Zum Fremdsprachenunterricht in Japan ist eine Reihe von Arbeiten nachweisbar. Die meisten davon beziehen sich jedoch nur sehr allgemein auf die Situation des Fremdsprachenunterrichts. In Bezug auf den Deutschunterricht etwa thematisieren sie meist die Darstellung der teilweise historisch bedingten und beeinflussten Entwicklung und Stellung des Deutschen in der japanischen Gesellschaft, die Stellung der Germanistik im Bildungs- bzw. Universitätssystem, die Geschichte der Vermittlung des Deutschen in Japan, bzw. stellen allgemein diskutierte Unterrichtsprobleme sowie Erfahrungsberichte reformorientierter Kurse und Projekte dar (vgl. Ueda 1989; Yamaji 1994; Nakagawa/ Slivensky/ Sugitani 2002). Einen Überblick zur Situation des Deutschen sowie des Deutschunterrichts bieten die Sammelbände von Bauer (1989), Brenn/ Dillmann (1990), Ammon (1994), Gad (1996), Rösler/ Boeckmann/ Slivensky (2000), Nakagawa/ Slivensky/ Sugitani (2002) und Wannagat/ Gerbig/ Bucher (2003). Anlass zu Bestandsaufnahmen des Deutschunterrichts in Japan gaben Reformbemühungen in Bezug auf Ziele und Inhalte sowie der institutionellen Vorgaben speziell des Unterrichts an Universitäten. Gefordert wurden Reformen aufgrund einer sich abzeichnenden Krise des Sprachunterrichts (vgl. Holzer-Terada 1998, 15), die sich unter anderem bemerkbar macht durch fehlende Motivation der Studenten aufgrund unklarer Unterrichtsziele, zu großer Klassen und zu wenig Unterrichtszeit, sowie Desinteresse an der deutschen Sprache in Folge der Verdrängung durch das Englische als lingua franca usw. Mangelnde Lernerfolge und daraus resultierende mangelhafte Kenntnisse des Deutschen sowie anderer Fremdsprachen wurden als ein weiteres Indiz für eine Krise angesehen, für die die institutionellen Bedingungen des Fremdsprachenunterricht an Hochschulen und hier besonders das japanische Bildungssystem mit verantwortlich gemacht wurden. Die Kritik an der Praxis des Deutschunterrichts ging aber nicht nur von deutschen Sprachlehrern aus, die in ihren Abhandlungen über die Situation des Deutschunterrichts der im japanischen Fremdsprachenunterricht vorherrschenden, mit der Grammatik-Übersetzungs-Methode vergleichbaren traditionellen Unterrichtsmethode (Lesen und Übersetzen schriftlicher Texte sowie als Voraussetzung dafür Vermittlung der Grammatik „vom ABC bis zum Konjunktiv“ (Kutsuwada/ Mishima/ Ueda 1987, 75) und sich daraus ergebender Frontalunterricht) besondere Aufmerksamkeit schenken (vgl. Yamaji 1994, 232). Auch von japanischer Seite kam mehr oder weniger massive Kritik zur Situation des Deutschunterrichts:
Ich gehe vereinfachend davon aus, daß der Unterricht in der deutschen Sprache in Japan quantitativ enorm breit und qualitativ enorm seicht ist. Ursache dafür ist das fest etablierte System des Studiums Generale an den japanischen Hochschulen. Es leidet sehr unter dem erstaunlich niedrigen
Niveau sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden. (Tsuji 1989, 14)
Einen ersten Anstoß zur Diskussion der Methoden, Ziele und Inhalte des Deutschunterrichts an japanischen Hochschulen sowie deren Sinn gab der Aufsatz von Kutsuwada/ Mishima/ Ueda, die die Praxis des damals aktuellen Unterrichts kritisierten, indem sie unter anderem auch die institutionellen Bedingungen für die Schwierigkeiten verantwortlich machen und dabei vor allem die „Vermassung der Universitäten“ (Kutsuwada/ Mishima/ Ueda 1987) seit den sechziger Jahren und „[...] die damit ausgelöste sprunghafte Zunahme der studienordnungshalber Deutsch lernenden Studenten [...]”[20] (Kutsuwada/ Mishima/ Ueda 1987, 78). In diesem Zusammenhang fordern sie:
Man sollte in der japanischen Germanistik und deren Deutschlehrerverbänden an das Sich-Gesundschrumpfen dieses Riesenbetriebs denken, wenn uns nicht das Schicksal des Dinosauriers bevorstehen soll. Denn angesichts des Massencharakters unserer Universitäten und des dort betriebenen Deutschunterrichts ist von allen redlichen Bemühungen nicht viel zu erwarten, solange sie sich innerhalb des Bereichs der Lehrmethoden-Diskussion bewegen, solange die bestehende institutionelle Vorgabe
nicht in Frage gestellt wird. (Kutsuwada/ Mishima/ Ueda 1987, 80)
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels geht es speziell um die Lernverhaltensweisen japanischer DaF-Lerner und dabei in erster Linie darum, wie diese Verhaltensweisen in der unterrichtlichen Interaktion von den Lehrenden wahrgenommen werden. Wie in der Einleitung beschrieben werden Erfahrungsberichte, Aufsätze, theoretische- konzeptionelle Arbeiten und empirische Studien vorgestellt, die sich mit dem Lernverhalten japanischer Lerner im DaF-Unterricht beschäftigen. Die behandelten Arbeiten beziehen sich alle auf den DaF-Unterricht an Universitäten. Damit ist die interkulturelle Begegnungssituation charakterisiert, in der die Vertreter zweier Kulturen aufeinander treffen, nämlich die japanischen Lerner und die deutschen Lehrer, die sich in der Situation des Fremdsprachenunterrichts gegenüberstehen. Denn erst durch das Zusammentreffen von Personen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund werden ja die Verhaltensweisen des Anderen als abweichend von den eigenen wahrgenommen, da die jeweils anderen Kulturen Zugehörigen unterschiedliche Wissensvorräte und Normalitätserwartungen haben. Im Folgenden sind, wenn von Lernern gesprochen wird, immer japanische Lerner gemeint.
