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Förderung von Selbstbestimmung und Integration von Menschen mit geistiger Behinderung

Beim Übergang von der Schule in den Beruf mit Hilfe Personenbezogener Planung

AutorKatja Döling
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl366 Seiten
ISBN9783638394154
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 1 - Sehr Gut, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Fachbereich Sonderpädagogik), 210 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Wohin gehe ich und wie sieht der Weg dorthin aus? Dies sind Fragen, die sich jeder Mensch in seinem Leben mehrere Male stellt, und auf die man zunächst häufig noch keine Antwort weiß. Solch existentiellen Fragen tauchen meist zum ersten Mal auf, wenn der Schulabschluss näher rückt. Hiermit geht der Übergang in das Arbeits- und Berufsleben einher und häufig rückt auch der Auszug in die erste eigene Wohnung näher. Die nicht einfache Entscheidung für einen Beruf fällt in eine Zeit des Erwachsenwerdens, die von den meisten Jugendlichen als spannend und aufregend, häufig aber auch als schwierig wahrgenommen wird. Weitreichende Entscheidungen müssen allmählich selber getroffen und die Folgen mehr oder weniger selber getragen werden. Dies trifft allerdings nicht auf alle Jugendlichen zu. Für die meisten jungen Menschen mit einer geistigen Behinderung war und ist der Lebensweg noch immer recht genau vorgezeichnet. Sie machen ihren Schulabschluss und beginnen dann überwiegend, in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu arbeiten. Der Auszug von zu Hause erfolgt auch heute meist nicht in eine selbst ausgesuchte Wohnung, sondern in eine Wohngruppe, in der gerade ein Zimmer frei ist. Sowohl 'Integration' in die Gesellschaft als auch 'Selbstbestimmung' in grundsätzlichen Entscheidungen ist für diese Personengruppe somit noch keine Selbstverständlichkeit. Beide Begriffe sind daher handlungsleitend für die Sonderpädagogik.

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Leseprobe

1.2. Der Begriff „Geistige Behinderung“


OSBAHR beschreibt, dass Definitionen als „gedankliche Arbeitsinstrumente“ (ebd. 2003, 119) dienen. Sie seien daher auch nie richtig oder falsch, können aber „für die Sonderpädagogik brauchbare Erkenntnishilfen […] für die Beschreibung und lösungsorientierte Bearbeitung komplexer Fragestellungen im Beobachtungsbereich „Menschen mit geistiger Behinderung in ihrer Lebenswirklichkeit““ (ebd. 2003, 119) sein. Der Begriff „Definition“ bedeutet übersetzt „Begriffsbestimmung“ und ist verwandt mit dem Verb „definieren“ und dem Adjektiv „definitiv“. „Definieren“ hat inzwischen die Bedeutung von „begrifflich bestimmen“, stammt aber von dem lateinischen Ausdruck „definire“ ab, der „abgrenzen“ bedeutet und mit dem Begriff „finis“, also „Grenze“, verwandt ist (vgl. DROSDOWSKI 1989, 118). Der Sinn des Definierens oder einer Definition besteht somit darin, einen Gegenstand oder Aspekt der wahrgenommenen Realität einzuordnen und gegen andere abzugrenzen. OSBAHR weist darauf hin, dass jede Definition abhängig ist von den Unterscheidungen und Bezeichnungen, die der jeweilige Beobachter macht. Sie muss sich daher in sozialen Prozessen bewähren. Jede Definition wird sich verändern, weil immer wieder neue Beobachtungen ins Blickfeld kommen (vgl. ebd. 2003, 120). Auch die Definitionen des Begriffs der Behinderung im Allgemeinen, sowie der geistigen Behinderung im Speziellen, sind laufend Veränderungen unterworfen. Es gibt keine Definition, die als allgemeingültig angesehen werden kann. Daher ist in wissenschaftlichen Arbeiten eine genaue Darstellung des jeweiligen Begriffsverständnisses nötig, um dieses für den Leser transparent und damit diskutierbar zu machen. MÜHL stellt dar, dass dem Begriff „geistige Behinderung“ nur eine Übergangsfunktion zukomme, wie anderen früheren Begriffen ebenfalls, da die ursprünglich beabsichtigte Verringerung von Stigmatisierung und

