Der Begriff Due Diligence stammt aus dem angloamerikanischen Kapitalmarkt- und Anlegerschutzrecht und bedeutet wörtlich übersetzt „gebotene bzw. erforderliche Sorgfalt“. [83] Gegenstand der Due Diligence ist die Analyse und Prüfung der Chancen und Risiken im Rahmen von unternehmerischen Transaktionen mit dem Ziel der Informationsbeschaffung. [84] Hinsichtlich eines IPO ist die Durchführung einer Due Diligence zwar keine notwendige Voraussetzung für die Börsenzulassung, gleichwohl wird ihr eine übergeordnete Bedeutung zugemessen: Zum einen dient die Due Diligence der Verifizierung und Plausibilisierung der angenommenen Börsenreife, zum anderen der Ermittlung der erforderlichen Angaben bzw. Daten für den Wertpapierprospekt bzw. für die Unternehmensbewertung. [85] Im Folgenden werden die für ein IPO relevanten Schwerpunkte der Due Diligence diskutiert.[86]
Im Rahmen der Financial Due Diligence erfolgt die Analyse der internen und externen Rechenwerke des Börsenaspiranten durch einen vom Emissionskonsortium beauftragten Wirtschaftsprüfer. [87] Neben der Beurteilung des Rechnungswesens werden sowohl die historische VFE-Lage als auch die Planungsrechnungen analysiert. [88] Die Schwerpunkte dieser Analysen werden nachstehend erörtert.
Das Rechnungswesen des Börsenaspiranten wird im Rahmen der Financial Due Diligence einem „Stress-Test“ unterzogen. [89] Soll das Unternehmen am regulierten Markt notiert werden und ist ein Konzernabschluss aufzustellen, so ist eine Umstellung des (Konzern-)Rechnungswesens in Konformität mit den IFRS unabdingbar. [90] In diesem Zusammenhang muss geprüft werden, ob die Konsolidierung ordnungsgemäß erfolgt und ob die Vergangenheitszahlen und die Planungsrechnungen einheitlich nach den IFRS dargestellt werden.[91] Durch Letzteres wird die Vergleichbarkeit für spätere Analysen gewährleistet. Des Weiteren führt die Anwendung der IFRS zur Erstellung einer Segmentberichterstattung nach IFRS 8; [92] diesbezüglich muss das Rechnungswesen in der Lage sein, die erforderlichen Daten bereitzustellen. [93]
Die zeitnahe und zuverlässige Bereitstellung der erforderlichen Informationen gilt darüber hinaus unabhängig vom anzuwendenden Rechnungslegungsstandard. Dies bezieht sich zum einen auf die Publizitätspflichten, da insbesondere die Notierung am regulierten Markt mindestens eine Zwischenberichterstattung erfordert.[94] Insofern ist sicherzustellen, dass entsprechende Anpassungen bei der Bilanzierung von Forderungen, Verbindlichkeiten, Vorräten und Rückstellungen vorgenommen und die Aufwendungen und Erträge periodengerecht verbucht werden.[95] Neben dem externen Berichtswesen muss zum anderen die interne Berichterstattung beurteilt werden. So ist zu überprüfen, ob das Zahlenwerk aus dem internen und externen Rechnungswesen miteinander abstimmbar ist und ob das Rechnungswesen entsprechende Schnittstellen zum internen Kontrollsystem und zum Controlling besitzt.[96] Des Weiteren ist die Effektivität des Risikomanage-ment- und Überwachungssystems nach § 91 Abs. 2 AktG zu beurteilen. [97]
Die obigen Ausführungen zeigen, dass ein IPO mit hohen Anforderungen an das Rechnungswesen verbunden ist, die letztendlich von den Mitarbeitern des Börsenaspiranten zu erfüllen sind. Mithin ist ebenfalls zu prüfen, ob das Personal in den entsprechenden Abteilungen über eine ausreichende Qualifikation verfügt. Deswegen ist ggf. über eine externe Beratung durch den Wirtschaftsprüfer und/oder über Fortbildungsmaßnahmen nachzudenken. [98]
Ausgangspunkt für die Vergangenheitsanalyse sind die Jahresabschlüsse der letzten drei Geschäftsjahre und der aktuelle Zwischenabschluss (Einzel- und Konzernabschlüsse).[99] Wurden die Abschlüsse vom Abschlussprüfer des Börsenaspiranten geprüft, so dienen die Prüfungsberichte als zusätzliche Informationsgrundlage.[100] Zudem fungiert der Abschlussprüfer als Gesprächspartner für den Due Diligence-Prüfer, soweit der Börsenaspirant den Abschlussprüfer von seiner beruflichen Verschwiegenheitspflicht entbunden hat.[101]
