»Wenn der Wind des Wandels weht, beginnen manche Mauern zu bauen. Andere bauen Windmühlen.«
CHINESISCHER SPRUCH
Wahrscheinlich haben Sie sich selbst schon die Frage gestellt, ob es überhaupt möglich ist, den Pflegeberuf bis zum Eintritt des regulären Rentenalters mit 67 auszuüben. Zu welcher Antwort sind Sie gekommen?
Wolfgang Hien beleuchtete in einer Studie (2009) die gesundheitliche Situation älterer Pflegekräfte. Er lässt Pflegekräfte und Expert/innen die Arbeitsbedingungen und ihre persönliche Einstellung schildern.
So antwortete ein Mitarbeiter aus dem ambulanten Dienst: »Bis 67 – ja, das ginge genau dann, wenn die Arbeitsbedingungen sich ändern würden: mehr Personal, mehr Wertschätzung, mehr Reflexion, ja, und Zuwendung. Jemand, der immer nur Zuwendung gibt, braucht auch selbst Zuwendung!«2
Interessant und vielleicht (gar nicht so) erstaunlich ist, dass hier zunächst nichts über körperliche Erschwernisse der Pflegearbeit gesagt wird. Die benannten Aspekte sind vielmehr psychosozialer und »klimatischer« Natur. Viele Pflegefach- und Assistenzkräfte wünschen sich Wertschätzung und Zuwendung.
Wenn Sie Führungsverantwortung tragen, fragen Sie Ihre Mitarbeiter/ innen doch mal, unter welchen Bedingungen sie sich in der Lage sähen, bis zum Rentenalter zu arbeiten. Sicherlich wird dann auch die körperliche Schwere der Pflegetätigkeit thematisiert – wie auch in der Studie von Hien. Jedoch nimmt das Thema Wertschätzung einen besonders breiten Raum ein. Es lohnt sich, in der eigenen Einrichtung über die Kultur der Wertschätzung nachzudenken und Führung aus einer wertschätzenden Haltung heraus zu thematisieren.
Von 2008 bis 2030 wird die deutsche Bevölkerung um fast fünf Millionen auf dann 77 Millionen sinken. Dies hat strukturelle Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung: »Die Bevölkerungsschrumpfung zeigt sich am deutlichsten in der Gruppe der unter 20-Jährigen: Im Jahr 2030 werden voraussichtlich 17 % weniger Kinder und Jugendliche in Deutschland leben als heute. Statt 15,6 Millionen heute werden es nur noch 12,9 Millionen unter 20-Jährige sein. Die Personen im erwerbsfähigen Alter – heute üblicherweise zwischen 20 und 65 Jahren – werden um ca. 15 % beziehungsweise 7,5 Millionen Menschen zurückgehen. Die Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren wird hingegen um rund ein Drittel (33 %) von 16,7 Millionen im Jahr 2008 auf 22,3 Millionen Personen im Jahr 2030 ansteigen.«3
Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes gehen davon aus, dass
• die Zahl der Pflegebedürftigen in 2020 auf etwa 2,9 Millionen gestiegen sein wird (2007: 2,2 Millionen);
• bis 2030 eine Zunahme auf etwa 3,4 Millionen zu verzeichnen sein wird;
• die Vorausberechnung für das Jahr 2050 bei 4,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland liegt. (Eine Zunahme um 50 %).4
Dem gegenüber stehen Untersuchungen zum Fachkräftemangel in der Pflege: So stellt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln heraus, dass in Deutschland Fachkrankenpfleger (z. B. OP-Pfleger/OP-Schwestern) am dringendsten gesucht werden. Es bezieht sich dabei auf die sogenannte »Engpassanalyse« des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung, eine Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums. Demnach kamen »im vergangenen Dezember (…) auf 100 gemeldete unbesetzte Stellen nur 27 Arbeitslose dieser Berufsgattung«. … »Gleich danach kommen acht Mangelberufe für beruflich Qualifizierte: darunter Kältetechniker, Altenpfleger und Bauelektriker.«5 Altenpfleger/innen, Gesundheits- und Krankenpfleger/ innen werden dringend gebraucht.
Wie sieht es nun mit der Attraktivität, dem Image aus? Ausführlich mit Imagefragen befasst sich eine Studie der Uni Bremen aus dem Jahr 2010. Hier wurden Jugendliche, Eltern und Arbeitsberater nach sogenannten »In«- und »Out«-Berufen befragt.
Ausgewählte Ergebnisse:
• Altenpflege mit 14,7 % der Befragten, Pflege allgemein und Pflegewissenschaft (insgesamt mit 13,9 % der Befragten) haben bei den Schüler/nnen einen geringen Stellenwert. Diese Berufe sind »out«.