II. Selbstbestimmung und Integration von Menschen mit geistiger Behinderung 1. Geistige Behinderung - Begriffsbestimmung und theoretische Grundlagen

Gefahr, dass Menschen mit geistiger Behinderung zum bloßen Objekt von Erklärungen werden (SPECK, 1999, 43). Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass aus der subjektiven Sicht von Betroffenen selber, die „Behinderung eines Menschen nichts weniger [bedeutet] als einen nicht wegzudenkenden Bestandteil seiner individuellen Existenz. Unabschüttelbar gehört sie zu seiner persönlichen Identität“ (SAAL 1995, 47). Eine Begriffsbestimmung und auch der Gebrauch des Begriffes an sich werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus Gründen der Verständigung und der nur so möglichen politischen Parteinahme von einem Großteil der Fachleute als nötig angesehen (vgl. THEUNISSEN 2002, 96).

Verschiedentlich werden neue Begriffe, die noch nicht negativ besetzt sind, vorgeschlagen, und die den Begriff der „geistigen Behinderung“ ablösen sollen. Zu nennen ist hier zum einen der Ausdruck „Menschen mit Lernschwierigkeiten“, der von Betroffenen des Vereins „People First!“ aus dem englischsprachigen Raum übernommen wurde, wo sich diese selber als Personen mit „learning difficulties“ bezeichnen. Der Begriff geistige Behinderung wird von ihnen abgelehnt, da sie ihn als diskriminierend ablehnen (vgl. FREUDENSTEIN u.a. 1999; ROEBKE 2000). Zum anderen wird seit einiger Zeit im Rahmen des Konzeptes „supported living“ von „Menschen mit Unterstützungsbedarf“ gesprochen. Hiermit ist eine umfassendere Personengruppe als mit dem Begriff „geistige Behinderung“ gemeint, denn hierzu zählen alle die Menschen, die für ein weitgehend selbstbestimmtes Leben mehr oder weniger viel Unterstützung durch andere Personen benötigen. Dieser Unterstützungsbedarf kann seinen Grund in einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung haben oder in anderen Einschränkungen (vgl. LINDMEIER, LINDMEIER 2001, 46; O`Brien 1993). Beide Begriffe wären aber auch wiederum nur vorübergehend nicht stigmatisierend für die betreffenden Personen, ebenso wie alle vorangegangenen Ausdrücke. Für die folgenden Darstellungen bezeichnen beide Ausdrücke außerdem die Personengruppe nicht deutlich genug. Beispielsweise kann eine Person mit Down-Syndrom zwar in Bezug auf ihren Arbeitsplatz womöglich einen ähnlich großen Unterstützungsbedarf haben, wie jemand mit einer Lernbehinderung oder

II. Selbstbestimmung und Integration von Menschen mit geistiger Behinderung 1. Geistige Behinderung - Begriffsbestimmung und theoretische Grundlagen

auch verwendet wird.

Der Ausdruck „geistige Behinderung“ wurde in Anlehnung an die englische Bezeichnung „mentally handicapped“ von der BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE 1958 eingeführt und hat sich seitdem bis in schulrechtliche und sozialpolitische Regelungen durchgesetzt. Er ersetzte negativ besetzte Bezeichnungen aus der Vergangenheit wie „Schwachsinn“, „Idiotie“ oder „Geistesschwäche“ (vgl. MÜHL 2000, 45). Wie bereits angedeutet wurde, gibt es bis heute weder eine einheitliche Definition des Begriffs der geistigen Behinderung noch des Begriffs der Behinderung (vgl. BLEIDICK, HAGEMEISTER 1998, 18). Aus diesem Grund ist diese Erörterung überhaupt nötig (vgl. SANDER 1994, 99). Aber über welches Verständnis des Begriffs Behinderung bzw. geistige Behinderung herrscht in der Fachwelt zumindest weitgehend Übereinstimmung? Wie die beiden Begriffe Behinderung bzw. geistige Behinderung definiert werden, verdeutlicht das jeweils zugrundeliegende Menschenbild des Definierenden, und damit häufig auch den wissenschaftlichen Hintergrund der jeweiligen Person. SPECK beschreibt, dass der sogenannte medizinisch-biologische Ansatz zuallererst den physischen Abweichungen und Besonderheiten gilt, wohingegen der psychologische Ansatz sich mit der Eigenheit der beobachtbaren Verhaltensweisen beschäftigt. Der sozialwissenschaftliche Ansatz interessiert sich für Behinderung im gesellschaftlichen Bedingungssystem sowie der pädagogische Ansatz für die Möglichkeiten der Erziehung (vgl. ebd. 1999, 43). BLEIDICK definiert den Begriff Behinderung aus pädagogischer Sicht, in Abgrenzung beispielsweise zu sozialrechtlichen Definitionen, folgendermaßen: „Als behindert im pädagogischen Sinne gelten Kinder, Jugendliche und Erwachsene, deren Lernen und deren soziale Eingliederung erschwert sind“ (BLEIDICK 1998, 29). Seit der Einführung des Begriffs der „Behinderung“ lassen sich deutliche Veränderungen im Verständnis des Behinderungsbegriffs erkennen. Zunächst standen defizitorientierte Beschreibungen von geistiger Behinderung im Vordergrund. Häufig wurde der Teilbegriff „geistig“ im Sinne von Intelligenz und kognitiven Funktionen verstanden, so dass es nahe lag, geistige Behinderung als Intelligenzminderung zu definieren. Nach BACH galten die Personen als geistig

