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E-Book

15½ Regeln für die Zukunft

Anleitung zum visionären Leben

AutorMatthias Horx
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783843721219
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Matthias Horx beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit der Zukunft und seit 10 Jahren mit den psychologischen Dimensionen der Zukunftsforschung. Daraus ist die Disziplin des 'Neurofuturismus' entstanden. Horx zeigt, wie innere Projektionsprozesse und Zukunftsbilder unser Handeln und damit - rekursiv - die Zukunft verändern. Dieses Buch fasst seine darauf basierenden wichtigsten, praxisrelevanten Erkenntnisse in 15 konkreten Regeln zusammen. Das ist genau das, was sich viele Leser von Matthias Horx lange gewünscht haben.

Matthias Horx (*1955) ist einer der einflußreichsten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Seine Leidenschaft gilt seit über 30 Jahren den Transformationsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft. Er ist Autor mehrerer Bestseller, u.a. 'Wie wir leben werden' und 'Das Megatrend-Prinzip'.

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Leseprobe

ZUKUNFTSREGEL 2

Jeder Trend erzeugt
einen Gegentrend

Trends sind trügerisch, sie erzeugen Widerstände

Wenn wir an die Zukunft der Welt denken, so meinen wir immer den Ort, wo sie sein wird, wenn sie so weiterläuft, wie wir sie jetzt laufen sehen, und denken nicht, daß sie nicht gerade läuft, sondern in einer Kurve, und ihre Richtung sich konstant ändert.

LUDWIG WITTGENSTEIN, PHILOSOPHISCHE BETRACHTUNGEN

Wenn wir nicht die Richtung ändern, könnte es sein, dass wir dort enden, wo wir hinwollten.

CHINESISCHES SPRICHWORT

Wie können wir jenseits von Zukunfts-Bullshit überhaupt etwas über »die Zukunft« aussagen – diesen unfassbar großen, dunklen, leeren Raum, der vor uns liegt?

Das einfachste und probateste Mittel, die Zukunft zu beschreiben, ist ihre Vermittlung durch Trends. Dabei erschließen wir den Möglichkeitsraum, der vor uns liegt, durch bekannte Entwicklungen der Gegenwart. Das, was wir heute in Ansätzen erkennen, projizieren wir »nach vorne«. »Dieser Trend wird sich durchsetzen …« ist die beliebteste Zukunftsbehauptung.

Die Schwierigkeit dieser Behauptung offenbart sich anhand einer doppelten Frage: Was definieren wir überhaupt als »Trend«? Und wie dimensionieren wir einen Trend – und im Vergleich zu was? Darüber, wie wichtig, solide und wirkmächtig ein Trend ist, entsteht oft eine heillose Verwirrung. Das Spek­trum dessen, was sich »Trend« nennt, reicht ja von Vermutungen über die Rückkehr von Küchenschürzen über die Aussterbetendenz der Insekten bis zur Annahme, dass »wir alle« in wenigen Jahren vollkommen geschlechtsneutral sein werden, also weder Mann noch Frau, sondern irgendetwas dazwischen. Auf dem weiten Markt der Trends – denn es ist ein Markt, in dem Aufmerksamkeiten und Marketinginteressen eine große Rolle spielen – kann jeder alles behaupten. Er wird immer einen »Abnehmer« finden. Jemanden, der’s glaubt. Oder glauben will. Oder beides.

Orientierung in dieser Konfusion bieten die Megatrends. Sie spielen in der Zukunftsbetrachtung seit vielen Jahren eine Schlüsselrolle. Ich erlebe immer wieder, wie schon das reine Aussprechen des Wortes »Megatrend« das Publikum in eine regelrecht euphorische Stimmung versetzt. Megatrends vereinfachen die Zukunft, weil ebendiese Zukunft als Resultat von Urkräften definiert wird, gegen die kein Einspruch möglich ist.

