Marie von Preußen. Die erst sechzehnjährige Prinzessin war das, was man damals eine gute Partie nannte. Sie war jung und gesund genug, um den dynastischen Reproduktionspflichten entsprechen zu können, sie war anmutig und hübsch, was gerne gesehen wurde, und sie stammte aus dem wichtigen preußischen Herrscherhaus. Darüber hinaus war sie wie ihre zukünftige Schwiegermutter evangelisch, was man als freundliches Zeichen an die protestantisch geprägten Landesteile Bayerns deuten konnte. Eine Liebeshochzeit war es wohl alles in allem nicht, wie Max’ und Maries Sohn Ludwig Jahre später seinem Hofsekretär erzählte: »Seine Mutter habe den König geheirathet, weil er ein Schloß bei Tirol gehabt u. er sie, weil er ihre Schwester liebte. Sonst hätte sie den Herzog von Koburg genommen.«13

Die Hochzeitsfeierlichkeiten begannen am 5. Oktober 1842 und dauerten genau sieben Tage. Da die Brautleute verschiedenen Konfessionen angehörten, wurden zwei Trauungen nötig. Nach der evangelischen »Prokurativ-Trauung« im Berliner Schloss, bei der Max nicht anwesend war und von Prinz Wilhelm – dem späteren Kaiser Wilhelm I. – vertreten wurde, brach Marie in ihr neues Leben nach Bayern auf. Die Reise geriet zum Triumphzug: Ob in Bayreuth, Amberg, Schwandorf, Regensburg, Landshut oder Freising – überall wurde die zukünftige Königin herzlich begrüßt und von der Bevölkerung bejubelt. In München angekommen, fand in der dortigen Allerheiligen-Hofkirche am 12. Oktober 1842 die katholische Trauung statt. Max hatte nun endlich seine Frau – und Bayern eine Kronprinzessin.

ALLER ANFANG WAR SCHWER – auch für Marie. Sie war jetzt Teil einer neuen Familie und musste sich mit ihrem neuen Leben in einer für sie neuen Stadt erst noch arrangieren. Als Kronprinzessin verfügte sie über einen eigenen Hofstaat, der sieben Personen zählte. An der Spitze stand die Oberhofmeisterin Euphrosine von Pillement – »eine ganz verwitterte, kleine alte Dame« –, der die sittliche Reinheit der knapp Siebzehnjährigen offensichtlich sehr am Herzen lag. Sie soll Maries Gesellschafterinnen angewiesen haben, »beim Vorlesen von Romanen und Novellen das Wort ›Liebe‹ stets durch ›Freundschaft‹ zu ersetzen.«14 Doch trotz dieser Schonung lernte Marie die körperliche Seite des Ehelebens augenscheinlich schnell kennen. Nachdem sie bereits im Frühjahr 1843 eine Fehlgeburt erlitten hatte, wurde sie Ende 1844 erneut schwanger. Am frühen Morgen des 25. August 1845 brachte Marie nach gut zwanzigstündigen Wehen im Grünen Salon von Schloss Nymphenburg einen Jungen zur Welt. Bereits am nächsten Tag taufte man ihn auf den Namen Otto Friedrich Wilhelm Ludwig. Da der Kleine am Geburtstag des königlichen Großvaters das Licht der Welt erblickt hatte, nannte man ihn fortan Ludwig. Da war er also: Erbprinz Ludwig, später besser bekannt als König Ludwig II. von Bayern.

»Der Augenblick, wo das Kind den ersten Schrei that, war ein herrlicher«, schrieb Max einige Tage später an einen Verwandten. »Es ist doch ein prächtiges Gefühl, Vater zu sein.«15 Aber war der Kronprinz überhaupt der Erzeuger seines Sohnes? Die Frage klingt zunächst paradox, sie ist aber doch einer kurzen grundsätzlichen Überlegung wert. Die Zweifel an Maxens Vaterschaft gehen im Wesentlichen auf das Gerede zurück, dass der Kronprinz an einer Geschlechtskrankheit gelitten habe und daher zeugungsunfähig gewesen sei. Da aber ein Stammhalter gebraucht wurde, so die wabernden Gerüchte, habe sich der erotisch versierte Ludwig I. höchstpersönlich seiner Schwiegertochter angenommen. Eine andere Fama besagt, dass Max’ Adjutant Ludwig von und zu der Tann diese staatstragende Aufgabe übernommen habe. Das behauptete im Herbst 1991 der angesehene Historiker Karl Bosl – Belege für seine steile These lieferte er indes nicht.16 Gelegentlich wird auch König Ludwigs Kammerdiener Giuseppe Tambosi als möglicher Kindsvater genannt. Bei dieser Version der Geschichte (»dem Tambosi sei’ Bua’«) musste die arme Marie aber zuvor mit Wein betrunken gemacht werden – offensichtlich war der damals knapp fünfzigjährige Italiener ihr sonst nicht zumutbar.

Die bayerische Königsfamilie: König Maximilian II. mit seiner Frau Königin Marie und den Söhnen Ludwig (links) und Otto, 1860.

© Seeger Press, Albstadt

Um es deutlich zu sagen: Für diese Lesarten gibt es keinerlei überzeugende Beweise – weder für das Vorliegen einer Geschlechtskrankheit bei Max (im Sektionsprotokoll wird dazu nichts erwähnt) noch für das beherzte Eingreifen fremder Herren. Wir haben es vielmehr mit Gerüchten zu tun, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und die immer aufs Neue das Sensationsbedürfnis des Publikums bedienen. Der preußische Diplomat Georg von Werthern hatte seine eigene Erklärung für das eifrige Kolportieren zwielichtiger Legenden: »Es gibt wohl keinen Ort in Deutschland«, lästerte er vor gut 140 Jahren, »in welchem die absurdesten Gerüchte mit größerer Bereitwilligkeit aufgenommen & verbreitet werden als in München.«17

Unordnung und frühes Leid

DER KLEINE LUDWIG wurde unmittelbar nach seiner Geburt...

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