JANUAR 1965
- Wetter: Für die Jahreszeit erheblich zu warm (+2,3º).
|
- In den Charts: The Righteous Brothers: »You’ve Lost That Lovin’ Feelin’«, Drafi Deutscher: »Cinderella-Baby«, Roy Orbison: »Pretty Woman«, Ronny: »Kleine Annabell«, Freddy Quinn: »Vergangen, vergessen, vorüber«, Margot Eskens: »Mama«.
|
- Alben: The Rolling Stones: »Rolling Stones No. 2« ist neu im Laden.
|
- Buch: »Le Tour de Gaule d’Asterix« (»Asterix: Tour de France«) wird in Frankreich als Einzelband veröffentlicht. Die Erstauflage liegt bei 60.000 Stück. In Deutschland gibt es noch keine Asterix-Bände. In den deutschen Bestsellerlisten stehen immer noch die Erfolgsbücher des Weihnachtsgeschäfts: »Mein Name sei Gantenbein« von Max Frisch, »Die Clique« von Mary McCarthy, »Nur einen Seufzer lang« von Anne Philipe. Außerdem die »Kiesinger-Anekdoten«, gesammelt von Karl Gottfried Bechtle.
|
- TV-Event: »Die Schlüssel« von Francis Durbridge, ein Krimi-Dreiteiler im Ersten, wird ein absoluter Straßenfeger. Die erste Folge des Dreiteilers läuft am 18. Januar. Peter Frankenfeld bittet jeden Donnerstag im ZDF zum Quiz »Vergißmeinnicht« und sammelt dabei Spenden für behinderte Kinder. Im Deutschen Fernsehfunk (DDR) läuft die ungarische Historienserie »Kapitän Tenkes« an.
|
- Kino: »James Bond 007 – Goldfinger« kommt in Westdeutschland in die Kinos.
|
- Geboren: Aiman Abdallah (3.1.), Maybrit Illner (12.1.), Diane Lane (22.1.).
|
Poff! Bäm! Plopp! Auftritt für das neue Jahr. Nie hielten zum Jahreswechsel so viele Familien in Deutschland ein Neugeborenes im Arm wie in dieser Nacht. Das geburtenstärkste Jahr ist zu Ende gegangen, die Babyboomer liegen in ihren Krippen – und immer noch sind so viele Frauen schwanger wie nie zuvor in der deutschen Geschichte.
Während um Mitternacht die Korken knallen, die Raketen in den Himmel steigen, beschwipste Umarmungen und Küsse zu neuen Beziehungen oder zum Ende von langjährigen Ehen führen, treten neue Gesetze und Verordnungen in Kraft. Die Lohnsteuersenkung freut diejenigen, die wenig verdienen, die Erhöhung des Tagessoldes freut die Bundeswehr-Soldaten, die geringeren Zölle im Binnenmarkt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) freuen Handel und Industrie. Die neue Wirtschaftsunion zwischen Ägypten, Syrien, Jordanien, Kuwait und Irak lässt auch die arabische Welt enger zusammenrücken.
In Rostock feiert der Student Joachim Gauck mit seiner Familie – nicht ganz unbeschwert, denn er schreibt seine Examensarbeit und hängt im Zeitplan hinterher. Das Examen türmt sich vor ihm auf wie eine unüberwindbare Barriere, ebenso die Entscheidung, ob er denn nun wirklich Pastor werden will. Dieses Jahr muss er sie treffen.
Bonn. Der Kanzler zieht um. Ludwig Erhard und seine Frau Luise beziehen den Kanzlerbungalow in Bonn. Jetzt haben die Erhards ein Traumheim, wie es sich viele Paare und Familien wünschen: Alles ebenerdig, bodentiefe Fenster, einen Swimmingpool und ein großes Grundstück. Architekt Sep Ruf setzte damit ein kleines Ausrufezeichen, denn auf Erhards Wunsch wirkt der Bungalow bescheiden und ist doch topmodern. Stilmöbel, Eiche rustikal und dicke Vorhänge sind nicht Erhards Geschmack, er mag klare Formen und gerade Linien. Prunk und Protz haben an dem Gebäude nichts verloren, findet Erhard. Schließlich lebe man nicht im Absolutismus, sondern in einer Demokratie.