Megatrends haben allerdings ein Handicap: Sie suggerieren ein falsches Alles. Alles wird global! Alles wird vernetzt! Alles wird individualistisch! Alles wird urban! Alles wird hypermobil! Alles wird radikal digital!

Damit eignen sich Megatrends perfekt für Selbstbetrug. Für »wishful thinking«. Und für gnadenlose Verkürzungen der Wirklichkeit.

Um zu erkennen, dass das Wörtchen »alles« nicht so ganz ernst zu nehmen ist, lassen Sie uns ein kleines Gedankenspiel unternehmen:

Stellen wir uns vor, der Megatrend »Globalisierung« würde sich radikal durchsetzen. Alle kulturellen Differenzen und Unterschiede würden zu einer einzigen homogenen Globalkultur ­verschmelzen. Alle Einkaufs- und Stadtzentren wären von den immer gleichen Filialen riesiger amerikanisch-europäisch-chinesischer Konglomerate beherrscht. Alle Autos sähen gleich aus, in verschiedenen Kategorien zwar, aber eben Welt-Autos, gebaut vom NMCBV-Konzern (NissanMercedesChryslerBMWVolkswagen). Der multinationale Konzern Alibalphabet würde alle Datenflüsse der Welt gerecht regulieren. Es gäbe gar keine verschiedenen Sprachen mehr, oder wenn, dann nur noch als nostalgisches Hobby. Ein einziges globales Idiom, Globaesperanto oder AngloMandarin, würde von Kap Hoorn bis Sibirien, von Japan bis Costa Rica gesprochen. Statt Euro, Dollar oder ­Renmimbi gäbe es nur noch den Terra, eine vollständige Blockchain-Währung.

In zehn oder zwanzig Jahren würden die ersten Länder ihre Grenzen auflösen und sich dem Freien Weltländer-Staatenbund (FWS) anschließen, der überall gleiche demokratische Rechte garantiert. In fünfzig Jahren wären nur noch ein paar Schurkenstaaten mit mafiösen Strukturen und bizarren Anführern, die nichts als Ärger machen, außerhalb der USE, der United States of the Earth. Der ganze nationalistische Unsinn, Ursache für endlose Kriege und schreckliches Leiden, wäre endgültig überwunden. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen würden alle Länder nach Best-Practice-Methoden zusammenarbeiten und mithilfe von Mediatoren etwaige Konflikte lösen. So, wie es in der Präambel steht.

Vor jeder Sitzung gäbe es Yoga und Meditation.

Stellen wir uns vor, alle Menschen würden konsequent dem Megatrend »Urbanisierung« folgen. Alle zögen in gigantische Metropolen, die von künstlicher Intelligenz gesteuert werden, mit automatischen Fahrsystemen, blühenden Gartenstädten und vernetzter urbaner Nahrungsproduktion. Alle Städte mit weniger als 100 000 Einwohnern würden aufgelöst, außer einigen Schau-Bauerndörfern (so etwas gibt es heute schon im hyperurbanisierten China) würden alle Dörfer verlassen. Das flache Land würde den Pflanz-, Mäh- und Ernterobotern oder der freien, ökologischen Wildnis überlassen. Bären, Luchse und Wölfe kehrten zurück, und endlich wäre der Verlust der Biodiversität gestoppt. All das wäre sehr vernünftig. Endlich hätten das Elend des Landlebens, die medizinische Unterversorgung, die Nichterreichbarkeit, die ländliche Isolation, in der immer noch viele Menschen leben, ein Ende. Die neuen großen Städte – je größer, desto besser – sind aus vielen Gründen der bessere Lebensraum für die Menschen. Man lebt in ihnen gesünder, länger und diverser. Nur in der intelligenten Metropole lässt sich der Fußabdruck des Menschen nachhaltig verringern, lassen sich geschlossene Recycling-Kreisläufe errichten, sodass elf Milliarden Menschen auf der Erde Platz haben. Die Menschheit rückt zusammen und macht Platz für das Comeback der Natur.

Ist das nicht großartig? Muss es nicht so kommen?