• Unbeliebter sind nur noch kaufmännische Berufe, Pädagogik (vor allem Lehrer), psychosoziale Berufe sowie Tätigkeiten im Bereich Müll/Reinigung. Eltern würden ihren Kindern diese Berufe nicht empfehlen.6
Es müssen also nicht nur in den Einrichtungen und Diensten der Alten-, Kranken- und Behindertenhilfe Bedingungen herrschen, die Arbeitszufriedenheit, Motivation, Identifikation und Loyalität auf Seiten der Beschäftigten fördern bzw. erhalten – ebenso wichtig sind Werbemaßnahmen in der Phase der Berufswahl. Denkbar sind hier Beteiligungen an Berufsmessen, »Schnupperpraktika«, intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der suchenden Einrichtungen etc.
Allgemeine Handlungsempfehlungen für eine Imagekampagne schließen die Studie ab. Bei den Einflussfaktoren zur Berufswahl werden folgende Punkte benannt:
• »Hervorzuheben sind in Werbemitteln vor allem: die Vielseitigkeit und Sinnhaftigkeit des Pflegeberufes, das hohe Maß an Arbeitsplatzsicherheit (z. B. selbst in Krisenzeiten bleibt Pflege notwendig) sowie die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Pflegeberufes.
• In Materialien für Eltern wie auch für Schüler/innen sollte vor allem die Qualität der Arbeit in den Pflegeberufen erwähnt werden (interessante und sinnvolle Tätigkeit).
• Weiterhin ist in den Werbemitteln für Eltern herauszustellen, dass in Pflegeberufen eigene Neigungen und Interessen realisiert werden können (vor allem in der Altenpflege durch den Alltags- und Lebensbezug) und ein hohes Maß an Selbstständigkeit gefordert ist.
• Nicht oder in Maßen thematisiert werden sollte die hohe Bedeutung der Pflegeberufe für die Gesellschaft, da sich die Beteiligten dessen bewusst sind, diese aber nicht für die eigene Berufswahl und die ihrer Kinder von Bedeutung finden.
• Teamarbeit wurde als Einflussfaktor für die Wahl eines Pflegeberufes von den Auszubildenden benannt. Da Teamarbeit gesamtwirtschaftlich betrachtet zu einem aus Managementperspektive (Organisations- und Personalentwicklung, Wirtschaftlichkeit) immer bedeutungsvollerem Aspekt von ›guter Arbeit‹ wird, sollte auch dies in Werbeaktionen eingebunden werden.«7
Dies gilt es zu bedenken, wenn Sie in Ihrem Unternehmen dem Fachkräftemangel vorbeugen und das Image des (Alten)Pflegeberufs »aufpolieren« wollen.
Strategien zum Finden neuer Mitarbeiter/innen sind das Eine; das Andere ist die Zusammensetzung der Belegschaft, die Altersstruktur »heute« und »morgen«.
Kleiner Check
• Sind Sie bzw. Ihre Einrichtungen demografiefest aufgestellt?
• Wie sieht die Altersstruktur »heute« aus – wie »morgen«, in fünf und zehn Jahren?
• Gibt es heute einen »Altersberg«, kaum junge Mitarbeiter/innen, oder sind Sie zur Zeit eher jugendzentriert? Ist Ihre Belegschaft altersmäßig ausgeglichen?
• Überaltert (auch) Ihre Belegschaft?
Erstellen Sie eine Altersstrukturanalyse, kurz: ASTRA und verschaffen Sie sich einen Überblick über Ihre Belegschaftszusammensetzung. Dazu stehen Ihnen im Internet8 kostenfreie Werkzeuge zur Verfügung, beispielsweise von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Sie merken recht schnell, welchem Demografietyp Ihre Einrichtung zugehört, welche Fragen zu beantworten sind und welche Maßnahmen abgeleitet werden können.
»Bei Überwiegen der älteren Beschäftigten (alterszentrierte Altersstruktur):
• Ist der Zeitpunkt des voraussichtlichen Berufsaustritts der Beschäftigten bekannt?
• Drohen durch den Weggang der Älteren personelle Engpässe oder Knowhow-Verlust?
• Gibt es Verfahren des frühzeitigen und systematischen Wissenstransfers im Betrieb (z. B. Nachfolge- und Patenmodelle)?
• Treten Gesundheits-, Qualifikations- oder Personaleinsatzprobleme bei den älteren Mitarbeitern gehäuft auf?
Bei Dominanz der mittleren Jahrgänge (mittelzentrierte Altersstruktur):
• Ist damit zu rechnen, dass die geburtenstarken mittleren Jahrgänge langfristig im Unternehmen bleiben werden und somit als große Gruppe auch gemeinsam altern?
• Werden sie zu einem späteren Zeitpunkt als...