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E-Book

Knochen, Steine, Scherben

Abenteuer Archäologie

AutorSabine Ladstätter
VerlagResidenz Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783701743728
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Scherben erzählen Geschichte. Wirtschaftskrise, Migration, Umweltprobleme und offener Umgang mit religiöser Vielfalt sind Herausforderungen des heutigen Alltags. Doch schon frühere Gesellschaften mussten sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Jede Zeit hat ihre eigenen Antworten gegeben. Sabine Ladstätter führt uns in die Vergangenheit, an archäologische Fundorte und zu den Geschichten ihrer Entdeckung - auf der Suche nach jenen Antworten, die Menschen anderer Zeiten auf heute noch aktuelle Fragen fanden. Archäologie, so zeigt dieses Buch, besteht aus mehr als Knochen, Steinen und Scherben. Diese Wissenschaft kann gesellschaftlich bedeutende Erkenntnisse über vergangene Zeiten liefern. Archäologie ist Abenteuer!

Sabine Ladstätter geboren 1968 in Klagenfurt, studierte in Graz Archäologie und Alte Geschichte. Schon als Studentin arbeitete sie an Grabungen am Hemmaberg mit, in Ephesos wertete sie Keramikfunde aus. Sie war zehn Jahre an der Akademie der Wissenschaften tätig. 2009 wurde sie zur Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts bestellt, 2010 zur Leiterin der Grabungen in Ephesos. 2011 wurde sie als 'Wissenschaftlerin des Jahres' ausgezeichnet. Zahlreiche Publikationen.

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Leseprobe

Einleitung


Archäologie fasziniert. Darüber besteht kein Zweifel. Alleine während der Fertigstellung dieses Buchs im Sommer 2013 wurde ein beeindruckendes Maya-Relief in Guatemala entdeckt; in St. Pölten legt man 4000 Gräber frei; römische Glasperlen leisten einen wichtigen Beitrag zur antiken Handelsgeschichte, wie Mainzer Forscher herausgefunden haben; ein Bleisarkophag gibt britischen Kollegen in Leicester Rätsel auf; und kürzlich war zu lesen, dass Reste eines römischen Kettenhemdes auf einem Schlachtfeld in Niedersachsen gefunden wurden. Aus Sinope an der türkischen Schwarzmeerküste wird gar gemeldet, dass dort bei Grabungen Relikte des Kreuzes Christi aufgetaucht seien. Unzählig sind die Archäologie-Dokumentationen in sämtlichen TV-Kanälen, und prominente Grabungsplätze haben ständig steigende Besucherzahlen in Millionenhöhe. Der Archäologie-Tourismus stellt in vielen Ländern einen maßgeblichen Wirtschaftsfaktor dar, und das Ausbleiben der Besucher archäologischer Ruinenstätten bedeutet nicht nur für die Lokalbevölkerung den ökonomischen Ruin, sondern kann auch die Wirtschaftsleistung von Staaten maßgeblich beeinträchtigen. Internationale öffentliche Aufmerksamkeit erregt es auch, wenn ein archäologisches Museum in Oberägypten ausgeraubt wird, die syrischen Ruinenstätten unter Dauerbeschuss stehen und eine Inka-Pyramide in Peru von Baggern niedergewalzt wird, um Platz für Immobilien zu schaffen. Aber welche Wissenschaft verbirgt sich eigentlich hinter all diesen tatsächlichen oder vermeintlichen Sensationsmeldungen? Und warum regt es Menschen auf, wenn archäologische Denkmäler gefährdet sind oder zerstört werden?