Ganz wie es sich gehört schlagen die Politiker in ihren Ansprachen zum neuen Jahr und zu den Dreikönigstreffen der Parteien staatstragende Töne an. Bundespräsident Heinrich Lübke doziert, als ob er den Deutschen erklären wollte, was Demokratie ist: »Der Staat, das sind wir alle. Der Staat ist eine Gemeinschaft freier Bürger, in dessen Schutz sich der Einzelne, die Familien und die verschiedenen Gruppen und Schichten unseres Volks zu ihrem eigenen Wohl und zum Wohle des Ganzen entfalten sollen.« Der Staat diene nicht dem einzelnen Bürger, sondern der einzelne Bürger diene dem Staat als Ganzem. Walter Ulbricht, der Vorsitzende des DDR-Staatsrates und damit Staatsoberhaupt, spricht über Entspannung: »Da die Überwindung der Spaltung Deutschlands nur in gesichertem Frieden, in Freiheit und Demokratie möglich ist, sollten sich die Regierungen der deutschen Staaten verpflichten, konsequent für die internationale Entspannung, für die Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen, für die Minderung der Kriegsgefahr und für Abrüstungsmaßnahmen mit dem Ziel der allgemeinen und vollständigen Abrüstung einzutreten.« Lyndon B. Johnson, Präsident der USA, erinnert in seiner Rede zur Lage der Nation am 4. Januar an die »Great Society«, die »großartige Gesellschaft«, die seinem sozialpolitischen Ziel entspricht. Diese Gesellschaft soll entstehen, indem die Sozial- und Innenpolitik das Problem der Armut löst und außerdem amerikanische Bürger afrikanischer Herkunft endlich rechtlich gleichgestellt werden. Papst Paul VI. erklärt in seiner Neujahrsansprache: »Die Gesellschaft ist nicht glücklich, weil sie nicht brüderlich ist. […] Was UNS betrifft, werden wir nicht müde werden, die Liebe zum Nächsten als das Grundprinzip einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft zu predigen.« Am Ende des Jahres werden die Politiker sich dann an ihren Worten messen lassen müssen …
In Israel wird die gute Neujahrslaune schnell gedämpft. Die islamische Terrororganisation Fatah verübt am Abend des 1. Januar einen Anschlag auf den National Water Carrier (die Landwasserleitung) und beginnt damit den israelischen Wasserkrieg. Der Sprengsatz kann zwar entschärft werden, ohne dass er Schaden anrichtet, aber das Signal ist eindeutig: Der Wasserkrieg hat begonnen. Mit dem Projekt der Landwasserleitung will Israel die Landwirtschaft fördern, indem es Frischwasser von den Bergen, den Jordanquellen und dem See Genezareth im Norden des Landes in den Süden und Westen leitet. Die Kanalsysteme sind bereits fertiggestellt. Die Fatah fürchtet, dass damit der hauptsächlich von Palästinensern bewohnte Osten des Landes zu wenig Trinkwasser bekommen und austrocknen würde. Die Menschen in den östlichen Gebieten sind der Meinung, dass ihnen Israel buchstäblich das Wasser abgräbt, ihre wichtigste Ressource. Israels Nachbarländer Jordanien und Syrien planen nun ihrerseits, die Quellflüsse des Jordan umzuleiten. Die Golanhöhen, wo zwei der Quellen liegen, gehören zu Syrien. Die arabischen Nachbarstaaten haben bereits den Headwater Diversion Plan aufgestellt, um die Jordanquellen auf ihr Territorium umzuleiten.
So richtig beginnt das neue Jahr erst am 3. Januar, einem Montag. Dann ist der Kater ausgeschlafen, die Küche wieder aufgeräumt und die ersten Nachbarn und Freunde kommen bereits aus dem Weihnachtsurlaub zurück. Der stern ruft auf dem Cover schon jetzt den »Mann des Jahres« aus, es soll der chinesische Parteichef und Staatspräsident Mao Zedong sein. Die Quick zeigt Fotos einer sexy Schornsteinfegerin in Hotpants und bauchfreiem Top. Auf dem Bunte-Cover wünscht Heinz Rühmann mit Sektflöte und artigem Anzug und Blume im Knopfloch »Viel Glück im neuen Jahr!«. Auf dem Bravo-Cover fahren die Eiskunstlaufstars Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler in einem feuerroten und mit Luftschlangen verzierten 20-PS-Oldtimer in die Zukunft und wünschen »Prosit Neujahr!«. Der Spiegel fragt in die Runde: »Atomminen an der Zonengrenze?« Es scheint, als wäre im Jahr 1965 alles möglich – zwischen Spießigkeit und wildem Leben, zwischen Weltuntergang und Welteroberung.
»Guten Abend, meine Damen und Herren« – das neue Fernsehprogramm »Nord 3« geht auf Sendung. Nach Bayern und Hessen hat damit auch der Norden ein drittes Programm. Doch wie heißt es? Da es ein gemeinsames Programm des Norddeutschen Rundfunks, Radio Bremens und des Senders Freies Berlin ist, kann es nicht NDR 3 heißen. Manchmal wird es »Nordkette« genannt, manchmal doch »NDR 3«, meistens aber einfach »Das Dritte«. Für die Bürger im nördlichen Teil der DDR ist das Einschalten zwar verboten, der Sender ist aber dennoch gut zu empfangen.
Gleich am 5. Januar gibt es Unerfreuliches zu berichten: In Mexiko ist ein Kirchendach eingestürzt und hat 51 Menschen unter sich begraben. Im Saarland hingegen hat ein Erdrutsch eine Bahnstrecke verschüttet. Neues Deutschland, die sozialistische Zeitung der DDR, hat allerdings gute Nachrichten: In der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon demonstrieren sozialistisch motivierte »Menschenmassen« gegen die von den USA gestützte Regierung. Nordvietnam, richtiger die Demokratische Republik Vietnam, ist bereits seit 1945 kommunistisch. Die Sowjetunion gibt Geld und liefert Waffen, um Nordvietnam und seinen Präsidenten Ho Chi Minh zu stärken. Die USA wollen verhindern, dass auch Südvietnam kommunistisch wird und sozialistische Propaganda die Stimmung in Saigon kippen lässt. Die Nationale Front für die Befreiung Südvietnams hat...