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Charakterbilder Spätroms

Vollständige Ausgabe

AutorTheodor Birt
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl525 Seiten
ISBN9783849622978
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Roms Geschichte zerfällt naturgemäß in zwei selbständige Teile. Die Entstehung des römischen Weltkaisertums und sein Völker einigendes, Völker beglückendes Wirken ist ein Teil, der Untergang des Reiches ein anderer. Der erste Teil wird in dem Werk »Römische Charakterköpfen« dargestellt. Inhalt: Aus dem Vorwort der ersten Auflage Vorwort zur zweiten und dritten Auflage Einleitung Septimius Severus Die syrischen Kaiserinnen und die Christen Diocletian Constantin der Große Julian Stilicho und Alarich Drei Männer der Kirche Germanenkönige Das Ende

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Leseprobe

Septimius Severus


 


Die goldene Zeit der Antonine war zu Ende. Auf den letzten Mehrer des Reichs, Trajan, auf den Neuordner des Reichs, Hadrian, war im Regiment Antoninus Pius und sein Adoptivsohn, Mark Aurel, der sich gleichfalls Antoninus nannte, gefolgt. Der große Germanenkrieg, den Mark Aurel führte, hatte sich jenseits der Reichsgrenzen abgespielt; bis nach Böhmen und Schlesien waren die römischen Adler gedrungen. Im Reich selbst herrschte auch noch unter ihm beglückende Ordnung, friedliches Gedeihen. Die Tüchtigkeit des Reichsheeres hatte sich durch den Krieg von neuem gesteigert, und die besondere Fürsorge des Herrschers widmete sich jetzt dem Soldatenstand. Einer der kriegerischen Minister Mark Aurels, Paternus, arbeitete damals zum ersten Mal ein »Militärrecht« aus; es galt die Lebensverhältnisse der Berufssoldaten dauernd auf einen sicheren Rechtsboden zu stellen. Aber auch die sonst stets aufsässigen Garden der Prätorianer regten sich nicht und blieben gefügig in diesen Zeiten. Vor allem fühlten sich die Herren Senatoren in Rom geachtet und geehrt, der Senat, der nominell noch immer die Kaiser zu wählen oder doch die Kaiserwahl zu bestätigen hatte, und seine verfassungsmäßigen Rechte blieben dem Schein nach gewahrt. Noch immer beherrschte Rom die Welt.

 

So verband sich in den Herzen aller, die gut altrömisch dachten, mit dem Namen der Antonine die Vorstellung der Glückseligkeit, und die Sehnsucht nach ihnen hörte nicht auf. Sie hat inmitten des Wirrsals der Zustände, das nun folgte, durch ein volles Jahrhundert triebhaft weitergewirkt: eine unsichtbare ethische Macht, ein Ideal, zu dem man zurückwollte.

 

Wo war der Mann zu finden, der, als Mark Aurel in Wien starb, das Regiment würdig weiterführte? Commodus war es nicht. Schon bei seinen Lebzeiten hatte Mark Aurel diesen seinen Sohn Commodus zum Mitregenten erhoben; der junge Mensch sollte den Krieg, er sollte die Verwaltung frühzeitig lernen. Aber er lernte nur den Größenwahn.

 

Mochte der Vater in täglicher Arbeit sich zermürben! Das Philistertum der Pflicht war für alle anderen Leute gut; um so mehr konnte der Sohn seine sinnliche, in Genußsucht fiebernde Natur ausleben. Dreizehn Jahre der schmählichsten Mißwirtschaft brachte er jetzt über Rom (in den Jahren 180–192). Mit Schrecken und Ekel sah man ihm zu; es war ein schlechter Trost, wenn man sich sagte: Rom hat ja einen Nero und Caligula ertragen, warum denn nicht auch den Commodus?