Hinsichtlich der Vermögenslage ist zunächst zu prüfen, ob die Vermögenswerte[102] und Schulden vollständig in den Bilanzen erfasst und adäquat bewertet sind. Des Weiteren sind bei der Analyse der Vermögenswerte die Werthaltigkeit (stille Reserven bzw. Lasten) und die Restlaufzeiten der immateriellen Vermögenswerte, insbesondere der Patente und Lizenzen, zu beurteilen. Dies gilt ebenfalls für die Untersuchung der Grundstücke und Gebäude. Um die vergangene Investitionspolitik und die Notwendigkeit zukünftiger Investitionen zu analysieren, werden die Altersstruktur und die Abschreibungspläne der Anlagen und Maschinen überprüft. Bei den Vorräten liegt der Schwerpunkt der Prüfung auf der Frage, ob notwendige Bestandsabwertungen durchgeführt wurden. Hinsichtlich der Forderungen sind deren Fristigkeit und Werthaltigkeit zu untersuchen. In diesem Zusammenhang dient die Entwicklung der gebildeten Wertberichtigungen als Ausgangspunkt. [103]
Bei der Analyse der Schulden wird den Pensionsrückstellungen eine übergeordnete Bedeutung zugesprochen, da ihre Bilanzierung sehr komplex ist. [104] Zum einen sind die getroffenen Annahmen bezüglich der Trendantizipation (z. B. zukünftige Gehaltssteigerungen) und des Diskontierungsfaktors kritisch zu beurteilen und zum anderen muss ggf. die Werthaltigkeit der mit den Pensionsrückstellungen saldierungsfähigen Vermögenswerte (sog. Plan- oder Deckungsvermögen) überprüft werden.[105] Hinsichtlich der sonstigen Rückstellungen sind eventuelle Ge- währleistungs-, Produkthaftungs- und Prozessrisiken zu identifizieren und es ist sicherzustellen, dass die entsprechenden Rückstellungen bilanziert sind.[106] Im Rahmen der Analyse der Verbindlichkeiten sind die Fristigkeiten, insbesondere bei den Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, zu prüfen. [107] Des Weiteren sind Risiken aus bestehenden Haftungsverhältnissen, z. B. aus Bürgschaften, zu untersuchen.[108]
Für die Analyse der Finanzlage ist die Entwicklung des Cashflow relevant.[109] Differenziert wird üblicherweise zwischen dem Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit, aus Investitionstätigkeit und aus Finanzierungstätigkeit, wobei dem Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit die größte Bedeutung zugemessen wird, da dieser - wie seine Bezeichnung andeutet - die Finanzierungskraft des Unternehmens aus seiner operativen bzw. betrieblichen Tätigkeit widerspiegelt.[110] Denn im Idealfall sollte ein Unternehmen die Zahlungsansprüche der Kapitalgeber sowie die geplanten Investitionen aus dem operativen Cashflow finanzieren können.[111] Die Berechnung des Cashflow (auch Kapitalflussrechnung) nach den IFRS ist in IAS 7 geregelt; für HGB-Jahresabschlüsse ist der DRS 2 maßgeblich.[112]
Neben der Analyse der Vermögens- und Finanzlage muss die Ertragslage entsprechend geprüft werden. Schwerpunkt der Prüfung ist die Entwicklung der Umsatzerlöse des Börsenaspiranten. In diesem Zusammenhang reicht eine Betrachtung der aggregierten Umsatzerlöse nicht aus, vielmehr ist eine Differenzierung nach Marktsegmenten, Regionen, Kunden- und Produktgruppen vorzunehmen. Zum einen können dadurch zukünftige Marktpotenziale beurteilt werden und zum anderen werden mögliche Abhängigkeiten deutlich. Zudem sind die Daten aus dem internen Rechnungswesen und aus dem Controlling heranzuziehen, um die Deckungsbeiträge der Produkte und Produktgruppen zu ermitteln. Auf der Aufwandsseite sind der Material- und der Personalaufwand von Bedeutung. Bei der Analyse des Materialaufwands ist die Rohstoffpreisentwicklung - insbesondere bei produktionsintensiven Unternehmen - zu beachten. Hinsichtlich des Personalaufwands sind die Mitarbeiteranzahl, das Vergütungssystem, die Überstundenstatistiken, die Altersstruktur der Mitarbeiter und ihre Qualifikationsmerkmale zu analysieren. Idealerweise erfolgt dies differenziert nach den einzelnen Funktionsbereichen des Unternehmens (Produktion, Verwaltung, Vertrieb usw.).[113]
Die Ergebnisgrößen, auf die die Analyse der Ertragslage abzielt, sind in der Regel der EBIT und der EBITDA.[114] Um einen Vergleich mit den Planungsrechnungen zu ermöglichen, ist eine Normalisierung der Ergebnisse notwendig, indem bei der Prüfung der GuV-Posten die wesentlichen nicht operativen, einmaligen und periodenfremden Erträge und Aufwendungen identifiziert und eliminiert werden.[115]
Die Analyse der Planungsrechnungen hinsichtlich ihrer Plausibilität bildet den Mittelpunkt der Financial Due Diligence. Berücksichtigt werden im Regelfall die Planungsrechnungen des zum Zeitpunkt der Financial Due Diligence laufenden Geschäftsjahres sowie zwei bis drei weitere Plangeschäftsjahre. Die Ergebnisse aus der Vergangenheitsanalyse liefern die Basis für die an dieser Stelle durchzuführenden Arbeiten. Des Weiteren sind die vergangenen Planungsrechnungen ebenfalls heranzuziehen, sodass durch einen Soll-Ist-Vergleich erste Erkenntnisse über die...