2.1.2 Unterschiedliche theoretische Herangehensweisen und soziologische Ebenen
Der Begriff Intersectionality wird verschiedenartig eingesetzt. Häufig werden schnelle, prägnante Botschaften über Bilder von sich überschneidenden Kreuzungen oder Kreisen 17 transportiert, um bspw. in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Menschenrechtspolitik den dringlichen Handlungsbedarf aufgrund von mehrfacher Diskriminierung aufzuzeigen (vgl. Kap. 3.2.3). Intersectionality ist auch mit einer „Erkenntnisgeschichte“ schwarzer Frauen und Feministinnen verbunden, die auf die Mehrfachunterdrückung über Rassismus und Sexismus aufmerksam machen (vgl. Collins 1991; vgl. hooks 1996; vgl. Combahee River Collective 1982; vgl. Walker 1988). Während es vielen schwarzen Feministinnen in den Anfängen seit den 1970er Jahren besonders um die Expressivität ihrer Erfahrungen und ihrer empiriegeleiteten Erkenntnisse aus den eigenen Erfahrungen geht, legen zum späteren Zeitpunkt seit den 1980er Jahren viele Autorinnen ihren Schwerpunkt auf die methodische Annäherung an die sozial komplexe Welt mittels einer angemessenen Form der intersektionellen Analyse. Dabei ergeben sich theoretische und methodische Schwierigkeiten durch die hohe Komplexität der sozialen Welt mit nahezu unendlichen Differenz- bzw. Ungleichheitslinien und mit der Bandbreite von Sozialtheorien (vgl. McCall 2001). Auch Irene Browne und Joya Misra weisen auf die heterogenen theoretischen Herangehensweisen an Intersectionality hin. Sie betonen, dass je nach der betrachteten Ebene und den angenommenen Gründen für Intersectionality die Ansätze, die Definitionen und Kriterien divergieren (vgl. Browne; Misra 2003: 4).
Soziologische Theorien wie Ethnomethodologie, Symbolischer Interaktionismus, Figurationssoziologie, Marxistische Soziologie, Kritische Theorie etc. bewegen sich analytisch auf Mikro-, Meso- oder Makroebenen. Die Differenzproduktion wird z.B. überwiegend auf der Interaktionsebene von Individuen, auf der vermittelnden Ebene von
wanderten gemeint, wodurch sich die Einheimischen abgrenzen (Treibel 1999: 199ff.). Infolgedessen entsteht so eine Ordnung von gesellschaftlichen Gruppen.
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tegorien (McCall 2001: 7ff.). Dabei muss aber zwischen den DekonstruktivistInnen, den MultikulturalistInnen und schließlich den Feminists of Color differenziert werden. Die Kritik von PostmodernistInnen, PoststrukturalistInnen und feministischen TheoretikerInnen bezieht sich generell auf biologische Implikationen in den Kategorien wie Frauen oder Gender. Die Kritik der Feminists of Color gilt dagegen eher der Homogenisierung sozialer Gruppen durch die Kategorien. McCall veranschaulicht, dass sich die Perspektiven dieser Ansätze für Differenz in der Gesellschaft nicht zusammenfassen lassen, da die Feminists of Color, so die Autorin, einen eigenen Weg wählen zwischen der Ablehnung von Kategorien seitens der DekonstruktivistInnen auf der einen Seite und der Identitätspolitik der MultikulturalistInnen im Sinne der Vielfalt auf der anderen Seite, die mit der Aufwertung des Schwarzseins Kategorien beibehalten. 22 Der zweite Forschungsansatz der Women of Color führt zum Intra-categorical approach to complexity (McCall 2001: 12). Entscheidend ist hier die Erkenntnis, dass Erfahrungen über Rassismus und Sexismus nicht in den bisherigen Kategorien Gender oder Race erfassbar sind, da jede Kategorie Gruppen homogenisiert:
dass die Kategorie Gender Frauen und Männer als Referenzsubjekte nimmt und gleichfalls die Heterose- normt (vgl. Butler 1995; vgl. Knapp 2001: 87ff.; vgl. Zechner 2003: 7). 19 Die Ethnographie als qualitativer Forschungsansatz „(.) geht von der theoretischen Position der Beschreibung sozialer Wirklichkeiten und ihrer Herstellung (...) aus.“ Die Teilnahme am untersuchten Forschungsfeld, die Dateninterpretation und vor allem die Datendarstellung stehen im Mittelpunkt der Ethnographie. Durch teilnehmende Beobachtung werden Daten über den Alltag sozialer Gruppen erhoben und als Text dargestellt (Flick 1998: 166ff.). Die Darstellung spielt insofern eine besondere Rolle, da sie maßgeblich vom Forschenden und seinem Hintergrund mitgeprägt wird. Diese Beeinflussung sowohl des Forschungsprozesses als auch der Darstellung von Ergebnissen macht die Reflexion dieses Tatbestandes notwendig (Flick 1998: 268ff.).