Stellen wir uns vor, wie würden immer mobiler, ja geradezu hypermobil! Wir würden unsere Wohnungen und Häuser, diese steingewordenen Klötze am Bein, einfach abschütteln. Alle Autobahnen würden zehnspurig ausgebaut, wobei drei Spuren als temporärer Parkplatz dienten. Auf Flüssen, Seen und Meeren entstünden riesige Hausboot-Städte. So gut wie alle Menschen wären in Wohnmobilen unterwegs, die sich mit geschickter Technik metamorphisch erweitern oder verkleinern lassen. Niemand bliebe dauerhaft an einem Ort, jeder würde ständig umziehen. Für eine monatliche Flightrate von 2000 Euro könnte man unentwegt in der Luft bleiben, rund um den Planeten, das ist billiger als das Leben auf der schnöden Erdoberfläche. Auch in der Erdumlaufbahn gäbe es Wohn­kapseln, aufblasbar, für jedermann. Die ganze Menschheit würde wie die Nomaden vor zehntausend Jahren leben, nur viel schneller, man würde mal hier sein Lager aufschlagen, mal dort, hätte kein Eigentum mehr, sondern nur noch Gebrauchsgegenstände, Sharing allerorten. Man würde in virtuellen Höhlen, kybernetischen Hütten, provisorischen Lagern und pneumatischen Hotels leben … Wir wären rund um die Uhr unterwegs, als kosmische Nomaden, die von Ort zu Ort, von Task zu Task ziehen, in der Liebe, in der Arbeit, in der großen weiten Welt …

Stellen wir uns vor, alles würde radikal digital. Wir würden unser Smartphone als Kontaktlinse tragen. Oder in die Schläfe implantiert. Auch beim Schlafen und Lieben blieben wir online. Beim Sex sowieso, das verstärkt die Variablen und die Sinneseindrücke. Wir könnten auf diese Weise mit einem Elefanten schlafen oder einem Faun. In unserem KI-Gerät würden unentwegt neue Wahrheiten projiziert: Hochrechnungen, Prognosen, Wahrscheinlichkeiten über das, was uns am meisten in­teressiert. Die billigsten Flüge, die besten Vergnügungen, die tollsten Restaurants stünden uns ständig zur Verfügung. Das System würde alle Männer oder Frauen in unserer Umgebung daraufhin scannen, ob sie zu unserem eigenen Score passen, und ständig passende Strategien zur Annäherung und Eroberung vorschlagen. Aber selten würden wir direkt mit Menschen kommunizieren, das ist anstrengend und missverständlich. Siri (oder Alexa) wäre überall. Im Türrahmen. Im Kühlschrank. In der Armbanduhr. Auf dem Klo.

Irgendwann wären auch die Gespräche mit Siri & Co. überflüssig. Quantencomputer umhüllen uns dann mit einer Echtzeit, die alle unsere Wünsche im Moment ihres Entstehens erfüllt.

Haben Sie eine solche feuchte Vision womöglich auf der letzten Digitalkonferenz gehört?

Stellen wir uns vor, dass alles immer individueller würde – ­radikal individuell. Jeder hätte seine eigene hochspezifische Meinung, seine eigenen Medien, seine eigene Lebensblase, seinen äußerst eigensinnigen Kleidungs-, Ess-, Gender-, Reise-, Liebes- und Lebensstil. Keiner wäre mehr vergleichbar mit dem anderen, Marketingagenturen gingen pleite, weil es keine »Zielgruppen« mehr gibt, »Influencer« würden aussterben, weil sie nur noch sich selbst als Publikum hätten. Jeder wäre ein Dandy, ein Snob, ein Lebenskünstler, ein Ästhet mit höchstentwickeltem Geschmack im Sinne einer kompletten Distinktion. Alle wären also wie Karl Lagerfeld. Alle wären aber auch unentwegt allergisch, würden immer empfindlicher, sensibler: so empfindlich, dass sie sich selbst nur noch...

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