 

Das Erbkaisertum war ein Unheil; man wußte es längst. Es war ein Unglück, daß Mark Aurel anders als Trajan und Hadrian einen Sohn eigenes Blutes hatte. Das Dynastiengründen, die »im Purpur Geborenen« sind allemal für Rom zum Fluch geworden; aber – wir werden es sehen – weder Severus ließ sich warnen noch Constantin noch Theodosius der Große.

 

Fast alle kriegerischen Eroberungen seines Vaters gab Commodus preis: im übrigen mochten die ausgezeichneten Feldherren, die Mark Aurel herangebildet hatte, die Grenzen hüten. Er selbst wollte nichts weiter als in Rom wie Nero sorgenlos schwelgen, sich königlich amüsieren und am Beifall des Stadtpöbels sich erlaben. Er strotzte von Begierden wie ein schönes Tier.

 

In der Tat: ein schlank gewachsener schöner Mensch, der sich geckenhaft schmückte, sich Goldpuder ins Haar streute, aber den Bart lang trug, weil er sich vor dem Messer des Bartscherers fürchtete, der ihm die Kehle durchschneiden konnte. Die Staatsgelder verschleuderte er an die Garde. Mochte der Senat Gesichter ziehen: er griff sich die Senatoren und tötete sie, ihr Vermögen wurde eingezogen und an Günstlinge verschenkt. Seinen Lieblingen aus dem Sklavenstand, Eklektus und anderen, spielte er die höchsten Gewalten in die Hände. In seinem Harem von angeblich 300 Weibern und 300 schönen Knaben herrschte Marcia, seine Geliebte; er ließ ihr schönes Bild auf Münzen schlagen, aber er machte sie nicht zur Kaiserin.

 

Gleichwohl war Commodus ein Held und Herkules sein Vorbild. Er leistete als Bogenschütze das noch nie Dagewesene. Herkules war für die stoische Frömmigkeit jener Zeiten allerdings der erhabenste Held. Man feierte in ihm das Vorbild des Pflichtmenschen, der sein Leben in Mühsal hinopfert zum Wohl der Mitwelt. So ließ Trajan sich als Herkules verehren. Commodus nannte sich Herkules, aber er sah in ihm nur den Jägersmann, der Sport trieb, wenn er den kaledonischen Eber und nemeïschen Löwen erlegte. Im Colosseum ließ sich Commodus einen Schießstand errichten, und das Volk strömte herzu und mußte Beifall schreien, wenn er von da aus hunderte von wilden Tieren abschoß, angeblich ohne je zu fehlen. Es war wie bei den Hofjagden Ludwigs XIV. und der Souveräne bis in unsere Zeiten, wo auch gleich 500 Wildschweine oder Hirsche auf der Strecke bleiben. Nero hatte dereinst Arien vor dem Volk gesungen; Commodus trat als Meisterschütze auf, aber auch als Berufsfechter; er verliebte sich in den Metzgerberuf der Gladiatoren und ließ auf Inschriften die Zahl seiner Siege und derer, die er mit dem Säbel abgestochen, verewigen. Der Pöbel rief Ah und Oh! Die Verwalter in den Provinzen schüttelten die Köpfe.

 

Das Jahr 192 ging zu Ende. Das Jahr 193 sollte beginnen. Vor dem Jahreswechsel sollte das ausgelassene Fest der Saturnalien gefeiert werden. Es ist das Fest, wo alles in der Filzkappe, dem Zeichen der Freiheit, umherläuft, wo alles lacht, sich küßt, beschenkt, betrinkt und wo man aus der Tafelrunde einen Narrenkönig wählt, alle Standesunterschiede aufhören und sogar der Monarch gutmütig sich mit der Menge gemein macht. Es war Stil, daß der Monarch morgens aus seinem Palast in das Publikum trat. Commodus aber schlief die Nacht in der Kaserne; er war ganz zum Gladiator geworden. Da beim Fest Redefreiheit herrschte, erlaubten sich Marcia und andere Hofleute, ihm hierüber Vorwürfe zu machen. Voll Wut beschloß Commodus gleich, Marcia und die anderen töten zu lassen, und schrieb sich die Namen auf eine Tafel. Die Liste geriet durch Zufall in Marcias Hand, und sie vergiftete ihn; denn sie hatte nicht Lust zu sterben. Das waren herrliche Saturnalien in Rom. Aber das Gift wirkte nicht, und während Commodus in Erbrechen und Krämpfen lag, hetzte Marcia einen Kraftmenschen, einen Athleten auf ihn, der ihn erwürgte.