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„It was not possible (...) to understand a black woman’s experience from previous studies of gender com- with previous studies of race because the former focused on white women and the latter on black men.” (McCall 2001: 12).
Individuen gehören verschiedenen Kategorien an, aber nur einzelnen Dimensionen von Kategorien. McCall gibt hierzu das Beispiel einer arabischen, heterosexuellen US-Amerikanerin aus der Mittelschicht, die mit den Kategorien Race-Ethnic, Class, Gender and Sexual jeweils einer Dimension zugeordnet werden kann. Eine intersektionelle Analyse nach dem Intra-categorical-Ansatz bezieht sich demnach auf die einzelnen Dimensionen in den Kategorien. Damit können bisher „unsichtbare“ Gruppen identifiziert werden (McCall 2001: 13ff.). Die Thematisierung verschiedener Gruppenerfahrungen deckt erst die Vielfalt innerhalb von Kategorien auf. Die ursprüngliche Identifizierung der Kategorie Gender mit den Gruppen weißer Frauen und Männer erfasst nicht die Erfahrungen der Women of Color. Der Fokus dieses Ansatzes liegt auf der Dynamik der Herstellung von Kategorien. Laut McCall hat insbesondere die hier angewandte Methodik, wie qualitative narrative Fallstudien von Gruppen, ermöglicht, die Komplexität und Heterogenität von Gruppen zu erforschen. Auch wenn hier eine kritische Haltung gegenüber einer generellen Kategorisierung besteht, wird dennoch mit Kategorien gearbeitet (ebd.: 14ff.). Schließlich hat gerade die neue Richtung dieses Ansatzes dazu geführt, die Überschneidungen von Race und Gender wahrzunehmen. Schwarze Feministinnen betrachten Ungleichheitsverhältnisse aufgrund ihrer Erfahrungen anders als weiße Feministinnen. Folglich werden bisher unangemessene Kategoriedefinitionen kritisiert und mit Methoden der qualitativen Sozialforschung neu erarbeitet. Den dritten Ansatz bezeichnet Leslie McCall als Inter-categorical-approach to complexity, den die Autorin in ihren eigenen Forschungen verfolgt. Darin werden die Ungleichheitsverhältnisse zwischen sozialen Gruppen fokussiert. Im Gegensatz zu dem vorangegangenen Ansatz geht es nicht um die Variabilität innerhalb von Kategorien, sondern um die Verhältnisse und die Veränderungen von sozialer Ungleichheit zwischen den Kategorien zugehörigen Gruppen (vgl. McCall 2001: 17ff.). Soziale Verhältnisse werden nach McCall als Behältnisse mit definierbaren und messbaren Ungleichheiten vorgestellt. Die methodische Herangehensweise besteht im systematischen Vergleich verschiedener sozialer Gruppen (ebd. 18). Beispiele zieht die Autorin aus ihren eigenen Untersuchungen heran, in denen sie die Lohnungleichheiten in verschiedenen Regionen der USA nach den Kategorien Gender, Class, Race untersucht. 23 Wichtige
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Die Autorin schließt ihre Diskussion um die differenten Herangehensweisen an soziale Komplexität mit der Forderung nach einer disziplinübergreifenden Analyse von Intersectionality in den Sozialwissenschaften und den feministischen Theorien. Sowohl quantitative als auch qualitative Methoden sollten in der Forschung genutzt werden. Dabei sollen in positivismuskritischer 24 Haltung die subjektive Position der Forschenden und die „Forscher-Beforschten-Interaktionen“ reflektiert werden (McCall 2001: 26ff). Die Autorin veranschaulicht die Schwächen der Forschungsansätze, die sich vor allem in der Essentialisierung 25 von...