Archäologie beschäftigt sich per definitionem mit der Kulturgeschichte des Menschen auf Basis seiner materiellen Hinterlassenschaft. Eigentlich ist damit schon vieles erklärt. Die Archäologie stellt den Menschen und alles, was er geschaffen hat, in den Mittelpunkt. Aber ab wann dürfen wir eigentlich einen Menschen als Menschen bezeichnen? Ist es der aufrechte Gang oder die Ausbildung von Sprechwerkzeugen? Oder sind es vielmehr kulturelle Errungenschaften? Ab einem gewissen Zeitpunkt in der Menschheitsentwicklung werden Kranke, Schwache und Alte nicht mehr zurückgelassen, sondern in den wandernden Gruppen mitgetragen; Tote werden nicht mehr liegen gelassen, sondern bestattet, und es werden ihnen auch Blumen nachgeworfen, Schmuckgegenstände hergestellt und Bilder gezeichnet. Es ist das Bewusstsein, es sind soziales Handeln, Ethik, Pietät, Ästhetik und Kunst, die maßgeblich zur Vermenschlichung des Menschen beitrugen. Die Archäologie beschäftigt sich also mit etwas sehr Zentralem, nämlich mit der menschlichen Existenz und ihren Errungenschaften.

Menschen wollen ihre Wurzeln kennen: Sie brauchen dieses Wissen, um Identität überhaupt erst ausbilden zu können. Denken wir nur an die Diskussionen um das Recht künstlich gezeugter Kinder, die Namen ihrer Samenspender zu kennen, oder an die oft jahrzehntelangen Nachforschungen über leibliche Eltern und im Kindesalter getrennte Geschwister. Die eigene Herkunft und das Umfeld zu kennen und daraus auch Erklärungsmodelle für die Gegenwart bzw. das eigene Leben ableiten zu können, ist ein elementares, immer wieder zu beobachtendes Bedürfnis. Diese individuelle Sehnsucht lässt sich auch auf das Kollektiv übertragen. Woher kommen wir Menschen? Was hat uns geprägt und zu dem gemacht, was wir heute sind? Was definiert eine Gruppe, welche identitätsstiftenden Merkmale hat sie und wie grenzt sich eine Gemeinschaft gegenüber einer anderen ab? Das Eigene erklärt sich nur durch das Andere und das Heute nur durch das Gestern. Eine Reflexion über das Dasein ist ohne die historische Perspektive vielleicht möglich, allerdings nicht sinnvoll. Die Archäologie leistet mit ihren authentischen Quellen in dieser Diskussion einen nicht unwesentlichen Beitrag – noch dazu in Form von Bildern, was die Rezeption für viele bedeutend erleichtert, was aber auch eine große Gefahr in sich birgt.

Als ich 2011 vom Club der Wissenschaftsjournalisten Österreichs zur Wissenschaftlerin des Jahres gekürt wurde, bedeutete dies für mich gleichzeitig die Bestätigung eines eingeschlagenen Wegs und den Auftrag, diesen weiterzugehen. Betont sei vorweg, dass dieser Preis für das Bemühen um Wissenschaftskommunikation verliehen wird. Ich habe von Anfang an versucht, meine Auszeichnung als Signal für die Geisteswissenschaften und speziell natürlich für die Archäologie zu sehen. Leider wird Öffentlichkeitsarbeit oder öffentlichkeitswirksame Arbeit bisweilen noch immer argwöhnisch betrachtet. Notwendige erklärende Vereinfachungen und aktuelle Vergleiche werden rasch als simplifizierende Verallgemeinerungen abgetan, ohne zu reflektieren, was man damit eigentlich erreichen will. Ist es nicht ein Widerspruch, wenn beispielsweise einerseits das Niveau von Reiseleitern beklagt wird, andererseits Forschungsergebnisse ausschließlich in Fachzeitschriften und zudem stark zeitverzögert veröffentlicht werden? Es ist meines Erachtens ein Paradoxon, einerseits die gesellschaftliche Relevanz geisteswissenschaftlicher Forschung hervorzuheben und einzufordern, andererseits die interessierte Öffentlichkeit nur unzureichend zu informieren und ihr kaum die Möglichkeit einer Teilnahme am aktuell laufenden Diskurs zu geben. Es geht dabei nicht um einen weit hergeholten, krampfhaft übergestülpten Aktualitätsbezug, sondern schlicht und einfach um Anstöße zur Reflexion. Aber auch unabhängig von der Archäologie sollte Forschung verstärkt als Lustprinzip und Lebenskonzept kommuniziert werden, um überhaupt wahrgenommen zu werden und weiterwirken zu können. Freude am Forschen, das Streben nach Erkenntnis und die Umsetzung in Wissen sind alles Dinge, die Mühen und Anstrengungen lohnen.

