Die Schuldfrage: Trump und Zuckerberg
Hat Facebook wirklich Trump ermöglicht? Wer gehört zu seiner geheimen »Facebook-Armee«? Wieviel Schuld trifft Zuckerberg? Und was ist mit Twitter? Die Medien überschlugen sich mit Schuldzuweisungen und machten aus jedem Rest eine Geschichte. Facebook wurde angeklagt, Lügen zugunsten Trumps zu verbreiten, seinen Anhängern einen Versammlungsort zu bieten und ihm die Möglichkeit, sie zu erreichen. Man versuchte fieberhaft, die sozialen Medien für Trumps Wahlsieg verantwortlich zu machen, nachdem man den 45. Präsidenten der USA selbst bedenkenlos hofiert hatte, als dieser noch ein belächelter, aber skandalträchtiger und also quotenwirksamer Kandidat unter vielen war.
Dann ging es um die Filterblase, die auf Facebook alle Nutzer in einen Kreis Gleichgesinnter einlullt, der schließlich so viele Hasskommentare und Gewaltandrohungen gebiert, dass die Münchner Staatsanwaltschaft sogar ein Ermittlungsverfahren gegen Zuckerberg eröffnete wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Volksverhetzung. Damit unterstellte man Facebook genau den Einfluss auf die Gesellschaft, den das soziale Netzwerk zweifellos hat, bezichtigte aber den Richtigen für das Falsche.
Man kann Zuckerberg kaum Falschmeldungen oder die Versammlung der Falschen zum Vorwurf machen und möchte ihn, angesichts all der voreiligen Vorwürfe bis hin zur Trump-Werbung durch Mazedonische Jugendliche, fast in Schutz nehmen. Und doch: Der Verdacht besteht, dass Facebook dadurch, dass es ist, wie es ist, in mehrfacher Hinsicht Demagogen wie Trump den Weg ebnet. Sollte der öffentliche Diskurs ein Ermittlungsverfahren gegen Zuckerberg eröffnen – und zumindest als Gedankenexperiment sollte er dies zum besseren Verständnis unserer Mediengesellschaft unbedingt tun –, müsste die Anklage nicht auf Volksverhetzung lauten, sondern auf Volksverdummung. Hauptbelastungszeuge wäre weiterhin die Filterblase, aber anders, als man denkt.15
Facebook als Filterblase
Natürlich ist die Filterblase keine Erfindung Facebooks. Der menschliche Wunsch nach kognitiver Konsistenz gehört seit den 1950er Jahren zu den Grunderkenntnissen der Psychologie. Dass die Kontrollmacht, die das Internet den Menschen über ihre Kommunikationsvorgänge gibt, diesen nicht gut tut, wurde schon vor Facebook notiert. Facebooks viel gescholtene Algorithmen sind im Grunde nur die technische Vervollkommnung eines menschlichen Impulses – jedenfalls so lange man die Filterblase auf Inhalt reduziert.16
Das Problem der Filterblase ist größer als gemeinhin diskutiert, denn die Blase ist größer, als man vermutet. Sie enthält all die kleinen Blasen, von denen in den Medien so eifrig die Rede war: die Blase der Rechten und der Linken, der Brexisten und Anarchisten, der Neoliberalisten und Marxisten, der Slavoj Žižekisten und wahrscheinlich sogar eine der Postmodernisten. Die Filterblase ist so groß wie Facebook selbst, denn sie lebt nicht in, sondern als Facebook: Facebook ist die Blase. Anders gesagt: Die Blase ist ein Rahmen an technischen und sozialen Bedingungen, die wesentlich die Kommunikation bestimmen, die in ihrem Einflussgebiet erfolgt. Die Eckpunkte dieses Rahmens lauten: Quantität, Dualismus und Tempo.
Filterblaseneckpunkt Quantität
Quantität ist die Währung des Populären, das im Reiche Facebook herrscht. Man bemisst den Wert der Menschen und Beiträge, auf die man hier trifft, nach ihrer Anzahl an Freunden, Shares und Likes. Die Frage ist nicht, welche Freunde man hat und wofür es Likes gab, sondern wie viele. Die Möglichkeit sprachlicher Kommentare hilft da wenig, denn 1. erschöpfen sich diese zumeist auf wenige Worte, 2. verblasst ihre Menge jeweils vor der Fülle an Klickbewertungen und 3. weiß jeder, der auf Facebook mal einen nuancierten Text angeboten hat, wie wenig das dort geliket wird. Die numerische Bewertung ist der Standard auf Facebook mit politisch bedenklichen Folgen.
Reduktion von Komplexität und die Automatisierung des Urteils sind nur sprachlich vermeidbar, denn nur wer der eigenen Meinung mit Worten Ausdruck gibt, fragt sich, welche am besten geeignet sind. Das ist zwar keine Garantie, wie das übliche Abgleiten der Kommentare ins Abwegige oder Beleidigende zeigt, bleibt aber die Voraussetzung für eine kritische Meinungsbildung jenseits spontaner Parteinahme. »When they go low, we go high«, sagte Michelle Obama während des Wahlkampfes mit Blick auf Trump. Ein machtvoller Satz trotz oder gerade weil er einer Parole gleicht, die zugleich verspricht, über das Niveau der Schlagworte hinauszugehen. Der Vorsatz ist freilich aussichtslos, wenn Qualität mit Zahlen ermittelt wird statt mit Worten: Wo die höchste Zahl zählt, ist das »Niedrige« immer ganz oben.