Vorwegzunehmen ist, dass es keine Hinweise auf Untersuchungen gibt, die versuchen mit Hilfe von den in 2.3.1. genannten Instrumentarien den Lernstil von DaF- Lernern zu messen, um diese dann Lernstildimensionen zuzuordnen. Bei den vorliegenden Arbeiten zum Thema handelt es sich vielmehr um Beschreibungen des Lernverhaltens, des sichtbaren Verhaltens der Lerner im Unterricht, das von dem abweicht, was der Lehrer als normal empfindet bzw. erwartet. Hier soll nun der Frage nachgegangen werden, ob in den ausgewerteten Arbeiten der Einfluss der Kultur als Grund für dieses Lernverhalten angegeben wird. Da nur wenige Arbeiten zum Thema ermittelt werden konnten, werden auch Autoren berücksichtigt, die sich nicht explizit mit Lernverhaltensweisen in unterrichtlichen Situationen und deren kultureller Prägung beschäftigen, aber im Rahmen ihres Themas einige, aus ihrer Sicht typisch japanische Lernverhaltensweisen behandeln.
Zunächst werden die einzelnen Arbeiten diskutiert, gegliedert je nach Beschreibung einzelner Verhaltensweisen sowie, wenn aufgeführt, die Versuche der Erklärung dieser Verhaltensweisen. Führen die Autoren dafür die Kultur der Lerner an, wird untersucht, nach welchem Kulturbegriff sie dabei vorgehen.
3.1.1.1. Taeko Takayama-Wichter (1990): Japanische Deutschlerner und ihre Lernersprache im gesprochenen Deutsch. Untersuchungen zum Deutschen als Fremd- und Zweitsprache in den Bereichen Syntax und Pragmatik
Die Arbeit Takayama-Wichters ist zwar eine empirische Untersuchung, es geht aber nicht um kulturelle Einflüsse auf das Lernverhalten, sondern um die Lernersprache japanischer Deutschlerner. Im Mittelpunkt stehen linguistische und didaktische Analysen der gesprochenen Sprache. Die Ergebnisse ihrer Studie sind deshalb für das vorliegende Thema nicht relevant und werden somit auch nicht in die Analyse des Lernverhaltens einbezogen. Die Studie wird deshalb unter dem Punkt ‚Erfahrungsberichte/ Theoretisch-konzeptionelle Arbeiten’ mit aufgeführt, weil die einführenden Überlegungen zum Verhalten der Japaner im Allgemeinen und japanischer Deutschlerner im Besonderen und damit auch zum Lernverhalten im Unterricht, das Taka-yama-Wichter als von der japanischen Kultur beeinflusst ansieht, für das vorliegende Thema interessant sind. Takayama-Wichter spricht dabei im Unterricht auftretende Probleme an, die durch das Lernverhalten ausgelöst werden und das Lernen einer Fremdsprache erschweren. Allerdings beziehen sich diese von Takayama-Wichter angeführten Probleme des Lernverhaltens aufgrund des Themas ihrer Untersuchung überwiegend auf Aspekte des Kommunikationsverhaltens. Takayama-Wichter betont in diesem Zusammenhang zwar, dass diese die Kommunikations- und Sprechfähigkeit betreffenden Probleme vor allem in der Begegnung zwischen muttersprachlichem Lehrer und japanischem Lerner deutlich werden, führt aber zugleich an, dass sich auch japanische Lehrer die Frage stellen, warum sich gerade bei kommunikativ orientiertem Unterricht keine Lernerfolge einstellen (vgl. Takayama-Wichter 1990, 70). Damit ist auch schon ein Merkmal des Lernverhaltens japanischer Studenten angesprochen: mangelnde mündliche Kommunikation im Unterricht und daraus resultierende Schweigsamkeit: „Die Passivität oder gar ‚Sprachlosigkeit’ japanischer Lerner wird vor allem von muttersprachlichen Deutschlehrern beobachtet. Man spricht von der ‚völligen Andersartigkeit’ der japanischen Studenten im Deutschunterricht“ (ebd., 109). Schweigsamkeit im Unterricht, so Takayama-Wichter, ist jedoch nicht allein ein japanisches Phänomen. So schweigen auch anderen Kulturen angehörige Lerner aus den verschiedensten Gründen, sei es aus Redeangst, Langeweile, Teilnahmslosigkeit etc. (vgl. Takayama-Wichter 1990, 109; Mitschian 1999) oder aufgrund bestimmter unterrichtlicher...