Der Weg aus dem Elfenbeinturm – wenn es ihn denn überhaupt gibt – lohnt sich auch für die Wissenschaftler. Bei meinen unzähligen populärwissenschaftlichen Vorträgen konnte ich mich vom ungeheuer großen Interesse und von der breiten gesellschaftlichen Akzeptanz für unsere Forschungen überzeugen. All meinen Vorurteilen zum Trotz erwiesen sich gerade die Vorträge in den Schulen als besonders bereichernd. Der Versuch, meine Faszination und meine Begeisterung für die Archäologie weiterzugeben, wurde durch das Interesse und die vielen Fragen der jungen Menschen belohnt. Ich hatte in den letzten Jahren bei Vorträgen und Führungen durch Museen und Ruinenstätten darüber hinaus die Möglichkeit, viele persönliche Gespräche zu führen, Fragen zu beantworten und auch die Reaktionen des Publikums zu beobachten. Aus all diesen Aktivitäten entstand nicht nur die Idee für dieses Buch, sondern daraus resultieren letztendlich auch die dafür ausgewählten Themen. Mein Dank gilt daher den vielen Zuhörenden und Fragenden, die meinen Blick auf die Objekte geschärft haben. Sie alle haben zum Gelingen dieses Buches einen maßgeblichen Beitrag geleistet.

Es scheint nahezu ein anachronistischer Widerspruch zu sein, wenn man sich in einer kurzlebigen, auf Gegenwart und Zukunft ausgerichteten Zeit mit der Vergangenheit beschäftigt – Archäologen als Metapher für vergangene Epochen. Das Klischee ist von einem Gegensatz geprägt: einerseits die – weltfremden – Wissenschaftler, die sich zwar keinen Kaffee selbst kochen können, jedoch in kontemplativer Ruhe und mit viel Geduld Knochen freipinseln, andererseits die – immer gut aussehenden – Abenteurer, die unter größten Entbehrungen Schätze für die Menschheit vor bösen Kräften retten, dabei noch bislang unbekannte Schriftarten enträtseln und ein Handbuch zur orientalischen Altertumskunde verfassen. Die Realität liegt irgendwo dazwischen, sie ist wesentlich monotoner, aber auch anspruchsvoller. Unter diesen Prämissen bedeutet aber die Vermittlung von Archäologie eine ständige Gratwanderung zwischen seriöser Wissenschaft und Entdeckerromantik.

Es erstaunt selbst die Fachfrau, wie viele Menschen eigentlich den Berufswunsch »Archäologe« oder »Archäologin« gehegt hatten, bevor sie es vorzogen, in die Verwaltung, die Wirtschaft oder die Politik zu gehen. Maßgeblich für die Entscheidung gegen die Archäologie waren in den meisten Fällen düstere Berufsprognosen, aufgrund derer letztendlich doch ein Brotberuf der Passion vorgezogen wurde. Die Wurzeln der Faszination für die Archäologie liegen meist in der frühen Kindheit. Auch viele Archäologenkarrieren beginnen im Volksschulalter, mit dem Aufsammeln von Scherben am Schulweg, dem Besuch einer Ruinenstätte während eines Schulausflugs und den Ferienaktivitäten mit den Eltern. Meiner frühesten Kindheitserinnerung nach wollte ich im Kindergartenalter unbedingt zum Mittelpunkt der Erde vordringen, und ich habe dafür meine etwa gleichaltrigen Cousins als Grabungsarbeiter verpflichtet. Während der Volksschule wurde anlässlich eines Besuchs des Magdalensbergs in Kärnten der Grundstein für meinen weiteren Lebensweg gelegt: Auch noch jetzt, nach 40 Jahren...

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