II. Selbstbestimmung und Integration von Menschen mit geistiger Behinderung 1. Geistige Behinderung - Begriffsbestimmung und theoretische Grundlagen

Definition des DEUTSCHEN BILDUNGSRATS, ebenfalls aus den siebziger Jahren, legte ihren Schwerpunkt auf die voraussichtlich lebenslange Abhängigkeit der betreffenden Personen: „Als geistigbehindert gilt, wer […] in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so sehr beeinträchtigt ist, dass er voraussichtlich lebenslanger, sozialer und pädagogischer Hilfen bedarf. Mit den kognitiven Beeinträchtigungen gehen solche der sprachlichen, sozialen, emotionalen und der motorischen Entwicklung einher“ (ebd. 1974, 37). ZIEMEN beschreibt, dass diese Definition des Bildungsrates das Resultat von Beobachtungen ist, „die jedoch nur im Vergleich zu fiktiven Normvorstellungen Geltung beanspruchen können und vor allem die psychologische und soziale Ebene des Menschen berücksichtigen, jedoch ausschließlich vom defizitären Verständnis ausgehen“ (ebd. 2001, 270 f.).

Während sowohl BACH als auch der DEUTSCHE BILDUNGSRAT bei der Definition von geistiger Behinderung von der Person selbst ausgehen, beschreibt ELBERT in den achtziger Jahren, dass geistige Behinderung durch Prozesse von außen formiert werde: „Durch die Forderung nach lebenslangem Schutz und Hilfe für die „Geistigbehinderten“ legitimieren sich medizinisch-psychiatrische und sonderpädagogische Theorien. Menschen mit geistiger Behinderung wird die Fähigkeit zu autonomem Handeln abgesprochen und letztlich werden sie „zum Objekt korrigierender Erziehungseinflüsse“ (Elbert 1982, 40). Einer defizitären Sicht von geistiger Behinderung entspricht die Auffassung, dass zu dieser Behinderung unabdingbar fehlende oder gestörte Verhaltensweisen gehören. Ausgehend von der Theorie der self-fulfilling-prophecy aus, ist die negative Folge dieser Zuschreibungs- und Etikettierungsprozesse, dass sich der betreffende Mensch störend und defizitär verhalten wird. Die betreffende Person verhält sich so, wie es von der Außenwelt vorhergesehen wurde (vgl. OSBAHR 2003, 112). Die frühere Orientierung an Defiziten wandelt sich heute mehr und mehr zugunsten einer Orientierung am ganzen Menschen, und auch der Begriff der geistigen Behinderung wird nicht mehr unwidersprochen akzeptiert. BOBAN und HINZ bezeichnen die unterschiedlichen Begriffsverständnisse als defektologische Haltung, welche von einer dialogischen Haltung derzeit abgelöst werde. Erstere

II. Selbstbestimmung und Integration von Menschen mit geistiger Behinderung 1. Geistige Behinderung - Begriffsbestimmung und theoretische...

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