 

Der Narrenkönig war tot. Und er hatte keine Erben. Mitten unter dem io-Saturnalia-geschrei und dem Knallen der Würfelbecher galt es, der Welt einen neuen Kaiser zu schaffen. Woher ihn nehmen? Noch war nichts verloren, wenn man nur jetzt den rechten Mann fand.

 

Und er fand sich. Es war Pertinax. Pertinax gehörte zu den erprobten Generalen Mark Aurels, und er war gerade jetzt in der Hauptstadt anwesend. Der Senat, das Stadtvolk ist für ihn. Auch die Garde opponiert nicht. Pertinax ist Kaiser, aber nur für 60 Tage.

 

Dieser Mann ist ein schönes Beispiel für den Aufstieg der Talente im menschlich freien Altertum. Ein armer Italiener aus dem Apennin; sein Vater war dereinst Sklave gewesen; im Kornhandel beschäftigte der Vater den Sohn; dann lernte der junge Mensch Griechisch und wurde Schulmeister; als aber der Kaiser Mark Aurel Soldaten brauchte, ging er ins Militär, führte als Offizier eine Cohorte und wurde bald einer der erprobtesten Feldherren. Jetzt war er schon 66 Jahre alt, aber rechtschaffen, tatkräftig und auch vom Geist Mark Aurels erfüllt und getragen. So mußte sein Regiment zum Heil der Menschheit werden; auch erkannten ihn sämtliche Statthalter in den Reichsländern freudig an.

 

Aber eben darum, weil Pertinax kein Commodus wer, mißfiel er der Garde, die mit Gold gekirrt sein wollte. Eines Tages drängte sich eine Abteilung mißgelaunter Soldaten in den Palast, das Messer in der Hand, und erstachen den Wehrlosen. Es war, als hätte man Mark Aurel gemordet.

 

Diese nichtswürdige Tat besiegelte das Schicksal der Garde, sie besiegelte das Schicksal Italiens. Ja, von diesem Tage an beginnt eigentlich schon im ersten Keim das neue Europa, das ist die innere Auflösung des Römerreichs.

 

Zunächst freilich wuchs der Übermut der Prätorianer. Es waren 10 000 Mann, lauter italienische Leute, die aber fast nie in den Krieg zogen, sondern nur die Majestät des Kaisers in Rom zu schützen hatten (sie hatten sich daran gewöhnt, den Kaiser zu terrorisieren; sie töteten, sie machten den Kaiser). Jetzt boten sie den Thron für Geld aus. Da war ein Senatsherr, Julian, ein Mailänder von Geburt, der kam ins Lager und bot, ein anderer Römer kam gleichfalls und bot, 5000 Drachmen pro Mann und mehr. Es war wie ein Kuhhandel. Schließlich war so der Nichtsnutz Julian Kaiser. Das Essen des Pertinax stand noch auf dem Tisch; Julian aß es auf. Der Senat verachtete ihn; auch der Pöbel empfing ihn mit Zischen, aber ihn hielten die Soldaten. Julian kümmerte sich nicht um die Provinzen; er dachte in Rom das Leben des Commodus fortzusetzen.

 

Aber die weiten Provinzen ließen sich das nicht bieten, und auf einmal hatte das Reich vier ebenbürtige Kaiser: Julian saß in Rom: Albin wurde in England, Niger im...

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