Der numerische Populismus ist dem postfaktischen Emotionalismus verwandt: begründungslose Likes sind die technische Variation der gebetsmühlenhaften Wiederholung haltloser Slogans. So wie im realen Leben eine Lüge, die oft genug erzählt wird, für viele Wahrheit ist, so gewinnt eine Meldung auf Facebook dadurch an Gewicht, dass sie Gewicht hat: Man klickt immer auf die Angebote mit der höchsten Zahl und befestigt so ihre Spitzenposition. Die Zahl ist ein Appell ans Gefühl, denn so viele können nicht irren, schon gar nicht, wenn meine besten Freunde darunter sind.
Filterblaseneckpunkt Dualismus
Das Grundprinzip der Filterblase ist antagonistisch: Entweder etwas oder jemand gehört dazu oder nicht. Die Opposition heißt drinnen/draußen oder wir/sie und dies bei allen möglichen Positionen des politischen Spektrums. Dieser Antagonismus gemahnt zwar an den binären Code, der dem Internet und jedem Computer zugrunde liegt. Aber kann man den 0/1-Binarismus am Backend des Interface für den Polarisierungstrend am Front-end verantwortlich machen? Sicher insofern als die Betriebslogik des Computers auf Datenbanken zielt und Stellungnahmen auf das Entweder-Oder eines Like- oder Dislike-Buttons reduziert.
Diese Komplexitätsbeseitigung ist in ihren Konsequenzen hoch politisch, wird aber eingeübt in jeder noch so unpolitischen Interaktion, wenn man mal eben schnell einige Likes und Dislikes vergibt: für Bücher, Filme, Fotos, Kochrezepte, Schminktipps, Tinder-Dates oder einen Zeitungsartikel. Der Like-Button kennt nur sich und sein Gegenteil. Er ist das Symbol einer Klick-Kultur, die wort- und begründungslos immer auf eine von zwei Möglichkeiten zielt: ja oder nein, Daumen hoch oder runter, Freund oder Feind, wahr oder falsch, ein oder aus. So verlernt man allmählich, bis drei zu zählen.
Das theoretische Fundament des Elektronenhirns heißt zwar wahr/nicht wahr, aber deswegen ist es nicht zwangsläufig so dumm wie viele seiner Nutzer. Was dem Ja/nein-Schema an Komplexität fehlt, macht der Computer durch Geschwindigkeit wett, indem er komplizierte logische Operationen in viele Einzelschritte zerlegt, die alle letztlich auf einer dualen Formel ruhen. Menschen sind langsamer als Computer und haben, weil im Internet jetzt alles so schnell geht, immer weniger Zeit für das Komplizierte. Das hält sie am Ende mehr im dualistischen Modus verstrickt als den binären Computer.
Filterblaseneckpunkt Tempo
Das zentrale Kennzeichen der Klick-Kultur ist die Augenblicklichkeit. Nichts in Facebooks Newsfeed ist so alt wie ein Post vom Vormittag. Auf alles muss immer gleich reagiert werden, weswegen die Beiträge guter Freunde oft ein Like erhalten, noch ehe man die Zeit fand, sie anzusehen. Und da am Abend schon wieder neue Beiträge vorliegen, lässt sich auch dann das Liegengelassene kaum abarbeiten. Man bestätigt ohne Prüfung, wenn man den Absender kennt, und entwickelt so eine Kultur der Parteilichkeit und des blinden Vertrauens, die nicht einfach weggeht, wenn die Posts politisch werden.
Tempo ist zugleich ein Feind der Tiefe. Wenn die Zeit knapp ist, darf das, was Likes haben will, nicht viel davon beanspruchen. Und weil alle es mögen, gemocht zu werden, filtert man das Komplexe und Ernsthafte aus seinen Posts. So führt der Hunger nach Bestätigung, den Facebook uns beigebracht hat, zu Unmengen an geistigem Fastfood. Verdummung aus Einsamkeit, das ist die dialektische Kehrseite der Konnektivität, die Zuckerberg der Welt bringt.
Schuldfrage
Zuckerberg verteidigte sich gegen die Vorwürfe nach Trumps Wahlsieg damit, dass Facebook zig Millionen Menschen die Mittel zur politischen Meinungsbildung im Vorfeld der Wahl in die Hand gegeben habe. Das Eigenlob zeigt, wie wenig Schuldbewusstsein der Angeklagte entwickelt hat. Er kann sich dabei auf jene berufen, die noch immer am Gründungsmythos vom Internet als Mittel der Emanzipation und Demokratisierung festhalten und bei Facebook an den Arabischen Frühling, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten der Minderheiten und diverse Formen des Aktivismus per Klick denken.17
Es stimmt zwar, dass Facebook einen neuen Versammlungsort bietet, an dem man unzensiert von der...